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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 21.02.2007
Aktenzeichen: 12 U 124/06
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 5 Abs. 4 Satz 2
Der gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO beim Überholen einzuhaltende ausreichende Seitenabstand hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; regelmäßig ist dabei ein Abstand von 1m ausreichend; ein Anstand von nur 15 - 30 cm zu einem zur Straßenreinigung eingesetzten Fahrzeug ist sorgfaltswidrig.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 124/06

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, den Richter am Kammergericht Dr. Wimmer und die Richterin am Kammergericht Zillmann am 21. Februar 2007 beschlossen:

Tenor:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Die Berufungsklägerin erhält gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Gelegenheit, hierzu binnen zwei Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist nicht der Fall.

Zu Recht ist das Landgericht in der angegriffenen Entscheidung davon ausgegangen, dass der Klägerin ein Anspruch gegen die Beklagten auf Grund des Verkehrsunfalls vom nnnnnn 2004 nicht zusteht.

1. Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass der Zeuge Tnn als Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin bei dem Überholvorgang den gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO erforderlichen Seitenabstand zu dem von dem Beklagten zu 3. gefahrenen Fahrzeug der Beklagten zu 2. nicht eingehalten hat. Insoweit hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Zeuge Tnn selbst den Abstand zwischen dem von ihm geführten Fahrzeug und dem Reinigungs-fahrzeug mit "ca. 15-30 cm" angab (S.6 des Protokolls vom 8. Februar 2006).

a) Dies stellt auch die Berufung nicht begründet in Abrede. Soweit die Klägerin auf Seite 5 der Berufungsbegründung vom 1. August 2006 meint, der Zeuge Tnnn habe einen Abstand von "ca. 30 bis 40 cm" angegeben, ist dies dem Protokoll der Zeugenvernehmung vom 8. Februar 2006 nicht zu entnehmen. Der Zeuge erklärte vielmehr zunächst, es habe sich um einen Abstand von "ca. 15-20 cm" gehandelt und führte auf Fragen des Klägervertreters aus: "Als ich begonnen habe, im Bereich der Insel an dem LKW vorbeizufahren, betrug der Abstand nach rechts hin noch 30 cm, gemessen vom Ende des rechten Außenspiegels" (S.6 Mitte des Protokolls vom 8. Februar 2006).

b) Soweit die Berufung meint, auf Grund der Tatsache, dass das Fahrzeug der Beklagten zu 2. sehr langsam fuhr und für den Zeugen Tnn nicht absehbar gewesen sei, wie lange dieser langsame Reinigungsvorgang noch andauern würde, sei es zulässig gewesen, dieses sehr langsam fahrende Fahrzeug auch mit einem geringeren Abstand zu überholen, kann dem nicht gefolgt werden.

Gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO muss beim Überholen grundsätzlich ein ausreichender Sicherheitsabstand zu anderen Verkehrsteilnehmern eingehalten werden. In der Regel ist dabei von einem Seitenabstand von 1m auszugehen (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 5 StVO, Rn 54). Ob im Einzelfall auch ein geringerer Seitenabstand von bis zu 50 cm ausreichend sein kann, ist fraglich, kann hier jedoch dahinstehen. Der von dem Zeugen Tnn lediglich eingehaltene Abstand von 15-30 cm ist keinesfalls ausreichend (vgl. hierzu OLG Zweibrücken, VR 1978, 66 zu einem Seitenabstand von 32 cm).

Vorliegend ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass ein Seitenabstand von mindestens einem Meter erforderlich gewesen wäre, was sich insbesondere auch daraus ergibt, dass das zu überholende Fahrzeug erkennbar mit einer Reinigungstätigkeit beschäftigt war und ein gelbes Warnblinklicht auf dem Dach eingeschaltet hatte. In diesem Fall muss grundsätzlich damit gerechnet werden, dass das Reinigungsfahrzeug Lenkbewegungen vornimmt, die durch mögliche Hindernisse am Straßenrand erforderlich werden und dazu führen können, dass die Fahrt des Reinigungsfahrzeuges nicht regelmäßig und absolut spurtreu verläuft.

Ob bei dem Fahrzeug der Beklagten zu 2. zum Zeitpunkt des Unfalls die linke Reinigungsbürste ausgefahren war, ist nach der Auffassung des Senats nicht entscheidend. Sofern die Reinigungs-bürste ausgefahren war, wäre es erforderlich gewesen, den notwendigen Sicherheitsabstand von diesem sodann äußerst linken Punkt einzuhalten. Eine Verringerung oder Vergrößerung des Sicherheitsabstandes insgesamt geht damit jedoch nicht einher.

2. Entgegen den Ausführungen der Berufung war das Landgericht auch nicht gehalten ein Unfallrekonstruktionsgutachten einzuholen. Dabei ist bereits nicht ersichtlich, welche gutachter-lichen Feststellungen ergeben sollten, dass der Unfall allein durch den Beklagten zu 3. verursacht worden sein sollte. Dies gilt insbesondere auch für das neue Vorbringen der Klägerin, die Straßenbreite an der Unfallstelle hätte 6,0 m und nicht wie zunächst angegeben 5,50 m betragen.

Auf die Frage, wie breit die Unfallstelle tatsächlich ist, kommt es Streit entscheidend nämlich nicht an, sondern lediglich darauf, mit welchem seitlichen Abstand das Fahrzeug der Klägerin an dem Fahrzeug der Beklagten zu 2. in der konkreten Unfallsituation vorbeigefahren ist.

Dass dieser Abstand zu gering war, hat das Landgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu Recht angenommen. Dabei hat es nicht nur die Aussage des Zeugen Tnn sondern gleichfalls die Aussage des Zeugen Wnnnn zutreffend gewürdigt, der angegeben hatte, dass sich das klägerische Fahrzeug zwischen Reinigungsfahrzeug und Verkehrsinsel "reingedrängelt" habe.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeu-tet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze, an Erfahrungssätze sowie ausnahmsweise an gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf (Senat, Urteil vom 24. Januar 2002 - 12 U 4324/00 - NZV 2004, 355). So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 24 Aufl., § 286 Rn 13).

An diese Grundsätze der freien Beweiswürdigung hat sich das Landgericht in dem angefochtenen Urteil gehalten.

Soweit die Berufung nunmehr vorbringt, der Abstand zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem Fahrzeug der Beklagten zu 2. habe zunächst 1,10 m betragen, ist dieses neue Vorbringen verspätet und nicht ersichtlich, weshalb es gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zuzulassen wäre.

Zudem handelt es sich ausweislich der Ausführungen in der Berufungsbegründung um das Ergebnis einer nachträglich angestellten Berechnung und nicht um Vorbringen zum tatsächlichen Geschehen.

Im Hinblick auf den im Zivilprozess vorherrschenden Grundsatz der Parteiherrschaft ist der Hinweis der Berufung, das Landgericht hätte sich nicht auf ungenaue Zeugenaussagen verlassen dürfen, sondern eigenständige Ermittlungen anstellen müssen, nicht nachvollziehbar.

3. Soweit die Klägerin mit der Berufung zudem meint, der Beklagte zu 3. hätte als Fahrer des Fahrzeuges der Beklagten zu 2. in besonderem Maße auf ein vorbeifahrendes Fahrzeug achten müssen, ist dies nicht richtig. Die besondere Sorgfaltspflicht liegt vielmehr gemäß § 5 Abs. 4 StVO beim Überholenden.

4. Ihre Behauptung, das von dem Beklagten zu 3. gesteuerte Fahrzeug der Beklagten sei plötzlich nach links gezogen, wodurch allein der Unfall verursacht worden sei, hat die Klägerin hingegen nicht erfolgreich unter Beweis stellen können.

Entgegen den Ausführungen der Berufung ergibt sich aus der Anhörung des Beklagten zu 3. kein derartiger Fahrspurwechsel. Der Beklagte zu 3. hat vielmehr ausgeführt, dass er sich in leichter Schrägstellung nach links befunden habe.

Der Zeuge Wnnnn hat einem Fahrspurwechsel des Beklagten zu 3. ebenfalls nicht bestätigt.

Der Zeuge Tnn hat zwar in seiner Aussage angegeben, der Beklagte zu 3. sei als er etwa auf gleicher Höhe mit ihm gewesen sei, nach links abgebogen und deshalb gegen den rechten Außenspiegel und sodann im hinteren rechten Bereich gegen das Fahrzeug der Klägerin gestoßen.

Diese Aussage des Zeugen ist jedoch nicht in Übereinstimmung zu bringen mit seiner Angabe, dass der Abstand zwischen dem von ihm geführten Fahrzeug und dem Fahrzeug der Beklagten zu 2. bereits anfänglich nur 15-30 cm betragen habe. Ein solcher Abstand würde ein nach links Abbiegen gar nicht zulassen, sondern zeigt, dass sich der Unfall an einer Engstelle, nämlich der Fußgängerinsel, ereignete, so dass fraglich ist, ob hier überhaupt noch zwei Fahrstreifen vorhanden waren, oder dem Beklagten zu 3. nicht als dem ersten an der Engstelle ankommenden der Vorrang gebührte (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 7 StVO, Rn 19).

5. Im Hinblick auf die obigen Ausführungen wird anheim gestellt, die weitere Durchführung der Berufung zu überdenken.

Ende der Entscheidung

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