Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 26.10.2006
Aktenzeichen: 12 U 25/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 513 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 529
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 133
BGB § 157
An die Feststellung einer mündlichen Vertragsänderung zum Nachteil des Mieters (Verzicht auf Mietminderung für den Fall einer Vermietung von Räumen in einem "Ärztehaus" an Nicht-Mediziner) anlässlich einer Besprechung mit dem Vermieter zu einem anderen Zweck in einem Imbiss sind hohe Anforderungen zu stellen. Lässt sich nicht feststellen, welche Person welche Willenserklärungen ausdrücklich oder konkludent abgegeben hat, kann ein Vertragsschluss nicht festgestellt werden.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 25/06

26.10.2006

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts am 26.Oktober 2006 beschlossen:

Tenor:

1. Es wird gemäß § 522 Abs.2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass der Senat nach Vorberatung beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat.

2. Der Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.

Gründe:

Die Berufung hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.

Nach § 513 Abs.1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist hier nicht der Fall.

Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.

Im Hinblick auf das Vorbringen in der Berufung wird ergänzend auf Folgendes hingewiesen:

1. Der Beklagte wendet sich auf S. 1 f. seiner Berufungsbegründung gegen die Auffassung des Landgerichts, die vom Mieter Vnnn betriebene physiotherapeutische Praxis sei keine "ärztliche bzw. fachärztliche oder homöopathische Praxis" im Sinne der Nr. 8 der Anlage zum Mietvertrag; denn diese Begriffe seien so weit auszulegen, dass alle Berufszweige erfasst seien, die eine medizinische Versorgung der Bevölkerung zum Gegenstand hätten und dadurch Synergieeffekte für die im Haus angesiedelten Ärzte bewirken könnten.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen:

Die Auslegung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und überzeugt auch inhaltlich:

Es handelt sich bei der Aufzählung in Nr. 8 nämlich nicht - wie der Beklagte in seinem vorprozessualen Schreiben an den Kläger vom 21. Dezember 2004 (Anlage K 5) geltend gemacht hat - um "eine beispielhafte Aufzählung". Dem steht schon die Vereinbarung in Satz 3 der Nr. 8 entgegen, in den Obergeschossen werden "ausschließlich" ärztliche, fachärztliche und homöopathische Praxen angesiedelt.

Die Aufzählung nach §§ 133, 157 BGB ist dahin zu verstehen, dass nur ("ausschließlich") von Ärzten betriebene Behandlungspraxen erfasst sein sollen, was sich im Übrigen auch aus dem in Nr. 8 verwendeten Begriff "Ärztehaus" ergibt.

Dies hat der Beklagte auch so verstanden, der auf S. 2 seines Schriftsatzes vom 16. September 2005 vorgetragen hat, sein Sohn habe den Beklagten darauf hingewiesen, dass "Herr Vitalis kein Arzt sei und im Mietvertrag eine Vereinbarung getroffen worden sei, dass das Haus an Ärzte vermietet werden müsse, andernfalls sich der Mietzins reduziere".

Entsprechendes hat der Sohn des Klägers als Zeuge vor dem Landgericht bestätigt.

Darauf hat das Landgericht auf S. 5 des angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen und richtig ausgeführt, dass der Mieter Pnnnnn Vnnn kein Arzt sei.

2. Auch die Angriffe des Beklagten gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts (S. 2 ff. der Berufungsbegründung) verhelfen der Berufung nicht zum Erfolg.

Nach § 529 Abs.1 Nr.1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrundezulegen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

a) Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (so Senat, Urteil vom 11. März 2004 - 12 U 285/02 - DAR 2004, 387 = VRS 106, 443 = KGR 2004, 282 = NZV 2004, 632; Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269; vgl. dazu allgemein BGH, Urteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03 - NJW 2005, 1583).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (vgl. Zöller/ Greger, ZPO, 25. Aufl., § 286 Rdnr.13).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2006, § 286 Rdnr.3,5; Senat, Urteil vom 12. Januar 2004 - 12 U 211/02 - DAR 2004, 223 = KGR 2004, 291 = VRS 106, 189 = VersR 2004, 799 L).

Da sich das Landgericht an diese Regeln gehalten hat, ist seine Beweiswürdigung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

b) Der Senat hat auch keine Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen, sondern folgt der Beweiswürdigung des Landgerichts auch inhaltlich.

Entgegen der Auffassung des Beklagten kann eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Klägers der Zeugenaussage des Sohnes des Klägers, Thomas Znn , am 5. Januar 2006 vor dem Landgericht nicht entnommen werden.

Darauf hat das Landgericht auf S. 6 f. des angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen.

Der Beklagte beanstandet auf S. 5 der Berufungsbegründung, dass Landgericht habe seiner Entscheidung einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt, weil es auf S. 7 seines Urteils - neben dem zutreffenden Hinweis auf eine fehlende schriftliche Fixierung einer Vereinbarung - darauf hingewiesen, der Zeuge habe als Immobilienkaufmann nach dem Gespräch auch in der Mieterakte keinen Vermerk über eine mündliche Abänderungsvereinbarung niedergelegt, ohne dass eine der Parteien dies vorgetragen habe oder die Mieterakte beigezogen worden sei.

Diese - eher beiläufige - Bemerkung des Landgerichts ist offensichtlich eine Schlussfolgerung aus dem Inhalt der Aussage des Zeugen Znn l, welcher sich eine irgendwie geartete schriftliche Fixierung einer mündlichen Vereinbarung nicht entnehmen läßt.

Da ein jeder Vertrag die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen voraussetzt, ist zur Feststellung eines Vertragsschlusses zumindest erforderlich, dass vorgetragen oder vom Zeugen erklärt wird, welche Personen welche Willenserklärungen ausdrücklich oder konkludent abgegeben haben; ist dies nicht der Fall, so fehlt dem Gericht die Grundlage für die Prüfung der Frage, ob Tatsachen vorliegen, aus denen auf Willenserklärungen im Sinne des Abschlusses eines Änderungsvertrages geschlossen werden kann (vgl. Senat, urteil vom 18. Dezember 2003 - 12 U 54/02 - KGR 2005, 29; Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen, BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2004 - XI ZR 23/04 -).

Entscheidend dafür, dass letztlich eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Beklagten im Sinne einer - ihm nachteiligen - Änderung seines Mietvertrages der Aussage des Zeugen Znn nicht entnommen werden kann, ist also auch der Umstand, dass der Zeuge nicht mehr wußte, was der Kläger im Sommer 2003 wörtlich im Einzelnen gesagt hat; dass derartiges von einem Zeugen nach etwa 2 1/2 Jahren erwartete werden kann, trifft zwar zu, geht aber letztlich zu Lasten des Klägers, der entsprechend der Vereinbarung in Nr. 22 des Mietvertrages der Parteien für eine eindeutige schriftliche Änderung des Vertrages hätte sorgen können, die angeblich durch das Gespräch herbeigeführt werden sollte.

Auch die Frage des Zeugen an den Kläger, "ob er sich vorstellen könnte, dass Herr Vinnn als Mieter in das Gebäude einzieht" (Protokoll S. 2, Absatz 5), belegt nicht einen Antrag des Zeugen - in Vertretung des Beklagten - auf Abschluss eines Änderungsvertrages zum Mietvertrag der Parteien. Dasselbe gilt für die vom Zeugen bekundete Antwort "erklärte der Kläger, dass er mit Herrn Vnnn als Mieter kein Problem hätte" (Protokoll, Absatz 6).

Daraus läßt sich eine rechtsgeschäftliche Erklärung des Klägers im Sinne der Annahme eines Angebots zu einer - ihm nachteiligen - Änderung seines Mietvertrages nicht entnehmen.

Der Aussage des Zeugen Znn kann auch nicht ansatzweise ein plausibles Motiv des Klägers dafür entnommen werden, dass er mit einer ihm finanziell nachteiligen Änderung seines Mietvertrages einverstanden war, zumal sich der Zeuge nicht einmal erinnern konnte, ob Vnnn dem Kläger das Zuführen von Patienten in Aussicht gestellt habe.

Der Sache nach käme die vom Beklagten behauptete, dem Kläger nachteilige Vertragsänderung einem Verzicht des Klägers auf eine ihm günstige Rechtsposition gleich.

Es ist ein Erfahrungssatz, dass derartiges nicht zu vermuten ist und Erklärungen, die nach Auffassung der begünstigten Partei darauf hindeuten sollen, kritisch zu würdigen und im Zweifel eng auszulegen sind (st. Rspr., vgl. BGH NJW 1984,1346; NJW 1996, 588; NJW 2000, 130; Palandt/Grüneberg, BGB, 65. Aufl., § 397 Rn 4).

Auch vor diesem Hintergrund ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden, sondern wird vom Senat geteilt.

3. Im Übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs.2 Satz 1 Nr.2 und 3 ZPO.

Es wird angeregt, die Fortführung des Berufungsverfahrens zu überdenken.

Ende der Entscheidung

Zurück