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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 10.09.2007
Aktenzeichen: 12 U 145/06
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 282 a.F. | |
ZPO § 286 | |
ZPO § 513 Abs. 1 | |
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 | |
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 | |
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2 | |
ZPO § 529 | |
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1 |
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 12 U 145/06
In dem Rechtsstreit
hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts am 10. September 2007 beschlossen:
Tenor:
1. Es wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass der Senat nach Vorberatung beabsichtigt, die Berufung der Beklagten durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.
2. Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu binnen drei Wochen.
Gründe:
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
A. Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
B. Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.
Insofern wird auf Folgendes hingewiesen:
I. Das Landgericht ist bei seiner Entscheidung von zutreffenden rechtlichen Grundsätzen zur Haftung für Schäden von Patienten während der Krankenhauspflege ausgegangen. Es hat sich bei seinem Urteil insbesondere an die vom BGH (NJW 1991, 1540) dargestellten Prinzipien zur Beweislastumkehr zu Lasten des Krankenhausträgers gehalten, die von der Beklagten auch nicht in Frage gestellt werden. Der Senat folgt in seiner ständigen Rechtsprechung diesen Grundsätzen: Allein daraus, dass ein Patient im Bereich eines Krankenhauses stürzt, ergibt sich für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals nichts; kommt es aber im Zusammenhang mit einer konkret geschuldeten Hilfeleistung zu einem Sturz des Patienten, so hat der Betreiber des Krankenhauses darzulegen und zu beweisen, dass dieser Sturz nicht auf einem Fehlverhalten des Pflegepersonals beruht (vgl. für die parallele Situation in einem Pflegeheim Senat, KGR 2007, 538). Diese Beweislastverteilung gilt jedenfalls dann, wenn es um ein sogenanntes "voll beherrschbares Risiko" geht (vgl. die Rechtsprechungsübersicht bei Martis, MDR 2007, 12).
II. Diese rechtlichen Grundsätze hat das Landgericht rechtsfehlerfrei angewandt. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung ist weder inhaltlich noch formal zu beanstanden. Der Senat kommt unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens zu demselben Ergebnis wie das Landgericht.
1. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.
Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. etwa Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 -; vgl. auch KG [22. ZS], KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533; Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269).
§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 286 Rdnr. 13).
Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 28. Aufl. 2007, § 286 Rdnr. 3, 5).
2. Die angefochtene Entscheidung wird diesen Anforderungen gerecht.
a) Die Art der Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat die entscheidungserheblichen Aussagen der von ihm vernommenen Beklagtenzeugen Enn , Mnnnn und Fnnnn sowie der Klägerzeugin und Geschädigten Pnn zu den Umständen des Sturzes am 11. Mai 2001 in der gebotenen Kürze wiedergegeben und dargelegt, dass und warum es jedenfalls in der Frage, ob sich der Sturz in Anwesenheit von Pflegepersonal ereignet hat, der Darstellung der Zeugin Pnn folgt, dass sich zum Unfallzeitpunkt jedenfalls eine Schwester und ein Pfleger bei der Geschädigten befunden haben.
b) Inhaltlich folgt der Senat dem Landgericht.
Da aufgrund der Beweisaufnahme auf Grundlage der Aussage der Zeugin Pnn feststeht, dass - abweichend von der Beklagtendarstellung - bei dem Sturz Pflegepersonal zugegen war und die Vermeidung eines derartigen Sturzes beim Toilettengang haftungsrechtlich ein voll beherrschbares Risiko darstellt, sind die Grundsätze über die Beweislastumkehr anwendbar. Damit obliegt es der Beklagten, sich nach § 282 BGB a.F. von der Annahme zu entlasten, der bei der Zeugin Pnn eingetretene Gesundheitsschaden, der zu dem hier geltend gemachten wirtschaftlichen Schaden geführt hat, sei auf ein Verschulden des Pflegepersonals zurückzuführen. Diese Beweislage verkennt die Beklagte, wenn sie auf Seite 3 der Berufungsbegründung ausführt, das Gericht habe ein Fehlverhalten der Pflegekräfte nicht einmal ansatzweise dargelegt. Solcher Darlegungen von Klägerseite oder seitens des Gerichts bedarf es hier nicht. Keineswegs hat das Landgericht angenommen, die Beklagte sei zum völligen Ausschluß jeder Art von Gefahren für die Patientin verpflichtet.
Den Entlastungsbeweis hat die Beklagte nicht geführt. Die Beklagte selbst führt auf Seite 2 3. Absatz der Berufungsbegründung aus, die Umstände, die zum Sturz geführt hätten, hätten trotz umfangreicher Beweisaufnahme nicht geklärt werden können. Dies entspricht dem Hinweis des Landgerichts, es läge eine non-liquet-Situation vor, die zu Lasten der Beklagten gehe. Zwar haben die von ihr benannten Zeugen ein Verhalten im Zusammenhang mit dem Toilettengang der Geschädigten Pnn geschildert, das - träfe es zu - die Beklagte wohl vom Vorwurf des haftungsbegründenden Verschuldens entlasten würde.
Allerdings hat die Zeugin Fnnnn in ihrer Aussage vor dem Landgericht am 9. Januar 2006 gleich zu Beginn angegeben, sie habe den Vorgang selbst nicht wahrgenommen, sondern sei von den Zeuginnen Mnnnn und Engel später hinzugeholt worden. Damit trägt ihre Aussage von vornherein nicht zur Aufklärung des Sachverhaltes bei.
Die Zeuginnen Mnnnn und En haben zwar übereinstimmend eine sorgfältige Vorbereitung der Geschädigten Pnn durch sie geschildert (Haltevorrichtung der Toilette heruntergeklappt, Bremsen des Rollstuhls festgemacht).
Weil aber die weitere Darstellung der Zeuginnen, sie hätten die Geschädigte Pnn dann allein gelassen, durch deren in diesem Punkt überzeugende Aussage (sie sei in Anwesenheit einer Schwester oder eines Pflegers gestürzt) widerlegt worden ist, begründet dies jedenfalls Zweifel an der Richtigkeit der übrigen Angaben der Zeuginnen Mn und En ; diese Zweifel hindern den Senat - in Übereinstimmung mit dem Landgericht - daran, diesen Zeuginnen zu glauben.
C. Im übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.
Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken. Der Berufungsstreitwert soll auf 10.917,51 EUR festgesetzt werden.
Ende der Entscheidung
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