Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.12.2003
Aktenzeichen: 1 W 71/03
Rechtsgebiete: BGB, BNotO, WEG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 883 Abs. 2
BNotO § 15 Abs. 2 S. 1
WEG § 18
WEG § 53
WEG § 58 Abs. 1
ZPO § 769 Abs. 2
1. Gegen die Weigerung des Notars, das Versteigerungsverfahren nach §§ 53 ff. WEG fortzusetzen, ist die Beschwerde nach § 15 Abs. 2 S. 1 BNotO gegeben.

2. Der Notar darf die Fortsetzung des Versteigerungsverfahrens trotz freihändiger Übertragung des Wohnungseigentums durch den gemäß § 18 WEG Verurteilten auf einen Dritten nicht verweigern, wenn zwischen den Verfahrensbeteiligten Streit über die Erfüllungswirkung der Übertragung besteht. Der verurteilte Wohnungseigentümer kann den Erfüllungseinwand dann nur mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO geltend machen und ggf. eine einstweilige Anordnung des Prozessgerichts nach § 769 Abs. 1 ZPO erwirken.

3. In dringenden Fällen kann der Notar das Versteigerungsverfahren entsprechend § 769 Abs. 2 ZPO unter Fristsetzung zur Beibringung einer Entscheidung des Prozessgerichts einstweilen einstellen.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 1 W 71/03

in der Notariatssache betreffend eine Amtsverweigerung des Notars ..., (Schreiben vom 25. Juni 2002)

Der 1. Zivilsenat des Kammergerichts hat auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss der Zivilkammer 84 des Landgerichts Berlin vom 10. Dezember 2002 in der Sitzung vom 11. Dezember 2003 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Der Notar wird angewiesen, dem Verfahren über die freiwillige Versteigerung des Wohnungseigentums auf Grund des Urteils des Amtsgerichts Charlottenburg vom 18. Dezember 1995 - 23b C 77/95 - nach Maßgabe der folgenden Gründe Fortgang zu geben.

Gründe:

Die weitere Beschwerde ist gemäß § 15 Abs. 2 S. 2 BNotO i.V.m. §§ 27, 29 FGG zulässig. Sie ist auch begründet, da die angefochtene Entscheidung auf einem Rechtsfehler beruht (§ 27 Abs.1 FGG, §§ 561 ff. ZPO).

1. Die Erstbeschwerde, welche sich gegen die Entschließung des Notars vom 25. Juni 2002 richtet, ist gemäß § 15 Abs. 2 S. 1 BNotO zulässig. Der Notar hat es in seinem Schreiben vom 25. Juni 2002 ausdrücklich abgelehnt, in dem Versteigerungsverfahren weiter tätig zu werden, insbesondere einen neuen Versteigerungstermin anzuberaumen, und damit eine notarielle Tätigkeit i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 1 BNotO verweigert. Die Notarbeschwerde ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Entscheidung des Notars in einem Verfahren über die freiwillige Versteigerung eines Wohnungseigentums nach §§ 53 ff. WEG ergangen ist. Auch soweit es sich bei der Entschließung des Notars der Sache nach um eine Einstellung des Versteigerungsverfahrens handelt, wird § 15 Abs. 2 S. 1 BNotO hier nicht durch § 58 Abs. 1 WEG verdrängt, denn die sofortige Beschwerde findet nur gegen die Verfügung des Notars, durch die die Versteigerungsbedingungen festgesetzt werden, sowie gegen seine Entscheidung über den Zuschlag statt; in allen sonstigen Fällen verbleibt es bei der Beschwerdemöglichkeit nach § 15 Abs. 2 S. 1 BNotO (Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 58 Rn. 2; Soergel/Stürner, BGB, 12. Aufl., § 58 WEG Rn. 1; Staudinger/Kreuzer, BGB, 12. Aufl., § 58 WEG Rn. 1; Erman/Ganten, BGB, 9. Aufl., § 58 WEG Rn. 2; a.A. Bärmann/Pick, WEG, 15. Aufl., § 19 Rn. 14, § 58 Rn. 1; Niedenführ/Schulze, WEG, 6. Aufl., § 19 Rn. 7; unklar Weitnauer, WEG, 8. Aufl., § 58; MünchKomm/Röll, BGB, 3. Aufl., § 58 WEG Rn. 1 und 2). § 58 Abs. 1 WEG ist nach seinem eindeutigen Wortlaut weder auf in der Vorschrift nicht genannte Maßnahmen des Notars anwendbar, noch schließt die Sonderregelung - abgesehen von dem Fall der Zuschlagsversagung - die Beschwerde nach § 15 Abs. 2 S. 1 BNotO wegen der endgültigen Ablehnung von Amtstätigkeiten im Versteigerungsverfahren aus; letzteres verstieße gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG (vgl. Soergel/Stürner, a.a.O.).

2. Das Landgericht hat angenommen, der Notar müsse in dem Versteigerungsverfahren nicht mehr tätig werden, da dieses auf Grund der Übertragung des Wohnungseigentums auf ... von ... beendet sei. Das unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der für die Durchführung des Versteigerungsverfahrens gemäß § 53 Abs. 1 WEG, § 20 Abs. 3 BNotO zuständige Notar darf weitere Verfahrenshandlungen nur dann endgültig ablehnen, wenn das Versteigerungsverfahren - etwa durch die Erteilung des Zuschlags oder Rücknahme des Versteigerungsantrags - beendet ist. Ein Beendigungstatbestand liegt hier aber nicht vor. Insbesondere führt die Übertragung des Wohnungseigentums auf einen Dritten nicht ohne weiteres zu einer Beendigung des Verfahrens (so aber Bärmann/Pick/Merle, a.a.O., § 57 Rn. 15; Soergel/Stürner, a.a.O., § 53 WEG Rn. 7; Heil, MittRhNotK 1999, 73, 75); jedenfalls darf der Notar das Verfahren nicht (endgültig) einstellen, wenn zwischen den Beteiligten des Versteigerungsverfahrens - wie hier - Streit über die Erfüllungswirkung der Übertragung besteht.

a. Die - missverständlich als "freiwillig" bezeichnete - Versteigerung nach §§ 53 ff. WEG dient der zwangsweisen Durchsetzung eines Urteils auf Veräußerung des Wohnungseigentums nach § 18 WEG, für welche die in § 19 WEG angeordnete Urteilswirkung die Voraussetzungen schafft. Überträgt der verurteilte Wohnungseigentümer das Eigentum freihändig auf einen Dritten, wird darin zwar regelmäßig die Erfüllung des titulierten Veräußerungsanspruchs liegen, denn diese kann bis zur Vollendung des Rechtserwerbs eines Ersteigerers oder zumindest bis zur Erteilung des Zuschlags (§ 19 Abs. 2 WEG analog) auch durch eine anderweitige Veräußerung bewirkt werden (vgl. Senat, OLGZ 1979,146,149; Weitnauer, a.a.O., § 19 Rn. 1; Soergel/Stürner, a.a.O., § 19 WEG Rn. 1; Staudinger/Kreuzer, a.a.O., § 19 WEG Rn. 5, § 57 WEG Rn. 11; Niedenführ/Schulze, a.a.O., § 19 Rn. 1; Heil, a.a.O., S. 97; Wellkamp, WE 1985/2, 9, 11; Roll, MittBayNot 1981, 64). Das entspricht der Konzeption des Gesetzes, nach der der Verurteilte das Wohnungseigentum möglichst freihändig - entsprechend dem Urteilstenor - veräußern soll; das Gesetz ordnet eine Beschlagnahmewirkung des Entziehungsurteils nicht an und der zwangsweisen Durchsetzung des Titels kommt gegenüber der freiwilligen Erfüllung kein Vorrang zu. Es sind jedoch auch Fälle denkbar, in denen die freihändige Eigentumsübertragung keine Erfüllungswirkung hat, weil es sich um ein Umgehungsgeschäft handelt, das der Gläubiger gemäß § 242 BGB nicht als Erfüllung gegen sich gelten lassen muss: so kann die hier gegebene Übertragung des Eigentums auf einen Familienangehörigen unter gleichzeitigem Vorbehalt eines Wohnungsrechts (§ 1093 BGB) jedenfalls dann gegen den Sinn und Zweck des Entziehungsurteils - vgl. die gesetzliche Regelung eines Umgehungsfalles in § 56 Abs. 2 WEG - verstoßen, wenn der Ausschluss des Wohnungseigentümers gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG auf einer Gefährdung des gemeinschaftlichen Eigentums beruht, die ungeachtet der freihändigen Veräußerung fortbesteht.

Beantragt der Gläubiger - wie hier die Beteiligten zu I. - trotz freihändiger Übertragung des Eigentums die Fortsetzung des Versteigerungsverfahrens, ist nicht durch den Notar zu entscheiden, ob der titulierte Veräußerungsanspruch gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen ist. Der Notar ist - abgesehen von den in §§ 53 ff. WEG eingeräumten Befugnissen - nicht zur Streitentscheidung berufen (vgl. dazu allgemein Senat, Beschluss vom 1. Juli 2003 - 1 W 95/03 -; OLG Köln, MittRhNotK 1986, 269); er wird im Versteigerungsverfahren als Vollstreckungsorgan tätig, das nicht befugt ist, über Einwendungen zu entscheiden, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen. Eine Einstellung des Versteigerungsverfahrens entsprechend § 775 Nr. 4 ZPO kommt auch bei Vorlage eines Grundbuchauszugs als öffentlicher Urkunde im Sinn dieser Vorschrift nicht in Betracht, wenn der Gläubiger der Einstellung widerspricht und auf der Durchführung des Verfahrens besteht (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 775 Rn. 12). Der verurteilte Wohnungseigentümer kann den Erfüllungseinwand dann nur mit der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO geltend machen und ggf. eine einstweilige Anordnung des Prozessgerichts nach § 769 Abs. 1 ZPO erwirken (vgl. Bärmann/Pick/Merle, a.a.O., § 19 Rn. 9 und 20; Bärmann/Pick, a.a.O., § 19 Rn. 13; Soergel/Stürner, a.a.O., § 19 Rn. 2; Palandt/Bassenge, BGB, 62. Aufl., § 19 WEG Rn. 3; a.A. zur vergleichbaren Abwendungsbefugnis nach § 19 Abs. 2 WEG: Weitnauer, a.a.O., § 19 Rn. 8; Niedenführ/Schulze, a.a.O., § 19 Rn. 7; widersprüchlich Staudinger/Kreuzer, a.a.O., § 19 WEG Rn. 14 und 15). Legt er eine solche Entscheidung nicht vor, hat der Notar das Versteigerungsverfahren grundsätzlich fortzusetzen; in dringenden Fällen kann er das Verfahren unter Fristsetzung zur Beibringung einer Entscheidung des Prozessgerichts entsprechend § 769 Abs.2 ZPO einstweilen einstellen (vgl. Bärmann/Pick/Merle, a.a.O., § 19 Rn. 21; Bärmann/Pick, a.a.O.; Götte, BWNotZ 1992, 105, 109).

b. Der Notar darf die Fortsetzung des Versteigerungsverfahrens auch nicht deshalb ablehnen, weil die Eigentumsübertragung auf einen Ersteigerer unmöglich wäre. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob das Entziehungsurteil gemäß § 325 ZPO auch gegenüber ... von ... als Sonderrechtsnachfolger des Beteiligten zu II. wirken kann, was zweifelhaft erscheint (vgl. dazu -wohl ablehnend - Bärmann/Pick/Merle, a.a.O., § 54 Rn. 11, § 16 Rn. 104 selbst unter Zugrundelegung einer gesetzlichen Haftung des Erwerbers für Wohngeldrückstände des Veräußerers, die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung - BGH NJW 1994, 2950, 2951 - allerdings verneint wird). Denn die Beteiligten zu I. haben eine gegen ... von ... erteilte Vollstreckungsklausel (§ 727 ZPO) nicht vorgelegt und betreiben das Versteigerungsverfahren weiterhin (nur) gegen den Beteiligten zu II.

Ist der titulierte Anspruch durch die Eigentumsübertragung auf ... vom ... nicht erloschen, so kann die Eigentumsumschreibung auf den Ersteher auf Grund der zu Gunsten der Beteiligten zu I. im Grundbuch am 28. November 1996 eingetragenen - vorrangigen - Vormerkung bewirkt werden. Die Vormerkung sichert den materiell-rechtlichen Anspruch der Titelgläubiger auf Eigentumsübertragung an den Ersteigerer (Senat, OLGZ 1979, a.a.O.), und zwar gemäß § 883 Abs.2 BGB auch in Ansehung einer anderweitigen Eigentumsübertragung, soweit diese den gesicherten Anspruch vereiteln würde (vgl. Bärmann/Pick/Merle, a.a.O., § 19 Rn. 19). Das hat zur Folge, dass die Auflassungserklärung des Beteiligten zu L, welche gemäß § 19 Abs. 1 S. 1 WEG durch das rechtskräftige Entziehungsurteil ersetzt wird (Senat, a.a.O., S. 147), für die Einigung nach §§ 925 Abs. 1, 873 Abs. 1 BGB ausreichend ist und ... vom ... gemäß § 888 Abs. 1 BGB verpflichtet ist, seine nach § 19 GBO erforderliche Zustimmung zur Eigentumsumschreibung zu erteilen (vgl. Palandt/Bassenge, a.a.O., § 888 Rn. 2 bis 4). Weiter können die Beteiligten zu I. im Fall der erfolgreichen Versteigerung von dem Beteiligten zu II. nach § 888 Abs. 1 BGB verlangen, dass dieser die Löschung des zu seinen Gunsten eingetragenen Wohnungsrechts bewilligt, da die Vormerkung auch vor der Gefahr einer zwischenzeitlichen Überbelastung des Wohnungseigentumsrechts schützt (vgl. Senat, a.a.O., S, 150).

Die mit der Durchsetzung der Vormerkung verbundenen Risiken für den Erwerber hindern die Durchführung des Versteigerungsverfahrens nicht. Der Notar hat auf diese in den Versteigerungsbedingungen oder spätestens in der Versteigerungsverhandlung (§§ 53 Abs.2 S.2 WEG, 17 Abs. 1 BeurkG) hinzuweisen, und es obliegt dem Ersteher, zu entscheiden, ob er die Risiken in Kauf nehmen will.

c. Schließlich steht auch die von dem Beteiligten zu II. geltend gemachte Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen, wegen deren Nichterfüllung er zur Veräußerung verurteilt worden ist, der Fortsetzung des Versteigerungsverfahrens nicht entgegen. Die Erfüllung der Verpflichtungen gemäß § 19 Abs. 2 WEG ist nicht gemäß § 775 Nr. 4 ZPO durch öffentliche Urkunden bewiesen oder von den Beteiligten zu I. zugestanden. Die Abwendungsbefugnis gemäß § 19 Abs. 2 WEG greift nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nämlich nur ein, wenn auch die Verpflichtung zum Ersatz der durch den Rechtsstreit und das Versteigerungsverfahren entstandenen Kosten sowie die fälligen weiteren Verpflichtungen zur Lasten- und Kostentragung erfüllt sind, was nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beteiligten zu I. nicht der Fall ist. Daher gilt der Grundsatz, dass der Titelschuldner die streitigen Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 WEG im Wege der Vollstreckungsgegenklage entsprechend § 767 ZPO geltend machen muss und dieser Streit zwischen den Verfahrensbeteiligten nicht durch den Notar zu entscheiden ist.

d. Der Fortgang des Verfahrens ist durch den Notar im Rahmen des ihm nach §§ 53 ff. WEG eingeräumten Ermessens zu bestimmen, wobei es ihm frei steht, einen Termin zur Versteigerung erst dann anzuberaumen, wenn die durch ihn gemäß dem Beschluss des Landgerichts vom 21. Juli 1998 - 85 T 212/98 - neu festzustellenden Versteigerungsbedingungen bestandskräftig sind. Einer einstweiligen Einstellung des Versteigerungsverfahrens entsprechend § 769 Abs. 2 ZPO durch den Notar wird es hingegen nicht bedürfen, da dem Beteiligten zu II. auf Grund des in § 54 Abs. 3, § 55 Abs. 1 WEG vorgeschriebenen Verfahrensablaufs ausreichend Zeit verbleibt, bis zum Versteigerungstermin eine Entscheidung des Prozessgerichts nach § 769 Abs. 1 ZPO zu erwirken.

Eine Kostenerstattung nach § 13a Abs. 1 S. 1 FGG war für beide Instanzen nicht anzuordnen, weil dafür keine besonderen Billigkeitsgründe sprechen.

Ende der Entscheidung

Zurück