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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 06.09.2006
Aktenzeichen: 16 W 11/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 120 Abs. 4 Satz 2
Eine nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO gesetzte Frist zur Abgabe der Erklärung über Änderungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist keine Ausschlussfrist.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 16 W 11/06

06.09.2006

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzansprüchen aus Anwaltsdienstvertrag

hier: Prozesskostenhilfe, Widerruf der Bewilligung

hat der 16. Zivilsenat des Kammergerichts durch die Vorsitzende Richterin am Kammergericht Scheer, den Richter am Kammergericht Dr. Prange, und die Richterin am Kammergericht Gernoth-Schultz am 6. September 2006 beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Rechtspflegers der Zivilkammer 8 des Landgerichts Berlin -8.O.57/04- vom 20. Juni 2006 aufgehoben.

Das Aufhebungsverfahren (§ 120 Abs. 4 ZPO) wird zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverweisen.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 13. April 2004 hatte die Einzelrichterin der Zivilkammer 8 dem Kläger ratenfreie Prozesskostenhilfe für den gesamten Umfang des Klagebegehrens (27.409,56 EUR nebst Zinsen) bewilligt. Der Prozess ist durch den Vergleich der Parteien vom 15. Juli 2004 beendet. In diesem Vergleich hat der Beklagte sich verpflichtet, 4.500 EUR an den Kläger zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs wurden gegeneinander aufgehoben. Gemäß dem Beschluss des Landgerichts vom 22. September 2004 überstieg der Vergleichswert den Streitwert um 3.316,80 EUR.

Mit Verfügung vom 20. Oktober 2005 hat der Rechtspfleger den Kläger aufgefordert, sich darüber zu erklären, ob sich seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse seit Bewilligung der Prozesskostenhilfe verbessert hätten (§ 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO). Infolge eines Anschriftenwechsels konnte diese Aufforderung - und wohl auch die wiederholte Aufforderung vom 13. März 2006 - die LEA-Antwort ist erst am 24. März 2006 bei dem Landgericht eingegangen- zunächst nicht zugestellt werden. Zugegangen sind dem Kläger aber die weitere Erinnerung vom 13. April 2006 und vom 17. Mai 2006, letztere mit Fristsetzung und Androhung der Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung. Mit Beschluss vom 20. Juni 2006 hat der Rechtspfleger die Prozesskostenhilfe-Bewilligung aufgehoben.

Auf Nachfrage des Senats vom 21. August 2006 über die Verwendung der erstrittenen 4.500 EUR hat der Kläger erklärt, dass sein Rechtsanwalt 1.266,75 EUR für Honorarkosten einbehalten habe und dass er je 1.500 EUR an Freunde habe zurückzahlen müssen, die ihm Darlehen gewährt hätten.

II.

Die zulässige Beschwerde des Klägers gegen die Aufhebung der Prozesskostenhilfe-Bewilligung führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung (§ 572 Abs. 3 ZPO) zur erneuten Prüfung und Entscheidung an den Rechtspfleger des Landgerichts.

Nach § 124 Ziff. 2 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO nicht abgegeben hat. Nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO hat sich die Partei auf Verlangen des Gerichts darüber zu erklären, ob eine Änderung der für die Prozesskostenhilfe maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten ist. Der Kläger ist dem berechtigten Verlangen des Rechtspflegers bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht nachgekommen.

Der Senat folgt der Auffassung des Landgerichts nicht, dass die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung Sanktionscharakter hat und dass nach Erlass der Aufhebungsentscheidung aber vor deren Bestandskraft eingehender Sachvortrag nicht mehr berücksichtigt werden könne.

Die Fristen nach § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO sind keine Ausschlussfristen (Baumbach/ Lauterbach / Albers/ Hartmann, ZPO, 61. Aufl., § 120 Rz. 29, § 124 Rz. 39; Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 120 Rz. 28; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 124 Rz. 3, alle m. w. N.). Für die Annahme von Ausschlussfristen hätte es einer entsprechenden gesetzlichen Regelung bedurft. § 120 Abs. 4 S. 2 ZPO sieht nur die Einräumung von Erklärungsfristen durch das Gericht vor. Deren Sinn besteht darin, dass erforderliche Erklärungen und Nachweise binnen angemessener Zeit beschafft werden. Ein endgültiger Rechtsverlust ist mit der Versäumung der Fristen nicht verbunden. Auch die Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Ziff. 2 ZPO ist - bis zur Bestandskraft der Entscheidung - nicht in diesem Sinne endgültig.

Der Beschwerdeführer kann auch erstmals im Beschwerdeverfahren geltend machen, dass die Bewilligungsvoraussetzungen weiterhin vorlagen. Hierfür spricht insbesondere, dass die Beschwerde nach § 571 Abs. 2 S. 1 ZPO grundsätzlich auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden, vgl. BAG MDR 2004, 597 m. w. N..

Dem Landgericht ist zwar dahin zuzustimmen, dass es unbefriedigend ist, wenn die Bemühungen um Auskunftserteilung zunächst unbeachtet bleiben und überhaupt erst im Beschwerdeverfahren - also nach dem Abfassen, Ausfertigen und Versenden der erstinstanzlichen Entscheidung - eine Reaktion des Auskunftspflichtigen erfolgt. Es wäre aber die Aufgabe des Gesetzgebers, der die Frist des § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht als Ausschlussfrist formuliert hat, einen Rechtsverlust in der Sache also nicht wollte, derartige Versäumnisse des Auskunftspflichtigen auf andere Weise, etwa über eine Kostenregelung (vergleichbar etwa dem § 97 Abs. 2 ZPO oder auch nur durch eine Ermessenseröffnung für das Beschwerdegericht) im Rahmen im Kostenverzeichnisses Nr. 1811 zu sanktionieren. Vorliegend ist jedoch zusätzlich zu beachten, dass der Kläger nicht insgesamt vier Anfragen aus der Zeit von Oktober 2005 bis Mai 2006 unbeantwortet gelassen hatte.

Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass die Anfragen vom 20. Oktober 2005 und vom 13. März 2006 noch an die alte Anschrift des Klägers gerichtet waren, unter der er bereits seit dem 1. Dezember 2004 nicht mehr erreichbar war. Zu einer unaufgeforderten Mitteilung seiner neuen Anschrift war der Kläger entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht verpflichtet.

Nach Eingang der EMA-Auskunft erst am 24. März 2006 ist davon auszugehen, dass dem Kläger nur die Anfragen vom 13. April 2006 und vom 17. Mai 2006 zugegangen sind. Ein Antrag des Klägers auf Verlängerung der Nachweisfrist ist allerdings nicht zu den Akten gelangt.

Im Beschwerdeverfahren hat der Kläger auf die Auflage des Senats vom 21. August 2008 weitere Auskünfte erteilt. Ob diese eine Änderung der zunächst ratenfrei gewährten Prozesskostenhilfe rechtfertigen oder etwa die Anordnung einer Einmalzahlung aus dem Vermögen erscheint jedenfalls nicht eindeutig.

Der Senat sieht, um der vom Gesetzgeber eröffneten Ermessensentscheidung (§ 120 Abs. 4 ZPO) der ersten Instanz nicht vorzugreifen, von einer eigenen Entscheidung ab und verweist die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurück.

Wegen der Möglichkeit, Einmalzahlungen aus dem Vermögen (auch: Forderungen gegen Dritte) anzuordnen, wird darauf hingewiesen, dass nach dem Vorbringen des Klägers in seiner Eingabe vom 31. August 2006 sein Rechtsanwalt Mnn ungeachtet der für den vollen Klageantrag bewilligten Prozesskostenhilfe von der Vergleichssumme 1.266,75 EUR Anwaltshonorar einbehalten haben soll. Eine Rechtfertigung hierfür ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Die Forderungssperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO endet erst mit (bestandskräftiger) Aufhebung der Bewilligung nach § 124 ZPO (dazu: Zöller -Philippi, ZPO, 25. Aufl. § 122 Rdnr. 12 und § 124 Rdnr. 24). In seinem Prozesskostenhilfe-Vordruck vom 2. April 2004 hatte der Kläger auch keine (älteren) Forderungen seines Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Mnn aufgelistet. Zwar überstieg der Vergleichswert den Streitwert um 3.316,80 EUR (Bl. 71 d.A.) und für diesen übersteigenden Betrag hatte der Kläger nicht gesondert um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ersucht (dazu: Zöller-Philippi, a. a. O. § 119 Rdnr. 25). Die allenfalls gerechtfertigte Differenzgebühr für den übersteigenden Vergleichswert kann aber die einbehaltenen 1.266,75 EUR keinesfalls erreichen.

Ende der Entscheidung

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