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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 20.08.2007
Aktenzeichen: 12 U 11/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 531 Abs. 2 Nr. 3
Hält ein gerichtlicher Sachverständiger ein nach den Umständen zu erwartendes, gewöhnliches Fahrverhalten als Unfallursache für ausgeschlossen und als Unfallursache eher eine gezielte Kollision für plausibel, so ist dies ein gewichtiges Indiz für einen manipulierten Unfall. Beanstandungen gegen das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen, die im ersten Rechtszug hätten vorgebracht werden können, sind als neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsverfahren nach § 531 Abs.2 Nr.3 ZPO regelmäßig nicht zugelassen.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 11/07

In Sachen

Tenor:

beabsichtigt der Senat, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.

Gründe:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

I. Nach § 513 Absatz 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

1. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass in ausreichendem Maße Umstände vorliegen, die die Feststellung einer erheblichen Wahrscheinlichkeit dafür gestatten, dass der Kläger von dem Geschehen nicht nur zufällig betroffen sondern an diesem beteiligt war.

Wie das Landgericht in seiner Entscheidung ausführt, liegen ausreichende von Indizien vor, die für die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer Manipulation sprechen, an der der Kläger beteiligt war und von der er profitiert.

Die Ausführungen hierzu auf S. 5 - 6 des angefochtenen Urteils sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Auch der Senat gelangt aufgrund der gebotenen Gesamtschau der gegebenen Umstände zu der Feststellung einer erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Unfallmanipulation (§ 286 ZPO); dies hat zur Folge, dass die Klage zu Recht abgewiesen wurde (ständige Rechtsprechung seit BGHZ 71, 339 = NJW 1978, 2154 = VersR 1978, 242; Senat, NZV 2003, 87 = VersR 2003, 610; NZV 203, 85 = VersR 2003, 613; NZV 2003, 233).

Für die erforderliche Überzeugungsbildung über die erhebliche Wahrscheinlichkeit eines manipulierten Unfalls kommt es nicht darauf an, dass bestimmte, nach ihrer Anzahl und/oder ihrer äußeren Erscheinungsform immer gleiche Beweisanzeichen festgestellt werden müssen. Es ist auch ohne Bedeutung, wenn sich für einzelne Indizien - isoliert betrachtet - eine plausible Erklärung finden lässt oder die Umstände jeweils für sich allein nicht den Schluss auf ein gestelltes Ereignis nahe legen. Entscheidend ist vielmehr stets die Werthaltigkeit der Beweisanzeichen (ständige Rechtsprechung, vgl. KG, Urteile vom 29. März 2004 - 22 U 201/03 -; vom 8. September 2005 - 22 U 233/04 -; Senat KGR 2005, 851; OLG Hamm ZfS 2005, 539). Auch der Senat ist davon überzeugt, dass sich aus den Beweisanzeichen, die für eine Manipulation sprechen, eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für ein unredliches Verhalten auch des Klägers ergibt.

1. Die Ausführungen auf S. 4 der Berufungsbegründung nehmen lediglich zu einzelnen Indizien Stellung, die - isoliert betrachtet - unauffällig sein mögen; die Wer der Indizien in der gebotenen Gesamtschau sich mit diesen Ausführungen dagegen nicht entkräften. Es ist nämlich - wie bereits ausgeführt - ohne Bedeutung, wenn sich für einzelne Indizien - für sich betrachtet - eine plausible Erklärung finden lässt oder die Umstände jeweils für sich allein nicht den Schluss auf ein gestelltes Ereignis nahelegen (vgl. auch Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2006 - 12 U 74/06 -; KG, Urteil vom 29. März 2004 - 22 U 201/03 -).

Ergänzend sei - auch wenn es darauf nicht entscheidend ankommt - auf Folgendes hingewiesen:

Es erscheint von Seiten des Klägers widersprüchlich, wenn er in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 1. März 2005 erklärt hat, er habe den AUDI "zwei Wochen nach dem Unfall verkauft...", nachdem er mit Schreiben vom 12. März 2004 der für den Beklagten handelnden Hn -Cnnn mitgeteilt hatte, er habe das Fahrzeug am 5. März 2004 verkauft, also nur eine Woche nach dem Vorfall vom 28. Februar 2004 (Bl. 43 der vom Sachverständigen Lnnn auf S. 2-3 seines Gutachtens vom 16. September 2005 erwähnten und dann zu den Sachakten des Landgerichts gereichten Akten des Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger und den - nicht auffindbaren - Fahrer des polnischen Mercedes, Staatsanwaltschaft Berlin - 35 Js 3676/04 -).

Den Kläger entlastet auch nicht, dass die Staatsanwaltschaft Berlin das vorbezeichnete Ermittlungsverfahren gegen den Kläger durch Verfügung vom 23. September 2004 nach § 154 Abs. 1 Nr. 1 StPO nur eingestellt hat, weil gegen den Kläger mehrere Verfahren geführt werden, in denen er eine Freiheitsstrafe zu erwarten hat; dies wurde der Hn -Cnnn unter dem 26. April 2005 mitgeteilt.

2. Hält ein gerichtlicher Sachverständiger ein nach den Umständen zu erwartendes, gewöhnliches Fahrverhalten als Unfallursache für ausgeschlossen und als Unfallursache eher eine gezielte Kollision für plausibel, so ist dies ein gewichtiges Indiz für einen manipulierten Unfall (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Beschluss vom 6. Februar 2006 - 12 U 4/04; vom 8. Dezember 2005 - 12 U 201/05 - VRS 111, 415; vom 17. April 2003 - 12 U 272/01 - NZV 2003, 530 = KGR 2004, 260; vom 30. September 2002 - 12 U 6365/99 - KGR 2003, 82 = NZV 2003, 231 = VRS 104, 263 = VersR 2003 L).

So liegt es hier.

Der Senat geht mit dem Landgericht auf der Grundlage der Gutachten des Sachverständigen Lnn vom 16. September 2005 nebst ergänzenden schriftlichen Stellungnahmen vom 19. Dezember 2005 und vom 18. April 2006 davon aus, dass die Fahrweise des Mercedes, die zu den streitgegenständlichen Schäden am AUDI des Klägers geführt haben soll, als gewöhnliche Fahrweise nicht plausibel sei, sondern die Schadensentstehung ein ungewöhnliches Fahrverhalten erfordere; daher spräche einiges dafür, dass die Kollision absichtlich herbeigeführt worden sei oder jedenfalls nicht am angegebenen Ort stattgefunden habe (so Gutachten vom 19. Dezember 2005, welches durch weiteres Gutachten vom 18. April 2006 nach Beanstandungen des Klägers erläutert worden ist).

Der Kläger greift auf S. 1 - 3 der Berufungsbegründung die entsprechende Beweiswürdigung des Landgerichts (UA 6) an mit dem Argument, es sei nicht hinreichend sicher erwiesen (§ 286 ZPO), dass das Beklagtenfahrzeug gegen das Klägerfahrzeug mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von etwa 10 km/h gestoßen sei und begründet dies mit Angriffen gegen das 2. Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Ln .

Dies verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.

Dem Landgericht kann nicht vorgeworfen werden, aufgrund unzureichender Beweiswürdigung zum falschen Ergebnis gelangt zu sein oder dadurch, dass es verfahrensfehlerhaft nicht das vom Kläger beantragte Sachverständigengutachten eingeholt hat.

a) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 -; vgl. auch KG [22. ZS], KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533; Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269).

Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen (§§ 513 Abs.1, 546 ZPO) nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht die gesetzlichen Vorgaben nach § 286 ZPO eingehalten hat.

Diese Vorschrift fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 286 Rdnr. 13).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl. 2007, § 286 Rdnr. 3, 5).

b) An diese Regeln der freien Beweiswürdigung hat das Landgericht sich im angefochtenen Urteil gehalten, sodass die Beweiswürdigung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist.

Der Senat folgt der Beweiswürdigung auch in der Sache.

aa) Entgegen der Auffassung des Klägers hätte das Landgericht die Beweisaufnahme nach Vorliegen des 2. Ergänzungsgutachtens vom 18. April 2006 und der diesbezüglichen Stellungnahme des Klägers vom 4. Mai 2006 nicht fortsetzen müssen; derartiges hat der Kläger in dieser Stellungnahme auch nicht mehr beantragt; er hat insbesondere seinen Antrag auf S. 2 seines Schriftsatzes vom 19. Januar 2006 in seiner Stellungnahme vom 4. Mai 2006 zu dem 2. Ergänzungsgutachten wiederholt oder aufrecht erhalten, obwohl dieses Gutachten gerade wegen seines Schriftsatzes vom 19. Januar 2006 eingeholt worden war.

Auch ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2007, in welcher die Ergänzungsgutachten erörtert worden sind, hat der Kläger erstinstanzlich eine Fortsetzung der Beweisaufnahme beantragt.

Ein derartiger Antrag kann auch den Ausführungen im Schriftsatz vom 4. April 2006 nicht entnommen werden, obwohl der Kläger zum Ausdruck bringt, dass er das Ergänzungsgutachten als günstig für den Beklagten einstuft.

Das Landgericht konnte nach der Stellungnahme vom 4. Mai 2006 und der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2006 also darauf vertrauen, dass der vor Einholung des Ergänzungsgutachtens vom 18. April 2006 gestellte Antrag aus dem Schriftsatz vom 19. Januar 2006 durch die Ergänzung erledigt ist.

bb) Der Kläger greift in der Berufungsbegründung auf seinen Antrag aus dem Schriftsatz vom 19. Januar 2006 zurück und begründet dies auf S. 2 f. mit neuen Angriffen gegen das Gutachten vom 18. April 2006, wobei er dieses sogar als "in seiner Begründung ... nicht nachvollziehbar" und sogar als "unbrauchbar" bezeichnet.

Abgesehen davon, dass der Senat diese Einschätzung nicht teilt, ist der Kläger damit im Berufungsverfahren nach § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen, weil er alle diese Angriffe bereits im Rahmen einer erstinstanzlichen Stellungnahme zu dem Gutachten hätte vortragen können.

Denn auch Beanstandungen eines Sachverständigengutachtens zählen zu den Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die vollständig im ersten Rechtszug vorzubringen sind (st. Rspr., vgl. nur Senat, KGR 2006, 745 = MDR 2007, 48; KGR 2005, 123 = VRS 108, 9 = VM 2005, 51 Nr. 44; ebenso Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 531 Rn 22 m. w. N.).

Soweit der Kläger schließlich auf S. 3 unten der Berufungsbegründung geltend macht, eine Lochbildung entstehe auch dann, wenn ein Kfz mit einer Anhängerkupplung "für eine gewisse Zeitspanne" gegen die Seite des AUDI A 8 drückt, hätte auch diese Erwägung bereits in der Stellungnahme zum 2. Ergänzungsgutachten erstinstanzlich vorgetragen werden müssen, § 531 Abs. 2 ZPO.

Im Übrigen wird zu bedenken gegeben, dass ein derartiges Drücken jedenfalls nicht der gewöhnlichen Fahrweise im allgemeinen Straßenverkehr entspricht. Ein solches Verhalten kann vielmehr - ohne dass es sachverständiger Stellungnahme bedarf - von Senat (als Spezialsenat für Verkehrsunfallsachen) mit erheblicher Wahrscheinlichkeit einem absichtlichen Verhalten zugeordnet werden.

II. Im Ergebnis ist die Einschätzung des Landgerichts nicht zu beanstanden, dass eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für einen manipulierten Unfall spricht mit der Folge, dass dem Kläger keine Ansprüche zustehen.

Im Übrigen hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich.

Es wird angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken.

Berlin, den 20. August 2007

Ende der Entscheidung

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