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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 14.05.2009
Aktenzeichen: 2 AR 15/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4
1. Ein Verweisungsbeschluss ist u. a. dann nicht bindend gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO, wenn das verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsregel zwar in den Entscheidungsgründen oder in einem vorangegangenen gerichtlichen Hinweisschreiben erörtert, dabei aber zu einem völlig unvertretbaren Ergebnis gelangt (Senat in st. Rspr., vgl. nur WM 2008, 1571, KGR 2008, 749).

2a. Bei der Bewertung von Schmerzensgeldansprüchen zum Zwecke der Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit ist es jedenfalls nicht völlig unvertretbar, auf die vom Kläger geltend gemachte Anspruchshöhe abzustellen.

2b. Dabei ist es ferner nicht völlig unvertretbar, den Kläger mit seinem Begehren von "500.000 EUR" auch in einer an sich nicht sehr gravierenden Angelegenheit beim Wort zu nehmen, solange Anhaltspunkte für eine vom Wortlaut abweichende Auslegung nicht ersichtlich sind. Insbesondere zwingt der Umstand, dass das Motiv des Klägers für die Klageerhebung seine Verärgerung gegenüber der Beklagten war, nicht zu der Annahme, der Kläger sei mit seinem Antrag nicht ernst zu nehmen. Dasselbe gilt im Hinblick auf den Umstand, dass der Kläger anwaltlich nicht vertreten ist.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 15/09

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 14. Mai 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Dittrich und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Berlin wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Mitte und das Landgericht Berlin streiten über die sachliche Zuständigkeit für einen beim Amtsgericht Mitte eingereichten Antrag, mit dem der nicht anwaltlich vertretene Kläger Prozesskostenhilfe für die Klage begehrt, die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Girokonto auf Guthabenbasis zu eröffnen und ein Schmerzensgeld wegen Diskriminierung zu zahlen. Später teilte der Kläger ergänzend mit, er verlange eine Entschädigung in Höhe von 500.000 EUR, und beantragte auf Hinweis des Amtsgerichts die Verweisung an das Landgericht. Mit Beschluss vom 1. April 2009 erklärte sich das Amtsgericht für sachlich unzuständig und verweis die Sache an das Landgericht. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, der Streitwert übersteige den Betrag von 5.000 EUR, weil bei der Bewertung eines Schmerzensgeldanspruches auf die vom Kläger geltend gemachte Anspruchshöhe abzustellen sei. Mit Beschluss vom 14. April 2009 erklärte sich auch das Landgericht für sachlich unzuständig und legte die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vor. Zur Begründung führte das Landgericht aus, der Streitwert betrage lediglich 4.490 EUR, weil bei der Bewertung eines Schmerzensgeldanspruches auf das Maß seiner Erfolgsaussicht bei Wahrunterstellung des klägerischen Sachvortrages abzustellen sei. Im Übrigen sei die Höhe der klägerischen Forderung Ausdruck der Verärgerung des Klägers und biete daher keinen sachlichen Anhaltspunkt für die Streitwertfestsetzung.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das Amtsgericht Mitte und sodann das Landgericht Berlin mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben. Dabei ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO auch für den Zuständigkeitsstreit im Prozesskostenhilfeverfahren anzuwenden (BGH, NJW-RR 1991, 1342; BGH, BGHR ZPO § 36 Nr. 6 Prozesskostenhilfeverfahren 1; Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 36 Rdnr. 2, m.w.N.).

2.

Das Landgericht ist jedenfalls gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO wegen des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts sachlich zuständig.

a)

Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird; dies gilt auch bei einer Verweisung im Prozesskostenhilfeverfahren (ebenso BGH, NJW-RR 1991, 1342; KG, Beschluss vom 13. März 2008, 22 W 17/08). Anerkannt ist jedoch, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden Entscheidung, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsregel zwar in den Entscheidungsgründen oder in einem vorangegangenen gerichtlichen Hinweisschreiben erörtert, dabei aber zu einem völlig unvertretbaren Ergebnis gelangt (Senat, Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 25/08, WM 2008, 1571-1572; Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 20/08, KGR 2008, 749-751).

b)

Demgemäß ist vorliegend Willkür nicht zu bejahen. Denn das Amtsgericht hat in seinem Beschluss die maßgebliche Zuständigkeitsregel erörtert und im Ergebnis jedenfalls nicht völlig unvertretbar zu Gunsten der Zuständigkeit des Landgerichts beantwortet. So ist es zum einen nicht völlig unvertretbar, bei der Bewertung von Schmerzensgeldansprüchen auf die vom Kläger geltend gemachte Anspruchshöhe abzustellen. Diese Auffassung ist zwar in Rechtsprechung und Literatur umstritten, sie wird aber von vielen vertreten und kann möglicherweise sogar als herrschend bezeichnet werden (vgl. nur Wöstmann in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 3 Rdnr. 121, m.w.N.; zum Streitstand vgl. Herget in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 3 Rdnr. 16 "unbezifferte Klageanträge", m.w.N.). Zum anderen ist es keineswegs unvertretbar, den Kläger mit seiner Erklärung beim Wort zu nehmen, er begehre von der Beklagten Zahlung in Höhe von 500.000 EUR. Anhaltspunkt dafür, dass seine Erklärung abweichend von ihrem Wortlaut auszulegen sei, sind nicht ersichtlich. Insbesondere zwingt der Umstand, dass das Motiv des Klägers für die Antragstellung seine Verärgerung gegenüber der Beklagten war, nicht zu der Annahme, der Kläger sei mit seinem Antrag nicht ernst zu nehmen. Dasselbe gilt im Hinblick auf den Umstand, dass der Kläger anwaltlich nicht vertreten ist.

III.

Ergänzend weist der Senat daraufhin, dass das Landgericht im weiteren Verlauf des Verfahrens zu überprüfen haben wird, ob seine vorläufige Streitwertfestsetzung vom 15. April 2009 unter Berücksichtigung des Vorstehenden Bestand haben kann (§ 63 Abs. 1 und 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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