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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 20.01.2009
Aktenzeichen: 2 AR 179/08 - 4 Ws 118/08
Rechtsgebiete: StrEG


Vorschriften:

StrEG § 2 Abs. 1
StrEG § 2 Abs. 2 Nr. 3
§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StREG ist nicht entsprechend anwendbar auf einen Fall, in dem der in der Schweiz wohnhafte ehemalige Angeklagte geltend macht, er habe finanzielle Einbußen erlitten, weil er sich wegen eines gegen ihn erlassenen (aber nicht vollstreckten) Haftbefehls nicht frei grenzüberschreitend habe bewegen und deshalb seiner beruflichen Tätigkeit mit internationalen Verbindungen nicht in vollem Umfang habe nachgehen können.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 179/08 - 4 Ws 118/08

In der Strafsache

wegen Untreue u. a.

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 20. Januar 2009 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des ehemals Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 6. Oktober 2008 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Dem ehemaligen Angeklagten und Beschwerdeführer wurde mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 14. November 2000 vorgeworfen, im Zeitraum vom 27. Dezember 1990 bis zum 3. Juni 1992 in Berlin und andernorts im Zusammenhang mit dem Ankauf der in Berlin ansässigen Unternehmung "WBB Wärmeanlagenbau GmbH" von der Treuhandanstalt gemeinschaftlich mit anderen Betrugs- und Untreuetaten begangen bzw. Beihilfe hierzu geleistet zu haben. Im Zeitraum vom 27. Dezember 1996 bis zum 30. April 2002 bestand gegen ihn Haftbefehl, der jedoch nicht vollstreckt wurde, weil sich der Beschwerdeführer an seinem Wohnsitz in der Schweiz aufhielt.

Durch rechtskräftigen Beschluss vom 31. Juli 2007 stellte das Landgericht Berlin das Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen eingetretener Verfolgungsverjährung gemäß § 206a StPO ein und entschied, dass der ehemalige Angeklagte für die Durchsuchung seiner Wohnräume in Bottmingen (Schweiz) sowie "die in diesem Verfahren erfolgten Sicherstellungen und Beschlagnahmen" - gemeint war ausweislich der Beschlussgründe die (bloße) Anordnung eines dinglichen Arrestes - zu entschädigen sei.

Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 3. April 2008 hat der ehemalige Angeklagte beantragt, im Wege des isolierten Beschlussverfahrens nach § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG festzustellen, dass er auch für die Schäden zu entschädigen sei, die ihm infolge des Bestehens des Haftbefehls entstanden seien. Wegen des Haftbefehls habe er sich nicht frei grenzüberschreitend bewegen und deshalb seiner beruflichen Tätigkeit mit internationalen Verbindungen nicht in vollem Umfang nachgehen können. Er ist der Auffassung, dass § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StrEG auf einen nicht vollzogenen Haftbefehl entsprechend anzuwenden sei.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Berlin die Entschädigung versagt. Hiergegen richtet sich die nach § 8 Abs. 3 Satz 1 StrEG zulässige sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat einen Anspruch auf Entschädigung nach dem StrEG zu Recht verneint. Aus § 2 StrEG ergibt sich weder direkt noch in analoger Anwendung ein Anspruch auf Entschädigung für Schäden, die aufgrund eines erlassenen, aber nicht vollzogenen Haftbefehls entstanden sind.

1. Nach § 2 Abs. 1 StrEG sind nur solche Schäden entschädigungsfähig, die durch den Vollzug von Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme entstanden sind.

a) Im Gegensatz zu der in § 1 StrEG geregelten Entschädigung für Urteilsfolgen stellt das Gesetz in § 2 StrEG "unmissverständlich klar" (vgl. Schätzler/Kunz, StrEG 3. Aufl., § 2 Rdn. 6), dass eine Entschädigung für vorläufige Strafverfolgungsmaßnahmen von deren Vollzug abhängt (vgl. Schätzler/Kunz, § 2 StrEG Rdn. 15; OLG Bamberg NStZ 1989, 185 [die bei Schätzler/Kunz zitierte Fundstelle trifft nicht zu]; LG München I AnwBl 1981, 292; LG Flensburg DAR 1999, 279). Dies bedeutet für den Fall der Untersuchungshaft, dass der Schaden unmittelbar durch die tatsächlich erlittene Freiheitsentziehung entstanden sein muss (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 2 StrEG Rdn. 2). Die Regelung ist nach ihrem eindeutigen Wortlaut auf die Konstellation eines nicht vollzogenen Haftbefehls nicht direkt anwendbar.

b) Auch die von der Verteidigung befürwortete analoge Anwendung kommt nicht in Betracht. Hierfür fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat statt einer umfassenden eine differenzierte Regelung von Entschädigungsmöglichkeiten für Strafverfolgungsmaßnahmen getroffen (vgl. OLG Jena, NStZ-RR 2001, 160). Hierbei hat er bei den vielfältigen Änderungen des StrEG - ausdrücklich unter Berücksichtigung in der praktischen Gesetzesanwendung zutage getretener Lücken und Mängel (vgl. etwa BT-Drs. 8/473, S. 5) - an dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 1 keine Korrektur vorgenommen. Ferner hat er sich in bewusster Verfolgung des Zieles einer Begrenzung auf die seiner Ansicht nach entschädigungswürdigen Maßnahmen in einer abschließenden Aufzählung für eine sorgfältige Aussonderung derjenigen Sachverhalte entschieden, in denen er eine Entschädigung für nicht gerechtfertigt erachtete (vgl. BT-Drs. aaO.); andererseits hat er den Katalog der entschädigungsfähigen Maßnahmen stetig ergänzt (vgl. Schätzler/Kunz aaO. Rdn. 7). Nichts spricht dafür, dass der Gesetzgeber des StrEG die hier in Rede stehende, nicht außergewöhnliche Konstellation übersehen oder in anderer Weise planwidrig ungeregelt gelassen hätte.

Die aus den Gesetzesmaterialien ersichtliche Intention des Gesetzgebers lässt einen Zweifel an dem klaren Wortlaut des § 2 Abs. 1, Abs. 2 StrEG nicht aufkommen. In Rechtsprechung und Literatur ist demgemäß anerkannt, dass die Aufzählung der entschädigungsfähigen Tatbestände in § 2 Abs. 1, Abs. 2 StrEG abschließend ist (vgl. OLG Jena aaO.; OLG Hamm, Beschluss vom 18. Mai 2001 - 19 W 16/01 - [juris]; Schätzler/Kunz aaO.; Meyer-Goßner, § 2 StrEG Rdn. 1; D. Meyer, StrEG 7. Aufl., § 2 Rdn. 8 m.w.N.). Der Rechtsprechung ist ungeachtet der Frage, ob die gesetzgeberische Auswahl überzeugend oder befriedigend erscheint, eine Erweiterung der entschädigungsfähigen Maßnahmen darüber hinaus untersagt; diese ist dem Gesetzgeber vorbehalten (vgl. D. Meyer aaO.).

Sonstige, nicht aus dem Vollzug, sondern infolge der bloßen Anordnung einer Maßnahme entstandenen Schäden sind demnach nicht entschädigungsfähig (vgl. BGH MDR 1979, 562 [betreffend eine Beschlagnahme]; OLG Hamburg MDR 1982, 519; D. Meyer, § 2 StrEG Rdn. 18 m.w.N.). Gleiches gilt für Nachteile, die allein durch die Einleitung und das Bekanntwerden eines Strafverfahrens eintreten (vgl. BGH aaO.; OLG Schleswig SchlHA 2000, 68; Schätzler/Kunz, § 2 StrEG Rdn. 9). Solche Nachteile sind vom Betroffenen als Beitrag dazu, dass die Strafrechtspflege dem Schutz aller dient (vgl. Schätzler/Kunz § 2 StrEG Rdn. 7), entschädigungslos hinzunehmen, wenn ihm nicht andere Haftungsgrundlagen zur Seite stehen.

Eine allgemeine entsprechende Anwendung des StrEG auf vom Wortlaut nicht erfasste Maßnahmen und Sachverhalte ist grundsätzlich nicht zulässig (vgl. BGHSt 36, 236 = NStZ 1989, 535 betreffend Beugehaft gegen Zeugen; OLG Schleswig SchlHA 1983, 121 betreffend Ordnungshaft nach § 178 GVG; KG, Beschluss vom 25. Februar 2005 - 5 Ws 67/05 - [juris] betreffend Strafvollstreckungsmaßnahmen; OLG Hamm aaO. betreffend Abschiebehaft; BGHSt 32, 221 betreffend Auslieferungshaft auf Ersuchen ausländischer Behörden; hierzu auch OLG Düsseldorf NJW 1992, 646 [nachfolgend Nichtannahmeschluss des BVerfG vom 5. Juni 1992 - 2 BvR 1403/91 -]; D. Meyer aaO. Einl. Rdn. 39; jeweils m.w.N). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz (wie etwa in dem Fall BGHSt 30, 152; zum Ausnahmecharakter jener Entscheidung ausdrücklich BGHSt 32, 221, 225) ist vorliegend nicht veranlasst. Die Rechtsordnung enthält spezielle Regelungen über die entsprechende Anwendbarkeit des StrEG (vgl. etwa § 76 Abs. 2 BDG, § 134 Abs. 2 WDO; §§ 110, 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 18 StrEG); daraus ist im Wege des Umkehrschlusses zu entnehmen, dass es über die genannten Fälle hinaus nicht analog zur Anwendung gelangt (vgl. OLG Karlsruhe Justiz 1979, 238, 239).

Die gesetzgeberische Differenzierung findet ihre sachliche Begründung in dem Erfordernis der forensischen Handhabbarkeit des Gesetzes. Zwar widerspräche eine Entschädigung für Schäden, die auf nach eigenem Ermessen getroffenen Entscheidungen des Betroffenen beruhen, nicht dem im StrEG verkörperten Gedanken des Sonderopferausgleichs; auch das bloße Bestehen eines Haftbefehls kann nachteilige Folgen für den Betroffenen haben. Die Kausalität zwischen einer staatlichen Zwangsmaßnahme und nachteiligen Folgen, die nicht unmittelbar aus dem Vollzug der Maßnahme resultieren, wäre aber nur schwer festzustellen. Es ist deshalb im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit für die Anwendung des § 2 StrEG auf einen objektiv feststellbaren hoheitlichen Zwangseingriff in die Rechtsposition des Beschuldigten abzustellen (vgl. D. Meyer, § 2 StrEG Rdn. 18, 19).

Würde schon der Bestand eines Haftbefehls die Entschädigungspflicht begründen, hätte es im Übrigen der Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 3 StrEG für Maßnahmen gemäß § 116 StPO nicht bedurft; denn diese setzen notwendigerweise einen bestehenden Haftbefehl voraus.

2. Der Beschwerdeführer ist durch die Ablehnung einer Entschädigung nach dem StrEG nicht rechtlos gestellt. Er hat die Möglichkeit, auf andere Anspruchsgrundlagen (etwa Art. 5 Abs. 5 EMRK oder Amtshaftung) zurückzugreifen, sofern deren Voraussetzungen vorliegen. Über solche Ansprüche ist aber nicht im Rahmen des Strafverfahrens, sondern von den Zivilgerichten zu entscheiden (vgl. KG aaO.).

II.

Auf die Frage, ob eine (irrtümlich oder bewusst) unterbliebene Entschädigungsentscheidung im Verfahren nach § 8 Abs. 1 Satz 2 StrEG nachgeholt werden kann (vgl. dazu nur Meyer-Goßner, § 8 StrEG Rdn. 7 m.w.N.), kommt es vorliegend nach allem nicht an.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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