Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Urteil verkündet am 11.07.2002
Aktenzeichen: 12 U 9923/00
Rechtsgebiete: DÜG, StVG, BGB, StVO, ZPO, EGZPO


Vorschriften:

DÜG § 1
StVG § 7 Abs. 2
StVG § 9
StVG § 17
StVG § 18
BGB § 254
BGB § 823
StVO § 1 Abs. 2
StVO § 3 Abs. 1
StVO § 4
StVO § 4 Abs. 1 Satz 1
StVO § 4 Abs. 1 Satz 2
StVO § 9 Abs. 1
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 713
EGZPO § 26 Nr. 8
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Im Namen des Volkes

Geschäftsnummer: 12 U 9923/00

Verkündet am: 11. Juli 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, den Richter am Kammergericht Hinze und den Richter am Amtsgericht Dr. Wimmer auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juli 2002 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 15. September 2000 verkündete Urteil des Landgerichts Berlin - 24.O.628/99 - abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.530,88 EUR (= 4.948,98 DM) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 9. Juni 1998 (BGBl. I S. 1242) seit dem 5. April 2000 zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben der Kläger 2/3 und die Beklagten 1/3 zu tragen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist in vollem Umfang begründet und führt zur beantragten Abänderung des angefochtenen Urteils.

A. Eine über eine Quote von einem Drittel hinausgehende Haftung der Beklagten für Schäden des Klägers aus dem Unfall vom 17. Mai 1999 ist nicht gerechtfertigt.

I. 1) War - wie hier - ein Unfall für keinen der Beteiligten ein unvermeidbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG, bestimmt sich die Haftung nach den beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteilen, §§ 17,18, 9 StVG i.V.m. §§ 823, 254 BGB. Hierbei werden allerdings nur Umstände berücksichtigt, die sich tatsächlich unfallursächlich ausgewirkt haben.

2) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß grundsätzlich derjenige voll haftender Schäden dadurch verursacht, daß er mit seinem Fahrzeug auf ein vor ihm fahrendes Fahrzeug auffährt: Ihn trifft der Vorwurf, entweder zu schnell, mit zu geringem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren zu sein (gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1, 1 Abs. 2 StVO). Diese Haftung kann durch ein Mitverschulden des Vorausfahrenden gemindert werden, wobei - wie das Landgericht gleichfalls zutreffend dargestellt hat - die Höhe der Mithaftung in Einzelfall davon abhängt, durch welchen Verkehrsverstoß er zum Unfall beigetragen hat und wie dieser Verstoß im Verhältnis zu demjenigen des Auffahrenden zu bewerten ist. Bei einem unverhofft starken Bremsen des Vorausfahrenden ohne zwingenden Grund überwiegt aber in der Regel der Haftungsanteil des Auffahrenden (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 4 StVO, Rn. 17 m.w.N.).

II. Die Bewertung der Haftungsanteile ergibt im vorliegenden Fall, daß entgegen der Auffassung des Landgerichts die Verkehrsverstöße beider Parteien nicht gleich wiegen, sondern daß derjenige des Klägers doppelt so hoch ist wie der der Beklagten mit der Folge, daß er nur ein Drittel seiner Schäden ersetzt verlangen kann.

1) Der Beklagten zu 2) ist anzulasten, daß sie entgegen § 9 Abs. 1 StVO ihre Absicht, aus der G Allee nach links in die B Straße einzubiegen, nicht durch rechtzeitiges Betätigen des Blinkers angezeigt hat. In der Berufungsbegründung haben die Beklagten eingeräumt, es sei nicht gelungen, zu beweisen, daß die Beklagte zu 2) vor dem Anhalten den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt habe (Bl. 103 d.A.).

Ferner haben die Beklagten eine "heftigere" Bremsung zugestanden (Bl. 103 d.A.). Dieses findet eine Bestätigung in den Aussagen der Zeugin, die als Beifahrerin im Beklagtenfahrzeug saß und die bekundet hat, die Beklagte zu 2) habe "ziemlich heftig gebremst" (Bl. 74 d.A.). Der im Klägerfahrzeug mitfahrende Zeuge hat davon berichtet, das Beklagtenfahrzeug habe "plötzlich" eine Vollbremsung eingeleitet (Bl. 72 d.A.; dem entspricht seine Angabe vor der Polizei, Bl. 10 R der BA); die obergerichtliche Rechtsprechung qualifiziert "plötzliches" Abbremsen dann als "starkes" Abbremsen i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO, wenn es deutlich über das Maß des "normalen" Bremsvorganges hinausgeht (vgl. Senat, NZV 1993, 478, 479). Das war hier der Fall.

Damit hat die Beklagte zu 2) für den nachfolgenden Verkehr eine gefährliche Situation geschaffen, weil dieser mangels rechtzeitigen Blinksignals keine konkrete Veranlassung hatte, sich auf das Bremsmanöver ihres vorausfahrenden Fahrzeuges einzustellen. Ein zwingender Grund zum starken Bremsen i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 StVO bestand nicht (Abbiegeabsicht genügt ebensowenig wie eine plötzlich erkannte Parklücke oder eine zu spät erkannter Taxifahrgast, Hentschel, a.a.O., § 4 StVO, Rn. 11).

2) Der Verschuldens- und Verursachungsanteil des Klägers überwiegt jedoch dieses unfallursächliche Fehlverhalten der Beklagten zu 2).

a) § 4 Abs. 1 StVO verlangt, den Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so zu bemessen, daß auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Ein nachfolgender Fahrer muß damit rechnen, daß der Vorausfahrende sein Fahrzeug aus Gründen, die dieser nicht zu vertreten hat (etwa Fehler anderer Verkehrsteilnehmer, Hindernisse auf der Fahrbahn), plötzlich zum Stillstand bringt. Dies fordert von ihm besondere Aufmerksamkeit, um auch zufällige Gefahren unfallvermeidend abwenden zu können. Diese Handlungspflicht wiegt schwerer als starkes Bremsen ohne zureichenden Grund.

Treffen starkes Bremsen ohne zwingenden Grund und unzureichender Sicherheitsabstand zusammen, so fällt nach der Rechtsprechung der beiden Verkehrssenate des Kammergerichts der zu geringe Sicherheitsabstand grundsätzlich stärker - doppelt so hoch - ins Gewicht. Dies führt dazu, daß der Auffahrende dem Vorausfahrenden den Schaden in der Regel nach einer Quote von 2/3 zu ersetzen hat (KG DAR 1975, 324 = VersR 1976, 370; DAR 1976, 16 = VerkMitt 1976, 60; VerkMitt 1982, 88; 1983, 13; NZV 1993, 478 = VerkMitt 1993, 93 = VRS 86, 24; Senat, Urteile vom 13. Mai 1996 - 12 U 2995/95 - und vom 10. Januar 2000 - 12 U 4698/98 -; ebenso OLG Koblenz VerkMitt 1992, 92; OLG Düsseldorf VersR 1978, 331); der Abbremsende haftet also für den Frontschaden des Nachfolgenden zu 1/3. In derartigen Fällen kann wegen besonderer Umstände die Mithaftung des Abbremsenden auch nur zu einer Quote zu 1/4 in Betracht kommen (KG NZV 1993, 478 = VerkMitt 1993,93 = VRS 86, 24; ebenso OLG Hamm NZV 1993, 435). Eine ungünstige Mithaftungsquote zu Lasten des Abbremsenden ist dann denkbar, wenn der Auffahrende mit einem Abbremsen nicht rechnen mußte, weil er den Verkehrsraum vor dem vorausfahrenden Verkehrsteilnehmer überschauen konnte. Wenn beispielsweise der Vorausfahrende bei grünem Ampellicht anfährt und unmittelbar im Anschluß daran plötzlich und ohne jeden Grund stark abbremst, kommt je nach der Einzelfallgestaltung die Mithaftung des Abbremsenden nach einer Quote von 1/2 (vgl. KG VerkMitt 1982, 88), aber auch dessen volle Haftung in Betracht (KG VerkMitt 1993, 27 sowie Urteil vom 30. März 1995 - 12 U 5941/93 -).

b) Der Kläger hat den hiernach erforderlichen Sicherheitsabstand zum Fahrzeug der Beklagten nicht eingehalten, denn es ist ihm nicht gelungen, seinen Wagen nach dem Bremsmanöver der Beklagten zu 2) noch rechtzeitig vor Kollision mit diesem zum Stillstand zu bringen. Dies indiziert einen zu geringen Abstand. Gründe, warum ausnahmsweise der von ihm nur gewahrte geringere Abstand gerechtfertigt gewesen sein könnte, hat er nicht vorgetragen.

Damit muß er sich den größeren Teil der Unfallverursachung und den größeren Verschuldensanteil anrechnen lassen, nach Bewertung des Senats zwei Drittel. Er kann also nur ein Drittel seines Schadens verlangen.

c) Diese Bewertung entspricht im übrigen derjenigen des Haftpflichtversicherers des Klägers.

Aus dem Urteil des Amtsgerichts Mitte im Urteil vom 14. März 2002 - 108 C 427/99 - (Bl. 117 d.A.), das der Kläger selbst zur Akte gereicht hat, ergibt sich, daß sein Haftpflichtversicherer den hiesigen Beklagten zu 3) wegen des Unfalls dem Grunde nach einer Quote von drei Viertel entschädigt hat (S. 3 des Urteils), also eine Haftung des hiesigen Klägers in diesem Umfang eingeräumt hat.

Soweit das Amtsgericht in dem Urteil - beiläufig auf Seite 8 - bemerkt hat, nach seiner Bewertung träfe die hiesigen Beklagten ein Mitverschulden zu drei Vierteln, betrifft das den Ausgang des hiesigen Rechtsstreits nicht und steht nicht im Einklang mit den vorstehend dargestellten Grundsätzen der obergerichtlichen Rechtsprechung.

B. Einen Zinsschaden von 10,5 % hat der Kläger auch nach entsprechender Rüge in der Berufungsbegründung nicht dargelegt, so daß er - abweichend vom Urteil des Landgerichts - nur Zinsen in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes (§ 288 Abs. 1 BGB a.F.) verlangen kann.

C. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO n.F.).

D. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück