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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 29.05.2008
Aktenzeichen: 2 AR 25/08
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 22 | |
ZPO § 29c Abs. 1 Satz 2 | |
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4 |
2) Zur Zuständigkeit nach § 22 ZPO im Falle mittelbarer Beteiligung an einer Publikumsgesellschaft. 3) Zur ausnahmsweisen Verneinung der Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO wegen richterlicher Willkür.
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 2 AR 25/08
In dem Rechtsstreit
hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 29. Mai 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Dittrich und Dr. Glaßer
beschlossen:
Tenor:
Das Landgericht Berlin wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe:
I.
Das Landgericht Berlin und das Landgericht Bielefeld streiten über die örtliche Zuständigkeit für ein Verfahren, in welchem die Klägerin - ein geschlossener Immobilienfonds - die Beklagten - zwei Fondsanleger - auf Erfüllung von Nachschusspflichten in Anspruch nimmt. Der Fonds hat seinen Sitz in Berlin; die Beklagten haben ihren Wohnsitz in Bielefeld. Die Klage wurde vor dem Landgericht Berlin erhoben. Zu den Voraussetzungen des Vorliegens eines Haustürgeschäftes im Sinne von § 29c Abs. 1 ZPO, § 312 BGB trugen die Parteien, auch nach gerichtlicher Auflage, nicht konkret vor. Die Klägerin hat in etwa 170 Parallelsachen ebenfalls Nachschusspflichten gegenüber Fondsanlegern vor dem Landgericht Berlin geltend gemacht. Mit mehrseitig begründetem Beschluss vom 25. März 2008 erklärte sich das Landgericht Berlin nach Anhörung der Parteien und auf Antrag der Klägerin für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht Bielefeld. Es ist der Auffassung, das Landgericht Bielefeld sei gemäß § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO ausschließlich örtlich zuständig. Mit Beschluss vom 8. April 2008 lehnte das Landgericht Bielefeld die Übernahme des Rechtsstreits ab. Es ist der Auffassung, dass Landgericht Berlin sei gemäß § 22 ZPO zuständig; § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO greife nicht ein.
II.
1.
Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich die Landgerichte Berlin und Bielefeld mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für örtlich unzuständig erklärt haben.
2.
Das Landgericht Berlin ist gemäß § 22 ZPO örtlich zuständig. Denn die Klägerin ist eine von dieser Vorschrift erfasste Personenhandelsgesellschaft (vgl. Vollkommer in Zöller, 26. Aufl. 2007, § 22 Rdnr. 2, § 17 Rdnr. 5) mit Sitz in Berlin, die einen Anspruch gegen die Beklagten als ihre Gesellschafter geltend macht. Dabei ist der Umstand, dass die Klägerin eine überregional tätige Publikumsgesellschaft mit einer Vielzahl von Anlegern ist, genauso unerheblich (vgl. BGH NJW 1980, 343; Vollkommer in Zöller, a.a.O.) wie der Umstand, dass die Beklagte nicht selbst, sondern vermittels eines Treuhänders in das Handelsregister als Gesellschafter eingetragen sind (Gieseke, DB 1984, 970 [972-973]; unausgesprochen ebenso BayObLG, NJW-RR 2002, 1684).
Die Zuständigkeit des Landgerichts Berlin nach § 22 ZPO ist auch nicht in Folge Eingreifens der Zuständigkeitsnorm des § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO ausgeschlossen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
a)
Im Ausgangspunkt ist - wie beide Landgerichte nicht verkennen - die Zuständigkeitsprüfung gemäß § 29c Abs. 1 Satz 2 ZPO von Amts wegen vorzunehmen, und zwar auf Grundlage des Sachvortrages des Klägers (Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2003, § 29c Rdnr. 14; Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 29c Rdnr. 9; allg. M.), der gerichtsbekannten Tatsachen (Roth in Stein/Jonas, a.a.O.) und des Sachvortrages des Beklagten, soweit dieser vom Kläger nicht bestritten wurde. Für letzteres spricht, dass gemäß § 138 Abs. 3 ZPO das Nichtbestreiten dem zustimmenden bzw. eigenen Sachvortrag der nichtbestreitenden Partei generell gleich steht und dass kein Grund dafür ersichtlich ist, warum im Rahmen der Prüfung der Zuständigkeitsnorm des § 29c Abs. 1 ZPO Abweichendes gelten sollte.
b)
Auf dieser Grundlage ist vorliegend - wie beide Landgerichte wiederum zutreffend erkennen - nicht ohne weiteres anzunehmen, dass eine Haustürsituation vorlag, namentlich, dass die Beklagten mündlich im Bereich ihrer Privatwohnung über die Fondsbeitritte verhandelt haben und diese Situation zumindest mitursächlich für die letztlich erklärten Beitritte war (§ 312 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB). Denn zum einen wird von keiner Parteien behauptet, dass in der Privatwohnung der Beklagten eine mündliche Verhandlung stattgefunden habe. Zum anderen lassen die insofern relevanten Indizien - d.h. der Umstand, dass die Beklagten ihre Beitrittserklärungen in ihrer Wohnsitzgemeinde unterzeichnet haben, der Umstand, dass die Klägerin die Beklagten auf ihre Widerrufsrechte gemäß § 312 BGB hingewiesen hat und der Umstand, dass in einer Reihe von Parallelverfahren die dortigen Beklagten substanziiert, unter Beweisantritt und wohl unbestritten eine Haustürsituation behauptet haben - keinen zwingenden Schluss auf eine solche Verhandlung zu.
c)
Aus der o.g. Grundlage (Buchstabe a.) kann auch keine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Haustürsituation abgeleitet werden.
Zwar dürfte es in vielen Fällen so sein, dass die Zeichnung des Fondsbeitrittes unmittelbar im Anschluss an eine Beratungsgespräch vor Ort erfolgt (betr. den Umstand, dass der Erblasser seiner Beitrittserklärung in seiner Wohnsitzgemeinde unterzeichnet hat). Jedoch ist es bei einer Großstadt wie Bielefeld, mit gut 320.000 Einwohnern, nicht unwahrscheinlich, dass ein etwaiges Beratungsgespräch außerhalb Privatwohnung des Fondsanlageinteressenten stattfindet. Das Beratungsgespräch wird nämlich in aller Regel nicht von der Fondsgesellschaft selbst wahrgenommen, sondern von Vermittlern, wie z.B. Steuerberatern und Banken. In einer Großstadt gib es jedoch eine Vielzahl von Steuerberatern und Banken, die in der Nähe des Wohnsitzes eines Anlageinteressenten ihren Geschäftssitz haben. Es besteht daher - anders als in kleinen ländlichen Gemeinden - keine Notwendigkeit, dass sich der Vermittler zur Privatwohnung des Anlageinteressenten begibt, um diesem eine zeitaufwändige Anreise zu ersparen. Hiervon abweichend, etwa dass der Geschäftssitz der Hausbank oder des etwaigen Steuerberaters der Beklagten für diese von ihrem Wohnsitz aus nur schwer zu erreichen war, z.B. weil er außerhalb Bielefelds lag, ist unwahrscheinlich und wurde von keiner Partei behauptet.
Auch wird es ein Unternehmer zwar schon im eigenen Interesse zumeist vermeiden, seine Kunden auf Widerrufsrechte hinzuweisen, wenn diese in Wahrheit gar nicht bestehen (betr. den Umstand, dass die Klägerin den Erblasser auf sein Widerrufsrecht gemäß § 312 BGB hingewiesen hat). Jedoch ist es gut möglich, dass ein Unternehmer bei Abschluss eines bestimmten Typs von Geschäft pauschal alle seine Kunden auf Widerrufsrechte nach § 312 BGB hinweist, um nicht Gefahr zu laufen, die Hinweispflicht im Einzelfall versehentlich zu verletzen, und um erhöhten Verwaltungsaufwand, der durch einzelfallabhängige Belehrung entsteht, zu vermeiden. In Fällen, in denen - wie vorliegend - nicht der Unternehmer selbst das Geschäfts vor Ort tätigt, sondern ein Vermittler (s.o.) eingeschaltet ist, ist eine solche pauschale Vorgehensweise sogar wahrscheinlich. Denn der Unternehmer kann in solchen Fällen nicht selbst beurteilen, ob eine Haustürsituation im Einzelfall vorlag, weshalb er dann bei einer Strategie der einzelfallabhängigen Belehrung auf die naturgemäß fehleranfällige Einschätzung des Vermittlers angewiesen wäre. Dieses Fehlerrisiko mag er vermeiden wollen.
Zudem gibt zwar die Vortragslage in den Parallelverfahren zu erkennen, dass der Klägerin der Vertrieb der Fondsanteile in Form von Haustürgeschäften nicht grundsätzlich fern lag (betr. den Umstand, dass in einer Reihe von Parallelverfahren die dortigen Beklagten substanziiert, unter Beweisantritt und wohl unbestritten eine Haustürsituation behauptet haben). Hieraus können jedoch nur mit großer Unsicherheit auf bestimmte Wahrscheinlichkeiten im Geschehensablauf des Einzelfall Schlussfolgerungen geschlussfolgert werden.
Offen kann daher bleiben, ob das etwaige Vorliegen einer tatsächlich Vermutung im o.g. Sinne überhaupt rechtlich geeignet wäre, ein Eingreifen des § 29c Abs. 1 ZPO zu bejahen (hierzu Senatsbeschluss vom heutigen Tage, 2 AR 20/08).
3.
Das Landgericht Berlin hat seine Zuständigkeit nicht in Folge seines Verweisungsbeschlusses gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO verloren.
a)
Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Jedoch ist anerkannt, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden Entscheidung, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht eine Norm, die seine Zuständigkeit mit einer gewissen Eindeutigkeit begründet, in den Gründen des Verweisungsbeschlusses nicht erörtert hat oder wenn das Gericht eine solche Norm zwar erörtert, die Verneinung ihres Eingreifens aber völlig unvertretbar ist.
b)
Die genannten Voraussetzungen für die Annahme von Willkür sind vorliegend zu bejahen.
Denn vor dem Hintergrund der obigen Ausführung (Ziff. 1 Buchstab c.) war die Bejahung einer tatsächlichen Vermutung für das Vorliegen einer Haustürsituation völlig unvertretbar. Neben den Umständen, die sämtliche Fondsanlagegeschäfte der Klägerin betreffen und aus denen daher von vornherein nur sehr begrenzt Rückschüsse auf den konkreten Einzelfall gezogen werden können, ist der einzige einzelfallbezogene Anhaltspunkt, der für eine Haustürsituation sprechen könnte, dass die Beitrittserklärung der Beklagten in Bielefeld unterzeichnet werden. Es ist jedoch aus dem o.g. Gründen mit Sicherheit nicht möglich, diesem Umstand zu entnehmen, es sei wahrscheinlich, dass die Unterzeichnung in der Privatwohnung der Beklagten stattgefunden habe.
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagten trotz wiederholter Auflage des Gerichts sich nicht zur Frage des Vorliegens einer Haustürsituation geäußert und noch nicht einmal die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Landgerichts Berlin beanstandet haben. Vor dem Hintergrund, dass ein Bielefelder Gerichtsstand deutlich bequemer für die Beklagten wäre als ein Berliner Gerichtsstand und das Vorliegen einer Haustürsituation den Beklagten auch materiellrechtliche Vorteile gemäß § 312 BGB brächte, spricht das prozessuale Verhalten der Beklagten erheblich gegen das Vorliegen einer Haustürsituation.
Ende der Entscheidung
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