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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 28.06.2004
Aktenzeichen: 12 U 89/03
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 9 Abs. 1 Satz 2
Den nach rechts abbiegenden Verkehrsteilnehmer, der sich - entgegen der Regel des § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO - nicht möglichst weit rechts eingeordnet hatte und links neben einen weiteren Rechtsabbieger fährt, trifft gegenüber diesem eine erhöhte Sorgfaltspflicht; er muss den vorschriftsmäßig eingeordneten Rechtsabbieger sorgfältig beobachten, darf ihn nicht behindern, in Bedrängnis bringen oder gefährden und muss ihm notfalls den Vortritt lassen.
Kammergericht Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 89/03

verkündet am: 28. Juni 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, den Richter am Kammergericht Hinze und die Richterin am Kammergericht Zillmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 26. Februar 2003 verkündete Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin - 24 O 19/02 - teilweise abgeändert:

Das Versäumnisurteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin vom 31. Mai 2002 wird aufrechterhalten.

Die Kläger haben die weiteren Kosten des ersten Rechtszuges sowie die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

1. Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg und führt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts vom 26. Februar 2003, zur Wiederherstellung des klagabweisenden Versäumnisurteils des Landgerichts vom 31. Mai 2002.

a. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist das Urteil des Landgerichts allerdings nicht verfahrensfehlerhaft ergangen.

Zwar haben die Kläger ihren fristgerechten Einspruch gegen das klagabweisende Versäum-nisurteil vom 31. Mai 2002 nicht in der Einspruchsschrift und auch nicht in der Frist des § 339 Abs. 1 ZPO begründet. Die Begründung, insbesondere das erhebliche Vorbringen zur Aktiv-legitimation, erfolgte vielmehr erst mit Schriftsatz vom 22. Juli 2002, ohne, dass eine Frist-verlängerung beantragt worden wäre. Entgegen der Annahme der Beklagten führt die fehlende Begründung des Einspruchs jedoch nicht zu dessen Unzulässigkeit, so dass das Landgericht auch nicht gehalten war, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen. Die Begründung des Einspruchs ist entgegen des insoweit missverständlichen Wortlautes des § 340 Abs. 3 ZPO nicht notwendiger Inhalt der Einspruchsschrift (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 24. Aufl., § 340 ZPO, Rn. 7).

Der Ablauf der Frist hat (nur) die Wirkung des § 296 Abs. 1 ZPO, so dass es allein auf die Frage ankommt, ob die Zulassung des verspäteten Vorbringens den Rechtsstreit verzögert hätte. Ob dies der Fall war kann jedoch dahinstehen, da das Urteil jedenfalls in der Sache keinen Bestand haben kann.

b. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Ersatz des nach ihrer Behauptung bei dem Verkehrs-unfall vom 6. Dezember 2000 an dem Fahrzeug Mercedes Benz Sprinter nnnnnn entstandenen Schaden (§§ 7, 17, 18 StVG, § 823 BGB, § 3 Pflichtversicherungsgesetz).

Der Unfall stellte für den Fahrer des Lkw des Beklagten zu 2. zwar kein unabwendbares Ereignis gemäß § 7 Abs. 2 StVG a. F. dar. Das Ausmaß des Verursachungsanteils und des Verschuldens des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs führt jedoch, auch unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr, dazu, dass der an dem klägerischen Fahrzeug entstandene Schaden durch die Beklagten nicht zu ersetzen ist (§ 17 Abs. 1 StVG a. F. ).

aa. Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Fahrer des Lkw des Beklagten zu 2. einen sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel im Sinne von § 7 Abs. 5 StVO vorgenommen hatte und die diesbezüglichen Grundsätze, insbesondere der Beweis des ersten Anscheins gegen den Fahrstreifenwechsler, zum Tragen kommen.

Ein Fahrstreifenwechsel noch auf der Autobahnausfahrt ist weder der polizeilichen Unfall-aufnahme, noch dem Vorbringen der Parteien oder den Zeugenaussagen zu entnehmen.

Die Weiterfahrt in einem anderen als dem bisher befahrenen Fahrstreifen nach dem Abbiegen stellt grundsätzlich keinen Fahrstreifenwechsel dar (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 7 StVO Rn 16, § 5 Rn 67). Die Fahrstreifen der bisher befahrenen Straße enden an der Kreuzungseinmündung, sofern sie nicht durch Markierungen in die neue Straße weitergeführt werden (BayObLG bei Janiszewski, NStZ 1988, 121). Dass die Fahrstreifen der Autobahnausfahrt nicht durch Markierungen in die Buschkrugallee weitergeführt wurden, ist zwischen den Parteien unstreitig und ergibt sich auch aus der Skizze der polizeilichen Unfallaufnahme. Der Rechts- (oder Links-) Abbieger, der sich noch nicht auf dem rechten (bzw. linken) Fahrstreifen der neuen Straße eingeordnet hat sondern diesen lediglich überquert, um sich im nächsten Fahrstreifen der neuen Straße einzuordnen, nimmt deshalb keinen Fahrstreifenwechsel vor (vgl. hierzu BayObLG, DAR 1980, 277; Haarmann in DAR 1987, 139). Dies gilt insbesondere, wenn sich der Unfallgegner, hier der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, noch nicht im Fahrstreifen der neuen Straße eingeordnet hatte und damit noch nicht zum fließenden Verkehr gehörte (Senat, Urteile vom 13. Juni 1996 - 12 U 2594/95 - und vom 17. Dezember 1990 - 12 U 960/90 -). Im Streitfall befanden sich beide Fahrzeuge noch im Abbiegevorgang, als der Zusammenstoß erfolgte.

bb. Für den streitgegenständlichen Unfall gelten vielmehr, wie die Berufung zutreffend hervorhebt, die Grundsätze über das paarweise Rechtsabbiegen. Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO hat sich der Rechtsabbieger möglichst weit rechts einzuordnen. Auch wenn paarweises Rechtsabbiegen möglich und zulässig ist, trifft den Verkehrsteilnehmer, der sich entgegen der genannten Vorschrift nicht möglichst weit rechts eingeordnet hatte, eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Er darf den äußerst rechts Abbiegenden nicht einengen oder behindern und muss ihm notfalls den Vortritt lassen (Hentschel, a. a. O., § 9 StVO, Rn 27; Senat a. a. O. sowie KG, Urteil vom 18. Dezember 2003 - 22 U 3/03 - ).

Der Vorrang des äußerst rechts Eingeordneten gilt auch unabhängig davon, ob der links neben ihm Abbiegende möglicherweise schneller in die Kreuzungseinmündung einfährt (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 13. Juni 1996 - 12 U 2594/95 - ).

Es kommt mithin nicht darauf an, welches der beiden an dem Unfall beteiligten Fahrzeuge die Kreuzung zuerst erreicht hatte, sondern allein darauf, dass sich der Fahrer des Lkw des Beklagten zu 2. auf der äußerst rechten Spur zum Abbiegen eingeordnet hatte. Der Fahrer des so eingeordneten Lkw hatte zudem die Wahl, in welchen der Fahrstreifen der neuen Straße er einfahren wollte (vgl. hierzu Senat, Urteile vom 13. Juni 1996 - 12 U 2594/95 - und vom 17. Dezember 1990 - 12 U 960/90 - ). Nach alledem hätte der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs den Lkw sorgfältig beobachten und im Hinblick auf dessen Größe auch damit rechnen müssen, dass dieser auch in die mittlere Spur der Buschkrugallee einfahren würde.

Soweit sich aus den Aussagen der Zeugen nnn und nnn die Behauptung ergab, sie seien mit ihrem Fahrzeug zuerst in die Kreuzung eingefahren, nachdem sie den Lkw an der Ampel überholt hatten, welcher sodann so plötzlich herangefahren sei, dass sie diesem nicht mehr hätten ausweichen können, hält der Senat dieses Vorbringen für nicht überzeugend (§ 286 ZPO). Wäre der Sprinter zuerst in die Kreuzung eingefahren, so hätte er diese zu dem Zeitpunkt, als der wesentlich größere und demnach in der Anfahrt auch langsamere Lkw die Kreuzung erreicht hatte, längst wider verlassen. Hierauf kommt es jedoch nach den obigen Ausführungen nicht einmal an.

cc. An der Geltung der Regeln zum paarweisen Rechtsabbiegen ändert sich schließlich auch dadurch nichts, dass sämtliche Spuren der Autobahnausfahrt mit Pfeilen des Zeichens 297 des § 41 Abs. 3 Nr. 5 StVO versehen waren, wobei die Spur des Lkw des Beklagten zu 2. einen Rechtsabbiegerpfeil und die mittlere Abbiegespur, auf welcher der Mercedes Sprinter fuhr, einen Links- und Rechtsabbiegepfeil aufwiesen.

Die entsprechenden Zeichen stellen, soweit sich zwischen ihnen keine Fahrstreifenbegrenzungen (Zeichen 295) oder Leitlinien (Zeichen 340) befinden, lediglich eine Empfehlung dar, sich frühzeitig einzuordnen. Sind - wie im Streitfall - Leitlinien oder Begrenzungen vorhanden, folgt daraus zwar ein Gebot über die künftige Fahrtrichtung auf der folgenden Kreuzung oder Einmündung, so dass ein Weiterfahren entgegen der durch die Pfeile vorgeschriebenen Richtung nicht zulässig ist.

Keine Aussage treffen diese reinen Verkehrslenkungsmittel (vgl. Verwaltungsvorschriften zu Zeichen 297 § 41 Abs. 3 StVO in Hentschel, a. a. O., S. 819) jedoch zum Vorrang oder über zu beachtende Sorgfaltspflichten der Verkehrsteilnehmer. Einen Einfluss auf die Grundregel des § 9 Abs. 1 Satz 2 StVO hat das Vorhandensein von Pfeilen auf der Fahrbahn, auch wenn durch diese die Richtung der Weiterfahrt auf der Kreuzung vorgeschrieben wird, deshalb nicht.

Etwas anderes könnte möglicherweise gelten, wenn die Spuren der bisherigen Fahrstreifen über die Kreuzung hinaus durch Markierungen in die neue Fahrbahn weitergeleitet werden (so bereits Senat, Urteil vom 13. Juni 1996, a. a. O.) Dies war hier jedoch, wie bereits oben dargelegt, nicht der Fall.

2. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.



Ende der Entscheidung

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