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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 10.01.2007
Aktenzeichen: 12 W 61/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 839 a
BGB § 270
ZPO § 404a Abs. 1
Gelangt der Sachverständige allein aufgrund des Schadensbildes der ihm vorliegenden Fotos - ohne mögliche Gegenüberstellung der unfallbeteiligten Fahrzeuge - zu dem Ergebnis, es lasse sich nicht feststellen, welches Fahrzeug den Fahrstreifen gewechselt habe, und billigt das auftraggebende Gericht diese Vorgehensweise, so handelt er nicht grob fahrlässig im Sinne des § 839 a BGB, wenn er eine Gegenüberstellung der Fahrzeuge unterlässt.
Kammergericht

Beschluss

Geschäftsnummer: 12 W 61/06

10.01.2007

In dem Rechtsstreit

hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts am 10. Januar 2007 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 19. Oktober 2006 - 34 O 423/06 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller kollidierte am 5. Mai 2000 mit seinem PKW Honda Accord auf dem Großen Stern in Berlin-Tiergarten mit dem von Pnn Snnnn geführten PKW Opel (EF-n nn ). Mit der Behauptung, die Kollision sei auf einen Fahrspurwechsel des Unfallgegners zurückzuführen, hat der Antragsteller erfolglos Ansprüche aus dem Unfall vor dem AG Mitte geltend gemacht (110 C 3278/00 AG Mitte). Auf seine Berufung hat das Landgericht Berlin am 26. September 2002 beschlossen, ein Unfallrekonstruktionsgutachten des Sachverständigen Cnnnn Dnnnn , des hiesigen Antragsgegners, einzuholen. Nachdem der Sachverständige im Gutachten vom 4. April 2003 zu dem Ergebnis gelangt ist, anhand der Beschädigungen an den Fahrzeugen könne nicht festgestellt werden, ob der Opel einen Fahrstreifenwechsel nach rechts durchgeführt habe und mit dem im zweiten Fahrstreifen von rechts fahrenden Honda zusammengestoßen sei oder ob der Honda den äußerst rechten Fahrstreifen befahren und die Trennlinie zum Fahrstreifen des Opel überfahren habe (Seite 10 des Gutachtens). Der Antragsteller hat im Vorprozess die Richtigkeit der gutachterlichen Feststellungen angegriffen und in diesem Zusammenhang Fotos mit Fahrzeuggegenüberstellungen vorgelegt, um darzulegen, dass nach den Schäden an den Fahrzeugen allein der von ihm dargelegte Unfallhergang richtig sein könne. Das Landgericht hat nach Anhörung des Sachverständigen Dnnnn die Berufung mit Urteil vom 18. Dezember 2003 zurückgewiesen und dabei u.a. in den ins Protokoll aufgenommene Entscheidungsgründen ausgeführt:

"Auch wenn der gerichtliche Sachverständige seine gutachterlichen Feststellungen lediglich unter Berücksichtigung des vorliegenden Fotomaterials getroffen hat und hierbei nicht das noch vorhandene beschädigte Klägerfahrzeug herangezogen hat, ändert dies nichts an den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen, da sich mangels Vorhandensein des Beklagtenfahrzeugs lediglich aus der Besichtigung des Klägerfahrzeugs keine anderen Schlüsse hätten ziehen lassen".

Mit der beabsichtigten Klage, für die er Prozesskostenhilfe begehrt, will der Antragsteller den Sachverständigen auf Ersatz in Höhe seiner im Vorprozess erfolglosen Forderung, der für den Vorprozess aufgewendeten Kosten, Schmerzensgeld sowie Ersatz für ein von ihm außergerichtlich in Auftrag gegebenes Unfallrekonstruktionsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Hnnn Rn vom 7. Juli 2006. In diesem Gutachten gelangt Prof. Rn zu dem Ergebnis, die Schlussfolgerung im Gerichtsgutachten vom 4. April 2003, der Unfallhergang lasse sich nicht aufklären, sei unzutreffend. Vielmehr ergebe die Analyse der Spurenbilder an den Fahrzeugen unter Berücksichtigung einer Gegenüberstellung, dass die Vorderräder am Opel im Moment des Anstoßes nach rechts eingeschlagen gewesen sein müssten. Daraus ergebe sich, dass nur die vom Antragsteller vorgetragene Unfalldarstellung eines Fahrstreifenwechsels des Opels mit der Folge einer Kollision zutreffend sein könne.

Das Landgericht hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 19. Oktober 2006 mit der Begründung zurückgewiesen, es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Antragsgegner das Gutachten, sollte es falsch sein, vorsätzlich oder grob fahrlässig falsch erstattet habe.

Der dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist erfolglos. Das Landgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zu Recht zurückgewiesen, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat nicht die nach § 114 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht.

a) Ein Anspruch auf Schadensersatz gegen den Sachverständigen nach § 839a BGB setzt voraus, dass dieser vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet, dass nachfolgend eine gerichtliche Entscheidung ergeht, die auf diesem unrichtigen Gutachten beruht und dass dem Anspruchsteller dadurch ein Schaden entstanden ist.

Grobe Fahrlässigkeit - so hat das Landgericht zutreffend hervorgehoben - bedeutet, dass der Handelnde die verkehrsforderlicher Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, in dem er einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat und das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. 2007, § 277 BGB, Rn. 5).

b) Diese Voraussetzungen sind hier auch unter Berücksichtigung des weiteren Vortrages in den Schriftsätzen vom 14. und 18. Dezember 2006 nicht ersichtlich.

(1) Ein grob fahrlässiges Handeln des Antragsgegners bei Gutachtenerstattung ist nicht erkennbar.

Der Antragsgegner hat in seinem Gerichtsgutachten vom 4. April 2003 die Behauptung eines unfallursächlichen Fahrstreifenwechsels des seinerzeitigen Beklagten nicht bestätigt, sondern ist auf Grundlage der ihm vorgelegten Fotos zu dem Ergebnis gelangt, aufgrund der Beschädigungen an den Fahrzeugen lasse sich nicht feststellen, welches Fahrzeug den Fahrstreifen gewechselt habe.

Dass dieses Ergebnis auf Grundlage des vorliegenden Materials, also vornehmlich der zunächst vorliegenden Fotos, unzutreffend war, behauptet auch der Anspruchsteller nicht.

Es ist aber auch nicht ersichtlich, dass eine Rekonstruktion des Unfalls durch Gegenüberstellung des noch vorhandenen Klägerfahrzeuges, auf die sich nunmehr der der Sachverständige Prof. Rn bezogen hat, seinerzeit in einer Weise geboten war, dass dem Antragsgegner ein grob fahrlässiges Unterlassen vorzuwerfen ist.

Nach § 404a Abs. 1 ZPO obliegt es dem Gericht, die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten und ihm für Art und Umfang seiner Tätigkeit Weisungen zu erteilen. Dies folgt daraus, dass der Sachverständige nur Gehilfe des Gerichts bei der Auswertung ihm vorgegebener Tatsachen durch die aus seinem Fachwissen hergeleiteten Bewertungen, Schlussfolgerungen und Hypothesen ist, die das Gericht sodann im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben zu würdigen hat (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 26. Auflage 2007, § 404a ZPO, Rn. 1 m.w.N.).

Im Rahmen dieser Leitung des Sachverständigen ist vor dem Landgericht seinerzeit die Frage einer möglichen Gegenüberstellung der Fahrzeuge erörtert worden, wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt. Dabei hat die auf Verkehrsunfallsachen spezialisierte Berufungskammer des Landgerichts ausdrücklich zur Kenntnis genommen, dass der Sachverständige Dnnnn seine gutachterlichen Feststellungen ohne Gegenüberstellung der Fahrzeuge getroffen hat und hat dies ebenso ausdrücklich gebilligt. Nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung der Ausführungen des Antragstellers in den Anwaltsschriftsätzen vom 14. Mai und 21. August 2003 hat das Landgericht seinerzeit keine Veranlassung gesehen, eine weitergehende Begutachtung und Gegenüberstellung zu veranlassen.

Damit hat das Landgericht die Vorgehensweise des Antragsgegners bei der Gutachtenerstellung ausdrücklich gebilligt. Dies schließt es aus, dem an die Anordnungen des Landgerichts gebundenen Antragsgegner den haftungsbegründenden Vorwurf grober Fahrlässigkeit durch unzureichenden Aufwand bei der Begutachtung zu machen: Er hat sich im Rahmen dessen gehalten, was das Landgericht von ihm verlangt hat.

(2) Auch die Ausführungen des Landgerichts im Nichtabhilfebeschluss zur fehlenden Ursächlichkeit einer möglichen Pflichtwidrigkeit des Antragsgegners für den jetzt geltend gemachten Schaden treffen zu.

Soweit der Antragsteller im Schriftsatz vom 14. November 2006 vorträgt, jedenfalls wäre bei richtiger Begutachtung der Klage "deutlich" stattgegeben worden, jedenfalls nach einer Quote von 50% im Fall der Unaufklärbarkeit, steht dies im Widerspruch zur seinerzeitigen Entscheidung des Landgerichts: Dieses hat ungeachtet des gutachterlichen Ergebnisses (Unaufklärbarkeit eines Fahrstreifenwechsels des Beklagtenfahrzeuges) gerade keine Non-Liquet-Situation angenommen, sondern hat ausgeführt, an dem vom Amtsgericht nach Zeugenvernehmung gefundenen Ergebnis sei nichts zu ändern. Zu welchem Ergebnis das Landgericht bei Vorlage eines dem Kläger günstigen Gutachtens gelangt wäre, ob es erneut Zeugen vernommen hätte, was diese bekundet hätten, wie das Landgericht die Aussagen im Verhältnis zum Gutachten bewertet hätte und wie es dann entschieden hätte, ist offen.

(3) Zudem sind die erstinstanzlich geltend gemachten Forderungen der Höhe nach ungeachtet eines richterlichen Hinweises vom 27. November 2006 weiterhin nicht dargelegt, so dass im Rahmen der jetzigen Schadensberechnung nicht überprüfbar ist, in welchem Umfang die Forderung seinerzeit Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Weder hat der Antragsteller dargelegt, wie sich die seinerzeit geltend gemachte Forderung in Höhe von 5.917,64 DM zusammengesetzt noch worauf sich das damals verlangte Schmerzensgeld von 4.000,- DM bezogen hat. Der Hinweis des Antragstellers, diesen Mangel werde er im Laufe des Verfahrens nach Prozesskostenhilfebewilligung noch beheben, geht fehl. Im Rahmen des Schadensersatzes könnte er nur dasjenige verlangen, was er seinerzeit im Vorprozess erlangt hätte. Damit wären auch die übrigen Schadenspositionen bezüglich der Prozesskosten dem Ausgang des Vorprozesses entsprechend bei der Schadensberechnung zu quotieren, und dieses wäre als Voraussetzung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu prüfen.



Ende der Entscheidung

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