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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 25.07.2007
Aktenzeichen: 2/5 Ws 333/06 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 11
StVollzG § 11 Abs. 2
StVollzG § 116 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 2/5 Ws 333/06 Vollz

In der Strafvollzugssache

des Strafgefangenen

wegen selbständiger Lockerungen

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 25. Juli 2007 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Gefangenen werden der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 17. Mai 2006 und der Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Tegel - Sozialtherapeutische Anstalt - vom 19. Januar 2006 - LSothAa - 451 E - 1262/01 - aufgehoben.

Die Vollzugsbehörde wird verpflichtet, über den Antrag des Gefangenen auf die Gewährung von Tagesausgängen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden.

Die Landeskasse Berlin hat die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Gefangenen in beiden Rechtszügen zu tragen.

Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 2.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Der Gefangene verbüßt zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Tegel eine lebenslange Freiheitsstrafe. Mit Bescheid vom 19. Januar 2006 hat ihm die Vollzugsbehörde die Gewährung selbständiger Lockerungen in Form von Tagesausgängen verwehrt. Mit dem angefochtenen Beschluß vom 17. Mai 2006 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Abs. 1 StVollzG) vom 3. Fe-bruar 2006 abgelehnt, die Anstalt zu verpflichten, ihm die begehrten Lockerungen zu gewähren. Seine Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg.

I.

Das Stadtgericht Berlin (Ost) verurteilte den - bereits 1967 im Alter von 18 Jahren erstmals wegen Vergewaltigung seiner 16-jährigen Freundin straffälligen - Antragsteller am 15. August 1980 wegen Mordes in Tateinheit mit Raub sowie wegen weiterer Straftaten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Während der Strafverbüßung in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg waren ihm seit September 1990 unselbständige Lockerungen, seit 1991 selbständige Lockerungen in Form von Urlaub und Ausgang gewährt worden; seit Mai 1993 befand er sich im Freigang. Das Landgericht Potsdam stellte mit Beschluß vom 23. November 1994 die besondere Schwere der Schuld fest (indem es den diesbezüglichen Ausführungen der Staatsanwaltschaft in deren Antragsschrift nicht entgegentrat), bestimmte die Mindestverbüßungsdauer auf 16 Jahre und setzte die Strafvollstreckung mit Wirkung vom 11. August 1995 zur Bewährung aus. Die Ausführungen im angefochtenen Beschluß, die besondere Schwere der Schuld sei noch nicht festgestellt (S. 3 BA) binden den Senat nicht, da sie angesichts der Vollstreckungslage offensichtlich falsch sind: Eine Mindestverbüßungsdauer von mehr als 15 Jahren setzt die vorherige Feststellung der besonderen Schwere der Schuld voraus (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl., § 57a Rdnrn. 16, 18).

Am selben Tage (11. August 1995) wurde der Antragsteller aus der Haft entlassen. Bereits in der Nacht vom 29. zum 30. September 1995 begab er sich auf eine lange Zechtour, an deren Ende er am Vormittag des 30. September 1995 eine Mitarbeiterin der Gaststätte unter Einsatz massiver körperlicher Gewalt sowie einer Pistole erheblich verletzte und beraubte sowie versuchte, sie zu vergewaltigen. Am 1. Oktober 1995 wurde er wieder inhaftiert; seitdem befindet er sich ununterbrochen in Haft. Das Landgericht Berlin verurteilte ihn am 14. Februar 1996 wegen schweren Raubes in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung, sexueller Nötigung, gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren.

Die Strafaussetzung zur Bewährung wurde anschließend widerrufen. Der Antragsteller verbüßte die zeitige Freiheitsstrafe bis zum 29. September 2001. Seitdem wird wieder die lebenslange Freiheitsstrafe vollstreckt. Seit dem 8. Oktober 1999 wurde er in unregelmäßigen Abständen - zunächst in Begleitung von drei, später zwei, seit dem 10. Dezember 2003 nur einem Bediensteten - zu seinen Vollzugshelfern ausgeführt. Seit dem 13. Juni 2002 wird die Strafe in der Sozialtherapeutischen Anstalt (SothA) der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel vollzogen.

Anfang 2004 beantragte der Gefangene die Gewährung selbständiger Lockerungen in Form von Tagesausgängen. Am 23. April 2004 beschloß die Vollzugsplankonferenz, ein externes Gutachten zur Lockerungseignung einholen zu lassen, das die Aufsichtsbehörde, die Senatsverwaltung für Justiz, am 28. Oktober 2004 in Auftrag gab. Aufgrund des von dem Sachverständigen Dr. S... L... erarbeiteten Gutachtens vom 23. April 2005 befürwortete die SothA der JVA Tegel am 30. Juni 2005 die Zulassung des Gefangenen zu selbständigen Lockerungen. Aus dem Gutachten gehe zwar eine langfristig schlechte Kriminalprognose hervor, weil der Gefangene keinen Zugang zu seiner Sexual- und Aggressionsproblematik gefunden habe. Er sei daher derzeit für den Fall der Entlassung auf Bewährung genauso gefährlich wie seinerzeit im Jahre 1995. Für Vollzugslockerungen sehe der Gutachter jedoch kein Mißbrauchsrisiko. Die Aufsichtsbehörde stimmte dem nicht zu, da das Gutachten eine schlechte kriminalprognostische Langzeitprognose ausweise. Deshalb lasse sich für eine mögliche selbständige Lockerung keine sinnvolle Perspektive entwerfen.

Mit Bescheid vom 19. Januar 2006 lehnte die SothA die Lockerungen in Form von Tagesausgängen unter weitgehender Übernahme der an sie gerichteten schriftlichen Ausführungen der Senatsverwaltung ab:

Die Erwartung des Gutachters, die Intensivierung der Lockerungen werde eine günstigere prognostische Befundlage schaffen, muteten spekulativ an. Es sei völlig offen, welches Zeitintervall erforderlich sei, um mittels der Gewährung selbständiger Lockerungen zu einer Verbesserung der Langzeitprognose zu gelangen. Die Verfügung der Senatsverwaltung endet mit den Worten: "Angesichts der fehlenden Perspektive ist die Zulassung zu Vollzugslockerungen derzeit nicht zu vertreten, auch wenn das Risiko eines Lockerungsversagens entsprechend Ihrer Einschätzung und derjenigen des Gutachters als nicht hoch veranschlagt wird."

Die SothA beschloß daraufhin, eine Diplom-Psychologin mit der Durchführung einer Anzahl probatorischer Sitzungen mit dem Beschwerdeführer zu betrauen, deren inhaltlicher Schwerpunkt dessen aggressive Persönlichkeitsanteile und dessen Sexualkriminalität sein sollten, um eine weitere Behandlungsprognose zu erarbeiten. "Nach alledem" könne dem Antrag des Gefangenen auf Gewährung eines Ausgangs "am 23. Januar 2006" "aus den Gründen der Entscheidung der Senatsverwaltung für Justiz nicht entsprochen werden.

Daraufhin beantragte der Gefangene (§ 109 Abs. 1 StVollzG), die Vollzugsbehörde zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Januar 2006 selbständige Lockerungen zu gewähren. Dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung trat die JVA Tegel unter anderem damit entgegen, die inzwischen mit der Psychologin durchgeführten probatorischen Sitzungen bestätigten, daß die Behandlungsfähigkeit des Antragstellers begrenzt sei und daß sich weder durch Lockerungen noch durch therapeutische Interventionen eine relevante Verbreiterung der Tatsachengrundlage schaffen lasse. Eine Lockerungsplanung würde mangels langfristiger Perspektive "ins Leere gehen".

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 17. Mai 2006 lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 3. Februar 2006 und den gleichzeitigen Antrag auf Prozeßkostenhilfe ab, legte dem Antragsteller die Verfahrenskosten auf und bemaß den Streitwert auf 600 Euro.

Daß der Antragsteller die Minimalvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 StVollzG erfülle (keine Flucht- und Mißbrauchsgefahr), verschaffe ihm keinen Anspruch auf selbständige Lockerungen. Es handele sich bei der Prüfung der Flucht- und Mißbrauchsgefahr um Prognoseentscheidungen, weshalb sich die gerichtliche Überprüfung auf deren Vertretbarkeit beschränken müsse, nämlich darauf, ob die Behörde einen vollständigen und zutreffenden Sachverhalt ermittelt und ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zugrundegelegt hat. Auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1998 - 2 BvR 77/97 - (NStZ 1998, 373 = NJW 1998, 2202 = StV 1998, 428) könne er sich nicht mit Recht berufen. Denn anders als bei dem dortigen Beschwerdeführer hänge seine Entlassung in die Freiheit nicht nur noch von der positiven Kriminalprognose eines Richters ab, sondern er sei - wie das prognostische Gutachten beweise - von der Erarbeitung einer solchen Prognose noch weit entfernt. Die Lockerungen erfüllten keinen Selbstzweck. Dafür, daß sie zu einer günstigeren prognostischen Entwicklung führen könnten, fehle jeder Anhalt. Mit der rechtzeitig erhobenen Rechtsbeschwerde erhebt der Antragsteller die Sachrüge. Die SothA habe keine eigene Entscheidung getroffen, sondern sei ohne eigene Erwägungen der oktroyierten Weisung der Senatsverwaltung für Justiz gefolgt. In dem angefochtenen Beschluß sei die Bewertung der Notwendigkeit von Lockerungen in sich widersprüchlich, und die Strafvollstreckungskammer habe den Begriff "Mißbrauchsgefahr" unzulässig gedeutet. Ferner habe sie sich dem Zirkelschluß der Aufsichtsbehörde angeschlossen, daß das Fehlen einer guten langfristigen Kriminalprognose dazu führe, daß Lockerungen nicht sinnvoll seien - weil ja die Langzeitperspektive fehle. Der Gutachter jedenfalls habe das Gegenteil erwartet, nämlich daß Lockerungen zu einer größeren Erkenntnisbasis für eine eventuelle spätere Entlassung führen könnten.

Die Rechtsbeschwerde erfüllt die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, da es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Denn sie wirft die Rechtsfrage auf, unter welchen Voraussetzungen trotz Fehlens der Mißbrauchsgefahr Lockerungen versagt werden dürfen. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg.

II.

1. Allerdings greift die Beanstandung der Rechtsbeschwerde nicht durch, die SothA habe keine Ermessensentscheidung getroffen, als sie - entgegen ihrem ursprünglichen Votum - die Lockerungen aufgrund der ablehnenden Haltung der Senatsverwaltung für Justiz versagte. Die Sache liegt anders als in dem Fall, der dem Beschluß des Senats vom 22. August 2001 - 5 Ws 121/01 Vollz - (StV 2002, 36 mit Anm. Heischel = ZfStrVO 2002, 310) zugrundelag. Dort hatte sich die Senatsverwaltung für Justiz ohne nähere Begründung gegen die Verlegung des zu lebenslanger Strafe Verurteilten in dem offenen Vollzug ausgesprochen. Die Anstalt hatte daraufhin den Urlaubsantrag des Gefangenen mit einer (unzureichenden) formalen Begründung abgelehnt, die keine Abwägung erforderte; mithin konnte sie kein Ermessen ausgeübt haben. Hier hat die Senatsverwaltung für Justiz - ihrer diesbezüglichen Verpflichtung entsprechend (vgl. OLG HansOLG Hamburg ZfStrVO SH 1978, 185) - ihre Ansicht begründet. Die SothA hat diese Begründung in ihren Bescheid aufgenommen und sie sich so zueigen gemacht. Das genügt. Denn die von der Aufsichtsbehörde erteilte Weisung ist - wenn sich die angewiesene Behörde ihr anschließt - zugleich als Ermessensausübung durch die Vollzugsbehörde zu behandeln (vgl. Franke ZfStrVO 1978, 187, 191). Daß die SothA nach dem Ein-rücken der anweisenden Stellungnahme der Aufsichtsbehörde nur wenige eigene Worte hinzugefügt und den abschließenden Satz des Bescheides mit den Worten "nach alledem" eingeleitet hat, mag darauf hindeuten, daß die Mitarbeiter der SothA von der Richtigkeit ihres eigenen Votums überzeugt blieben. Eine rechtliche Bedeutung kommt dieser stilistischen Eigenheit des Bescheides nicht zu. Die Vollzugsbehörde hat rechtlich eine einheitliche Ermessensentscheidung getroffen.

2. Der angefochtene Beschluß muß aufgehoben werden, weil der dort ebenso wie im Bescheid der Vollzugsbehörde bejahte Versagungsgrund keinen Bestand haben kann.

a) Unklar bleibt in den Entscheidungsgründen der Kammer zunächst, ob sie von dem Vorhandensein einer Mißbrauchsgefahr ausgegangen ist. Auf S. 2 unten, S. 3 oben der Beschlußausfertigung (BA) teilt sie mit, daß es sich bei der Prüfung der Flucht- und Mißbrauchsgefahr, den Minimalvoraussetzungen bzw. -anforderungen, um Entscheidungen handele, für die der Anstalt kein Ermessen zustehe; ihre Prognoseeinschätzung sei aber nur eingeschränkt auf ihre Vertretbarkeit überprüfbar. Sie fährt dann mit der Erwägung fort, der Beschwerdeführer könne sich nicht auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. März 1998 - 2 BvR 77/97 - (NJW 1998, 2202) berufen, weil die dortige Sachverhaltsgestaltung nicht auf ihn zutreffe, weil er der Entlassung zur Bewährung noch sehr fern sei. Das Bundesverfassungsgericht habe indes in dem von ihm entschiedenen Fall angenommen, die Entlassung hänge nur noch von der positiven Entscheidung eines Richters ab. Jene Entscheidung befaßt sich damit, daß die Anstalt dem Gefangenen eine Lockerung unter Hinweis auf eine abstrakte Flucht- oder Mißbrauchsgefahr verweigert hatte; dieser - für den Gefangenen günstige - Unterschied zum hiesigen Fall wird in dem angefochtenen Beschluß nicht deutlich.

Im Streitfall hat die Vollzugsbehörde keine Flucht- oder Mißbrauchsgefahr festgestellt und ihre Weigerung nicht auf diese Weise begründet. Von Fluchtgefahr ist überhaupt keine Rede. Zur Mißbrauchsgefahr finden sich in dem Bescheid der Vollzugsbehörde vom 19. Januar 2006 folgende Passagen:

S. 3: "Da die missbrauchsprognostisch unbedenkliche Zulassung zu selbständigen Lockerungen eine breitere Befundlage für spätere kriminalprognostische Einschätzungen ermöglichen würde, wurde - vorbehaltlich der Zustimmung der Senatsverwaltung - geplant, dass Sie im Rahmen strukturierter und zeitlich begrenzter Tagesausgänge gemäß § 11 StVollzG zunächst für ein viertel Jahr zweimal monatlich die Möglichkeit erhalten sollten, zu Ihren Vollzugshelfern zu gehen."

S. 4: Die gutachterliche Kernaussage besteht in der Feststellung einer schlechten Langzeitkriminalprognose bei gleichzeitig weniger problematischer Lockerungsprognose. Daraus ergibt sich die Unmöglichkeit, für die Lockerungsvergabe eine sinnvolle Perspektive zu entwerfen.

Angesichts der fehlenden Perspektive ist die Zulassung zu Vollzugslockerungen derzeit nicht zu vertreten, auch wenn das Risiko eines Lockerungsversagens entsprechend Ihrer Einschätzung und derjenigen des Gutachters als nicht hoch veranschlagt wird."

Diese Ausführungen belegen sowohl in ihrer Wortwahl ("missbrauchsprognostisch unbedenklich", "weniger problematische Lockerungsprognose", "Risiko nicht hoch") als auch in der vollständigen Abwesenheit einer Begründung eines etwaigen Risikos, daß die Ablehnung nicht auf die Annahme einer Miß-brauchsgefahr gestützt war.

b) Die Vollzugsbehörde hat bei der Ablehnung einen unzutreffenden Maßstab an den Versagungsgrund angelegt. Im Kern sind ihr Bescheid und ihm folgend der Beschluß der Strafvollstrek-kungskammer damit begründet, daß der Beschwerdeführer zwar die Mindestvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 StVollzG erfülle, ihm die Lockerungen aber mangels einer tragfähigen Entlassungsprognose nicht gewährt werden könnten, weil seine Behandlung im Strafvollzug stagniere und er - im Gutachten ausführlich dargestellt - keinen Zugang zu seinen deliktsbegründenden Charakterdeformierungen habe. Das läuft darauf hinaus, daß Lockerungen nicht gewährt werden können, wenn der Gefangene auf längere Zeit keine realistische Chance auf eine vorzeitige Entlassung hat.

Zutreffend nimmt die Strafvollstreckungskammer eingangs an, daß der Gefangene auch dann keinen Anspruch auf die Gewährung von Lockerungen hat, wenn bei ihm keine Flucht- oder Miß-brauchsgefahr gegeben sind. Die Lockerungen müssen geeignet sein, das Vollzugsziel der Resozialisierung zu fördern (vgl. OLG Hamm NStZ 1988, 198); ihre Gewährung liegt im Ermessen der Anstalt.

Dieses Ermessen darf aber nicht in einer Weise ausgeübt werden, die sich wie die Aufstellung zusätzlicher - nicht vom Gesetzgeber herrührender - Kriterien auswirkt ("Verbot weiterer Voraussetzungen", vgl. Lesting in AK-StVollzG 5. Aufl., § 11 Rdn. 50). Lockerungen sind eigenständige Behandlungsmaßnahmen, die gerade dann sinnvoll sein können, wenn die Voraussetzungen für weitergehende Schritte noch nicht vorliegen (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 11 Rdn. 13). Auch bei einem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten darf die Lockerung nicht von dem Fehlen der Aussicht auf noch weitergehende Lockerungen oder von der unsicheren Verbüßungsdauer abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG NJW 1998, 1133, 1135 = StV 1998, 432; ZfStrVO 1998, 180, 183 = StV 1998, 434 = NStZ-RR 1998, 121; OLG Frankfurt am Main StV 1993, 599; Kruis/ Wehowsky NStZ 1998, 593, 594). Ausgänge und Ausführungen sind nicht nur vorbereitende Maßnahmen im Sinne von § 15 StVollzG für eine bevorstehende Entlassung (vgl. OLG Frankfurt am Main NStZ 1989, 246) oder einen Urlaub (vgl. OLG Hamm NStZ 1985, 189). Die Gewährung von selbständigen Lockerungen ist für die Resozialisierung nicht nur dann förderlich, wenn - bei dem Beschwerdeführer fehlende - konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die die persönlichkeitsbedingt (ggf. auch aufgrund von Haftmüdigkeit) zu beanstandende Unzugänglichkeit des Gefangenen für therapeutische Maßnahmen aufzubrechen versprechen. Wie bei der Beurteilung der Mißbrauchsgefahr (vgl. OLG Karlsruhe ZfStrVO 2004, 108, 110; StV 2002, 34) darf der maßgebende Ansatz nicht derjenige sein, ob überhaupt in der Person des Verurteilten die erneute Gefahr der Begehung von Straftaten droht, sondern entscheidend muß sein, ob gerade die konkret ins Auge gefaßte Lockerung sich voraussichtlich ungünstig auf sein Verhalten oder seine Entwicklung auswirken wird. Das von der Anstalt durch ihren Beitrag erfüllbare Resozialisierungsinteresse des Gefangenen richtet sich auf zweierlei: zum einen auf die Ge-staltung der Rahmenbedingungen, die einer Bewährung und Wiedereingliederung förderlich sind, zum anderen, vor schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzuges bewahrt zu werden (vgl. BVerfG StV 1998, 436). Im Streitfall wird das erstgenannte Ziel durch die gutachterlich bestätigte Fehlhaltung des Gefangenen konterkariert. Der zweite Aspekt greift aber zugunsten des Beschwerdeführers durch: Bei - wie hier - sehr lange Zeit andauerndem Vollzug ist es erforderlich, der Hospitalisierung entgegenzuwirken, um die Lebenstüchtigkeit des Gefangenen zu erhalten (vgl. BVerfGE 64, 261, 272; BVerfG NJW 1998, 1133 = StV 1998, 432, 434 mit weit. Nachw.; ZfStrVO 1998, 180, 182 = StV 1998, 434 = NStZ-RR 1998, 121; OLG Karlsruhe StV 2004, 557; Matzke, Anm. zu OLG Hamm NStZ 1988, 198, 199).

Bei dem Beschwerdeführer kommt hinzu, daß die Vollzugsbehörde und ihr folgend die Strafvollstreckungskammer auch nicht ausreichend die Besonderheiten des Falles berücksichtigt haben. Dem Beschwerdeführer ist es vor etwa 15 Jahren über eine längere Zeit hinweg gelungen, selbständige Lockerungen bis hin zum Freigang durchzustehen. Solange er in die Vollzugsanstalt integriert war, hat er das Erlebnis kurzfristiger Freiheit bewältigt. Massiv überfordert zeigte er sich erst, als nach der Entlassung zur Bewährung die begrenzende und schützende Wirkung der Anbindung an die Anstalt entfallen war.

3. Die Sache ist im Sinne des § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG spruchreif. Einer Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer bedarf es nicht.

Eine Entscheidung des Senats, dem Verurteilten die beantragten Lockerungen zu gewähren, kam aber nicht in Betracht. Denn insoweit war die Sache nicht spruchreif (§ 115 Abs. 4 Satz 1 StVollzG); denn das Ermessen der Vollzugsbehörde ist nicht - was eher außergewöhnlich ist (vgl. die Fallgestaltung bei Hans OLG Hamburg ZfStrVO 2005, 308 = StV 2005, 564) - auf Null geschrumpft (vgl. OLG Karlsruhe ZfStrVO 2004, 108, 109; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2002, 92, 93). Vielmehr muß die Vollzugsbehörde daher über das Begehren des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu befinden (§ 115 Abs. 4 Satz 2 StVollzG). Da es an der Mißbrauchsgefahr fehlt, darf die Gewährung der Ausgänge nicht deshalb versagt werden, weil sich nicht absehen läßt und überwiegend spekulativ bleibt, ob sie zur Gewinnung einer Entlassungsperspektive beitragen können. Die Bestimmung von Art und Ausmaß selbständiger Lockerungen bleibt ihrem Ermessen aber ebenso erhalten wie die Entscheidung darüber, ob konkrete therapeutische Programme, in denen sich der Gefangene befindet, es geboten sein lassen können, Lockerungen zu versagen, weil sie sich kontraproduktiv auf jene auswirken können.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG, §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.

Ist - wie hier - die Hauptentscheidung mit einem zulässigen (vgl. Hartmann, Kostengesetze 37. Aufl., § 63 GKG Rdn. 49) Rechtsmittel angefochten, kann der Senat die Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG ändern (vgl. Kamann/ Volckart in AK, § 121 StVollzG Rdn. 12). Er hält dies für geboten.

Der Streitwert muß höher festgesetzt werden, als es das Landgericht getan hat. Der Senat hält 2000 Euro für angemessen. Die Bemessung auf nur 600 Euro verliert aus dem Blick, daß es dem Beschwerdeführer nicht um die Bewilligung einer einmaligen Vergünstigung geht. Vielmehr erschließt sich die hervorgehobene Bedeutung der Angelegenheit für ihn daraus, daß er Lockerungen begehrt, die seiner Entfremdung vom Leben außerhalb von Gefängnismauern vorbeugen sollen und letztlich zum Ziel haben, sich Chancen für eine vorzeitige Entlassung zu erarbeiten. Angesichts eines aufgrund der ungünstigen Kriminalprognose noch sehr unsicheren, aber vermutlich langen Strafrests hält der Senat die Festsetzung auf 2000 Euro für angemessen (vgl. Kamann/ Volckart in AK, § 121 StVollzG Rdn. 11).

Ende der Entscheidung

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