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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 04.11.2002
Aktenzeichen: 12 U 113/01
Rechtsgebiete: StVG, BGB, GG, PflVersG, StVO, ZPO, EGZPO


Vorschriften:

StVG § 7 Abs. 2
StVG § 9
StVG § 17
StVG § 18
BGB § 254
BGB § 823
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 839 Abs. 1
GG Art. 34
PflVersG § 2 Abs. 1 Nr. 2
PflVersG § 2 Abs. 2
StVO § 36 Abs. 1
StVO § 36 Abs. 2 Nr. 2
StVO § 36 Abs. 3
StVO § 38 Abs. 1
StVO § 38 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
EGZPO § 26 Nr. 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 113/01

Verkündet am: 4. November 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß sowie die Richter am Kammergericht Hinze und Dr. Wimmer auf die mündliche Verhandlung vom 4. November 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 20. März 2001 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 638/00 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist ohne Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht ein Alleinverschulden des Polizeibeamten am Zusammenstoß mit dem von der Schwester des Klägers, gesteuerten Mercedes auf der Kreuzung W-/B Straße am 4. Juli 2000 festgestellt und ist zu einer Alleinhaftung des Beklagten für die Unfallschäden gelangt. Die Einwendungen des Beklagten im zweiten Rechtszug führen nicht zu einer anderen Beurteilung.

A. Stellt ein Unfall für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG dar, bestimmt sich die Haftung nach den beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteilen, §§ 17, 18, 9 StVG i.V.m. §§ 823, 254 BGB. Hierbei werden allerdings nur bewiesene Umstände berücksichtigt, die sich tatsächlich unfallursächlich ausgewirkt haben.

Das gilt auch, wenn das Land Berlin im Wege der Amtshaftung nach §§ 823 Abs. 1, 839 Abs. 1 BGB, Art. 34 GG, § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 PflVersG für Schäden in Anspruch genommen wird, die ein Amtsträger in Ausübung seines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes einen Dritten zugefügt hat (vgl. Urteil des Senats vom 8. Juni 2001 -12 U 7095/99 -).

B. Nach den Verursachungs- und Verschuldensanteilen bleibt es im vorliegenden Fall bei einer Alleinhaftung des Beklagten.

I. Der Unfall war für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG a.F., so dass eine Ersatzpflicht einer Prozesspartei nicht von vornherein ausgeschlossen ist.

Unabwendbar mit der Folge eines Haftungsausschlusses nach § 7 Abs. 2 StVG ist ein unfallursächliches Ereignis, wenn es durch äußerste Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus, also die Berücksichtigung aller möglichen Gefahrenmomente (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 7 StVG, Rn. 30 m.w.N.).

Die Einhaltung einer derartigen Sorgfalt des "Idealkraftfahrers" bei der Einfahrt in die Kreuzung B Straße/W Straße durch die jeweiligen Fahrzeugführer hat keine der Parteien dargelegt.

II. Der Beklagte haftet für die Unfallschäden der Klägerin, weil der Fahrer seines Polizeimotorrades, mit dem PKW des Beklagten unter Verletzung von dessen Vorfahrt zusammengestoßen ist.

1) Ein Wegerecht nach § 38 Abs. 1 StVO, das die Klägerfahrerin verpflichtet hätte, ihm freie Bahn zu schaffen und dadurch Vorfahrt zu gewähren, stand dem Motorradfahrer nicht zu, denn ein solches Recht setzt den Einsatz des blauen Blinklichts zusammen mit dem Einsatzhorn voraus: Unstreitig war das Motorrad jedoch nur mit Blaulicht unterwegs.

2) Der Polizeibeamte war auch nicht durch besonderes Signal des Polizeibeamten zur Vorfahrt gegenüber dem Klägerfahrzeug berechtigt.

Wie der Beklagte selbst zutreffend ausgeführt hat, bedeutet nach § 36 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StVO bei der Verkehrsregelung auf Kreuzungen durch Polizisten das Hochheben eines Armes für die heranfahrenden Verkehrsteilnehmer "vor der Kreuzung warten". An ein solches Zeichen hätte sich mangels Sonderrechten auch der Polizeibeamte auf dem Motorrad halten müssen und hätte nicht einfahren dürfen. Ein besonderes Zeichen des Polizeibeamten an seinen Kollegen nach § 36 Abs. 3 StVO, das diesen zur Einfahrt in die Kreuzung berechtigt hätte, hat der Beklagte nicht behauptet; es hat auch kein Zeuge bekundet. Gleichwohl ist das Motorrad in die Kreuzung eingefahren und dort mit dem Klägerfahrzeug zusammengestoßen.

II. Erfolglos bleibt der Beklagte mit seiner Behauptung, die Klägerfahrerin sei sorgfaltswidrig in die Kreuzung eingefahren, obwohl eine unklare Verkehrslage bestanden habe, so dass der Kläger sich ein Mitverschulden anrechnen lassen müsse.

1) Die Beweisaufnahme hat nicht ergeben, dass die Klägerfahrerin trotz Wartezeichens des Polizeibeamten in die Kreuzung eingefahren ist und so den Unfall mitverschuldet hat.

Der dafür beweisbelastete Beklagte hat nicht bewiesen, dass das Handzeichen des Zeugen für die Zeugin als Anordnung im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 StVO zu verstehen war. Die Zeugin selbst hat zwar eingeräumt, ein Motorrad mit Blaulicht auf der Gegenfahrbahn der B Straße wahrgenommen zu haben. Signale habe er aber nicht gegeben (Bl. 38 d.A.). Der Zeuge hat erklärt, er sei auf seinem Motorrad mit erhobenem rechten Arm in die Kreuzung eingefahren, um den gesamten Verkehr zu sperren (Bl. 43 d.A.). Damit hat er gleichzeitig den Verkehr geregelt und an ihm teilgenommen. Unsicher ist danach, ob die Zeugin überhaupt zeitlich Gelegenheit hatte, das Signal des über die Kreuzung fahrenden Polizeibeamten wahrzunehmen; darüber hinaus ist ein solches - sozusagen nebenher im Fahren abgegebenes - Signal nicht eindeutig als Maßnahme der Verkehrsregelung gegenüber allen anderen Verkehrsteilnehmern erkennbar, so dass der Zeugin eine Nichtbefolgung nicht vorzuwerfen ist.

2) Die Rüge des Beklagten, die Klägerfahrerin sei jedenfalls bei unklarer Verkehrslage unaufmerksam in die Kreuzung eingefahren, wodurch eine anteilige Haftung gerechtfertigt sei, ist unschlüssig, denn es ist nicht im Einzelnen unter Beweisantritt dargelegt, dass sie bei gebotener Aufmerksamkeit unfallverhütend hätte reagieren können.

a) Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass sich mitten auf der Kreuzung, in die die Zeugin mit dem Mercedes bei grünem Licht hineingefahren ist, der Zeuge mit seinem Motorrad befunden hat, dessen Blaulicht eingeschaltet war.

Blaues Blinklicht an einem Polizeifahrzeug warnt nach § 38 Abs. 2 StVO vor Unfall- und sonstigen Einsatzstellen, bei Einsatzfahrten oder bei Begleitung von Fahrzeugen oder von geschlossenen Verbänden. In jedem Fall sind andere Verkehrsteilnehmer zu besonderer Vorsicht angehalten, wenn sie blaues Blinklicht wahrnehmen; insbesondere müssen sie ihre Geschwindigkeit deutlich herabsetzen (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, OLGR Schleswig 1996, 99).

b) Hiernach war vorliegend für die Fahrerin des klägerischen Mercedes besondere Vorsicht geboten, allerdings in erster Linie nach vorne links: Sie selbst hat bekundet, auf der Fahrbahn der B Straße in ihre Gegenrichtung habe sich ein Motorrad mit Blaulicht befunden. Dann lag es nahe, dass sie ihre Aufmerksamkeit auf die Umgebung dieses Fahrzeuges richtete, um sich auf eine dortige Gefahrenstelle einzurichten; mit einem Motorrad, das von rechts mit nahezu unverminderter Geschwindigkeit in die Kreuzung einfahren würde, musste sie nicht rechnen.

Darüber hinaus ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Zeugin auch bei deutlicher Verringerung der Geschwindigkeit und Orientierung nach rechts den Unfall hätte verhindern können. Angaben zu Entfernungen, Geschwindigkeiten und zum Zeitablauf hat der Beklagte nicht gemacht. Damit ist nicht bestimmbar, ob die Zeugin unfallvermeidend hätte reagieren können.

3) Für ein Mitverschulden des Klägers ergäbe sich nichts Hinreichendes, wenn der Mercedes, wie der Beklagte behauptet, gegen das Motorrad gefahren ist und nicht - wie im Landgerichtsurteil ausgeführt, das Motorrad gegen den Mercedes gestoßen ist.

Auch in diesem Fall wäre eine Mithaftung des Klägers nur begründet, wenn die Zeugin unfallverhütend auf das bei rotem Ampellicht in die Kreuzung einfahrende Motorrad hätte reagieren können. Dazu ergibt sich allein aus dem Ablauf der Fahrzeugkollision nichts.

III. Damit trifft den Beklagtenfahrer ein Alleinverschulden am Unfall. Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass die Haftung des Klägers aus Betriebsgefahr seines Pkw dahinter vollständig zurücktritt.

B. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

C. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

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