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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 18.05.2005
Aktenzeichen: 13 UF 12/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1628
BGB § 1687
BGB § 1697a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 21. Januar 2005 wird zurückgewiesen.

Die Mutter hat dem Vater seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die Eltern, deren Ehe rechtskräftig geschieden ist, üben die elterliche Sorge für das Kind .... gemeinsam aus. Der Mutter ist mit Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 24. März 2004 - 155 F 17456/02 - das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen worden. Die Parteien streiten nunmehr darüber, ob und in welchem Umfang das Kind geimpft werden soll. Der Vater regte mit Schreiben vom 24.04.2002 Impfungen des Kindes gegen Tetanus, Diphtherie und Kinderlähmung an und schlug vor, dass die Eltern sich von dem behandelnden Kinderarzt Dr. N... beraten lassen sollten. Die Mutter lehnte dies ab. Die Eltern hatten aber im Oktober 2002 ein gemeinsames Gespräch mit dem Kinderarzt über die Impfproblematik. Die Mutter lehnte danach eine Impfung des Kindes aber weiterhin ab. Die Parteien einigten sich dann nach mehreren Gesprächen dahingehend, dass ... gegen Polio, Diphtherie und Tetanus geimpft werden und die Mutter die Impftermine vereinbaren sollte, weil sie die Impfungen homöopathisch begleiten wollte. Die Mutter hat ... im September 2003 gegen Tetanus impfen lassen. Weitere Impfungen sind nicht erfolgt. Auch die für August 2004 vorgesehene Auffrischungsimpfung gegen Tetanus hat die Mutter nicht vorgenommen. Mit Schreiben vom 6. Januar 2004 forderte der Vater die Mutter nochmals auf, dafür Sorge zu tragen, dass .... nunmehr geimpft werde. Die Eltern haben wechselseitig beantragt, ihnen jeweils die Entscheidung über die Impfung gegen Masern, Mumps, Röteln, Tetanus, Diphtherie, Haemophilus influenzae Typ b (Hib) und Polio zu übertragen.

Die Mutter ist der Ansicht, dass derzeitig Impfungen nicht erforderlich seien, da es dem Kind gut gehe. In der Vergangenheit habe es an einer Sonnen- und Wespenallergie gelitten. Diese seien mit homöopathischen Mitteln behandelt worden. Es bestehe die Gefahr, dass die Allergien wieder verstärkt auftreten könnten. Sie ist der Ansicht, dass es sich bei ... um ein empfindsames Kind handele, dass nicht unnötig durch Impfungen belastet werden sollte. Sie ist ferner der Ansicht, dass keine Notwendigkeit bestehe, dass Kind gegen die vom Vater angeführten Krankheiten zu impfen, weil diese z.T. nur im Erwachsenenalter bedrohlich werden (Mumps) oder hier nur selten auftreten (Diphtherie und Polio).

Mit Beschluss vom 25. Januar 2005 hat das Amtsgericht nach mündlicher Anhörung der Eltern dem Vater die Entscheidung über die Durchführung von Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Tetanus, Diphtherie, Hib und Polio übertragen. Gegen diesen ihr am 27. Januar 2005 zugestellten Beschluss hat die Mutter am 3. Februar 2005 Beschwerde eingelegt und diese am 25. Februar 2005 begründet. Die Mutter begehrt weiterhin, ihr die Entscheidung über Durchführungen von Impfungen zu übertragen. Sie hat vorgetragen, dass der Vater am 04.02.2005 das Kind bereits gegen Tetanus, Hib, Polio, Diphtherie und Keuchhusten impfen gelassen habe - was unstreitig ist. ... habe abends an Fieber, Gliederschmerzen, Kopfschmerzen und Übelkeit gelitten und starke Schmerzen an der Impfstelle gehabt. Der Vater habe rücksichts- und verantwortungslos gehandelt und zudem keine gerichtliche Genehmigung für eine Impfung gegen Keuchhusten gehabt. Auch nach der Impfung vom 04.03.2005 sei .... erkrankt, denn sie musste wenige Tage nach der Impfung wegen heftiger schmerzhafter Hustenanfälle mit ... zum Kinderarzt.

Der Vater beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Er trägt vor, er habe .... bei dem Kinderarzt impfen lassen, der seine Tochter behandele, da er nicht das Vertrauensverhältnis zwischen Dr. N... und der Mutter habe beschädigen wollen. Die Keuchhustenimpfung sei zugleich mit der ersten Impfung auf Empfehlung des Kinderarztes Dr. U... durchgeführt worden, weil die Ehefrau des Vaters schwanger sei und eine unerkannte Keuchhustenkrankheit eine der häufigsten Ursachen für den plötzlichen Kindstod sei. Die weitere Impfung habe er bei einem anderen ihm bekannten Arzt durchführen müssen, weil Dr. U... weitere Impfungen abgelehnt habe, nachdem die Mutter ihn in seiner Praxis aufgesucht und durch ihr Auftreten eine empfindliche Störung des Praxisbetriebs verursacht habe.

Die gemäß § 621e ZPO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Amtsgericht hat dem Vater zu Recht gemäß § 1628 BGB das Entscheidungsrecht über die Durchführung von Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Tetanus, Diphtherie, Hib und Polio übertragen.

§ 1628 BGB ermächtigt die Gerichte unter Wahrung des Elternrechts aus Art 6 Abs. 2 GG dazu, zur Herbeiführung einer notwendigen Entscheidung bei Uneinigkeit der Eltern einem Elternteil die Entscheidungskompetenz zu übertragen. Für die Entscheidung ist gemäß § 1697a BGB maßgebend, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen (vgl. BVerfG FamRZ 2003, 511).

Die Eltern von ... haben sich in der Vergangenheit nicht darüber einigen können, ob und in welchem Umfang ... geimpft werden soll. Denn nachdem die Parteien sich 2003 zunächst dahingehend verständigt hatten, ... gegen Tetanus, Polio und Diphtherie impfen zu lassen und die Mutter die Impfungen durchführen sollte, ist ... 2003 nur einmal gegen Tetanus geimpft worden. Der Vater besteht nunmehr zudem auf einem umfassenden Impfschutz gemäß den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Instituts, während die Mutter sich zwar Impfungen nach einem mit dem Kinderarzt entwickelten Impfplan, denn sie allerdings trotz Auflage des Senats nicht vorgelegt hat, vorstellen kann, weitergehende Impfungen wie z.B. gegen Masern aber ablehnt, weil sie sie nicht für erforderlich hält oder die Nebenwirkungen der Impfungen ihrer Ansicht nach gravierender sind als die Vorteile eines Impfschutzes. Diese Uneinigkeit der Eltern betrifft auch nicht eine Angelegenheit des täglichen Lebens, in welcher die Mutter gemäß § 1687 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB allein entscheiden könnte, weil .... bei ihr lebt. Medizinische Eingriffe und Behandlungen werden mit der Ausnahme von Routineuntersuchung oder häufig vorkommende nicht ungewöhnliche Erkrankungen wie Erkältungen oder gewöhnliche Kinderkrankheiten regelmäßig zu den Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind gezählt, weil sie mit der Gefahr von Komplikationen und Nebenwirkungen, mögen diese auch statistisch betrachtet gering sein, verbunden sind (vgl. Jaeger in Johanssen/Henrich, Eherecht 4. Aufl., § 1687 Rdnr. 4; Schwab/Motzer, Handbuch des Scheidungsrechts, 5 Aufl., Kap. III Rdnr. 55; OLG Bamberg FamRZ 2003, 1403). Für diese Entscheidungen von erheblicher Bedeutung ist das Einvernehmen der Eltern gemäß § 1687 Abs. 1 BGB erforderlich. Wenn dieses Einvernehmen von den Eltern nicht herbeigeführt werden kann, so ist das Entscheidungsrecht gemäß § 1628 BGB auf Antrag auf einen Elternteil zu übertragen.

Die Übertragung der Entscheidungsbefugnis über die Durchführung von Impfungen auf den Vater ist nicht zu beanstanden, sie entspricht auch dem Kindeswohl am besten. Bei Konflikten der Eltern über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung eines Kindes hat das zu entscheidende Familiengericht grundsätzlich keine Befugnis zu einer eigenen Sachentscheidung, sondern kann nur die Entscheidungskompetenz einem der beiden Elternteile übertragen (vgl. BVerfG FamRZ 2003, 511). Obwohl das Kind seinen dauerhaften Aufenthalt bei der Mutter hat, diese also den Alltag und damit auch die Krankheiten mit ... erlebt, ist es in dieser Frage für das Kindeswohl am besten, wenn der Vater die Entscheidungskompetenz erhält. Der Vater hat in dieser Frage eine eindeutige Haltung und hat, seit ... 6 Jahre alt ist, immer wieder auf eine Klärung der Impfproblematik bestanden. Die Mutter hat dagegen eine eher schwankende Haltung. Zunächst hat sie Impfungen generell abgelehnt. Dann wurde im September 2003 .... gegen Tetanus geimpft. Eine gerichtsbekannte notwendige Wiederholungsimpfung, ohne die der Impfschutz nicht hergestellt werden kann, hat die Mutter dann wiederum nicht durchführen lassen. Nunmehr erklärt sie zwar mit Impfungen nach einem mit dem behandelnden Kinderarzt vereinbarten Impfplan einverstanden zu sein, andererseits wird dieser Impfplan nicht vorgelegt und die Mutter äußert sich schriftsätzlich dahingehend, dass sie Impfungen eigentlich generell ablehnt. Es kann mithin nicht ausgeschlossen werden, dass ..., sollte die Entscheidungskompetenz bei der Mutter liegen, Impfungen ausgesetzt wird, die sich nicht als wirkungsvoll herausstellen, weil die erforderlichen Wiederholungsimpfungen nicht durchgeführt werden. Dadurch würde ... einer unnötigen Behandlung ausgesetzt werden. Zudem ist zu befürchten, dass der Streit um die Fortführung von Impfungen und die Einhaltung eines abgestimmten Impfplanes erneut aufleben würde, was aber für das Kindeswohl abträglich ist. Denn der nunmehr fast neunjährige ..., der von der Mutter als empfindsames und sensibles Kind beschrieben wird, wird in diesen Konflikt der Eltern hineingezogen. Er erlebt die Aufregung und Befürchtungen der Mutter nach den durchgeführten Impfungen und wird andererseits fremdem Ärzten vorgestellt, weil die Streitigkeiten der Eltern mittlerweile dazugeführt haben, dass die behandelnden Ärzten eine Durchführung der Impfungen aufgrund der Auseinandersetzungen der Eltern abgelehnt haben. Im Interesse von ... muss daher eine eindeutige klare Regelung bestehen, wobei der Senat dann auch erwartet, dass diese akzeptiert wird und ... nicht die Enttäuschung und das Misstrauen der Mutter miterleben muss. Gegen die Übertragung der Entscheidungsbefugnis für Impfungen auf den Vater spricht auch nicht, dass durch die von dem Vater befürworteten Impfungen eine Gesundheitsgefährdung bei .... eintritt. So befürchtet die Mutter lediglich, dass bei ... in der Vergangenheit aufgetretene Allergien durch die Impfungen wieder verstärkt werden könnten. Es ist für den Senat aber nicht erkennbar, dass diese Befürchtung sich auf konkrete Anhaltspunkte bezieht. Auch kann nicht festgestellt werden, dass die zwischenzeitlich bereits nach Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung durchgeführten Impfungen zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt haben. Es mögen zwar Nebenwirkungen insbesondere auch an der Einstichstelle eingetreten sein. Die von der Mutter nach der am 04.03.2005 durchgeführten Impfung beschriebenen Krankheitssymptome beruhen aber offensichtlich auf einem grippalen Infekt, der zudem 4 Tage nach der Impfung aufgetreten ist, wie aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung bzw. Liquidation der Heilpraktikerin hervorgeht.

Auch das Vorgehen des Vaters, der nach Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung unverzüglich eine Mehrfachimpfung durchführen ließ und in Kenntnis des laufenden Beschwerdeverfahrens eine weitere Impfung veranlasste, führt nicht dazu, die Übertragung der Entscheidung über den Impfungen auf den Vater als nicht eine dem Kindeswohl am besten entsprechende Entscheidung anzusehen. Zwar ist auch für den Senat nicht nachvollziehbar, warum die erste Impfung bereits unmittelbar nach Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung durchgeführt werden musste, auch wenn die Entscheidung mit der Zustellung bereits wirksam war, §16 FGG. Der Senat hätte es für wünschenswert gehalten, die Impfung erst dann durchführen zu lassen, wenn der Streit endgültig entschieden gewesen wäre. Es ist anzunehmen, dass dann die Entscheidung von der Mutter auch akzeptiert worden wäre und insbesondere eine Auseinandersetzung mit den behandelnden Ärzten vermieden worden wäre, so dass ... von seinem ihm vertrauten Kinderarzt Dr. N... oder von Dr. U.. behandelt worden wäre. Die jetzige Situation, dass die Impfungen von einem dritten Arzt durchgeführt werden, erachtet der Senat als wenig glücklich. Das bei einer Übertragung auf den Vater aber zu erwartenden eindeutige Verhalten in dieser Angelegenheit, welches eher die Gewähr für eine Vermeidung von zukünftigen Konflikten bietet, lässt die Übertragung auf den Vater insgesamt für das Wohl des Kindes am besten erscheinen.

Von einer erneuten Anhörung der Eltern ist abgesehen worden, weil hiervon keine neuen Erkenntnisse zu erwarten waren. Auf die Anhörung des Kindes .... ist verzichtet worden, weil weder die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung gewesen sind und es auch zur Feststellung des Sachverhalts nicht angezeigt gewesen ist, sich einen unmittelbaren Eindruck von dem Kind zu verschaffen (§ 50b Abs. 1 FGG).

Soweit der Vater darüber hinaus auch die Entscheidungsbefugnis für eine Impfung gegen Keuchhusten beantragt hat, so hat er dies beim erstinstanzlich zuständigen Amtsgericht zu beantragen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 13a Abs. 1 S. 2 FGG, 131 Abs.2. und 3, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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