Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 21.06.2001
Aktenzeichen: 12 U 1147/00
Rechtsgebiete: BGB, StVG, StVO, ZPO


Vorschriften:

BGB § 254
BGB § 847
StVG § 12
StVG § 7 Abs. 1
StVG § 18 Abs. 1
StVG § 18 Abs. 3
StVG § 17 Abs. 1
StVG § 249 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 1 Satz 2
StVG § 7 Abs. 2 Satz 1
StVO § 8
StVO § 8 Abs. 1
StVO § 8 Abs. 2
StVO § 8 Abs. 1 Satz 1
StVO § 8 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 287
ZPO § 713
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 138 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 1147/00

In dem Rechtsstreit

Verkündet am 21. Juni 2001

hat der 12 Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, den Richter am Kammergericht Philipp und den Richter am Amtsgericht Dr. Wimmer auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2001

für Recht erkannt

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 5. November 1999 verkündete Urteil der Zivilkammer 17 des Landgerichts Berlin wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer der Beklagten übersteigt 60.000,- DM nicht.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten bleibt erfolglos, denn das Urteil des Landgerichts ist richtig. Auch das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsinstanz gibt keine Veranlassung, die angegriffene Entscheidung zu ändern.

I. Zu Recht hat das Landgericht die Beklagten als Fahrerin, Halterin und Pflichtversicherer nach den §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 Satz 2, 18 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 8 Abs. 1 StVO, 3 Nr. 1 PflVG zur Zahlung von Schadensersatz wegen des Unfallereignisses am 19. Juli 1998 gegen 14.50 Uhr auf der Kreuzung G straße/Auf dem Grad in B-Z verurteilt, denn der Unfall war durch die Beklagte zu 1) - wie das Landgericht zutreffend formuliert hat - "derart verursacht und verschuldet (...), daß demgegenüber die vom Fahrzeug der Klägerin zu 1) ausgehende Betriebsgefahr nicht ins Gewicht fällt".

1) Der Unfall stellte für keine der Parteien ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 7 Abs. 2 Satz 1 StVG mit der Folge eines Haftungsausschlusses dar. Ob insbesondere die Beklagte zu 2) jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat und damit den durchschnittlichen Anforderungen an das Verhalten eines "Idealfahrers" gerecht geworden ist (zum Begriff vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 7 StVG, Rn. 30 m.w.N.), läßt das Beklagtenvorbringen nicht erkennen. Die Beklagten haben zunächst vorgetragen, die Beklagte zu 1) habe sich der Kreuzung G straße mit einem Tempo von maximal 30 km/h genähert und sich dann durch Schauen nach rechts und links versichert, ob sie die Kreuzung gefahrlos überqueren könne (Schriftsatz vom 15. Juni 1999, S. 2 = Bl. 47 d.A.). Dann haben sie mitgeteilt, die Beklagte zu 1) habe vorfahrtsbedingt angehalten und Einsicht in den Kreuzungsbereich genommen (Schriftsatz vom 31. August 1999, S. 2 = Bl. 74 d.A.). Im Schriftsatz vom 10. August 2000 (Seite 2 = Bl. 137 d.A.) beschreiben die Beklagten den Vorgang nunmehr so: "Die Beklagte zu 1) ist hier vielmehr vorsichtig, in einer Geschwindigkeit von 15-20 km/h und unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt an die Kreuzung heran- und eingefahren.". Aus diesen voneinander abweichenden Darstellungen läßt sich nicht entnehmen, daß die Beklagte zu 1) die größtmögliche Sorgfalt beim Einfahren in die Kreuzung hat walten lassen.

2) Damit ist nach den §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 3 StVG, 254 BGB eine Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr geboten. Bei dieser Abwägung sind neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises anzuwenden sind (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa Urteil des Senats vom 24. September 1998, - 12 U 3282/96 -).

3) Diese Abwägung führt zu einer Alleinhaftung der Beklagten, denn für einen schuldhaften Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 1) spricht angesichts des Unfallherganges der Beweis des ersten Anscheins, den die Beklagten nicht erschüttert haben.

a) Außer Streit ist zwischen den Parteien, daß das Klägerfahrzeug in die Kreuzung auf einer von rechts kommenden Straße eingefahren ist, so daß es grundsätzlich mangels anderer Verkehrsregelung nach § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO die Vorfahrt beanspruchen konnte.

Der nach § 8 StVO geschützte Vorfahrtsbereich erstreckt sich auf die gesamte Kreuzungsfläche (sog. "Einmündungsviereck" und die linke Fahrbahnhälfte der untergeordneten Straße, vgl. Hentschel, a.a.O., § 8 StVO, Rn. 28 m.w.N.). In diesem Bereich darf der Vorfahrtberechtigte grundsätzlich darauf vertrauen, daß sein Vorfahrtsrecht von dem Wartepflichtigen beachtet wird. Dieser Vertrauensgrundsatz gilt auch gegenüber zunächst nicht sichtbaren Verkehrsteilnehmern.

An Kreuzungen, auf denen der Vorfahrtberechtigte seinerseits dem von rechts kommenden Fahrzeugen Vorfahrt zu gewähren hat ("halbe Vorfahrt"), gilt dieser Vertrauensgrundsatz gleichfalls, sofern der Berechtigte zur Beurteilung seiner eigenen Wartepflicht die nach rechts kreuzende Straße rechtzeitig und weit genug einsehen kann (vgl. BGH, Urt. vom 21. Mai 1985 - VI ZR 201/83 -, NJW 1985, 2757; Senat, Urt. vom 3. März 1988, - 12 U 4974/87 -, DAR 1988, 272).

Ein verkehrswidriges Verhalten des Berechtigten beseitigt seine Vorfahrt grundsätzlich nicht; er verliert deshalb seine Vorfahrt auch nicht durch eine überhöhte Geschwindigkeit.

Wer die Vorfahrt zu beachten hat, darf nach § 8 Abs. 2 StVO nur weiterfahren, wenn er übersehen kann, daß er den Vorfahrtberechtigten weder gefährdet noch wesentlich behindert Kann er dies nicht übersehen, weil die Straßenstelle unübersichtlich ist, so darf er sich nach § 8 Abs. 2 Satz 3 StVO vorsichtig in die Kreuzung oder Einmündung hineintasten, bis er Übersicht hat. Hineintasten bedeutet hierbei zentimeterweises Vorrollen bis zum Übersichtspunkt mit der Möglichkeit, sofort anzuhalten. Der Wartepflichtige genügt seiner Pflicht nicht, wenn er die Schnittlinie der bevorrechtigten Straße überfährt und damit ganz oder teilweise die Fahrspur eines bevorrechtigten Verkehrsteilnehmers versperrt (vgl. zu allem m.w.N. Urteile des Senats vom 24. September 1998, - 12 U 3282/96 -; vom 27. Juli 1998, - 12 U 3625/97, NZV 1999, 85 = KGR 1999, 315, 317; vom 17. Januar 2000, - 12 U 6678/98 -, VM 2000, 67 = NZV 2000, 377 = DAR 2000, 260 = KGR 2000, 135).

b) Bei einem Zusammenstoß zwischen zwei Kraftfahrzeugen auf einer vorfahrtgeregelten Kreuzung oder Einmündung spricht der Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Vorfahrtverletzung des Wartepflichtigen (BGH, NJW 1982 2686; Senat, Urt. vom 26. September 1983, 12 U 2583/82; Senat, Urteil vom 24. September 1998, - 12 U 3282/96). Die Betriebsgefahr des Berechtigten tritt m der Regel demgegenüber im Rahmen der Abwägung gemäß § 17 Abs. 1 StVG zurück (Hentschel, a. a. O., § 8 StVO, Rn. 69).

c) Im vorliegenden Fall hat sich die Kollision unstreitig im Kreuzungsbereich ereignet, mithin in dem Bereich, in dem die Beklagte zu 1) dem Klägerfahrzeug die Vorfahrt gewähren mußte. Damit spricht die Lebenserfahrung dafür, daß eine schuldhafte Vorfahrtspflichtverletzung der Beklagten zu 1) zum Zusammenstoß geführt hat. Für die Begründung dieses Anscheins ist es ohne Belang, wo genau auf der Kreuzung die Kollision stattgefunden hat, denn die Vorfahrtsberechtigung bestand - wie dargelegt - auf der gesamten Kreuzung.

d) Tatsachen, aus denen sich die Möglichkeit eines atypischen Geschehens im vorliegenden Fall ergeben, haben die Beklagten nur unzureichend vorgetragen, so daß es ihnen nicht gelungen ist, den Anscheinsbeweis zu erschüttern.

aa) Der Vortrag zu einer überhöhten Geschwindigkeit des Klägerfahrzeuges erweist sich auch in der Berufungsinstanz als gleichermaßen unerheblich wie unsubstantiiert.

Eine überhöhte Geschwindigkeit des Vorfahrtberechtigten kann zwar durchaus den Anschein zu Fall bringen, ein Unfall sei entscheidend auf einen Vorfahrtverstoß zurückzuführen. Es ist jedoch hierfür die Darlegung und ggf. der Beweis erforderlich, daß der Vorfahrtberechtigte erheblich zu schnell gefahren ist (vgl. Hentschel, a.a.O., § 8 StVO, Rn. 69 und 70). Schon dies ist vorliegend nicht erkennbar.

Ein Fahrzeugführer, der die Vorfahrt beanspruchen kann, muß sich weiterhin an die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit halten; mangels besonderer Veranlassung muß er seine zulässige Fahrgeschwindigkeit jedoch nicht vermindern (vgl. Hentschel, a.a.O., § 8 StVO Rn. 48). Daß der Sohn der Klägerin zu 1) zur Beachtung der eigenen Wartepflicht gegenüber Fahrzeugen auf der von rechts heranführenden Straße Veranlassung gehabt hätte, die Geschwindigkeit zu reduzieren (vgl. hierzu allgemein Senat, Urt. vom 3. März 1988, DAR 1988, 272), ergibt sich weder aus ihrem eigenen Vorbringen noch aus den Darlegungen der Beklagten.

Nach den vorstehenden Ausführungen zu "halben Vorfahrt" durfte der Sohn der Klägerin zu 1) hier aber auch darauf vertrauen, daß von links kommende Fahrzeuge ihre Vorfahrt respektieren würden. Ein besonderer Anlaß, sich in ihre Richtung zu vergewissern, ob sie dies tatsächlich tun würden, bestand nach dem Beklagtenvorbringen für die Klägerin nicht. Die Angabe der Klägerinnen, die Sicht sei nach links durch einen an der Ecke stehenden LKW behindert gewesen, deutet zwar einen solchen Anlaß an; die Beklagten haben sich diese Darlegung indes auch nicht hilfsweise zu eigen gemacht, sondern sie ausdrücklich in Abrede gestellt (Schriftsatz vom 15. Juni 1999, S. 2 = Bl. 47 d.A.: "Mit Nichtwissen wird bestritten, daß die Sicht nach links durch einen an der Ecke stehenden Lkw behindert war").

Damit war es dem Fahrer des Klägerfahrzeuges unbenommen, in die Kreuzung mit der innerorts zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h einzufahren, also mit der Geschwindigkeit, die die Beklagten in ihrem Berufungsvorbringen behauptet haben.

Darüber hinaus fehlt dieser Geschwindigkeitsbehauptung der Beklagten jegliche Substanz, § 138 Abs. 1 ZPO. Als einzige Anknüpfungstatsachen für diese Behauptung nennen die Beklagten die an den Unfallfahrzeugen entstandenen Schaden sowie die Stellung der Fahrzeuge nach dem Unfall.

In der Tat weist die Frontseite des Klägerfahrzeuges auf den Fotos, die dem Gutachten der A GmbH vom 21. Juli 1998 beigefügt sind, umfangreiche Beschädigungen auf. Warum diese aber nun gerade auf eine besonders hohe Geschwindigkeit dieses Fahrzeuges beim Zusammenprall hindeuten sollen, ist ungewiß. Mit gleicher Plausibilität können die deutlich sichtbaren Schrammspuren, die sich quer über die Vorderfront des Mitsubishi ziehen, von einem besonders schnell vorbeifahrenden anderen Fahrzeug verursacht worden sein. Die Endstellung der Fahrzeuge, wie sie in der Unfallskizze in der polizeilichen Akte (dort Hülle Bl. 4) festgehalten ist, deutet gerade nicht auf einen Zusammenprall eines - nach Beklagtendarstellung - 50 km/h schnellen Klägerfahrzeuges mit einem gerade erst anfahrenden oder 15, 20 oder 30 km/h schnellen Beklagtenfahrzeug hin. Das Klägerfahrzeug ist durch den Zusammenstoß um bald 90° aus seiner ursprünglichen Fahrtrichtung gedreht worden, während sich das Beklagenfahrzeug zwar auf der linken Fahrbahnseite der Straße "Auf dem Grat", aber m seiner ursprünglichen Fahrtrichtung befand. Dieses Bild läßt sich nicht mit dem unterschiedlichen Gewicht der Fahrzeuge erklären. Völlig unplausibel wird die These von der überhöhten Geschwindigkeit des Klägers, wenn man sie an den in der Polizeiskizze ausgewiesenen Entfernungen mißt.

Die Skizze weist für die G straße eine gemessene Breite von 6 m und für die Straße "Auf dem Grat" eine Breite von 6,10 m aus. Wenn also das Beklagtenfahrzeug vor der Kreuzung angehalten hat und dann fast nach Überquerung der Kreuzung mit dem Klägerfahrzeug zusammengestoßen sein soll, müßte das Beklagtenfahrzeug auf einer Anfahrstrecke von knapp sechs Metern eine solche Geschwindigkeit erreicht haben, daß es das Klägerfahrzeug um 90° herumdrücken konnte Ausweislich der bei Kuckuk/Werny, Straßenverkehrsrecht, 8. Aufl. 1996, XIX Nr. 4 abgedruckten Tabelle zu erzielbaren Anfahrgeschwindigkeiten ist über eine Strecke von sechs Metern auch bei schnellem Anfahren allenfalls eine Geschwindigkeit von 23 km/h erzielbar. Wie bei dieser Geschwindigkeit bei dem angeblich 50 km/h schnellen Klägerfahrzeug der Dreheffekt bewirkt worden sein soll, bedürfte - vor Einholung eines Sachverständigengutachtens - ausführlicher Erläuterung durch die Beklagten. Erst recht gilt dies, falls der Kollisionsort noch weiter innerhalb der Kreuzung selbst lag.

Insofern erweist sich die Rüge der Klägerinnen, die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Geschwindigkeit stelle eine unzulässige Ausforschung dar, als begründet.

bb) Unerheblich ist auch die bestrittene Behauptung der Beklagten, das Beklagtenfahrzeug habe sich bereits in der Kreuzung befunden, als das Klägerfahrzeug in die Kreuzung eingefahren sei, so daß der Sohn der Klägerin auf die Vorfahrt habe verzichten müssen.

Zutreffend ist zwar, daß ein Berechtiger seine Vorfahrt nicht erzwingen darf (Hentschel, a.a.O., § 8 Rn. 47). Vorstellbar ist auch, daß bei einem entsprechend groben unfallursächlichen Verstoß gegen diese Grenze der Rechtsausübung der erste Anschein erschüttert werden kann und der Geschädigte sich einen Mitverschuldens- und Mitverursachungsanteil anrechnen lassen muß.

Die Beklagten haben jedoch nicht dargelegt, wo sich ihr Fahrzeug vor Einfahrt des Klägerfahrzeuges in der Kreuzung befunden haben soll, wo das Klägerfahrzeug zu diesem Zeitpunkt gewesen sein soll und wie der Sohn der Klägerin das Beklagtenfahrzeug so rechtzeitig habe erkennen müssen, daß er noch erfolgreich hätte bremsen können.

Schon die Angaben der Beklagten zum genauen Kollisionsort schwanken. Im Schriftsatz vom 15. Juni 1999 (S. 3 = Bl. 48 d.A ) geben sie an, die Beklagte zu 1) "befand sich bereits mitten auf der Kreuzung bzw. hatte diese schon fast überquert", im Schriftsatz vom 31. August 1999 (S. 2 = Bl. 74 d.A ), sie habe sich "unmittelbar in der Kreuzung befunden".

Gegen die Angabe, der Anstoß habe sich fast nach Überquerung der Kreuzung ereignet, sprechen die in der genannten Polizeiskizze markierten Hauptanstoßstellen. Danach ist das Klägerfahrzeug mit der vorderen linken Ecke gegen die vordere rechte Seite des Beklagtenfahrzeuges gestoßen. Bei einem Zusammenstoß "im letzten Moment" wäre ein umgekehrtes Schadensbild erwartbar, also Schäden hinten links am Beklagtenwagen und vorne rechts am Klägerwagen.

Letztlich mag dies aber auf sich beruhen, denn jedenfalls ist nicht dargetan, daß der Fahrer des Klägerfahrzeuges Veranlassung und die Möglichkeit gehabt hätte, den Zusammenstoß durch eine rechtzeitige Reaktion zu vermeiden.

Daß er mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz keine Veranlassung hatte, sich zu vergewissern, ob von links ein wartepflichtiges Fahrzeug herangefahren kam, wurde bereits ausgeführt.

Die Beklagten habe auch nicht dargelegt, daß der vorfahrtberechtigte Sohn der Klägerin die kreuzende Straße "Auf dem Grat" nach rechts nicht hinreichend einsehen konnte; daher kommt eine Mithaftung der Klägerin zu 1) zu 1/4 auch nach den Grundsätzen der "halben Vorfahrt" (vgl. BGH, VM 1977, 91, OLG Hamm, DAR 2000, 64) nicht in Betracht.

Daß sich ihm durch Blick nach vorne aufdrängte, daß sich dort bereits das Beklagtenfahrzeug befand gibt der Beklagtenvortrag nicht zu erkennen. Einerseits tragen die Beklagten vor, bei einem Blick nach rechts unmittelbar vor Einfahrt in die Kreuzung hatten weder die Beklagte zu 1) noch der Beifahrer Dieter G das Klägerfahrzeug gesehen (Schriftsatz vom 8 März 2000 S. 3 = Bl. 124 d. A.). Andererseits behaupten sie, ihr Fahrzeug müsse für den Sohn der Klägerin zu 1) bereits vorher sichtbar gewesen sein, insbesondere auch, daß sich das Beklagtenfahrzeug bereits auf der Kreuzung befunden habe. Warum hier nur Sichtfreiheit in eine Richtung bestanden haben soll, haben die Beklagten nicht erläutert und ist nicht plausibel.

Auch im Hinblick auf den Anhalteweg aus einer Geschwindigkeit vom 50 km/h erschließt sich dem Senat das von den Beklagten behauptete Geschehen nicht. Eine Chance, das Fahrzeug bis zur Kreuzung zum Stillstand zu bekommen, hatte der Sohn der Klägerin selbst bei einer Notbremsung mit starker Verzögerung und bei trockener Fahrbahn nur bei Wahrnehmung des Beklagtenfahrzeuges aus einer Entfernung von mindestens 25,2 m, denn so lange ist unter Einbeziehung der Reaktionszeit von einer Sekunde, des Bremsansprechens und -anschwellens der Anhalteweg (Tabelle bei Kuckuk/Werny, a. a. O., XIX Nr. 2). Daß der Sohn der Klägerin das Beklagtenfahrzeug jedoch unter Bezug auf die örtlichen Verhältnisse schon aus dieser Entfernung vor sich sehen konnte, haben die Beklagten nicht dargelegt. Damit läßt sich auch unter diesem Gesichtspunkt keine unfallursächliche Pflichtverletzung des Klägerfahrers ausmachen, der den Anschein erschüttern oder einen Haftungsanteil rechtfertigen könnte. Dies gilt selbst dann, wenn eine überhöhte, den Verkehrsverhältnissen nicht angepaßte Geschwindigkeit des Klägerfahrzeuges (§ 3 Abs. 2 Satz 2 StVO) unterstellt würde; denn im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG dürfen nur unfallursächliche Umstände berücksichtigt werden; dies gilt auch für eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Vorfahrtsberechtigten (Senat, NZV 2000, 377 = DAR 2000, 260 = VM 2000 67 Nr. 77 = KGR2000, 135).

II. Das Landgericht hat der Klägerin zu 1) zu Recht auch Ersatz für die nach Abzug einer Pauschale für ersparte Eigenaufwendungen noch verbleibenden Mietwagenkosten nach §§ 249 Abs. 1, 12 StVG zuerkannt, denn diese gehören zum adäquat kausalen Unfallschaden. Richtig ist zwar, worauf die Beklagten hinweisen, daß ein Ersatzanspruch nur soweit besteht, wie auch ein Fahrbedarf besteht. Dieser fehlt, sofern das Fahrzeug auch ohne den Unfall nicht genutzt worden wäre. Freilich ist der Fahrbedarf nicht dadurch gekennzeichnet, daß der Eigentümer des beschädigten PKW das Mietfahrzeug selbst nutzt. Es genügt für einen ersatzfähigen Schaden, wenn er das Fahrzeug zur Nutzung durch einen Familienangehörigen oder eine andere Person angeschafft hat und das Fahrzeug von dieser Person wahrend der Reparaturzeit auch tatsächlich genutzt worden wäre (vgl. OLG Frankfurt, Urt. vom 16. Juni 1994, DAR 1995, 23). Der Schadensersatzanspruch bleibt daher dadurch unberührt, daß der Sohn der Klägerin den Mietwagen genutzt hat.

III. Der vom Landgericht der Klägerin zu 2) nach § 847 BGB zugesprochene Schmerzensgeldbetrag von 1.000,- DM ist angemessen (§ 287 ZPO).

1) Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist von seiner Doppelfunktion auszugehen (vgl. BGHZ 18, 149; KG DAR 1987, 151 = VerkMitt 1986, 69 = VRS 72, 331, 333). Es soll dem Geschädigten einen angemessener Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, daß der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung dafür schuldet, was er ihm angetan hat. Der Entschädigungs- und Ausgleichsgedanke steht im Vordergrund. Die wesentliche Grundlage für die Höhe der Bemessung des Schmerzensgeldes bilden das Maß und die Dauer der Lebensbeeinträchtigung, die Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden sowie die Dauer der Behandlung und der Arbeitsunfähigkeit die Übersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufs die Fraglichkeit der endgültigen Heilung sowie ferner der Grad des Verschuldens und die Gesamtumstände des Falles. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es eine an sich angemessene Entschädigung für nicht vermögensrechtliche Nachteile nicht gibt, da diese in Geld nicht unmittelbar meßbar sind (BGH VersR 1976, 967 968 m. w. N.). Unter Berücksichtigung der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion, die eine billige Entschädigung im Sinne des § 847 BGB fordert, ist auf den Einzelfall abzustellen. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist auch zu berücksichtigen was andere Gerichte in vergleichbaren Fallen zugesprochen haben. Zwar ist das Gericht grundsätzlich nicht gehindert, die von der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen bisher gewährten Beträge zu unterschreiten oder über sie hinauszugehen, doch kommt dies grundsätzlich nur dann m Betracht wenn es durch die wirtschaftliche Entwicklung oder veränderte allgemeine Wertvorstellungen gerechtfertigt erscheint (BGH a. a. O.).

2) Im vorliegenden Fall hat die Klägerin zu 2) durch Vorlage eines Aufnahmeberichtes des B-F-Klinikums vom 19. Juli 1998 (Bl. 28 d. A.) belegt, daß sie am Unfalltag mit einer HWS-Distorsion sowie einer Schulterprellung rechts und einer Ellenbogenprellung rechts m die Erste-Hilfe-Station des Krankenhauses eingeliefert worden ist. Aus dem Schreiben ergibt sich ferner, daß eine Frühschwangerschaft vorlag. Durch Attest des praktischen Arztes Dr. R vom 1. Februar 1999 (Bl. 29 d. A.) hat sie ferner belegt, daß sie in der Zeit vom 19 Juli bis zum 5. August 1998 (also m einem Zeitraum von 18 Tagen) arbeitsunfähig krank war und eine Halskrawatte tragen mußte.

Sodann hat sie vorgetragen, sie habe wegen der Schwangerschaft keine schmerzlindernden Medikamente nehmen können. Auch dies findet eine Stütze im vorgenannten ärztlichen Attest. Ohne weiteres nachvollziehbar ist die Besorgnis, durch das Unfallgeschehen könne die Schwangerschaft beeinträchtigt sein.

3) In Zusammenschau dieser Aspekte ist das zuerkannte Schmerzensgeld ohne weiteres gerechtfertigt.

Die Höhe entspricht auch denjenigen, was die Rechtsprechung m vergleichbaren Fällen zuerkannt hat (vgl. etwa Hacks/Ring/Böhm Schmerzensgeldbeträge, Ausgabe 2001, Urt. Nr. 180 - AG Elmshorn -, Urt. Nr. 182 - AG Emden - Urt. Nr. 210 - AG Unna -; Urt. Nr. 211 - AG Varel -, Urt. Nr. 230 - OLG Koblenz -; sämtlich zu einem HWS-Schleudertrauma, jeweils 1 000,- DM Schmerzensgeld).

Das Attest vom 1. Februar 1999 kann auch unter Berücksichtigung des weiteren Arztberichts des Dr. R vom 10. September 1998 (Anlage B1, Bl. 45 d. A. ) nicht als "Gefälligkeitsattest" gewertet werden. Im Arztbericht heißt es zwar u. a.

"2. Dauer der ambulanten Behandlung von 19.07.98, bis keine Krankmeldung

2. Dauer der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit von bis Keine Krankmeldung angefordert"

Dem läßt sich aber nur entnehmen, daß die Klägerin zu 2) nach dem 19. Juli 1998 keine "Krankmeldung" erfordert hat. Im übrigen erscheint dieser Arztbericht nicht aussagekräftig. Für die Beschwerden besagt er nichts. Daß die Klägerin zu 2) keine Krankmeldung angefordert hat, hat sie plausibel damit erklärt, daß sie mangels Erwerbstätigkeit eine solche Bescheinigung nicht benötigt hat.

IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück