Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 29.09.2003
Aktenzeichen: 12 U 315/01
Rechtsgebiete: ZPO, StVO


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1 a.F.
StVO § 25 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 315/01

Verkündet am: 29.09.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß sowie die Richter am Kammergericht Spiegel und Dr. Wimmer auf die mündliche Verhandlung vom 29. September 2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 26. September 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 17 O 540/00 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist erfolglos. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht dem Kläger Schmerzensgeld und die begehrte Haftungsfeststellung versagt. Die Berufungsbegründung gibt keine Veranlassung, die Sache anders zu beurteilen.

A. Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, § 543 Abs. 1 ZPO a.F. Zu ergänzen ist lediglich Folgendes:

1) Ein unfallursächliches Verschulden des Beklagten zu 1) am Zustandekommen des Unfalls hat der Kläger weiterhin nicht dargelegt; es ergibt sich auch nicht aus unstreitigen Umständen.

a) Den erstinstanzlich erhobenen Vorwurf, der Beklagte zu 1) sei mit einer überhöhten Geschwindigkeit von 70 km/h gefahren, hat der Kläger nicht aufrechterhalten. Die jetzt behauptete Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h liegt um 10 km/h niedriger als die innerhalb geschlossener Ortschaften erlaubten 50 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO).

b) Allein aus dem Fahrstreifenwechsel nach links ist dem Beklagten zu 1) gleichfalls kein Vorwurf zu machen. Es handelt sich um ein normales, von der StVO ausdrücklich erlaubtes Fahrmanöver.

c) Dem Klägervortrag ist weiterhin nicht zu entnehmen, dass der Beklagte zu 1) Anlass und Möglichkeit hatte, unfallverhütend zu reagieren.

(1) Der Vorwurf unfallursächlichen Verschuldens gegen einen Unfallbeteiligten setzt voraus, dass er nach den konkreten Umständen zeitlich und örtlich unfallverhütend hätte handeln können und müssen. Dies bedeutet, dass der Unfall für den Betreffenden örtlich und/oder zeitlich vermeidbar gewesen sein muss, die Kollision bei dem gebotenen Brems- und/oder Ausweichmanöver also nicht stattgefunden hätte.

(2) Der Kläger hat jedoch zu den tatsächlichen Voraussetzungen des Unfallhergangs, die Grundlage einer Vermeidbarkeitsbetrachtung sein könnten, nichts Hinreichendes vorgetragen.

Der Beklagte zu 1) musste an der späteren Unfallstelle nicht mit Fußgängern auf der Fahrbahn rechnen, denn dort befand sich weder eine Ampel noch ein Fußgängerüberweg. Dies hat das Landgericht zutreffend ausgeführt. Zur Reaktion aufgefordert war er erstmals bei Wahrnehmbarkeit des Klägers und seines Begleiters M K M auf der Fahrbahn, also bei Erkennbarkeit ihrer in die Tat umgesetzten Überquerungsabsicht. In welcher Entfernung sich der Beklagte zu 1) in diesem Moment vom späteren Kollisionsort befunden haben soll, ergibt sich aus dem Klägervortrag nicht und ist auch sonst nicht feststellbar.

Erstinstanzlich hat der Beklagte in seiner persönlichen Anhörung angegeben, er habe das Beklagtenfahrzeug gesehen, als es ungefähr zwei Meter von ihm entfernt gewesen sei; er habe sich nur noch gedreht und seine Hände auf die Motorhaube gestützt (Bl. 37 d.A.). Dem Vorbringen der Beklagten, zwischen dem Betreten des Fahrbahnbereiches und dem Unfall habe lediglich ein Zeitraum von geschätzten ein bis zwei Sekunden gelegen (Bl. 19 d.A.), ist er nicht entgegengetreten. Nach diesem Vorbringen war die Kollision offensichtlich unvermeidbar für den Beklagten, denn unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von einer Sekunde bestand für den Beklagten zu 1) in der allenfalls verbleibenden weiteren Sekunde erkennbar weder einer Möglichkeit, den Fiat aus 40 km/h anzuhalten noch ein erfolgversprechendes Ausweichmanöver einzuleiten. Nach dem zweitinstanzlichen Vortrag sollen der Kläger und sein Begleiter zwei bis drei Sekunden für die Überquerung des ersten Fahrstreifens und weiterer eineinhalb bis zwei Sekunden für die Überquerung des zweiten Fahrstreifens bis zur Kollision benötigt haben, insgesamt also maximal fünf Sekunden. Auch dieser geänderte Sachvortrag bietet keine Grundlage für eine Vermeidbarkeitsbetrachtung.

Es ist schon ungewiss, wann der Kläger für den Beklagten zu 1) überhaupt bei der unstreitig herrschenden Dunkelheit wahrnehmbar war. Welche Bekleidung er selbst trug, hat der Kläger nicht mitgeteilt; die Feststellungen der unfallaufnehmenden Polizeibeamten, er sei dunkel gekleidet gewesen (Bl. 4 der BA), hat er zwar bestritten, ohne eigene Angaben zu seiner Bekleidung zu machen. Soweit er jetzt erstmals mitteilt, sein Begleiter M habe eine himmelblaue Windjacke mit gelben Schulterteilen und gelben Längsstreifen getragen, besagt dies nichts über die Wahrnehmbarkeit aus Sicht des Beklagten zu 1); ausweislich der polizeilichen Unfallskizze hat der Kläger die Fahrbahn rechts neben seinem Begleiter überquert, befand sich also aus Perspektive des Beklagten zu 1) vor diesem und hat ihn möglicherweise verdeckt. Da mithin der Moment der ersten Reaktionsaufforderung für den Beklagten zu 1) nicht feststeht, fehlt ein Ausgangswert für Berechnungen zur zeitlichen und örtlichen Vermeidbarkeit der Kollision.

Insofern kann auf sich beruhen, in welche Richtung der Beklagte zu 1) nach Wahrnehmung des Klägers in den letzten beiden Sekunden vor der Kollision geschaut hat. Selbst wenn dies als pflichtwidrige Unaufmerksamkeit zu werten wäre, könnte dies einen Vorwurf nur begründen, wenn der Beklagte zu 1) bei pflichtgemäßem Blick nach vorne den Unfall hätte vermeiden können. Dafür besteht kein Anhaltspunkt.

2) Die verbleibende Haftung des Beklagten zu 1) wegen der Betriebsgefahr seines Fahrzeuges tritt hinter das grobe Eigenverschulden des Klägers an der Kollision zurück (vg1. dazu zuletzt Senat, KGR 2002, 366 = VRS 104,1 = VersR 2003, 340 = N2V 2003, 380).

Die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts hierzu finden eine nachhaltige Bestätigung im weiteren Vortrag des Klägers. Er und sein Begleiter haben nach eigener Darstellung die Fahrbahn bereits betreten, als sich auf dem dritten, vierten und fünften Fahrstreifen ein Fahrzeugpulk näherte. Irgendein Anhaltspunkt für die Annahme, die Fahrzeuge würden auf diesen Fahrstreifen weiterfahren und der erste und zweite Fahrstreifen sei gefahrlos zu betreten, bestand nicht. Damit hat der Kläger in grob fahrlässiger Weise gegen das Gebot nach § 25 Abs. 3 StVO, als Fußgänger Fahrbahnen nur unter Beachtung des dort bevorrechtigten Fahrzeugverkehrs zu überqueren, verstoßen und so den Unfall herbeigeführt.

B. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

C. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück