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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 12.06.2006
Aktenzeichen: 12 U 93/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 513
ZPO § 529
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
Korrigiert ein Zeuge seine am Unfalltag gegenüber einem Polizeibeamten telefonisch abgegebene Erklärung zur Ampelschaltung bereits 9 Tage nach dem Unfall schriftlich dahin, dass er nach sorgfältiger Überlegung nicht sagen könne, dass er die Ampel tatsächlich beobachtet habe, ohne dass ein Eigeninteresse des Zeuge erkennbar ist, so ist es nicht rechtsfehlerhaft, die korrigierte Aussage der Entscheidung zu Grunde zu legen.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 93/06

In Sachen

hat der 12. Zivilsenat durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, die Richterin am Kammergericht Zillmann sowie den Richter am Kammergericht Spiegel am 12. Juni 2006

beschlossen:

Tenor:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs.2 ZPO).

2. Die Klägerinnen erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen.

Gründe:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet werden.

Nach § 513 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrundezulegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist nicht der Fall.

1. Nach § 529 Abs.1 Nr.1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrundezulegen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

a) Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (so Senat, Urteil vom 11. März 2004 - 12 U 285/02 - DAR 2004, 387 = VRS 106, 443 = KGR 2004, 282 = NZV 2004, 632; Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 U 184/02 - KGR 2004, 269; vgl. dazu allgemein BGH, Urteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03 - NJW 2005, 1583).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise gesetzliche Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. So darf er beispielsweise einer Partei mehr glauben als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung feststellen (vgl. Zöller/ Greger, ZPO, 25. Aufl., § 286 Rdnr.13).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und Beweismittel ausführlich einzugehen; es genügt, dass nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl. 2006, § 286 Rdnr.3,5; Senat, Urteil vom 12. Januar 2004 - 12 U 211/02 - DAR 2004, 223 = KGR 2004, 291 = VRS 106, 189 = VersR 2004, 799 L).

Da sich das Landgericht an diese Regeln gehalten hat, ist seine Beweiswürdigung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

b) Der Senat hat auch keine Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellungen, sondern folgt der Beweiswürdigung des Landgerichts auch inhaltlich.

Entgegen der Auffassung der Klägerinnen auf S. 2 der Berufungsbegründung ist nicht stets maßgeblich die zeitlich nächste Erklärung eines Zeugen.

Es gibt nämlich keine Beweisregel, die den Richter zwingt, die zeitlich nächste Erklärung eines Zeugen für allein maßgeblich und überzeugend zu halten, wenn der Zeuge diese Erklärung neun Tage nach dem Geschehen zurückzieht und dies nachvollziehbar erklärt.

So liegt der Fall hier: Der Zeuge Lnn hat vor dem Landgericht am 20. Februar 2006 erklärt, er könne nicht sagen, ob seine erste Äußerung nach dem Unfall (24. April 2005), der Fahrer des Porsche der Klägerin sei bei Grünlicht in die Kreuzung eingefahren, auf einer tatsächlichen Beobachtung beruhte und er könne auch die Farbschaltung der Ampel nicht angeben. Bereits am 12. Mai 2005 hatte er eine entsprechende Erklärung ("nachdem er jedoch noch einmal genau überlegt habe, sei ihm bewußt geworden, dass er die Signalgebung der Ampel gar nicht beobachtet habe. Er könne, wie auch schon schriftlich geäußert, dazu keine präzisen Angaben machen.") telefonisch gegenüber dem Polizeibeamten Schnn abgegeben (Vermerk Bl.18 der Akten 134 PLs 2227/05 Ve der Amtsanwaltschaft Berlin); zuvor hatte er am 3. Mai 2005 (neun Tage nach dem Unfall am 24. April 2005) gegenüber der Polizeibehörde schriftlich erklärt "zur Ampelschaltung kann ich keine präzisen Angaben machen..." (Beiakten Bl. 16).

Zwar ist es möglich, dass - wie die Klägerinnen auf S.2 der Berufungsbegründung ausführen - die Erinnerung des Zeugen in der Zeit zwischen dem Unfall am 24. April und seiner schriftlichen Erklärung am 3. Mai 2005 verblaßt sein kann. Diese Möglichkeit ist jedoch keine sichere Tatsache.

Wäre die Erinnerung des Zeugen verblaßt, wäre auch zu erwarten gewesen, dass der Zeuge dies selbst so erklärt und konsequenter Weise seine ersten Angaben vom Unfalltage als richtig bezeichnet. Dies hat der Zeuge Lnn jedoch nicht getan, obwohl es für ihn die einfachste Verhaltensweise gewesen wäre. Im Gegenteil hat er selbst bezweifelt, dass er die Ampelschaltung am Unfalltag tatsächlich wahrgenommen hat, und zwar bereits in seiner schriftlichen Erklärung gegenüber der Polizei neun Tage nach dem Unfall. Dieses Verhalten spricht eher für das Bemühen des Zeugen um Ehrlichkeit, zumal die andere Verhaltensweise einfacher gewesen wäre und Beziehungen zu einer der Parteien nicht erkennbar sind.

Die Klägerinnen können sich auch nicht auf die vom Landgericht auf S.6 des angefochtenen Urteils zutreffend angesprochene Rechtsprechung berufen, nach der die ersten, am Unfallort geäußerten Angaben von Unfallbeteiligten zum Unfallhergang eher den Tatsachen entsprechen als Aussagen, die erst mehrere Monate oder Jahre später - möglicherweise nach Beratung - zum Unfallgeschehen gemacht wurden (vgl. Senat, Urteile vom 5. Februar 2004 - 12 U 165/02 - KGR 2004, 358 = VRS 106, 356 = NZV 2004, 526; vom 15. November 2004 - 12 U 305/04 - VM 2005, 22 Nr.18). Hintergrund dieser Rechtsprechung ist die Erfahrung, dass vom Unfall betroffene Personen dazu neigen können, ihre Darstellung später zu ihren Gunsten zu verschieben, weil dies für sie vorteilhaft ist.

Im Streitfall war der Zeuge Lnn jedoch nicht vom Unfall betroffen. Ein eigenes Interesse, später eine andere Darstellung abzugeben als am Unfalltage ist nicht erkennbar. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Äußerungen des Zeugen am 3. Mai 2005 und danach von dem Bemühen um Ehrlichkeit getragen sind.

Im Ergebnis folgt der Senat daher der Beweiswürdigung des Landgerichts.

2. Im Übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Es wird angeregt, die Rücknahme der Berufung zu erwägen.

Ende der Entscheidung

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