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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 14.09.2006
Aktenzeichen: 11 W 10/06
Rechtsgebiete: GKG, ZPO
Vorschriften:
GKG § 12 Abs. 1 S. 1 | |
GKG § 65 Abs. 1 a.F. | |
GKG § 65 Abs. 1 S. 1 a.F. | |
GKG § 67 Abs. 1 S. 1 | |
GKG § 71 Abs. 1 S. 1 | |
ZPO § 114 | |
ZPO § 122 | |
ZPO § 269 | |
ZPO § 269 Abs. 3 Satz 2 |
2. Lässt die mittellose Partei noch vor Zustellung von mehreren unbedingt erhobenen Anträgen diejenigen fallen, für die ihr keine Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, darf die Zustellung der weiter verfolgten Anträge nicht von der Vorauszahlung der Gerichtskosten für alle Anträge abhängig gemacht werden.
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 11 W 10/06
14.09.2006
In Sachen
hat der 11. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Richter am Amtsgericht Dr. Elzer als Einzelrichter am 14. September 2006
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde vom 8. August 2006 wird - soweit das Landgericht der Beschwerde nicht bereits durch Beschluss vom 25. August 2006 abgeholfen hat - der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 23. Mai 2006 in Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 15. Juni 2006 abgeändert und in Ziffer 2 wie folgt gefasst:
Die beabsichtigte Klage des Antragstellers ist, soweit sie noch verfolgt wird, ohne Einzahlung eines Gerichtskostenvorschusses zuzustellen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller verlangt von der Antragsgegnerin im Wesentlichen 18.000,00 EUR Schadensersatz.
Der Antragsteller hat sich nach Einreichung seiner Klage nicht in der Lage gesehen, den Gerichtskosten i.H.v. 715,50 EUR im voraus zu entrichten und hat beim Ausgangsgericht - erfolglos - beantragt, ihm Prozesskostenhilfe zu gewähren. Auf seine Beschwerde hat das Kammergericht Prozesskostenhilfe in Höhe einer beabsichtigten Klage von ca. 8.000,00 EUR gewährt. Im Übrigen hat auch dieses Gericht die Anträge zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 12. Mai 2006 hat der Beschwerdeführer soweit von seinen ursprünglich gestellten Anträgen Abstand genommen und diese fallen gelassen, als ihm keine Prozesskostenhilfe gewährt worden war. Das Landgericht hat seine Vorschussanforderung korrigiert und nach Maßgabe seines Streitwertbeschlusses vom 23. Mai 2006 für die Anträge, für die dem Antragsteller keine Prozesskostenhilfe gewährt worden war, einen Gerichtskostenvorschuss in Höhe von 588,00 EUR verlangt. Mit Verfügung vom 23. Mai 2006 hat es dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass eine Klagezustellung vor Entrichtung des verlangten Gerichtskostenvorschusses nicht in Betracht komme.
Mit Schriftsatz vom 13. Juni 2006 hat der Antragsteller zunächst Beschwerde gegen den Streitwertbeschluss vom 23. Mai 2006 eingelegt. Nach Hinweis des Gerichts hat er diese Beschwerde zurückgenommen. Er führt jetzt Beschwerde gegen die Verfahrensweise des Landgerichts. II.
Die gem. § 67 Abs. 1 S. 1 GKG zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschwerdeführer muss für die von ihm nicht weiter verfolgten Klageanträge nicht gem. §§ 65 Abs. 1 GKG a.F. i.V.m. 71 Abs. 1 S. 1 GKG eine Vorauszahlung entrichten. Das Landgericht Berlin ist nicht berechtigt, seine weitere Tätigkeit von der Entrichtung einer Vorauszahlung abhängig zu machen. Lässt die mittellose Partei noch vor Zustellung von mehreren unbedingt erhobenen Anträgen diejenigen fallen, für die ihr keine Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, darf die Zustellung der weiter verfolgten Anträge nicht von der Vorauszahlung der Gerichtskosten für alle Anträge abhängig gemacht werden.
1. Zwar ist eine Partei nicht in der Lage, eine bereits eingereichte, aber noch nicht zugestellte Klage i.S.v. § 269 ZPO teilweise "zurückzunehmen". Da der Rechtsstreit noch nicht rechtshängig ist, liegt in einer solchen Erklärung aber der Verzicht auf Zustellung fallen gelassener Anträge (Greger, in: Zöller, 25. Aufl. 2005, § 269 ZPO Rz. 8; Foerste, in: Musielak, 4. Aufl. 2005, § 269 ZPO Rz. 6). Weil der seine Klage teilweise nicht weiter verfolgende Kläger auf Zustellung verzichtet, kann die Zustellung anderer Anträge nicht gem. § 12 Abs. 1 S. 1 GKG von der Vorauszahlung der Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen - berechnet nach dem Streitwert für alle Anträge - verlangt werden. Wird bei Teilbewilligung von Prozesskostenhilfe um den gesamten Streitgegenstand gestritten, ist die mittellose Partei so zu stellen, als ob sie den Rechtsstreit nur im Umfang der Teilbewilligung führte (BGH v. 2. 6. 1954 - V ZR 99/53, NJW 1954, 1406; OLG Nürnberg v. 06.11.2000 - 4 W 3732/00, OLGReport Nürnberg 2001, 307). Ist dem Kläger teilweise Prozesskostenhilfe gewährt worden und lässt er die übrigen Anträge fallen, folgt daraus im Umkehrschluss, dass in diesem Falle gem. § 122 ZPO überhaupt keine Gerichtskosten anzufordern sind.
2. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger die bereits fälligen Gerichtskosten, die für die von ihm nicht weiter verfolgten Anträge angefallen sind, zu erstatten hat. Für den Anfall der Gerichtskosten ist die Zustellung der Klage ohne Bedeutung. Die Entrichtung dieser Kosten ist jedenfalls dann, wenn der mittellosen Partei nur teilweise Prozesskostenhilfe gewährt wurde, aber keine Voraussetzung für Zustellung der auf Grundlage der Prozesskostenhilfe weiter verfolgten Klage. Bei § 65 Abs. 1 S. 1 GKG a.F. handelt es sich um eine Sollvorschrift, die dem Gericht ein Ermessen einräumt (BGH v. 29.06.1993 - X ZR 6/93, MDR 1993, 1009 [1010]). In den Fällen wie diesem wäre es ermessensfehlerhaft, die Zustellung von einer Vorauszahlung abhängig zu machen. Denn eine andere, rechtlich mögliche und im Allgemeinen ggf. sogar vorzugswürdige Sichtweise vereitelte nämlich jedenfalls bei teilweise gewährter Prozesskostenhilfe Sinn und Zweck der Gewährung. Der mittellosen Partei wäre es - wollte man auch für fallen gelassene Anträge eine Vorauszahlung verlangen und die Klagezustellung im Ganzen von der Zahlung eines Gerichtskostenvorschusses für alle (auch die fallen gelassenen) Anträge verlangen - überhaupt nicht möglich, die Anträge zu verfolgen, die nach einer freilich nur summarischen Bewertung i.S.v. §§ 114 ZPO Aussicht auf Erfolg haben. Wenn die mittellose Partei wie hier die Kosten für die anderen Anträge nicht aufbringen kann - und insoweit auch keine Prozesskostenhilfe zu gewähren ist, wäre ihr Rechtsschutz mithin vollständig vereitelt.
3. Hinzu kommt ein weiteres. Auch die mittellose Partei muss zwar die Gerichtskosten, die für die von ihm nicht weiter verfolgten Anträge angefallen sind, erstatten (siehe unter 2). Bejahte man aber auch eine notwendige Zustellung fallen gelassener Anträge, müsste die Partei neben den Gerichtskosten auch die Kosten der Gegenseite wegen der dann möglichen Anwendung von § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO erstatten. Diese Vorschrift wäre in diesem Falle einschlägig; vorher hingegen nicht, auch nicht analog (OLG Hamm v. 2.12.1992 - 8 W 62/92, NJW-RR 1994, 63; KG v. 9.12.1971 - 6 W 2316/71, NJW 1972, 1053; Stein/Jonas/Schumann, 21. Aufl. 1996, § 269 ZPO Rz. 7 Fn. 20 m. w. Nachw.). Die zusätzliche, grundsätzlich nicht angemessene Kostenbelastung wäre besonders unbillig - und nicht hinnehmbar. Denn auch sie vereitelte den gebotenen Rechtsschutz der mittellosen Partei und könnte im Ergebnis dazu führen, dass diese wegen des Kostenrisikos und der voraussehbaren Belastung mit Kosten für nicht zu stellende und gar nicht mehr gewollte Anträge von einem Rechtsschutz in solchen Fällen ganz absieht.
Ende der Entscheidung
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