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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 19.03.2007
Aktenzeichen: 10 U 49/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, StGB, GG, BPersVG


Vorschriften:

ZPO § 511
ZPO § 517
ZPO § 519
ZPO § 520
ZPO § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 2
StGB §§ 185 ff.
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
BPersVG § 8
Zur Zulässigkeit der namentlichen Nennung eines früheren Offiziers der DDR-Grenztruppen.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 10 U 49/06

verkündet am: 19. März 2007

In dem Rechtsstreit

hat der 10. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Neuhaus, den Richter am Kammergericht Frey und den Richter am Kammergericht Thiel für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufungen der Beklagten zu 1) und 2) wird das am 2. Februar 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 27 O 773/05 - geändert und die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die Darstellung des Tatbestandes in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Die Beklagten sind der Auffassung, das Landgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Unterlassungstenor sei bereits unklar, weil die Auflistung der Zusammenhänge und deren Verbindung durch "und/oder" der Einschränkung "wie in den Werken geschehen" widerspreche. Im Übrigen stehe dem Kläger ein Unterlassungsanspruch auch nicht zu. Der Kläger, der eine herausgehobene Position bei der Bundespolizei bekleiden würde und sich mehrfach aus eigenem Antrieb in seiner Position als ehemaliges Mitglied des DDR-Grenzregimes in die Öffentlichkeit begeben habe, könne kein Recht auf Anonymität für sich beanspruchen. Die angegriffene Äußerung sei weder mehrdeutig noch könne in der mitschwingenden Meinungsäußerung eine unzulässige Formalbeleidigung, eine Schmähkritik oder ein Angriff auf die Menschenwürde gesehen werden. Mangels Vorliegens eines Unterlassungsanspruches stehe dem Kläger schließlich auch der vom Landgericht bejahte Freistellungsanspruch nicht zu.

Die Beklagten beantragen,

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 2. Februar 2006 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufungen der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 511 ZPO statthaften Berufungen der Beklagten sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht im Sinne der §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden. Sie sind auch in der Sache begründet.

Zwar ist die Klage mit dem gestellten Unterlassungsantrag zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt, weil sich der Kläger gegen die Nennung seines Namens in sämtlichen in Bezug genommenen Zusammenhängen wehrt. Er will also weder im Zusammenhang mit seiner Funktion beim Grenzregiment 33, noch im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bei der Bundespolizei und schon gar nicht im Zusammenhang mit den Todesschüssen auf Chris Gueffroy genannt werden.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch analog § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB, 185 ff. StGB, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG gegen die Beklagten nicht zu.

Die Namensnennung des Klägers ist schon deswegen zulässig, weil dieser sowohl mit seiner früheren Funktion beim Grenzregiment der DDR als auch mit seiner heutigen Tätigkeit bei der Bundespolizei an die Öffentlichkeit getreten ist. Er hat Vorträge über den "Dienst an der Berliner Grenze" (Ankündigung der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde, Anlage B 3), den "praktischen Alltag des Grenzregimes an der Berliner Mauer", die "Maueröffnung und Auflösung der Grenztruppen" sowie über "Prozess und Erlebnis der Übernahme von Angehörigen der Grenztruppen der DDR in den Bundesgrenzschutz der Bundesrepublik Deutschland" (Verzeichnis der Museumshaus am Checkpoint Charlie, Anlage B 6) gehalten. Dabei ist er, wie sich aus den vorliegenden Unterlagen ergibt, mit seiner früheren und jetzigen Funktion vorgestellt worden. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, diese Unterlagen nicht gekannt zu haben. Er hat sich auch erst im Zuge des hiesigen Rechtsstreits darum bemüht, seine persönlichen Daten aus den Ankündigungen zu entfernen. Der Kläger hat sich weiter für einen Beitrag des Wn über die Jugend und seinen Werdegang in der DDR zur Verfügung gestellt (Anlage B 5). In diesem wird, wie das Landgericht festgestellt hat, nicht nur die Kindheit und Jugend des Klägers dargestellt, sondern auch seine Tätigkeit beim DDR-Grenzschutz und der Bundespolizei erwähnt. Schließlich hat er der Autorin Rnnnn für deren Buch "Die Rache der Geschichte" ein Interview gegeben, in dem er seine Funktion als politischer Offizier und zweiter Kompaniechef bei den Grenztruppen der NVA öffentlich gemacht hat. Wie die Beklagten vorgetragen haben, hat der Kläger seine von der Autorin Rnnnn in ihr Buch aufgenommenen Äußerungen letztlich weitgehend akzeptiert und sich insbesondere nicht gegen die Namensnennung und Mitteilung seiner Funktion beim Grenzregiment gewehrt. Offenbar hatte der Kläger bis zur Veröffentlichung der Beklagten keine Probleme damit, seine frühere Tätigkeit als Offizier beim Grenzregiment der DDR öffentlich zu machen. Auch in seiner heutigen Position bei der Bundespolizei tritt der Kläger in die Öffentlichkeit, etwa in der als Anlage B 4 vorgelegten Bezirksjournal des BGS. Eine Namensnennung unter Hinweis auf die vom Kläger ausgeübte Funktion beim Grenzregiment und seine Tätigkeit bei der Bundespolizei ist unter diesen Umständen nicht zu beanstanden. Eine etwa mit der Namensnennung einhergehende Benachteiligung im Sinne des § 8 BPersVG hat der Kläger in Kauf genommen. Ob eine namentliche Erwähnung des Klägers auch zulässig wäre, wenn dieser nicht von sich aus mit seiner früheren und jetzigen Tätigkeit an die Öffentlichkeit getreten wäre, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

Soweit der Kläger die Klage darauf stützt, dass er durch die streitgegenständliche Passage als (direkt) Verantwortlicher für die Todesschüsse auf Chris Gueffroy dargestellt werde, verfängt dies nicht. Die angegriffene Äußerung beschränkt sich auf die Mitteilung, dass der Kläger ebenso wie Gnn Fnn Mnnn und Nnnn Snnn beim Bundesgrenzschutz arbeitet. Durch den Klammerzusatz wird dem Leser mitgeteilt, dass der Kläger Politoffizier im Grenzregiment 33 war. Dies stellt eine wahre Tatsachenbehauptung dar. Wie der Kläger einräumt, war er als Offizier zunächst Stellvertreter für politische Arbeit einer Kompanie und seit Herbst 1988 im Stab des Grenzregiments 33 sog. Jugendinstrukteur. Die Bezeichnung als Politoffizier ist also nicht zu beanstanden. Durch die Mitteilung der Tätigkeit beim Bundesgrenzschutz wird in Form einer mitschwingenden Wertung allenfalls die Tatsache der Übernahme früherer Angehöriger der Grenzregimente in den Bundesgrenzschutz kritisiert. Einen weitergehenden Inhalt hat die Passage nicht. Der Kläger wird insbesondere nicht, wie er ausführt, als alter Kamerad des im Zusammenhang mit den Todesschüssen auf Chris Gueffroy verurteilten Stabschefs Rnnnn Gnnnn bezeichnet. Denn der den Kläger betreffenden Nebensatz bezieht sich auf Gnn Fnn nnnn. Dieser ist nach den Ausführungen des Beklagten zu 2) ebenso unbehelligt geblieben wie der als Operativer Diensthabender des Regiments bezeichnete Nnnn Snnn . Es kann also auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger in einem Atemzug mit solchen Funktionsträgern genannt wird, die wegen der Todesschüsse auf Chris Gueffroy strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurden.

Der Senat vermag dem Landgericht auch nicht darin zu folgen, dass wegen des fehlenden Artikels der Klammerzusatz "Politoffizier im Grenzregiment 33" dahin verstanden werden könne, dass der Kläger "der" Politoffizier, also derjenige gewesen sei, der für die Indoktrination der Todesschützen direkt und maßgeblich verantwortlich war. Dass der Kläger direkter Vorgesetzter des Todesschützen oder der für politische Arbeit zuständige Stellvertreter des Kompaniechefs gewesen sei, wird nicht behauptet. Welche Rolle und Aufgaben er als Politoffizier des gesamten Grenzregiments 33 hatte, bleibt ebenso offen wie die Frage, wie viele Politoffiziere es in einem Regiment gab. Entgegen den Ausführungen des Klägers befasst sich das Buch auch nicht ausschließlich mit den Todesschüssen auf Chris Gueffroy , den Grenzschützen und deren Befehlsgebern. Der Fall Gueffroy ist nur einer unter vielen behandelten Maueropferfällen. Auch wenn es dabei, wie im Titel angekündigt, um eine Zusammenstellung der Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und deren Befehlsgeber geht, sind nicht alle in dem Buch erwähnten Personen per se dieser Personengruppe zuzuordnen. Dies gilt insbesondere für solche Personen, denen nach den Ausführungen des Beklagten zu 2) überhaupt kein Prozess gemacht worden ist.

Der vom Kläger behauptete Zusammenhang zwischen seiner Person und den Todesschüssen auf Chris Gueffroy ergibt sich auch nicht aus dem Beitrag des Beklagten zu 2) in der vom W. Bnnnnn Vnnn im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebenen Ausgabe des Deutschland Archiv 6/2004 auf den Seiten 977 ff., der die streitgegenständliche Passage aus dem Buch ebenfalls enthält. Zwar trägt dieser die Überschrift "Die Prozesse wegen der Tötung des Mauerflüchtlings Chris Gueffroy - Eine Dokumentation". Der die streitgegenständliche Passage enthaltende Abschnitt ist zwar überschrieben mit dem in Anführungszeichen gesetzten Schlagwort "Bevorzugung von Staatskriminellen". Im Fließtext wird allerdings deutlich, dass sich die Kritik gegen ein von den Richtern geschaffenes "Strafzumessungskorsett" und die daraus resultierenden unangemessenen Strafen richtet. Keineswegs wird der Kläger, wie er ausführt, in dem Beitrag als "Staatskrimineller" bezeichnet.

Da mithin keine mehrdeutige Äußerung vorliegt, greift auch die vom Landgericht angeführte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Bestehen eines Unterlassungsanspruchs bei einer Aussage mit nicht eindeutigem Inhalt (vgl. BVerfG AfP 2005, 544 ff. = NJW 2006, 207 ff. sowie Entscheidung vom 24. Mai 2006 - 1 BvR 49/00, 1 BvR 55/00 und 1 BvR 2031/00) nicht.

Soweit schließlich in der Erwähnung der Tätigkeit des Klägers als Politoffizier ein unterhalb der strafrechtlichen Verantwortlichkeit angesiedelten Vorwurf des Beklagten zu 2) liegt, handelt es sich um eine die Grenze zur Schmähkritik nicht überschreitende Meinungsäußerung, die der Kläger hinzunehmen hat. Wie der Beklagte zu 2) auf Seite 22 des Buches ausführt, können all diejenigen, die zur Deformierung des Rechtsbewusstseins der Grenzsoldaten beigetragen haben, sie es in der Schule, den sog. Massenorganisationen oder im Politunterricht beim Militär, nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Hiermit korrespondieren die Ausführungen des Beklagten zu 2) im Kapitel über den Prozess im Fall Pnn Fnnn auf Seite 280 des Buches. Dort heißt es: " Juristisch kaum zu fassen ist die Schuld der ideologischen Einpeitscher, die Schuld der Politoffiziere und sonstigen SED-Propagandisten, die entscheidend dazu beitrugen, daß an der Grenze junge Männer auf Flüchtlinge schossen." Hieraus erhellt sich, dass der Beklagte zu 2) auch den Politoffizieren eine (juristisch nicht fassbare) Verantwortung zuschreibt. Dabei handelte sich aber um eine Meinungsäußerung, die aus Sicht des Beklagten zu 2) auch an sachliche Anhaltspunkte anknüpft. Wie das Landgericht festgestellt hat, hatte der Kläger die Aufgabe, die führende Rolle der SED mittels des Jugendverbandes FDJ durchzusetzen und die jungen Armeeangehörigen und Grenzsoldaten zielgerichtet so zu erziehen, dass sie bereit und fähig waren, ihre militärischen Pflichten gemäß dem Fahneneid zu erfüllen. Unabhängig davon, ob der Kläger den Schießbefehl an der innerdeutschen Grenze billigte oder diesem kritisch gegenüber stand, wie er behauptet, hat er doch als Angehöriger des Führungsstabs eines Grenzregiments das System der "Grenzsicherung" gestützt und dazu beigetragen, dass es funktionierte. Dies allein lässt den Vorwurf des Beklagten zu 2) und die Kritik an der Übernahme des Klägers in den Bundesgrenzschutz zulässig erscheinen, und zwar gerade auch dann, wenn letztere im Einigungsvertrag vorgesehen war. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Kläger die einzelnen Soldaten und insbesondere die Todesschützen gekannt hat, was allerdings seine Äußerungen gegenüber der Autorin Rnnnn in dem Buch " Die Rache der Geschichte" nahe legen. Soweit der Kläger ausführt, es hätte im Oktober 1988, also vor den Todesschüssen auf Chris Gueffroy , eine mündliche Modifizierung des Schießbefehls durch Erklärung des Verteidigungsministers der DDR Kessler gegeben, wonach nur beim Angriff auf einen Grenzsoldaten quasi aus Notwehr geschossen werden darf, steht dies bereits im Widerspruch zu seinen Äußerungen gegenüber der Autorin Rnnnn . In deren Buch wird der Kläger damit zitiert, dass der Grenzsoldat Snnn nur deswegen nicht geschossen habe, weil er Probleme mit seinem Arm hatte und sein Gewehr nicht benutzen konnte. Wenn er sein Gewehr gehabt hätte, wäre, so der Kläger, alles automatisch abgelaufen - Anruf, Warnschuss, gezielter Schuss (Anlage B 7, Seite 337). Die entsprechende Passage hat der Kläger in der Auseinandersetzung mit der Autorin akzeptiert, so dass er sich nicht (pauschal) darauf zurückziehen kann, seine Äußerungen seien unrichtig wiedergegebenen. Der Hinweis auf einen mündlich modifizierten Schießbefehl erscheint auch deswegen als bloßer Versuch der alleinigen Schuldzuweisung an die "einfachen" Grenzsoldaten, weil es völlig fern liegend erscheint, dass sich ein solcher in einem Unrechtsstaat wie der DDR auf eine offenbar politisch motivierte mündliche Äußerung hätte berufen können. Der Kläger trägt auch nicht vor, dass es eine entsprechende Anweisung an die Angehörigen der Grenzregimente gegeben hat.

Mangels Bestehens eines Unterlassungsanspruchs hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Freistellung von zur Durchsetzung desselben entstandenen Kosten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

Die Revision war nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes erfordert. Insbesondere liegt eine Abweichung von der Rechtsprechung eines obersten Gerichts oder eine sonstige Rechtsprechungsdivergenz nicht vor.

Ende der Entscheidung

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