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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 30.09.2004
Aktenzeichen: 16 UF 75/04
Rechtsgebiete: VAÜG, BGB


Vorschriften:

VAÜG § 2 Abs. 2
BGB § 1587 e Abs. 2
In den Fällen der Aussetzung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich nach § 2 Abs. 2 VAÜG führt der Tod des Ausgleichsberechtigten (§ 1587 e Abs. 2 BGB) nicht automatisch zum Erlöschen des Ausgleichsanspruchs.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 16 UF 75/04

In der abgetrennten Folgesache Versorgungsausgleich

hat der 16. Zivilsenat des Kammergerichts durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Scheer, den Richter am Kammergericht Dr. Prange und die Richterin am Kammergericht Gernoth-Schultz am 30. September 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgericht Pankow-Weißensee vom 3. Mai 2004 - 14 F 1891/96 - aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung an das Familiengericht - auch zur Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - zurückverwiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 500 EUR

Gründe:

I.

Durch am 9. Januar 1997 verkündetes - rechtskräftiges - Urteil hat das Familiengericht die am 9. Juni 1993 geschlossene Ehe der Parteien geschieden und die elterliche Sorge für die am 18. August 1984 geborene Cnn Snn der Mutter übertragen.

Die Entscheidung über den Versorgungsausgleich hat das Familiengericht gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG ausgesetzt, weil der Ausgleich der angleichungsdynamischen Anrechte zugunsten der Ehefrau hätte durchgeführt werden müssen, der Ausgleich der nichtangleichungsdynamischen Versorgungen hingegen zugunsten des Ehemannes.

Der Ehemann ist am 17. Juni 2003 verstorben.

Die Beteiligte Landesversicherungsanstalt Berlin gewährt der Tochter der Parteien Cnn Snn seit dem 17. Juni 2003 die Zahlung einer Halbwaisenrente.

Die Beteiligte hat mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2003 die Wiederaufnahme des ausgesetzten Versorgungsausgleichsverfahrens beantragt. Die neu erteilten Auskünfte vom 14. und 16. Oktober 2003 ergaben folgende Anwartschaften der Parteien:

Ehefrau nichtangleichungsdyn.: 59,29 EUR angleichungsdynamisch: 166,33 EUR Ehemann nichtangleichungsdyn.: 0,00 EUR angleichungsdynamisch: 183,63 EUR

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht unter Hinweis darauf, dass der Ausgleichsanspruch des berechtigten Ehemannes mit dessen Tode erloschen sei, die Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt.

Gegen diesen am 11. Mai 2004 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte mit ihrer am 2. Juni 2004 mit gleichzeitiger Begründung eingegangenen Beschwerde.

Die gemäß §§ 629 a Abs. 2 ZPO iVm § 621 e ZPO statthafte und zulässige Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung an das Familiengericht.

Über die Frage, ob der Tod des Ausgleichsberechtigten (§ 1587 e Abs. 2 BGB) auch dann zu einem Erlöschen des Ausgleichsanspruchs führt, wenn die Aussetzung nach § 2 Abs.2 VAÜG (v. 25. Juli 1991, BGBl. I, 1606,1702) erfolgt ist und die Höhe des Ausgleichsanspruchs für die Berechnung etwa einer Hinterbliebenenversorgung von Bedeutung ist, besteht Streit.

Verneinend: 17. Zivilsenat des Kammergerichts - 17 UF 160/03 - FamRZ 2003, 1841 f, wobei die dortigen Erwägungen wegen des schließlich erkannten Ausschlusses nach § 1587 c BGB jedoch nicht tragend waren; Münchener Kommentar/Sander, BGB, § 2 VAÜG Rdnr. 14; Maier, Versorgungsausgleich in der Rentenversicherung § 2 VAÜG Anm. 3 - jeweils unter Hinweis darauf, dass das Antragsrecht der Hinterbliebenen in § 2 Abs. 2 Satz 2 VAÜG sonst keinen Anwendungsbereich hätte; dazu auch Hahne in FamRZ 1991, 1392, 1394: Gesetz zur Überleitung des Versorgungsausgleichs auf das Beitrittsgebiet. Bejahend: Palandt-Brudermüller, BGB, 63. Aufl. § 1587 e Rdnr. 7; Kemnade, FamRZ 2003, 1842 (Anmerkung zur Entscheidung des 17. Zivilsenats des KG); Staudinger/Rehme, BGB 2004, § 1587 e Rdnr. 23 unter Hinweis darauf, dass mit dem vor der Verwirklichung des Ausgleichsanspruchs eingetretenen Tod des Berechtigten das Ziel des Versorgungsausgleichs, im Falle der Scheidung für den Berechtigten eine eigenständige Alters- und Invaliditätssicherung zu begründen, nicht mehr zu erreichen ist.

Der Senat folgt der Auffassung, dass der Ausgleichsanspruch in den Fällen der Aussetzung nach dem VAÜG mit dem Tod des Berechtigten nicht automatisch erlischt. Die ausdrückliche Einräumung einer eigenen Antragsberechtigung der Hinterbliebenen in § 2 Abs. 2 VAÜG hätte anderenfalls keinen Anwendungsbereich.

Zwar findet sich in der Bundestagsdrucksache 12/405 S. 115 und 177 f - kein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber mit der Erwähnung der Hinterbliebenen als Antragsberechtigten in § 2 Abs. 2 VAÜG eine von § 1587 e Abs. 2 BGB abweichende Regelung treffen wollte. Andererseits spricht aber auch nichts dafür, dass es sich bei der gewählten Formulierung lediglich um ein Redaktionsversehen (etwa ungeprüfte Übernahme der Formulierung in § 10 a Abs. 4 VAHRG - Antragsrecht der Hinterbliebenen für eine Abänderung rechtskräftiger Versorgungsausgleichsentscheidungen) handelt.

Die Auslegung einer Vorschrift hat sich in erster Linie am Wortlaut zu orientieren. Eine solche Aus-legung ist auch mit Sinn und Zweck des Versorgungsausgleichs zu vereinbaren. Der Versorgungsausgleich findet zwar ausschließlich zwischen den geschiedenen Ehegatten statt (§ 1587 Abs. 1 BGB). Die damit getroffenen Regelungen haben aber häufig Auswirkungen für die Hinterbliebenen. Für den Regelfall soll daher über die Ehescheidung und die Folgesachen zeitgleich im Wege des Verbunds (§ 623 ZPO) entschieden werden. Abtrennung und Aussetzung sowie Vorabentscheidung über den Scheidungsausspruch (§ 628 ZPO) sind als fakultative ("kann") Ausnahmevorschrift geregelt. Die Parteien können in aller Regel (abgesehen von den Fällen des § 53 c FGG) Einfluss nehmen auf die Frage, ob der Versorgungsausgleich abgetrennt wird und regelmäßig auch auf die Dauer der Aussetzung. Nach § 2 Abs. 1 VAÜG ist hingegen während der Angleichungsphase der Versorgungsanwartschaften Ost und West die Durchführung des Versorgungsausgleichs regelmäßig von Gesetzes wegen auszusetzen, wenn der Ausgleich angleichungsdynamischer und nichtangleichungsdynamischer Anrechte anderenfalls in verschiedene Richtungen durchzuführen wäre. Die Dauer der Angleichungsphase war bei Inkrafttreten des VAÜG am 25. Juli 1991 nicht absehbar und ist es auch heute, 13 Jahre später, noch nicht. Diese gesetzlich zwingend vorgesehene Aussetzung und der hierdurch bedingte zeitliche Abstand zwischen Ehescheidung und der Entscheidung über den Versorgungsausgleich kann auf Seiten der Ehegatten, der Hinterbliebenen und der betroffenen Versorgungsträger zu Nachteilen führen, die mit dem Grund der Aussetzung (Abwarten der Einkommensangleichung Ost und West) nichts zu tun haben. Diese nach § 2 VAÜG ungewollten Nachteile für Ehegatten, Hinterbliebene und Versorgungsträger auszugleichen war offenbar das Anliegen des Gesetzgebers bei der Fassung des § 2 Abs. 2 VAÜG.

Auf den Antrag der Beteiligten war das Verfahren entsprechend § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an das Familiengericht zurückzuverweisen. Der Senat sieht von einer eigenen Entscheidung ab schon wegen der notwendigen Klärung, ob die im Wiederaufnahmeverfahren erteilten Auskünfte der Beteiligten einer Aktualisierung bedürfen.



Ende der Entscheidung

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