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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 10.07.2006
Aktenzeichen: 16 UF 90/06
Rechtsgebiete: EGVO Nr. 2201/2003, FGG
Vorschriften:
EGVO Nr. 2201/2003 Art. 15 | |
FGG § 19 |
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 16 UF 90/06
10.07.2006
In der Familiensache
betreffend das Umgangsrecht für
den am 23. November 1995 geborenen nnnnnnnnnnnnn
hat der 16. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin als Senat für Familiensachen durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Scheer und die Richter am Kammergericht Dr. Prange und M. Kuhnke am 10. Juli 2006 beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 3. Mai 2006 geändert:
Die Anträge des Vaters und des Tribunal de Grand Instance de Paris Abteilung B Büro 5 nach Art. 15 EGVO 2201/2003 werden zurückgewiesen.
Eine Kostenerstattung findet nicht statt.
Der Beschwerdewert wird auf 1.000 EUR festgesetzt.
Gründe:
I
Die Eltern und nnnnnnn sind französische Staatsangehörige. Die elterliche Sorge steht den Eltern gemeinsam zu. Die Mutter lebt mit nnn seit längerem (September 1999, spätestens seit 2001/Anfang 2002) in Berlin. Im Rahmen des Scheidungsverfahrens vereinbarten die Eltern vor dem französischen Familiengericht (Scheidungsurteil vom 28. Juni 2002 des Tribunal de Grande Instance Paris, Abteilung C, Kammer 6, Reg. Nr. 01/34644) die Umgangszeiten. Der Umgang fand in Paris in den Ferien statt.
Die Mutter hat wegen Problemen zwischen dem Vater und nnnnnnn , die beim Umgang auftraten, die Aussetzung des Umgangs beantragt. Der Vater und das Pariser Familiengericht (Beschluss vom 10. Februar 2006 des Tribunal de Grande Instance de Paris, Abteilung B, Büro 5) haben nach Art. 15 EGVO 2201/2003 die "Verweisung" an das Pariser Familiengericht beantragt.
Durch Beschluss vom 3. Mai 2006 - auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird - hat das Amtsgericht das Verfahren über den Antrag auf Aussetzung des Umgangsrechts dem Pariser Familiengericht übertragen. Zur Begründung hat es - im Wesentlichen entsprechend der Begründung des Pariser Familiengerichts - ausgeführt, dass die Gegebenheiten beim Vater in Paris und die streitigen Vorfälle und Behördenvorgänge dort besser durch das französische Gericht beurteilt werden könnten, im Falle erforderlicher Gutachten könne auf die Hilfe in Berlin ansässiger Gutachter zurückgegriffen werden.
Hiergegen wendet sich die Mutter mit ihrer Beschwerde, mit der sie im Wesentlichen geltend macht, dass das Amtsgericht eine Kindeswohlprüfung nicht vorgenommen habe, zumal es um die Aussetzung des Umgangs gehe.nnnn soziales Umfeld befinde sich in Berlin, er könne sich zwar französisch verständigen, sein emotionaler Sprachbereich sei jedoch ausschließlich deutsch geprägt. Eine Gutachtenerstellung in Frankreich würde nnn unnötig belasten. Das Jugendamt sei Verfahrensbeteiligter, dessen Stellungnahme zu prüfen gewesen wäre.
Sie beantragt,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
Der Vater beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten neben Anlagen verwiesen.
Das Jugendamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin ist schriftlich angehört worden, auf dessen Schreiben vom 24. Mai 2006 wird verwiesen.
II
Die Beschwerde ist nach § 19 FGG zulässig. § 281 Abs. 2 S. 2 ZPO, der die örtliche und sachliche Zuständigkeit inländischer Gerichte betrifft und nach dem Zuständigkeitsverweisungen unanfechtbar sind, ist im vorliegenden Fall nicht entsprechend anwendbar (vgl. allgemein Zöller/Philippi, ZPO, 25. Aufl., § 621a Rn. 11). Vielmehr ist die Frage der (internationalen) Zuständigkeit eines anderen europäischen Familiengerichts und das Ersuchen an dieses, sich gemäß Art. 15 EGVO 2201/2003 für zuständig zu erklären, mit der in § 46 FGG geregelten Abgabe eines Vormundschaftsgerichts an ein anderes Vormundschaftsgericht vergleichbar und die dort geregelte Abgabe ist anfechtbar (Bumiller/Winkler, FGG, 8. Aufl., § 46 Rn. 12 zu b). Die vom Vater herangezogene Analogie zu § 280 Abs. 2 ZPO mit der Folge der dann gegebenen Zulässigkeit der befristeten Beschwerde nach § 621e ZPO trifft im vorliegenden Fall nicht zu. Das Amtsgericht hat nicht über seine Zuständigkeit im Wege eines bloßen Zwischenbeschlusses entschieden, um anschließend die Entscheidung zur Hauptsache zu treffen, sondern es hat das Verfahren dem französischen Gericht abschließend übertragen und derartige Fälle sind grundsätzlich in § 281 ZPO (analog) geregelt.
Die Voraussetzungen für ein Ersuchen an das französische Gericht liegen nicht vor. Schon der von Art. 15 I EGVO 2201/2003 neben dem Wohl des Kindes geforderte Ausnahmefall ist zu verneinen. Allein der Umstand, dass der Umgangsberechtigte in Frankreich lebt und das Kind in Deutschland, rechtfertigt nicht die Annahme eines Ausnahmefalls. Denn diese Voraussetzungen sind bereits bei der Frage der besonderen Bindung zu einem Mitgliedsstaat zu prüfen (Art. 15 Abs. 3 und 1 EGVO 2201/2003). Infolgedessen können auch die regelmäßig damit zusammenhängenden Sprach-, Ermittlungs- und Entfernungsprobleme nicht allein einen Ausnahmefall nach Art. 15 Abs. 1 EGVO 2201/2003 begründen. Ferner sind diese Fragen bereits von der weiteren Voraussetzung des Art. 15 Abs. 1 EGVO 2201/2003 erfasst, dass das französische Gericht den Fall besser beurteilen können soll, was wesentlich die Sachverhaltsermittlung betrifft.
Nach allem kommen Ausnahmefälle - wie auch die Möglichkeit des Teilersuchens (bei teilbarem Verfahrensgegenstand) zeigt - als eigenständige Voraussetzung sinnvoll nur dort in Betracht, wo von vorneherein feststeht, dass ein eng begrenzter Sachverhalt weitgehend ausschließlich im Bereich der Zuständigkeit des auswärtigen Gerichts zu klären ist. Das ist hier nicht der Fall. Auf die sprachliche Nähe kann es - neben den oben erwähnten Gründen - nicht maßgeblich ankommen, weil sich die Frage der Übersetzungen wechselweise stellt, z. B., wenn das französische Gericht das deutsche Jugendamt einschaltet. Letztlich geht es nicht so sehr um die Frage, was in den französischen Behördenakten steht, und was Dritte in Frankreich erklärt haben, sondern um die Erklärungen des Vaters und nnn, welcher Darstellung das Gericht glaubt und darum, ob sich das überhaupt auf die Frage der Umgangsregelung auswirkt. Zudem erscheint es wenig wahrscheinlich, dass es im Verfahren nur um einen Umgangsausschluss oder einen in Frankreich durchzuführenden Umgang gehen wird, vielmehr kommt auch in Betracht, den Umgang in den Ferien in Deutschland stattfinden zu lassen - wofür der Vater dann Urlaub nehmen müsste und was dem Vorwurf nnn , sich "abgestellt zu fühlen", entgegenwirken würde. Ferner ist zu klären, wie und wo die Wiederaufnahme des Umgangs zu gestalten ist, gerade weil der Eindruck besteht, dass die Mutter den Umgang nicht unbedingt unterstützt. Angesichts dieser Unwägbarkeiten ist nicht ersichtlich, dass ausnahmsweise die Zuständigkeit des französischen Familiengerichts sachgerecht wäre. Die Ausführungen des Vaters im Schriftsatz vom 29. Juni 2006, auf die Auffassung des Senats ist vorab hingewiesen worden, treffen diese Problemlage nicht.
Insoweit mag dahin stehen, ob es überhaupt dem Kindeswohl entspricht, das Verfahren in Frankreich zu führen, wenn sich nnnn der französischen Sprache - zumindest subjektiv - nicht gewachsen fühlt. Das Amtsgericht hat nnn dazu offenbar nicht befragt.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 13a Abs. 1 S. 1 FGG und § 131 Abs. 2 KostO in Verbindung mit § 30 Abs. 2 und 3 KostO.
Ende der Entscheidung
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