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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 03.12.2007
Aktenzeichen: 12 U 198/07
Rechtsgebiete: ZPO, StVG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 114 Satz 1
ZPO § 273 Abs. 2 Nr. 4
ZPO § 286
ZPO § 359
ZPO § 380
ZPO § 399
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
StVG § 7
StVG § 9
StVG § 18
BGB § 254
Erscheint eine Zeugin nach Ladung, Ordnungsgeldbeschluss und Vorführungsanordnung nicht bei Gericht , und beantragt die beweisbelastete Partei daraufhin die urkundenbeweisliche Verwertung der Erklärung der Zeugin zu dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall gegenüber der Polizei, ohne dass die Gegenpartei ausdrücklich oder konkludent auf einer Vernehmung besteht, ist die Verwertung der Urkunde zulässig. Es stellt keinen konkludenten Widerspruch des Beweisgegners gegen den neuen Antrag oder ein Verlangen auf Vernehmung dar, wenn der dieser lediglich Einwendungen gegen die inhaltliche Richtigkeit der Urkunde erhebt und die Existenz der Zeugin in Frage stellt.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 198/07

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts am 3. Dezember 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Prozesskostenhilfeantrag der Klägerin vom 16. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Der für die Durchführung der Berufung gegen das am 3. September 2007 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin gestellte Prozesskostenhilfeantrag ist erfolglos. Die beabsichtigte Berufung hat auf Grundlage des im Antragsschriftsatz enthaltenen Berufungsbegründungsentwurfes nicht die nach § 114 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht.

I.

Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalles vom 28. August 2006 gerichtete Klage durch Versäumnisurteil vom 9. Juli 2007 (Verkündungsdatum) abgewiesen und diese Entscheidung - nach Beweisaufnahme - durch das am 3. September 2007 verkündete Urteil aufrechterhalten. Dabei hat es seine Überzeugung, die Klägerin habe als Fußgängerin bei für sie rotem Ampelsignal die Fahrbahn überquert und sei dort mit dem Motorrad des Beklagten kollidiert, auf die schriftliche Aussage der Zeugin Snnn Tnnn gestützt.

Diese Zeugin war durch Beschluss vom 2. April 2007 zum Termin zur Beweisaufnahme am 7. Mai 2007 geladen worden, dort aber nicht erschienen. Daraufhin hat das Landgericht gegen sie ein Ordnungsgeld verhängt und ihre Vorführung zum weiteren Beweistermin am 9. Juli 2007 angeordnet. Der damit beauftragte Obergerichtsvollzieher Bernd Bnnn hat die Zeugin jedoch nicht angetroffen und sie infolgedessen nicht vorgeführt. Auch auf den weiteren Vorführungsbeschluss vom 6. August 2007 ist die Zeugin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 3. September 2007 nicht vorgeführt worden. Die Beklagte hat sich daraufhin mit der urkundenbeweislichen Verwertung der Aussage der von ihr benannten Zeugin Tnnn einverstanden erklärt.

Die Klägerin begründet die beabsichtigte Berufung, mit der sie ihre ursprünglichen Anträge weiterverfolgen will, damit, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 380 ZPO seine mit Beweisbeschluss vom 7. Mai 2007 kundgetane Absicht, die Zeugin zu vernehmen, einfach aufgegeben. Das Vernehmungsprotokoll in der Ermittlungsakte sei falsch. Entweder gebe es die Zeugin Tnn gar nicht, oder sie wolle ihre seinerzeitige Falschaussage nicht vor Gericht wiederholen.

II.

Der beabsichtigten Berufung fehlt die Erfolgsaussicht, denn die Beweisaufnahme durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden.

1. Das Landgericht ist von einem zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt ausgegangen. Dem Beklagten, der nach §§ 7, 18 StVG als Fahrer der Motorrades nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung sowie deliktsrechtlich für die Folgen einer Körperverletzung und die materiellen Folgen einer Kollision einstehen muss, obliegt es, im Rahmen der §§ 9 StVG, 254 BGB Umstände darzulegen und zu beweisen, die eine Alleinhaftung der Klägerin als Fußgängerin rechtfertigen könne. Dies stellt die Klägerin auch nicht in Zweifel.

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die vom Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme und Beweiswürdigung nicht zu beanstanden.

a) Das Landgericht war nicht infolge vorher gefasster Beschlüsse daran gehindert, von der zunächst auf den Beweisantritt des Beklagten im Schriftsatz vom 2. März 2007 (Seite 2) in Aussicht genommenen Vernehmung der Zeugin Tnnn wieder Abstand zu nehmen.

(1) Aus § 380 ZPO ist hierzu nichts abzuleiten. Diese Vorschrift regelt lediglich die Folgen des Ausbleibens eines Zeugen, besagt aber nichts zu der hier entscheidenden Frage, unter welchen Voraussetzungen das Gericht von der Vernehmung eines geladenen Zeugen absehen kann.

(2) Das Landgericht hat auch nicht gegen einen früher gefassten Beweisbeschluss "verstoßen", wie die Klägerin meint.

Einen Beweisbeschluss hat das Landgericht bezüglich der Zeugin Tnnn nicht gefasst. Nach § 359 ZPO enthält ein Beweisbeschluss die Bezeichnung der beweiserheblichen streitigen Tatsachen, der Zeugen sowie der Partei, die sich auf das Beweismittel beruft. Derartiges hat das Landgericht nicht entschieden. Es hat vielmehr ohne Beweisthema zunächst die Ladung und später die Vorführung der Zeugin Tnnn beschlossen, letztlich also nur eine Anordnung gemäß § 273 Abs. 2 Nr. 4 ZPO getroffen.

Eine (Selbst-)Verpflichtung des Gerichts, die vorsorglich geladene Zeugin tatsächlich zu hören, besteht nicht. Dies wäre im übrigen auch dann nicht der Fall, wenn das Gericht einen Beweisbeschluss gefasst hätte (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 360 ZPO, Rn. 1 m.w.N.).

b) Ein Anspruch der Klägerin auf Vernehmung der Beklagtenzeugin Tnn besteht nicht.

Die Voraussetzungen des § 399 ZPO, nach der die Gegenpartei nach Verzicht der beweisbelasteten Partei auf einen Zeugen ihrerseits die Vernehmung eines erschienenen Zeugen oder die Fortsetzung seiner Vernehmung verlangen kann, liegen nicht vor. In dem im Termin abgegebenen Einverständnis mit der urkundsbeweislichen Verwertung der Aussage der Zeugen für die Polizei liegt zugleich ein Verzicht auf ihre persönliche Vernehmung. Keineswegs hat die Klägerin auf den Verzicht im Termin am 3. September 2007 ihrerseits ausdrücklich oder konkludent die Vernehmung der Zeugin verlangt, im Gegenteil: Sie hat vielmehr ausweislich des Protokolls Einwendungen gegen die Richtigkeit der Urkunde vom 8. September 2006 erhoben, indem sie die Existenz der Zeugin in Frage gestellt hat. Damit hat sie zum Ausdruck gebracht, dass aus ihrer Sicht ein weiterer Versuch, der Zeugin habhaft zu werden, sinnlos ist.

c) Die Würdigung der schriftlichen Zeugenaussage vom 8. September 2006 durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden; der Senat folgt ihr vielmehr.

(1) Mit dem Landgericht hat der Senat keine Zweifel an der Existenz der Zeugin Tnn l. Bereits aus der Verkehrsunfallanzeige des Polizeipräsidenten in Berlin (A 24 - 060828-1750-202282) vom 28. August 2006 (dort Seite 13) ergibt sich, dass die Polizei die Zeugin am Unfallort angetroffen und ihre Personalien festgestellt hat. Diese Angaben zur Person korrespondieren mit denjenigen in der schriftlichen Aussage vom 8. September 2006, die die Unterschrift "Snn Tnn l" trägt (Verkehrsunfallvorgang Seite 39, 40). Insofern besteht nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass die schriftliche Aussage von der tatsächlich existierenden und am Unfallort anwesenden Person Snn Tnn l herrührt.

(2) Der Inhalt der Aussage rechtfertigt die vom Landgericht getroffene Entscheidung. Nach den sprachlich zwar nicht fehlerfreien, aber inhaltlich eindeutigen Angaben hat die im Auto hinter dem Beklagten fahrende Zeugin wahrgenommen, dass die Ampel in ihre Richtung grünes Licht abstrahlte und daraus geschlossen, die Fußgängerampel der Klägerin habe rotes Licht gezeigt.

In Zusammenschau mit dem vom Landgericht beigezogenen Ampelschaltplan rechtfertigt das den Schluss, die Klägerin sei bei Rot über die Straße gegangen und habe so den Unfall verursacht.

(3) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die schriftliche Aussage für wahrheitsgemäß gehalten.

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (vgl. Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 -; vgl. auch KG [22. ZS], KGR 2004, 38 = MDR 2004, 533; Senat, Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 286 Rdnr. 13).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2005, § 286 Rdnr. 3, 5).

An diese Grundsätze hat sich das Landgericht gehalten. In den Urteilsgründen hat das Landgericht (UA Seite 3, 4) den Inhalt der schriftlichen Aussage mit den sonstigen Aussagen verglichen, auch mit derjenigen der persönlich vernommenen Klägerin, sich mit deren Inhalt auseinandergesetzt und hat so dargelegt, dass und warum es der Aussage Glauben schenkt. Die Mutmaßungen der Klägerin über das Fehlschlagen der Vorführung der Zeugin zum Termin und die daran angeknüpften Folgerungen für die Glaubwürdigkeit führen nicht zu einer anderen Beurteilung; es ist keinerlei Anhaltspunkt dafür ersichtlich, warum die neutrale und zufällig am Unfallort anwesende Zeugin die Klägerin grundlos belasten sollte.

Ende der Entscheidung

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