Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 11.02.2002
Aktenzeichen: 12 U 117/01
Rechtsgebiete: StVG, BGB, StVO, ZPO, EGZPO


Vorschriften:

StVG § 7 Abs. 2 Satz 1
StVG § 17 Abs. 1
StVG § 17 Abs. 1 Satz 2
BGB § 254
StVO § 9 Abs. 1
StVO § 9 Abs. 3
StVO § 9 Abs. 3 Satz 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
EGZPO § 26 Nr. 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 117/01

Verkündet am: 11. Februar 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, den Richter am Kammergericht Hinze und den Richter am Amtsgericht Dr. Wimmer auf die mündliche Verhandlung vom 11. Februar 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 2. April 2001 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 2.450,94 EUR (= 4.793,63 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 1. September 2000 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben die Kläger 52 % und die Beklagten 48 % zu tragen.

Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das Landgericht die Beklagte zum Ersatz von mehr als der Hälfte der Unfallschäden des Klägers (also über 4.793,63 DM hinaus) verurteilt: Es handelt sich um einen Linksabbiegerunfall auf einer mit Abbiegepfeil ampelgeregelten Kreuzung, bei dem ungeklärt geblieben ist, bei welcher Ampelschaltung die Parteien in die Kreuzung eingefahren sind. Damit ist nur eine hälftige Haftung des Beklagten zu 1) als Linksabbieger und der Beklagten zu 2) als seines Haftpflichtversicherers gerechtfertigt.

I. 1) Der Unfall stellt für keine der Parteien ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 StVG dar, so daß die Ersatzpflicht der einen oder anderen Seite nicht von vornherein ausgeschlossen ist. In derartigen Fällen hängt nach § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG die Verpflichtung zum Schadensersatz wie auch der Umfang der Ersatzpflicht von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Im Rahmen der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge unter Berücksichtigung der von beiden Kraftfahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nach § 17 Abs. 1 StVG, § 254 BGB sind nach der ständigen Rechtsprechung neben unstreitigen und zugestandenen Tatsachen nur bewiesene Umstände zu berücksichtigen, wobei auch die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden.

2 a) Nach § 9 Abs. 3 StVO muß derjenige, der abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen.

Wegen dieser Verpflichtung haftet bei einem Zusammenstoß mit geradeausfahrendem Gegenverkehr ein Linksabbieger für den Schaden grundsätzlich allein (vgl. Jagusch/Hentschel, Straßehverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 9 StVO, Rn. 55 m.w.N.).

b) Veränderungen dieser Haftungsquote zu Lasten des Geradeausfahrenden können sich bei einen Zusammenstoß an einer ampelgeregelten Kreuzung ergeben, und zwar abhängig davon, ob es sich um eine Ampelanlage mit oder ohne Linksabbiegerpfeil handelt.

(1) Die Wartepflicht des Linksabbiegers gegenüber entgegenkommenden Fahrzeugen besteht grundsätzlich auch gegenüber solchen Fahrzeugen des Gegenverkehrs, die verbotswidrig noch bei Rot in den Kreuzungsbereich einfahren (Jagusch/Hentschel, a.a.O., § 9 StVO, Rn. 40 m.w.N.).

(2) Fehlt ein Linksabbiegerpfeil und bleibt die Ampelschaltung ungeklärt, hat der Linksabbieger wegen der durch das Abbiegen und Kreuzen des Fahrbereichs des Geradeausfahrers erhöhten Betriebsgefahr seines Fahrzeuges den Schaden nach einer Quote von 2/3 zu tragen (Senat, Urt. vom 26. April 1999 - 12 U 1816/98 = KGR 2000, 295 = VM 1999, 91).

Fährt der Gegenverkehr erwiesenermaßen in der letzten Gelb- oder in der ersten Rotphase der für ihn maßgebenden Ampel in die Kreuzung ein, tritt die Betriebsgefahr des Linksabbiegers gegenüber dem sich so verhaltenden Gegenverkehr zwar nicht so weit zurück, daß sie außer Betracht zu bleiben hat. Es kommt für die Schadensteilung dann nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 StVG auf die Umstände des Einzelfalles an, wobei auch eine Haftungsquote von 1/2 in Betracht kommen kann (Senat a.a.O.).

(3) An einer mit einer Lichtzeichenanlage und einem Abbiegepfeil versehenen Kreuzung (vgl. § 37 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1.3 und Nr. 1.4 StVO) darf der Linksabbieger zwar vor Aufleuchten des Abbiegepfeils weiterfahren; er muß aber die sich aus § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO ergebende Pflicht zur Rücksichtnahme auf den Gegenverkehr beachten, so daß ihn beim Abbiegen gesteigerte Sorgfaltspflichten treffen. Er ist von diesen besonderen Pflichten nur nach Aufleuchten des Abbiegepfeils befreit (BGH v. 13.2.1996 - VI ZR 126/95, MDR 1996, 907 = VersR 1996, 513 [515] = NJW 1996, 1405 [1406] = NZV 1996, 231 f; Senat a.a.O.).

Wenn feststeht, daß der Linksabbieger vor Aufleuchten des Abbiegepfeils abgebogen ist, hat er für die Verletzung dieser Sorgfaltspflichten einzustehen und grundsätzlich die höhere Haftungsquote bei einer Kollision mit dem Gegenverkehr zu tragen. Denn der Linksabbieger ist gehalten, mit der gebotenen hohen Aufmerksamkeit den herannahenden bevorrechtigten Gegenverkehr zu beachten und vorbeifahren zu lassen.

Andererseits muß der die Kreuzung geradeaus durchfahrende Verkehrsteilnehmer beweisen, daß der Abbiegepfeil für den Linksabbieger noch nicht aufgeleuchtet hat, wenn er daraus für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will. In einem solchen Fall spricht der Beweis des ersten Anscheins nicht für ein Verschulden des Linksabbiegers. Es darf im Rahmen der Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 1 StVG vom Linksabbieger nicht der Nachweis verlangt werden, daß und in welchem Umfang er den Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 1 und Abs. 3 StVO nachgekommen ist.

Bleibt also ungeklärt, ob der Abbiegepfeil das Linksabbiegen freigab und läßt sich nicht positiv feststellen, bei welcher Ampelschaltung der Geradeausfahrer die Haltelinie überquert hat (vgl. dazu Senat, NZV 1999, 512 f. = DAR 1999, 504), haften der Geradeausfahrer und der Linksabbieger bei gleicher Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge jeweils zur Hälfte (BGH v. 13.2.1996 - VI ZR 126/95, MDR 1996, 907 = NJW 1996, 1405 = VersR 1996, 513 = NZV 1996, 231; v. 6.5.1997 -VI ZR 150/96, MDR 1997, 732 = DAR 1997, 308 [309] = VerkMitt 1997, Nr. 11; vgl. auch KG, a.a.O., sowie Urt. v. 26.4.1999 - 12 U 1816/98, KGR 2000, 295 = VM 1999, 91).

II. Ein solcher Fall des Zusammenstoßes auf einer mit Abbiegepfeil ampelgeregelten Kreuzung liegt hier vor. Die Ampelschaltung für die Beteiligten ist auch nach Beweisaufnahme vor dem Landgericht ungeklärt geblieben. Damit haften die Beklagten für die Unfallschäden des Klägers nur nach einer Quote von 1/2.

1) Unstreitig ist die Unfallkreuzung ampelgeregelt; der Linksabbiegerverkehr, der aus der J Straße in Richtung Süden in den Kurfürstendamm einbiegt, wird durch die Ampel 26 mit Richtungspfeil geregelt.

2) Ein Rotlichtverstoß des Klägers bei Einfahrt in die Kreuzung mit der Folge einer Quotenbildung nach den konkreten Umständen steht unter Berücksichtigung der Angaben des Klägerzeugen sowie des Ampelschaltplanes nicht fest.

a) Die Beklagten haben in das Wissen des Zeugen gestellt, er habe an der Fußgängerampel der J Straße gestanden, um diese zu überqueren; die für ihn geltende Fußgängerampel habe bereits seit fünf bis zehn Sekunden grünes Licht abgestrahlt, als es zum Unfall gekommen sei (Bl. 34 d.A.). Hieraus haben sie gefolgert, daß der Kläger bei rotem Ampellicht in die Kreuzung eingefahren ist.

b) Der Zeuge hat diese Behauptung nicht bestätigt. Er hat vielmehr bekundet, er habe die Mittelinsel erreicht und dann wegen einer roten Fußgängerampel waren müssen. Höchstens fünf Sekunden habe er auf das Umschalten der roten Ampel auf grün gewartet; dann habe sich der Unfall ereignet.

Damit läßt sich aus der Zeugenaussage nichts für die Ampelschaltung des Klägers ableiten, denn Angaben dazu, wann die Fußgängerampel auf Rot umgeschaltet hat und wann sie - womöglich nach dem Unfall - wieder auf Grün umgeschaltet hat, hat der Zeuge nicht gemacht. Folglich ist aus seiner Aussage mit Hilfe des Ampelschaltplans nicht errechenbar, wie die Ampelschaltung des Klägers bei Einfahrt in die Kreuzung war und ob dieser - wie die Beklagten behaupten - erst bei Rotlicht eingefahren ist.

2) Ebensowenig steht fest, daß die Kreuzung durch die Linksabbiegerampel 26 für den Beklagten zu 1) noch nicht zum Abbiegen freigegeben war, bevor es zum Zusammenstoß kam, mit der Folge, daß den pflichtwidrig abbiegenden Beklagten zu 1) eine höhere Haftungsquote träfe.

a) Der Kläger, den die Beweislast dafür trifft, daß der Beklagte zu 1) schon vor dem Aufleuchten der Linksabbiegerampel abgebogen ist, hat hierzu lediglich unter Hinweis auf die Ampel 26 (Linksabbiegerpfeil) vorgetragen, es sei aufgrund des Signalzeitenplans ausgeschlossen, daß die Ampelanlage für beide Parteien grünes Licht abstrahlte. Dies besagt zu der entscheidenden Frage, bei welcher Ampelschaltung der Ampel 26 der Kläger aus seiner Sicht seinen Abbiegevorgang begonnen hat, nichts.

b) Weil die Schaltung des Linksabbiegerpfeils für den Beklagten zu 1) nicht feststeht, ändert es für die Beurteilung der Sache auch nichts, daß der Kläger in der Klage vorgetragen hat, die Einsicht in die Kreuzung sei dem Beklagten zu 1) aufgrund eines neben ihm stehenden Fahrzeuges verwehrt gewesen (Bl. 2 d.A.). Abgesehen davon, daß weder die polizeilich vernommenen Fahrgäste im Taxi des Beklagten zu 1) (Simone Lade, Bl. 9R der BA; Maria Lade, Bl. 14R der BA) noch der Zeuge (Bl. 45 d.A.) etwas zu einem sichtbehindernden Fahrzeug bekundet haben, müßte sich der Beklagte zu 1) ein Abbiegen trotz Sichtbehinderung nur vorwerfen lassen, wenn er nicht auf einen grün leuchtenden Linksabbiegerpfeil vertrauen durfte. Hierzu ist aber nichts festgestellt worden.

3) Damit haften die Parteien nach den oben dargelegten Grundsätzen angesichts gleicher Betriebsgefahr der Fahrzeuge je zur Hälfte für den Unfallschaden; der Kläger kann also nur 50 % des ihm vom Landgericht zugesprochenen Betrages verlangen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO n.F.).

IV. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück