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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 05.02.2004
Aktenzeichen: 12 U 165/02
Rechtsgebiete: ZPO, StVG


Vorschriften:

ZPO § 286
StVG § 17 Abs. 2
Hält ein Kraftfahrer trotz für ihn grünen Ampellichts ohne zwingenden Grund an oder bremst er, nachdem er an der Ampel nach Umschalten auf "Grün" angefahren war, sogleich ohne zwingenden Grund abrupt wieder ab, so trifft ihn ein Verschulden an einem dadurch verursachten Auffahrunfall, welches im Einzelfall bis zur vollen Haftung führen kann.

Notiert der den Unfall aufnehmende Polizeibeamte am Unfallort als Äußerung des Auffahrenden "ich bin angefahren und auf den Pkw vor mir drauf, da dieser zu langsam fuhr", so kommt - im Rahmen der Beweiswürdigung - dem eine starke Bedeutung zu, da spontane und unverfälschte Äußerungen am Unfallort erfahrungsgemäß richtig sind.


KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 165/02

Verkündet am: 5. Februar 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 5. Februar 2004 durch den Richter am Kammergericht Hinze als Einzelrichter für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 23. April 2002 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 474/01 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Dem Kläger ist zuzugeben, dass das Landgericht die Klage nicht hätte vollständig abweisen dürfen, ohne zuvor über seine Behauptung Beweis erhoben zu haben, die Beklagte zu 2. habe nach dem Anfahren an der Ampel ihr Fahrzeug plötzlich und ohne erkennbaren Grund bis zum Stillstand abgebremst.

Hält ein Kraftfahrer trotz für ihn grünen Ampellichts ohne zwingenden Grund an oder bremst er, nachdem er an der Ampel nach Umschalten auf grün angefahren war, sogleich ohne zwingenden Grund abrupt wieder ab, so trifft ihn ein Verschulden an einem dadurch verursachten Auffahrunfall, welches im Einzelfall bis zur vollen Haftung führen kann (OLG Düsseldorf, DAR 1975, 303; LG Darmstadt, NZV 1999, 385; LG Hannover, DAR 1981, 95 sowie die Nachweise bei Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 5. Aufl., Rdnr. 129).

2. Die Berufung bleibt jedoch erfolglos, weil der Kläger nach dem Ergebnis der vor dem Berufungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme ein unfallursächliches Mitverschulden der Beklagten zu 2. nicht bewiesen hat. Zwar hat die Zeugin R, bei der es sich nach ihrer Aussage um die Lebensgefährtin des Klägers handelt, die Sachverhaltsdarstellung des Klägers im Wesentlichen bestätigt.

Auch der Zeuge G hat bekundet, er habe als Fußgänger vom Straßenrand aus beobachtet, wie die Beklagte zu 2. nach dem Umschalten der Ampel auf grün angefahren sei und kurz danach wieder abgebremst habe. Die Aussagen der Zeugen R und G weichen jedoch in mehreren Punkten deutlich voneinander ab. So hat die Zeugin R bekundet, die Beklagte zu 2. habe ihr Fahrzeug abgebremst, nachdem sie bereits ca. 2 Fahrzeuglängen zurückgelegt habe. Bei Aufleuchten der Bremslichter am Fahrzeug der Beklagten zu 2. habe der Abstand der beiden Fahrzeuge 1,5 bis 2 m betragen. Demgegenüber hat der Zeuge G bekundet, der Abstand der Fahrzeuge habe anfangs 30 bis 40 cm betragen. Die Fahrstrecke, welche die Beklagte zu 2. zurückgelegt habe, habe nur 0,5 bis 1 m betragen. Auch hat die Zeugin R bekundet, der Zeuge G habe sich auf einen entsprechenden Hinweiszettel, welcher an der Ampel befestigt worden sei, noch am Nachmittag nach dem Unfall beim Kläger telefonisch gemeldet und als Zeuge zu erkennen gegeben.

Demgegenüber war sich der Zeuge G sicher, den Kläger am Unfalltag nicht telefonisch erreicht zu haben. Der Kontakt sei erst etwa drei Tage später zustande gekommen.

Weitere Zweifel an der Richtigkeit der klägerischen Sachverhaltsdarstellung er geben sich daraus, dass der den Unfall aufnehmende Polizeibeamte, der Zeuge S, als Äußerung des Klägers nach dem Unfall notiert hat: "Ich bin angefahren und auf den Pkw vor mir drauf, da dieser zu langsam fuhr". Davon, dass die Beklagte zu 2. grundlos stark abgebremst habe, ist in der Unfallmeldung keine Rede. Der Zeuge S hat bei seiner Vernehmung durch das Berufungsgericht glaubhaft bekundet, er sei sich sicher, wenn der Kläger am Unfallort erklärt hätte, die Beklagte zu 2. habe plötzlich stark gebremst, so hätte er, der Zeuge S, diese Äußerung entsprechend aufgenommen. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Kläger am Unfallort eine entsprechende Äußerung nicht gemacht hat. Den spontanen und unverfälschten Äußerungen der Unfallbeteiligten am Unfallort kommt jedoch erfahrungsgemäß eine starke Bedeutung zu. Dass die Beklagte zu 2. plötzlich stark abgebremst habe, hat der Kläger erstmals mit Anwaltsschriftsatz vom 7. Dezember 2000 in dem gegen ihn gerichteten Bußgeldverfahren wegen einer ihm zur Last gelegten Verkehrsordnungswidrigkeit vortragen lassen.

Schließlich hat die Beklagte zu 2. bei ihrer Anhörung durch das Gericht erklärt, sie sei sich sicher, dass sie ihr Fahrzeug vor dem Unfall nicht abgebremst habe. Vielmehr sei sie, wie üblich, nur langsam angefahren. Erst nach dem Zusammenstoß habe sie ihr Fahrzeug abgebremst.

Auch nach dem persönlichen Eindruck, den das Gericht in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten zu 2. gewonnen hat, sieht es keinen Anlass, ihrer Einfassung weniger Glauben zu schenken als den - sich teilweise widersprechenden Bekundungen der Zeugen R und G. Es vermag sich daher nicht mit gemäß § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit von der Richtigkeit der klägerischen Sachverhaltsdarstellung zu überzeugen.

3. Mangels Nachweises eines unfallursächlichen Verschuldens der Beklagten zu 2. führt die nach § 17 Abs. 2 StVG erforderliche Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile zur alleinigen Haftung des Klägers. Die von dem Fahrzeug der Beklagten zu 2. ausgehende Betriebsgefahr tritt hinter dem nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises festgestellten Verschulden des Klägers als Auffahrenden vollständig zurück.

4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

5. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO in Verbindung mit § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

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