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Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 17.01.2005
Aktenzeichen: 12 U 302/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 253 Abs. 2
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847
Versäumt es der Strafverteidiger - trotz entsprechender Absprache und Auftrags des angeklagten Mandanten - einen Antrag auf Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung zu stellen und den Mandanten kurz vor dessen Reiseantritt zur Hochzeit in seinem Heimatland über das Risiko einer Verhaftung bei Versäumung des Termins aufzuklären und gerät der Mandant daraufhin in Haft, so steht dem Mandanten gegen den Anwalt nach § 253 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf angemessenes Schmerzensgeld wegen der erlittenen Freiheitsentziehung zu; bei der Bemessung der Höhe ist gegebenenfalls das Mitverschulden des Mandanten nach § 254 Abs. 1 BGB anspruchsmindernd zu berücksichtigen.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 302/03

Verkündet am : 17. Januar 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2005 durch den Richter am Kammergericht Spiegel als Einzelrichter für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers, die im Übrigen zurückgewiesen wird, wird das am 24. Oktober 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 28 des Landgerichts Berlin - 28 0 102/01 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.000,00 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 17. Januar 2001 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Beklagte ist gemäß §§ 823 Absatz 1, 847 BGB verpflichtet, dem Kläger für die erlittene Haft ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 7.000 € zu zahlen. Entgegen der Ansicht des Landgerichtes war das fahrlässige Verhalten der Beklagten ursächlich für die Verletzung der persönlichen Fortbewegungsfreiheit des Klägers, einem absoluten Rechtsgut im Sinne von § 823 Absatz 1 BGB. Die erlittene Freiheitsentziehung in der Zeit vom 22. September bis zum 8. Dezember 2000 beruht zwar unmittelbar auf dem Haftbefehl des Amtsgerichts Berlin vom 28. August 2000 zum Aktenzeichen (284) 6 Op Js 1045/99 (128(99). Das Verhalten der Beklagten war aber mittelbare Ursache der Freiheitsentziehung.

Die Beklagte hat es entgegen ihren anwaltlichen Pflichten versäumt, trotz des dahingehenden Auftrages des Klägers vom 22. Mai 2000 einen Verlegungsantrag in Bezug auf den am 25. August 2000 terminierten Termin zur Hauptverhandlung zu stellen. Die Beklagte hat es entgegen ihren anwaltlichen Pflichten weiterhin unterlassen, den Kläger in dem Telefonat kurz vor Reiseantritt über das Risiko eines Haftbefehls bei Versäumung es Termins aufzuklären. Dass diese Aufklärung nicht stattgefunden hat, ergibt sich aus der eigenen Einlassung der Beklagten in ihrer Anhörung vor dem Landgericht am 3. September 2003. Entgegen der Ansicht des Landgerichts war die Beklagte aber gerade zu einer solchen Aufklärung verpflichtet. Der in der Landung enthaltene Hinweis ("Wenn sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, ist ihre Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen") ändert hieran nichts. Unabhängig von der Frage seiner Deutschkenntnisse konnte der Kläger diesem Hinweis nicht entnehmen, wie groß für in das Risiko der Anordnung einer länger andauernden Untersuchungshaft tatsächlich war. Auch konnte er diesem Hinweis nicht entnehmen, unter welchen Voraussetzungen er lediglich mit einer Vorführung rechnen musste. Im Übrigen hat die Beklagte selbst den Hinweis in der Ladung durch ihre ausdrückliche Warnung vor den zu erwartenden erheblichen Kosten gegenüber dem Kläger relativiert.

Das vorstehend dargelegte Unterlassen war auch mitursächlich für die Verhaftung des Klägers nach dessen Rückkehr aus seiner Heimat. Hätte die Beklagte entsprechend der Auftragserteilung noch im Mai 2000 eine Verlegung des Termins zur Hauptverhandlung beantragt, so wäre der Termin entweder verlegt worden oder der Beklagte hätte im Falle einer Ablehnung des Verlegungsantrages ausreichend Zeit gehabt, seine Reise- und Hochzeitspläne den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen. Hätte die Beklagte den Kläger im dem Telefongespräch kurz vor Reiseantritt konkret über das Risiko einer Verhaftung und sich einer daran anschließenden längeren Haftzeit informiert, so hätte der Kläger eine kurzfristige Absage seiner Reise veranlassen können. Umstände, aus denen geschlossen werden könnte, dass er die Reise trotz einer entsprechenden Aufklärung angetreten hätte, hat die Beklagte nicht dargelegt. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich dies insbesondere nicht aus dem Umstand, dass der Kläger seine Reise trotz der Hinweise der Beklagten auf die im Falleeiner Versäumung der Hauptverhandlung zu tragenden erheblichen Kosten angetreten hat. Aufgrund der unvollständigen Aufklärung durch die Beklagte stellte sich dem Kläger nach dem Telefonat folgende Frage: Sollte er erhebliche Kosten dadurch verursachen, dass er die Reise und die Hochzeit in seinem Heimatland kurzfristig absagt oder sollte er Reise und Hochzeit wie geplant durchführen und die Kosten der geplatzten Hauptverhandlung in Kauf nehmen. Aus dem Umstand, dass er sich nach dem Telefonat für einen Reiseantritt und die Hinnahme von Verfahrensmehrkosten entschied, kann aber nicht geschlossen werden, dass er auch dann gefahren wäre, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass er nach seiner Rückkehr für einen längeren Zeitraum in Haft kommen könnte. Es mag sein, dass der Kläger zusätzliche Kosten bewusst in Kauf genommen hat, um die Hochzeit in seiner Heimat nicht absagen zu müssen. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass er freiwillig auch eine länger andauernde Untersuchungshaft hingenommen hätte, um Reise und Hochzeit nicht verschieben zu müssen.

Umstände, aus denen sich ergeben könnte, dass der Beklagten Fahrlässigkeit nicht vorzuwerfen ist, hat diese nicht dargelegt. Die Rechtsgutverletzungen durch die Beklagte waren auch rechtswidrig. Die Verletzung eines gem. § 823 Absatz 1 BGB absolut geschützten Rechts indiziert die Rechtswidrigkeit des Unterlassens, soweit - wie vorliegend - eine Pflicht zum Handeln bestand.

Dem Kläger steht eine Geldentschädigung für den zugefügten immateriellen Schaden wegen der erlittenen Freiheitsentziehung zu. Das Schmerzensgeld hat im Wesentlichen zwei Funktionen. Es soll den durch die Rechtsverletzung erlittenen Schaden ausgleichen und darüber hinaus auch zu einer wirklichen Genugtuung des Verletzten führen (BGH großer Zivilsenat 18, 149). Für die konkrete Höhe des Schmerzensgeldanspruchs war hier das konkrete Maß an Lebensbeeinträchtigung des Klägers während der 76 Tage dauernden Untersuchungshaft zu berücksichtigen. Während dieser Zeit hatte der Kläger keinen normalen Kontakt zu seiner Umgebung, insbesondere zu seiner Frau. Daneben erlitt der Kläger die üblichen Belastungen seines Rufs im Freundes- und Familienkreis, sowie in der Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite war das erhebliche Mitverschulden des Klägers anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Der Kläger hat seine Inhaftierung dadurch selbst schuldhaft mit verursacht, dass er es unterlassen hat, in der Zeit vom Juni bis Mitte August 2000 bei der Beklagten nach dem Stand der Terminsverlegung zu fragen. Dem Kläger ist auch vorzuwerfen, dass er die Reise in sein Heimatland angetreten hat, obwohl ihm kurz vor Reiseantritt bekannt geworden war, dass der Hauptverhandlungstermin nicht verlegt worden war. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erscheint dem Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,00 € als angemessener Ausgleich und angemessene Genugtuung für den Kläger.

Der Zinsanspruch, der nach Grund und Höhe nicht bestritten ist, ergibt sich aus Verzug.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger Schadensersatz in Höhe von 557,31 € für die Hinderung an der Ausführung sozialer Dienste zur Abarbeitung seiner Geldstrafe zu leisten. Dem Beklagten ist, wie das Landgericht zutreffend ausführt, insoweit kein Vermögensschaden erstanden. Auch sollte das Entgelt dem Kläger nicht persönlich zur Verfügung stehen sondern zweckgebunden eingesetzt werden.

Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, den Beklagten in Höhe von 279,17 € gegenüber Rechtsanwalt Philipp Krause von Verbindlichkeiten aus dessen Honorarrechnung vom5. Dezember 2000 freizustellen. Die Honoraransprüche dieses Rechtsanwaltes sind jedenfalls im Laufe des vorliegenden Verfahrens verjährt. Der Beklagte wäre im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht (§ 254 Absatz 2 BGB) verpflichtet gewesen, gegenüber dem Rechtsanwalt die Einrede der Verjährung zu erheben (Palandt-Heinrichs, BGB,63. Auflage, § 254 BGB Rdnr. 42; OLG Hamm, NJW-RR 1996, 1338). Besondere Umstände, die es ausnahmsweise als für den Beklagten unzumutbar erscheinen lassen würden, die Verjährungseinrede zu erheben, hat dieser nicht dargelegt. Sie sind auch sonst nicht zu erkennen.

Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Absatz 1 Nr.1, Absatz 2 ZPO n. F.).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Absatz 2, 97 Absatz 1 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

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