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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 24.07.2008
Aktenzeichen: 12 U 150/08
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 17
1. Macht der Wartepflichtige eine Mithaftung des bevorrechtigten Verkehrsteilnehmers wegen Geschwindigkeitsüberschreitung geltend, so muss er darlegen und beweisen, dass der andere sich infolge überhöhter Geschwindigkeit außer Stande gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren oder genügend Zeit hatte, sich auf das Verhalten des Linksabbiegers oder Wendenden einzustellen.

Dazu ist vorzutragen, in welcher Entfernung sich das bevorrechtigte Fahrzeug vom Unfallort befand in dem Zeitpunkt, als dessen Fahrer sich auf den sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel hätte einstellen können; nur dann kann beurteilt werden, ob sich der Bevorrechtigte infolge überhöhter Geschwindigkeit außer Stande gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren.

2. Ist der Wartepflichtige zu einem solchen Vortrag nicht in der Lage, weil er das bevorrechtigte Fahrzeug vor der Kollision schlicht nicht gesehen hat, geht dies zu seinen Lasten.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 150/08

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß sowie die Richter am Kammergericht Spiegel und Dr. Wimmer am 24. Juli 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 ZPO).

2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

Gründe:

1. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz nach einer Quote von 100% in Anspruch aus einem Verkehrsunfall vom 27. August 2007, der sich in unmittelbarem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit einem unstreitigen Fahrstreifenwechsel rechts durch den Fahrer des Klägerfahrzeugs ereignet hat.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, gegen den Fahrer des Klägerfahrzeugs spräche der Anscheinsbeweis, dass dieser seinen besonderen Sorgfaltspflichten aus § 7 Abs. 5 StVO nicht nachgekommen sei, den die Klägerin nicht habe ausräumen können; ein unfallursächliches Mitverschulden des Beklagten habe sich nicht feststellen lassen, da die Klägerin nicht zur Unfallursächlichkeit der von ihr behaupteten Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten von mindestens 80 km/h hinreichend vorgetragen habe, so dass darüber auch kein Sachverständigengutachten einzuholen gewesen sei.

2. Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist hier nicht der Fall. Der Senat folgt vielmehr den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.

Insofern wird auf Folgendes hingewiesen:

a) Die Auffassung der Klägerin, das Landgericht sei zu Unrecht von einem Anscheinsbeweis zu ihren Lasten ausgegangen, wird vom Senat nicht geteilt.

(1) Der Kläger hat schon keine Umstände vorgetragen, die geeignet wären, den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Nach § 7 Abs. 5 StVO darf in allen Fällen ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.

Nach der Unfallschilderung des Klägerin selbst war das nicht der Fall.

Denn - wie das Landgericht auf S. 4 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt hat - belegt die Kollision, dass der Fahrstreifen nicht frei war und der Ehemann der Klägerin das Fahrzeug des Unfallgegners übersehen hat.

Bereits in der Durchführung des Fahrstreifenwechsels trotz des heranfahrenden Beklagtenfahrzeuges lag dessen Gefährdung. Jedenfalls wurde der Toyota A2 RAV 4 der Klägerin im Bereich der gesamten rechten Fahrzeugseite beschädigt (S. 4 des klägerischen Privatgutachtens), also zu dem Zeitpunkt als ... in den vom Beklagtenfahrzeug befahrenen Fahrstreifen hat wechseln wollen.

Danach war eine Gefährdung des Beklagtenfahrzeugs gerade nicht ausgeschlossen; Schätzungsfehler hinsichtlich des Abstands des bevorrechtigten Fahrzeugs gehen zu Lasten des Wartepflichtigen (vgl. nur Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., StVO § 8 Rn 57).

(2) Die Klägerin meint, das Landgericht habe bei der "Beweiswürdigung" die "naheliegende allein- bzw. mitverschuldensbegründende Sachverhaltsvariante, nach der der Berufungsbeklagte sein Fahrzeug mit weit überhöhter Geschwindigkeit führte", völlig außer Acht gelassen und ihren Fahrer diesbezüglich nicht als Zeugen vernommen. Auch diese Rüge verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.

Im Rahmen der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG dürfen nur unfallursächliche Tatsachen berücksichtigt werden; dies gilt auch für eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02 - NJW 2003, 1929; Senat, Urteil vom 17. Januar 2000 - 12 U 6678/98 - NZV 2000, 377 = DAR 2000, 260; Urteil vom 21. Juni 2001 - 12 U 1147/00 - NZV 2002, 79 = DAR 2002, 66 = KGR 2002, 2).

Macht der Wartepflichtige eine Mithaftung des bevorrechtigten Verkehrsteilnehmers wegen Geschwindigkeitsüberschreitung geltend, so muss er darlegen und beweisen, dass der andere sich infolge der überhöhten Geschwindigkeit außer Stand gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren oder genügend Zeit hatte, sich auf das Verhalten des Wartepflichtigen einzustellen (st. Rspr., vgl. Senat, Urteil vom 22. Juli 2002 - 12 U 9923/00 - NZV 2003, 378 = KGR 2003, 20 = VM 2003,26 Nr. 28; Urteil vom 14. November 2002 - 12 U 140/01 - KGR 2003, 235 = VRS 105, 104 = NZV 2003, 575; Beschlüsse vom 21. September 2006 - 12 U 41/06 - VRS 112, 90 = NZV 2007, 306, vom 15. Januar 2007 - 12 U 205/06 - VRS 113, 28 = SP 2007, 315 = NZV 2007, 524, vom 1. Juni 2007 - 12 U 2/07 - KGR 2008, 136 sowie vom 27. August 2007 - 12 U 141/07 - zfs 2008, 258 = KGR 2008, 538).

Für einen solchen Beweis hat die Klägerin schon nicht die erforderlichen Tatsachen behauptet; insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (UA 5) verwiesen werden.

Die Klägerin hat im ersten Rechtszuge nicht im Einzelnen Tatsachen dafür dargelegt, dass die behauptete Geschwindigkeitsüberschreitung unfallursächlich war, der Unfall also bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit für den Beklagten zu 2. vermeidbar gewesen wäre; dazu wäre vorzutragen gewesen, in welcher Entfernung sich das Beklagtenfahrzeug vom Unfallort befand, als der Zweitbeklagte sich auf den sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel hätte einstellen können; nur dann könnte beurteilt werden, ob die der Unfallgegner infolge überhöhter Geschwindigkeit außer Stand gesetzt hat, unfallverhütend zu reagieren.

Wenn die Klägerin zu einem solchen Vortrag nicht in der Lage ist, weil ihr Ehemann das bevorrechtigte Fahrzeug vor der Kollision schlicht nicht gesehen hat, geht dies zu ihren Lasten.

b) Das Argument der Klägerin, sie habe in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass der Unfall aufgrund der überhöhten Geschwindigkeit unabwendbar war, und dies sei von der Gegenseite nicht bestritten worden, ist nicht überzeugend.

Einerseits hat ausweislich der S. 2 des Protokolls des Landgerichts vom 23. April 2008 der Beklagtenvertreter den zuvor protokollierten Vortrag des Klägervertreters bestritten.

Darüber hinaus findet sich eine entsprechender Vortrag bereits auf S. 3 der Klageschrift, dem die Beklagten in ihrer Klageerwiderung entgegengetreten sind.

Andererseits ist der Vortrag, "der Zeuge hatte ... unmittelbar nach dem Rüberziehen auf den anderen Fahrstreifen keine Möglichkeit, den Unfall zu verhindern", nicht geeignet, ein Mitverschulden des Zweitbeklagten zu belegen.

Denn einerseits geht es dabei um die Frage, ob der Zweitbeklagte noch unfallverhütend hätte reagieren können; andererseits fehlt jeder Tatsachenkern, so dass auch weder der Ehemann der Klägerin als Zeuge zu hören noch ein Sachverständigengutachten einzuholen war.

Dieses Vorbringen ist vielmehr - wie schon das Landgericht auf S. 4 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat - ein Beleg dafür, dass der Ehemann der Klägerin in einen Fahrstreifen gewechselt ist, auf welchem sich ein Fahrzeug näherte.

Dies ist jedoch nach § 7 Abs. 1 Satz 1 StVO sorgfaltswidrig, weil ein Fahrstreifenwechsel nur durchgeführt werden darf, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist (höchste Sorgfaltsstufe).

3. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.

Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken.

Ende der Entscheidung

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