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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 29.08.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 212/07
Rechtsgebiete: StGB, VV RVG


Vorschriften:

StGB § 67e
VV RVG Nr. 4100
VV RVG Nr. 4101
VV RVG Nr. 4201
VV RVG Nr. 4203
1. Im Überprüfungsverfahren nach § 67 e StGB entsteht keine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG.

2. Ein gebührenrechtlicher Haftzuschlag fällt für den Verteidiger nicht an, wenn ein im psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachter bereits dauerhaft in einem externen Pflegeheim außerhalb des Maßregelvollzugs wohnt (offene Unterbringung, betreutes Wohnen).


KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 1 Ws 212/07

In der Unterbringungssache

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern

hat der 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 29. August 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin S., gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 17. August 2007 wird verworfen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Das Landgericht Berlin hat gegen den Verurteilten die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Nachdem er zunächst seit dem 13. Juni 2000 im Krankenhaus des Maßregelvollzuges untergebracht war, ist er im Wege von Vollzugslockerungen am 1. November 2005 in die "offene Unterbringung" überführt worden. Er wird in einem privaten psychiatrischen Pflegeheim von einem dort niedergelassenen Facharzt für Psychiatrie und Neurologie betreut. Nach einem Bericht der medizinischen Leiterin des Heimes ist der dort "wohnhafte" Verurteilte von Beginn an sehr autark gewesen und hat seinen Tagesablauf und seine aushäusigen Aktivitäten selbst gestaltet, wobei es keine Beschränkungen seitens der Heimleitung gab.

Für das jährliche Überprüfungsverfahren nach § 67 e StGB hat das Landgericht dem Verurteilten Rechtsanwältin S. als Pflichtverteidigerin bestellt, die an dem Anhörungstermin am 18. Dezember 2006 teilgenommen hat. Sie hat die Festsetzung ihrer Vergütung in Höhe von 746,13 EUR beantragt, wobei sie neben der Verfahrens- und der Terminsgebühr eine Grundgebühr sowie auf alle drei Gebühren den sog. Haftzuschlag (Nrn. 4101, 4201, 4203 VV RVG) geltend gemacht hat. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat den Ansatz der Grundgebühr sowie der Haftzuschläge abgelehnt und die Vergütung wie folgt festgesetzt:

 Verfahrensgebühr, Nr. 4200 VV RVG 244,00 EUR
Terminsgebühr, Nr. 4202 VV RVG 120,00 EUR
Post- und Telekomm.-Pauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Umsatzsteuer auf die Vergütung, Nr. 7008 VV RVG 72,96 EUR
Summe 456,96 EUR

Das Landgericht hat - nach Übertragung der Sache vom Einzelrichter auf die Kammer wegen grundsätzlicher Bedeutung - mit dem angefochtenen Beschluss die Erinnerung der Rechtsanwältin verworfen. Die Beschwerde der Rechtsanwältin, mit der sie an ihrem Festsetzungsantrag festhält, hat keinen Erfolg.

1. Das fristgemäß eingelegte Rechtsmittel ist zulässig, ohne dass es auf die in dem angefochtenen Beschluss ausgesprochene Zulassung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ankommt, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 200 EUR übersteigt (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG).

2. Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet.

a) Der Beschwerdeführerin steht keine Grundgebühr zu. Die gesetzliche Vergütung für den Verteidiger eines in einem psychiatrischen Krankenhaus Untergebrachten im Überprüfungsverfahren nach § 67 e StGB richtet sich nach den Nrn. 4200 ff VV RVG (vgl. OLG Schleswig StV 2006, 206; KG NStZ-RR 2005, 127). In diesen Bestimmungen ist eine Grundgebühr für das Vollstreckungsverfahren nicht vorgesehen. Die geltend gemachte Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG gilt allein für die Verteidigung im Erkenntnisverfahren und kann nur dort entstehen (vgl. OLG Schleswig aaO; KG, Beschluss vom 25. Oktober 2005 - 5 Ws 528/05 -; jeweils m.w.Nachw.).

b) Der Beschwerdeführerin stehen auch keine Haftzuschläge zu, denn die Voraussetzung, dass sich der Verurteilte im Sinne der (amtlichen) Vorbemerkung 4 Abs. 4 zu Teil VV RVG "nicht auf freiem Fuß" befunden hat, ist nicht erfüllt. Die genannte Vorbemerkung enthält nach ihrem Wortlaut eine generelle, gerade nicht auf den Einzelfall bezogene, zwingende Regelung, die ohne Ausnahmen oder Einschränkungen ihrer Anwendung gilt, so dass es für die Entstehung des Anspruchs auf die Gebühr mit Zuschlag nicht darauf ankommt, ob im Einzelfall aufgrund der Inhaftierung Umstände gegeben sind, die zu konkreten Erschwernissen der Tätigkeit des Rechtsanwalts geführt haben (vgl. KG StraFo 2007, 482; Senat StraFo 2007, 483). Dementsprechend entsteht der Haftzuschlag auch, wenn ein Beschuldigter bzw. Verurteilter Strafhaft im offenen Vollzug verbüßt (vgl. Senat aaO) oder sich im Krankenhaus des Maßregelvollzuges befindet. Eine Abgrenzung anhand des konkreten Lockerungsstatus im Einzelfall ist, wie das Landgericht mit Recht ausgeführt hat, praktisch schwer möglich und vom Gesetz nicht vorgesehen. Eine Ausnahme ist jedoch nach der zutreffenden Auffassung in dem angefochtenen Beschluss dann zu machen, wenn ein Untergebrachter - wie es hier der Fall ist - gar nicht mehr im Krankenhaus des Maßregelvollzuges wohnhaft ist, sondern in einem externen, privaten Pflegeheim wohnt und dort zwar medizinisch und pflegerisch betreut, in seiner Bewegungsfreiheit jedoch nicht beschränkt wird. Denn wenn überhaupt keine Erschwernisse mehr entstehen können, weil der Untergebrachte sich frei bewegen kann, ist die Zuerkennung eines Haftzuschlages nicht gerechtfertigt (ebenso Burhoff StRR 2007, 280).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.

Ende der Entscheidung

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