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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 27.12.2006
Aktenzeichen: 12 U 94/06
Rechtsgebiete: ZPO, StVO


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 513 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 522 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 529
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1
StVO § 10
Das Einfahren aus einem Parkbereich auf einem Mittelstreifen ist erst dann abgeschlossen, wenn sich der Einfahrende endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat und jede Einflussnahme des Anfahrvorgangs auf das weitere Verkehrsgeschehen ausgeschlossen ist (vgl. OLG Köln VersR 1986, 666). Auf eine konkrete Fahrstrecke zwischen Anfahren und Kollision kommt es nicht zwingend entscheidend an. Berufung zurückgewiesen durch Beschluss vom 14. Januar 2007.
Kammergericht

Beschluss

Geschäftsnummer: 12 U 94/06

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, den Richter am Kammergericht Dr. Wimmer und die Richterin am Kammergericht Zillmann am 27. Dezember 2007 beschlossen:

Tenor:

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Berufungskläger erhält gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO Gelegenheit, hierzu binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe:

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg, die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern keine Entscheidung des Berufungsgerichts, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist nicht der Fall.

1. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen.

a. Dies ist nicht der Fall, wenn sich das Gericht des ersten Rechtszuges bei der Tatsachenfeststellung an die Grundsätze der freien Beweiswürdigung des § 286 ZPO gehalten hat und das Berufungsgericht keinen Anlass sieht, vom Ergebnis der Beweiswürdigung abzuweichen (siehe Senat, Urteil vom 11. März 2004 - 12 U 285/02 - DAR 2004, 387; NZV 2004, 632; Urteil vom 8. Januar 2004 - 12 UU 184/02 - KGR 2004, 269, vgl. auch BGH, Urteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03 - NJW 2005, 1583).

§ 286 ZPO fordert den Richter auf, nach seiner freien Überzeugung zu entscheiden. Das bedeutet, dass er lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze und ausnahmsweise Beweisregeln gebunden ist, ansonsten aber die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten darf. Dabei darf er insbesondere auch einer Partei mehr glauben, als einem Zeugen, auch wenn dieser beeidet wurde, oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil der Beweisbehauptung feststellen, sofern dies nach der aus den übrigen Beweismitteln bzw. dem Akteninhalt gewonnenen Erkenntnisse seiner Überzeugung entspricht (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 286 Rn 13).

Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht nachvollziehbar im Urteil darzulegen. Dabei ist es nicht erforderlich, auf jedes einzelne Parteivorbringen und alle Beweismittel ausführlich einzugehen, es genügt, wenn nach der Gesamtheit der Gründe eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 286 Rn 3; Senat, Urteil vom 12. Januar 2004 - 12 U 211/02 - DAR 2004, 223 = KGR 2004, 291).

b. An diese Grundsätze der freien Beweiswürdigung hat sich das Landgericht in dem angefochtenen Urteil gehalten.

Es hat auf den Seiten 5 bis 10 der Urteilsabschrift die Aussagen der vernommenen Zeugen ausführlich gewürdigt und dargelegt, weshalb es auf Grund dieser Zeugenaussagen die Überzeugung gewonnen hat, dass der streitgegenständliche Verkehrsunfall in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Ausparkmanöver des Zeugen Pnnnn stand und damit nach § 10 StVO zu beurteilen war.

Das Landgericht hat dabei vor allem dargelegt, dass und weshalb es der Aussage des den ausparkenden Wagen steuernden Zeugen Prochilo entnommen hat, dass das Fahrzeug vor dem Unfall nicht bereits eine Entfernung von ca. 150 m zurückgelegt hatte und sich deshalb noch nicht wieder soweit in den fließenden Verkehr eingereiht hatte, dass der Anfahrvorgang bereits beendet gewesen sei. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

c. Der Senat folgt der Würdigung des Landgerichts bezüglich dieser und der weiteren Zeugenaussagen auch in der Sache.

Die Angriffe der Berufung hinsichtlich der Frage, wo das von dem Zeugen P........gesteuerte Fahrzeug im Verhältnis zum späteren Unfallort geparkt gewesen sei und ob das Landgericht die Zählweise der Hausnummern am Kurfürstendamm nicht zutreffend wiedergegeben habe, sind nicht erfolgreich.

Soweit die Berufung den Aussagen der Zeugen insoweit etwas anderes entnehmen will, als das Landgericht und hierfür anführt, die von der Polizei angefertigte Unfallskizze sei im Verhältnis der Lage des Unfallortes zu den Hausnummern nicht maßstabsgerecht, ändert dies an der rechtlichen Bewertung bereits deshalb nichts, weil der Zeuge P...... in seiner Aussage ausdrücklich zweimal darauf hingewiesen hatte, das sich der Unfall unmittelbar nach dem Vorgang des Rückwärtsausparkens ereignet hatte.

So führte er aus (Seite 3 des Protokolls vom 22.3.2006):

"Bis zum Anstoß waren wir schon etwa 100 bis 150 m gefahren, ich war der Fahrer und das Tempo lag vielleicht weil 20 bis 30 km/h, ganz am Anfang, weil wir ja gerade erst losgefahren waren."

Soweit dem Zeugen sodann vorgehalten wurde, dass er bis zum Unfall vielleicht noch nicht 100 m gefahren sein könne, sagte er dazu:

"...so kann die Strecke auch kürzer gewesen sein, vielleicht 40 m, vielleicht auch 10 oder 30 m, wir waren ja gerade erst angefahren."

Auch aus den Aussagen der Zeugen Innnn und Bn ergibt sich, dass das von dem Zeugen P...... gesteuert Fahrzeug noch nicht weit gefahren war, als der Unfall geschah. Das Landgericht ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, dass gegen den Zeugen Pnnnn der Beweis des ersten Anscheins für dessen Verschulden an dem Unfall spricht.

2. Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht erschüttern können, da ihm nicht der Nachweis gelungen ist, entgegen dem ersten Anschein sei der Verkehrsunfall nicht durch das Ausparkmanöver des Zeugen Pnnnn sondern ein Verschulden des Beklagten zu 2. verursacht worden.

Soweit der Kläger mit der Berufung schließlich meint, allein daraus, dass der Zeuge Pn zum Zeitpunkt des Unfalls nicht mehr rückwärts, sondern nach dem Ausparken bereits vorwärts gefahren sei ergebe sich, dass nicht dieser, sondern der Beklagte zu 2. den Unfall verursacht habe, überzeugt dies nicht.

Auch wenn der Zeuge Pnnnn nach dem rückwärts Ausparken bereits im Anfahren war, so befand er sich damit noch im Anfahren im Sinne von § 10 StVO und hatte diesen Vorgang noch nicht abgeschlossen, sich mithin noch nicht in den fließenden Verkehr eingeordnet. Dies ist erst dann der Fall, wenn sich der Anfahrende endgültig in den fließenden Verkehr eingeordnet hat und jede Einflussnahme des Anfahrvorgangs auf das weitere Verkehrsgeschehen ausgeschlossen ist (vgl. OLG Köln, Urteil vom 4. Februar 1986 - 22 U 159/85 - VersR 1986, 666). Eine Strecke von 10 - 15 m zwischen Anfahren und Kollision wahrt den räumlichen und zeitlichen Zusammenhang (OLG Köln, a. a. O.; Senat, Urteil vom 11. März 2004 - 12 U 285/02 - KGR 2004, 382 = DAR 2004, 387).

Dass der Zeuge Pnnnn bereits eine derart weite Strecke bzw. einen derart langen Zeitraum vorwärts in Richtung fließenden Verkehr gefahren sei, dass ein Zusammenhang zwischen Anfahren und Unfall ausgeschlossen ist, hat das Landgericht den Zeugenaussagen zu Recht nicht zu entnehmen vermocht.

3. Nach alledem wird anheimgestellt, die weitere Durchführung der Berufung zu überdenken.

Ende der Entscheidung

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