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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 16.09.2004
Aktenzeichen: 12 U 55/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
BGB § 535
BGB § 765
BGB § 767
BGB § 777
BGB § 987
BGB § 990 Abs. 1 S. 2
BGB § 991 Abs. 1

Entscheidung wurde am 12.10.2005 korrigiert: der Entscheidung wurde ein amtlicher Leitsatz hinzugefügt
Zur Abgrenzung einer Zeitbürgschaft (§ 777 BGB) von einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft. Dem Berufungsgericht ist auch nach dem Rechtsmittelrecht der ZPO 2002 eine unbeschränkte Überprüfung der erstinstanzlichen Vertragsauslegung dahin gestattet, ob diese bei Würdigung aller dafür im Einzelfall maßgeblichen Umstände sachgerecht erscheint, wenn es diese Auslegung zwar für vertretbar, letztlich aber nicht für sachlich überzeugend hält (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2004 - VIII ZR 164/03 -).
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 55/03

verkündet am: 16. September 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß sowie die Richter am Kammergericht Hinze und Spiegel für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten zu 2) wird das am 9. Januar 2003 verkündete Versäumnisteil- und Schlussurteil der Zivilkammer 12 des Landgerichts Berlin - 12 O 323/02 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. a) Die Beklagten werden verurteilt, wie Gesamtschuldner an die Klägerin 3.585,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Juni 2002 zu zahlen.

b) Die Beklagte zu 1) wird weiter verurteilt, an die Klägerin19.486,38 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.216,96 EUR seit dem 25. Juli 2000, aus jeweils 2.338,61 EUR seit dem 25. August, 25. September, 25. Oktober und 25. Dezember 2000, aus jeweils 2.970,11 EUR seit dem 25. Februar, 25. Juni und 25. August 2001 zu zahlen.

Die Beklagte zu 1) wird weiter verurteilt, an die Klägerin 10.756,65 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 3.585,55 EUR seit dem 25. September, 25. Oktober und 25. November 2001 sowie vom 25. Dezember 2001 bis 11. Juni 2002 zu zahlen.

c) Der Beklagte zu 2) wird weiter verurteilt, an die Klägerin 3.456,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Oktober 2002 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Von den Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Beklagten wie Gesamtschuldner 10 %, die Beklagte zu 1) allein weitere 41 %, der Beklagte zu 2) allein weitere 5 % und die Klägerin 44 %. Die Beklagte zu 1) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) tragen dieser 17 % und die Klägerin 83 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die Berufung des Beklagten zu 2), mit der dieser seine Verurteilung durch das im Tenor bezeichnete Urteil, auf dessen Inhalt verwiesen wird, wegen eines Teilbetrages von 19.486,38 € nebst anteiliger Zinsen angreift, ist zulässig und hat in vollem Umfang Erfolg.

A Der Klägerin steht gegen den Beklagten zu 2) kein Anspruch gemäß §§ 765, 767, 535 BGB auf Zahlung rückständiger Mieten bis einschließlich August 2001 in Höhe von 19.486,38 € zu.

Zu Recht rügt der Beklagte zu 2), dass die vom Landgericht vorgenommene Auslegung der von ihm am 28. Juli 1999 unterzeichnete Bürgschaftserklärung bei Würdigung aller dafür maßgeblichen Umstände nicht sachgerecht ist.

1. Dem Berufungsgericht obliegt auch nach dem neuen Rechtsmittelrecht eine unbeschränkte Überprüfung der vorinstanzlichen Vertragsauslegung dahin, ob diese bei Würdigung aller dafür im Einzelfall maßgeblichen Umstände sachgerecht erscheint, wenn es die erstinstanzliche Auslegung zwar für vertretbar, letztlich aber nicht für sachlich überzeugend hält (BGH, Urteil vom 14. Juli 2004 - VIII ZR 164/03 -).

Das Berufungsgericht hat deshalb die Auslegung einer Individualvereinbarung durch das erstinstanzliche Gericht in vollem Umfang darauf zu überprüfen, ob die Auslegung unter dem Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit überzeugt. Die Parteien haben deshalb im Berufungsrechtszug auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts Anspruch darauf, dass das Berufungsgericht eine Individualvereinbarung - ohne Bindung an deren Auslegung durch die Vorinstanz - in der Weise auslegt, wie es das Berufungsgericht selbst im Interesse einer gerechten Entscheidung des Einzelfalles für überzeugend und richtig hält.

2. Hiernach kann die vom Landgericht vorgenommene Auslegung der Bürgschaftserklärung keinen Bestand haben.

a) Wird einer Bürgschaft durch Individualvereinbarung eine zeitliche Begrenzung hinzugefügt, kann das - wie das Landgericht auf Seite 7 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt hat - einerseits den Sinn eines Endtermins (§ 163 BGB) haben, nach dessen Ablauf die Verpflichtung des Bürgen erlöschen soll (Zeitbürgschaft gemäß § 777 BGB). Die Begrenzung kann andererseits aber auch die Verbindlichkeit, für die der Bürge sich verbürgt, dahin näher bestimmen, dass der Bürge nur für die innerhalb einer bestimmten Zeit begründeten Verbindlichkeiten, für diese aber unbefristet, einstehen will (gegenständlich beschränkte Bürgschaft). Welche Art von Bürgschaft gewollt ist, ist durch Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln, wobei der Gläubiger die Darlegungs- und Beweislast für den von ihm behaupteten Inhalt der Bürgschaft trägt (BGH. Urteil vom 15. Januar 2004 - IX ZR 152/00, WM 2004, 720 = ZPI 2004,843 = BB 2004, 850).

b) Zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen gehört es, dass die Vertragsauslegung in erster Linie den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarungen und den diesem zu entnehmenden objektiv erklärten Parteiwillen zu berücksichtigen hat (BGH, NJW 2001, 144; Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Auflage, § 133 Rdnr. 14).

Der Wortlaut der hier zu beurteilenden Erklärung ("Die Bürgschaft erlischt, wenn mir die Bürgschaftsurkunde ggf. von dritter Seite zurückgegeben wird, spätestens jedoch mit Ablauf des 31.08.2001") ist - im Gegensatz zu der Formulierung "Die Bürgschaft ist befristet bis zum ..." - eindeutig. Sowohl die Wortwahl "die Bürgschaft erlischt" als auch die rechtliche Gleichbehandlung der beiden Erlöschensgründe "Rückgabe der Bürgschaftsurkunde" und "Ablauf des 31.08.2001" lassen nur die Auslegung als Zeitbürgschaft zu (vgl. BGH, NJW 1988, 908; NJW 1989, 1856; NJW 1999, 55; NJW 2002, 2869). Dies wird auch im Ansatz vom Landgericht zutreffend gesehen und von der Klägerin letztlich nicht in Frage gestellt, wenn diese auf Seite 1 ihres Schriftsatzes vom 2. Oktober 2002 ausführt, "dass der Wortlaut der Bürgschaftserklärung ... zunächst darauf hindeuten könnte, dass hier ausnahmsweise eine Bürgschaft auf Zeit gemäß § 777 BGB Vereinbarungsgegenstand war".

Angesichts des eindeutigen Wortlautes der Erklärung kommt es auf den Umstand, dass die Bürgschaft eine künftige, in der Entwicklung befindliche Verbindlichkeit sichern sollte, nicht an.

b) Eine Vertragsauslegung kann zwar auch zu einem vom Wortlaut abweichenden Ergebnis gelangen, wenn sich ein dies rechtfertigender übereinstimmender Wille der Vertragspartner feststellen lässt (§ 133 BGB). Für einen solchen übereinstimmenden Willen der Parteien kann der Senat jedoch keine hinreichenden Umstände feststellen.

aa) Hinsichtlich der Entstehungsgeschichte ergeben sich aus dem Vortrag der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin (BGH, NJW 2001, 144) keine Umstände, die einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Zwar können sich wichtige Anhaltspunkte für die Auslegung einer Vereinbarung aus den Vorverhandlungen der Beteiligten ergeben, wobei das Gesamtbild der Vertragsverhandlungen auch eine vom üblichen Wortsinn abweichende Auslegung rechtfertigen kann. Die Klägerin beschränkt ihren Vortrag zur Entstehungsgeschichte (Seiten 2 ff des Schriftsatzes vom 2. Oktober 2002) aber auf die Darstellung ihrer eigenen Interessenlage. Auf einen vom Wortlaut der Urkunde abweichenden übereinstimmenden Willen beider Vertragspartner kann aus diesem Vortrag nicht geschlossen werden. Ihr Vortrag zu den mündlichen Äußerungen der Vertragsparteien anlässlich der Vertragsverhandlungen (Seite 4 des vorgenannten Schriftsatzes) beschränkt sich auf ein Bestreiten der vom Beklagten zu 2) aufgestellten Behauptungen. Äußerungen der Parteien, aus denen auf einen vom Wortlaut der Urkunde abweichenden übereinstimmenden Willen beider Vertragspartner geschlossen werden könnte, enthält der Vortrag der Klägerin aber nicht.

bb) Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichtes nicht, dass die beiden Schreiben des Beklagten zu 2) vom 1. November 2001 und 23. Februar 2002 der Annahme einer Zeitbürgschaft entgegenstehen. Da eine Willenserklärung mit dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens ihren grundsätzlich unveränderlichen Erklärungswert erhält, kann späteres Verhalten der Parteien lediglich als Indiz für die Auslegung von Bedeutung sein; es kann Anhaltspunkte für den tatsächlichen Vertragswillen enthalten (BGH, MDR 1998, 113). Je klarer aber der Wortlaut des Vertrages ist, desto überzeugungskräftiger muss das Indiz sein, um eine vom Wortlaut abweichende Auslegung zu rechtfertigen.

Aus den beiden vorgenannten Schreiben des Beklagten zu 2) kann - wenn überhaupt - allenfalls entnommen werden, wie dieser seine eigene Willenserklärung gemeint haben kann. Hierauf kommt es aber nicht an. Für die Auslegung einer empfangsbedürftigen Willenserklärung ist nach §§ 133, 157 BGB vielmehr das Verständnis des Erklärungsempfängers, hier der Klägerin, maßgeblich. Späteres Verhalten der Klägerin oder der von dieser beauftragten Hausverwaltungen (§ 278 BGB), aus dem indiziell darauf geschlossen werden könnte, dass diese die Bürgschaftserklärung - entgegen ihrem Wortlaut - im Sinne einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft verstanden haben, ist dem klägerischen Vortrag nicht zu entnehmen. Vielmehr spricht das vorprozessuale Verlangen der Hausverwaltung, der Beklagte zu 2) möge auch die Mieten für die Monate September bis November 2001 in Höhe von zusammen 21.038,16 DM begleichen, für die gegenteilige Annahme. Dies insbesondere auch deshalb, weil in dem eine erneute Zahlungsaufforderung enthaltenden Schreiben der Hausverwaltung "C Management" vom 30. Januar 2002 im Betreff ausdrücklich auf die streitgegenständliche Bürgschaft Bezug genommen wird.

Kann aber nicht festgestellt werden, dass die Klägerin selbst die Bürgschaftserklärung als eine gegenständlich beschränkte verstanden hat, so kann diese - entsprechend ihrem Wortlaut - nur als Zeitbürgschaft verstanden werden.

cc) Auch der Grundsatz einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis. Da die Bürgschaft in einem Individualvertrag vereinbart worden ist, hat die Auslegung darauf abzustellen, wie jeder Vertragspartner den objektiven Wert der Erklärung des anderen Teils nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste (§ 157 BGB; BGH, NJW 1997, 2233). Angesichts des eindeutigen Wortlautes der Erklärung und angesichts der Tatsache, dass diese Erklärung von der Hausverwaltung der Klägerin verfasst und dem Beklagten zu 2) lediglich zur Unterschriftsleistung vorgelegt wurde, verstößt es weder gegen Treu und Glauben noch gegen die Interessenlage der Klägerin, wenn bei der Auslegung maßgeblich auf den Wortlaut der Erklärung abgestellt wird.

B Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten zu 2) in Höhe von 19.486,38 € für die zeit bis August 2001 ergibt sich auch nicht aus den §§ 991 Abs. 1, 990 Abs. 1 S. 2, 987 BGB. Da das Hauptmietverhältnis der Klägerin mit dem Beklagten zu 1) bis Ende November 2001 bestand, kann diese von dem Beklagten zu 2) keine Nutzungsentschädigung nach den Vorschriften über das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis beanspruchen (vgl. Palandt-Bassenge, BGB, 63. Auflage, vor § 987 BGB, Rn. 15).

Die Revision war nicht zuzulassen, da weder die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Absatz 1 Nr.1, Absatz 2 ZPO n. F.).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Absatz 1, 97 Absatz 1, 100 Absätze 1,2 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

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