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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.09.2004
Aktenzeichen: 16 UF 6/04
Rechtsgebiete: BGB, GG


Vorschriften:

BGB § 1615 l Abs. 2 Satz 3
GG Art. 6 Abs. 5
GG Art. 100 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht

Vorlage- und Aussetzungsbeschluss

Geschäftsnummer: 16 UF 6/04

In der Familiensache

hat der 16. Zivilsenat des Kammergerichts als Senat für Familiensachen durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Scheer, die Richterin am Kammergericht Gernoth-Schultz und den Richter am Kammergericht Dr. Prange auf die mündliche Verhandlung vom 16. September 2004

beschlossen:

Tenor:

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG.

Gründe:

Die nicht miteinander verheirateten Parteien, die niemals zusammen gelebt haben, sind die Eltern des am 31. März 2002 geborenen Vnnn Enn , der von der Klägerin aufgezogen wird. Die Klägerin macht gegen den Beklagten einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt (§ 1615 l Abs. 2 Satz 2 BGB) für die Zeit ab dem 1. Mai 2003 geltend. Bis zu ihrer Kündigung zum 30. November 2000 war die Klägerin als Stagemanagerin tätig. In der Zeit vom 1. Dezember 2000 bis zum 31. Januar 2002 bezog sie Arbeitslosengeld bzw. -hilfe. Vom 1. Februar 2002 bis zum 30. April 2003 erhielt sie aus einem mit einer GbR, an der der Beklagte beteiligt ist, geschlossenen Scheinarbeitsvertrag ein Gehalt von monatlich rund 1.545,00 EUR netto.

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Entrichtung einer monatlichen Unterhaltsrente von 463,70 EUR für die Zeit vom 1. Mai 2003 bis zum 31. März 2005, dem dritten Geburtstag des Kindes, verurteilt. Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, richtet sich die zulässige Berufung der Klägerin. Die Klägerin, die seit November 2003 eine selbständige Tätigkeit als Heilpraktikerin ausübt, verlangt eine zeitlich unbefristete Unterhaltsrente von monatlich 1.548,98 EUR abzüglich eigener monatlicher Einkünfte ab Mai 2003.

Der Klägerin steht eine Unterhaltsrente dem Grunde nach zu. Auf die Beschlüsse des Senats vom 10. Juni 2004 (Bl. 163) und vom 30. September 2004, durch die der Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zur Zahlung einer Unterhaltsrente von 376,30 EUR bzw. von 840,00 EUR verpflichtet worden ist, wird Bezug genommen. Für das Berufungsverfahren ist entscheidungserheblich, ob die zeitliche Begrenzung des Betreuungsunterhaltsanspruchs auf drei Jahre nach der Geburt des Kindes (§ 1615 l Abs. 3 Satz 3 BGB) mit Art. 6 Abs. 5 GG unvereinbar und der Klägerin daher ein zeitlich unbefristeter Anspruch auf Betreuungsunterhalt zusteht.

Ein Teil der Rechtsprechung und des Schrifttums ist unter Bezugnahme auf die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bundesrates (BT-Drs. 13/4899, S. 167) der Auffassung, dass es sich bei dem Anspruch aus § 1615 l BGB um einen solchen der Mutter, nicht des Kindes handelt und dass das Kind keinen Anspruch auf Betreuung durch seine Mutter hat. Deshalb seien seine Interessen nur mittelbar berührt. Der Grundsatz der nachehelichen Solidarität rechtfertige es, den Anspruch der Ehefrau stärker als den einer nichtehelichen Partnerin auszugestalten. Der Umfang und die Dauer des nachehelichen Unterhaltsanspruchs aus § 1570 BGB seien - zumal in der Ausprägung, die sie durch die Rechtsprechung erfahren hätten - nur durch die vorangegangene Ehe zu erklären, also wesentlich durch den Gesichtspunkt der nachehelichen Solidarität geprägt. Vor diesem Hintergrund sei die zeitliche Begrenzung auf grundsätzlich drei Jahre mit der Möglichkeit einer Verlängerung aus Billigkeitsgründen verfassungsgemäß (OLG Schleswig, FamRZ 2004, 975; OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 974; Wever/Schilling, FamRZ 2002, 581, 583; Maurer, FamRefK § 1516 l Rn. 20; Göppinger/Wax/Maurer, 8. Aufl., Rn. 1211).

Nach anderer Ansicht fordert die Gleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern, dass auch nichteheliche Kinder bis zum Alter von acht Jahren persönlich betreut werden können, wenn der Betreuende dies wünscht. Da Ausgangspunkt des Unterhaltsanspruchs der Mutter die Betreuungsbedürftigkeit des Kindes und damit dessen Wohl sei, könne die Absicherung des Kindes nicht unterschiedlich ausfallen, je nach dem, ob die Mutter mit dem Vater des Kindes verheiratet war oder nicht (Kalthoener/Büttner/Niepmann, 8. Aufl., Rn. 184; Peschel-Gutzeit/Jenckel FuR 1996, 136 ff.; Puls FamRZ 1998, 865, 868; Müller DAVorm 2000, 830 ff.; Schwab/Borth, 4. Aufl., Teil IV Rn. 1371; Münchener Kommentar-Born, 4. Aufl., § 1615 l Rn. 6).

Dieser letzteren Auffassung möchte sich der erkennende Senat anschließen. § 1570 BGB bezweckt, die persönliche Betreuung des Kindes trotz Trennung der Eltern wenigstens durch einen Elternteil zu ermöglichen. Es entspricht dem Wohl eines Kindes, wenn es sich nach der Trennung und Scheidung seiner Eltern in der Obhut eines Elternteils befindet, der hinreichend Zeit hat, auf seine Fragen, Wünsche und Nöte einzugehen (BVerfG FamRZ 1981, 745, 749 ff.). Die Norm dient somit vorrangig dem Wohl des Kindes. Trotz der Ausgestaltung des Anspruchs als Anspruch eines geschiedenen Ehegatten geht es der Sache nach mehr um die Deckung eines Bedarfs des Kindes als um das Recht des Betreuenden auf die volle oder teilweise Freistellung von einer Erwerbstätigkeit (Johannsen/Henrich/Büttner, 4. Aufl., § 1570 Rn. 1). Die am Wortlaut des § 1570 BGB ausgerichtete Bestimmung des § 1615 l Abs. 2 Satz 2 BGB dient ebenfalls den vorgenannten Belangen des Kindes. § 1570 BGB gewährt einen zeitlich unbefristeten Anspruch. Für ein eheliches Kind besteht bis zur Vollendung des zweiten Grundschuljahres nach Nr. 17.1 der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des Kammergerichts der Vorteil einer Vollbetreuung durch die Mutter. Demgegenüber endet der Unterhaltsanspruch der nichtehelichen Mutter nach § 1615 l Abs. 2 Satz 3 BGB grundsätzlich drei Jahre nach der Geburt des Kindes. Diese Ungleichbehandlung der ehelichen und nichtehelichen Kinder in Bezug auf die zeitliche Dauer der persönlichen Betreuung durch den sorgeberechtigten Elternteil benachteiligt die nichtehelichen Kinder und verstößt gegen Art. 6 Abs. 5 GG. Eine Differenzierung danach, ob das Kind ehelich oder nichtehelich ist, ist, wenn Maßstab das Kindeswohl ist, nicht berechtigt. Eheliche und nichteheliche Kinder, deren Eltern sich trennen, sind dadurch gleichermaßen erheblich belastet und schutzbedürftig.

Zwar haben die Eltern im vorliegenden Fall nicht in einer Haushaltsgemeinschaft zusammen gelebt. Kinder, die niemals mit ihrem Vater zusammengelebt haben, sind aber in einem besonderen Maße schutzbedürftig (Puls FamRZ 1998, 868; Müller a.a.O. S. 836). Eine zeitliche Befristung des Betreuungsunterhalts ist daher auch in der vorliegenden Konstellation nicht gerechtfertigt.

Eine verfassungskonforme Auslegung ist nicht möglich. Die Zubilligung von Unterhalt über die 3-Jahresfrist hinaus kommt nur bei grober Unbilligkeit einer Unterhaltsversagung in Betracht und ist ein Ausnahmefall. Insbesondere spielt keine Rolle, dass nach der Rechtsprechung zu § 1570 BGB bei Kindern unter 8 Jahren grundsätzlich keine Erwerbstätigkeit der Mutter erwartet werden kann (Wendl/Staudigl/Pauling, 6. Aufl., § 6 Rn. 763). Nach der Gesetzesfassung kann zudem erst nach Ablauf der 3-Jahresfrist entschieden werden, ob eine Unterhaltsversagung grob unbillig ist.



Ende der Entscheidung

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