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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.07.2008
Aktenzeichen: 2 AR 36/08
Rechtsgebiete: ZPO, HGB, GVG


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
HGB § 1
GVG § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a
GVG § 102
1a. "Vorsteher" im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a GVG ist der gesetzliche Vertreter der Handelsgesellschaft.

1b. Ist der gesetzliche Vertreter ein aus mehreren Personen zusammengesetztes Organ, so ist jedes Mitglied dieses Organs "Vorsteher", und zwar auch dann, wenn das Mitglied nicht alleinvertretungsberechtigt ist.

1c. Unschädlich ist dabei, ob der gesetzliche Vertreter noch im Zeitpunkt der Klageerhebung diese Funktion inne hat; entscheidend für seine Eigenschaft als "Vorsteher" ist vielmehr, ob er im Zeitpunkt der Entstehung des streitigen Rechtsverhältnisses die Funktion inne hatte.

2. Öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten, die ein Handelsgewerbe im Sinne von § 1 HGB betreiben und im Handelsregister eingetragen sind, sind zumindest bei analoger Anwendung von § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a GVG den Handelsgesellschaften gleichzusetzen.

3. Die Berliner Wasserbetriebe - Anstalt des öffentlichen Rechts - betreiben ein Handelsgewerbe im Sinne von § 1 Abs. 1 und 2, 1. Halbsatz HGB.

4. Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze, nach denen ein Verweisungsbeschluss nach § 281 ZPO wegen Willkürlichkeit ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet, sind auch auf einen Verweisungsbeschluss nach § 102 GVG anzuwenden.

5. Bindungswirkung nach § 102 Satz 2 GVG entfaltet nur eine Verweisung, nicht aber die Ablehnung der Übernahme des Verfahrens bzw. die Verneinung der eigenen Zuständigkeit.

6a. Im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO findet weder eine Amtsermittlung statt noch sind die Parteien durch gerichtliche Auflagenerteilung zu sachverhaltsaufklärendem Vortrag anzuhalten.

6b. Ist ein Sachverhalt, der für die Zuständigkeitsbestimmung erheblich ist, ungeklärt, lehnt das nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zuständige Gericht die Zuständigkeitsbestimmung ab und gibt die Sache an eines der am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichte zurück, damit dieses Gericht den Sachverhalt weiter aufklärt und sodann erneut über die Frage seiner Zuständigkeit entscheidet.

6c. Bei der Frage, an welches streitbeteiligte Gericht die Sache zurückgegeben wird, kann sich das nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zuständige Gericht von Zweckmäßigkeitserwägungen leiten lassen; u.a. von der Erwägung, dass es die Zuständigkeit eines der beiden streitbefangenen Gerichte für wahrscheinlich hält.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 36/08

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 17. Juli 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Dittrich und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen nicht vor.

Die Sache ist weiterhin bei der Kammer für Handelssachen 94 des Landgerichts Berlin anhängig.

Gründe:

I.

Die Zivilkammer 3 und die Kammer für Handelssachen 94 des Landgerichts Berlin streiten über die funktionelle Zuständigkeit für ein Verfahren, in welchem der Kläger betriebliche Ruhegeldansprüche gegen die Beklagte, die B , geltend macht. Der Kläger leitet die Ansprüche aus dem Vertrag ab, mit dem er von der Beklagten als Mitglied des Vorstandes angestellt wurde. Heute ist das Dienstverhältnis beendet.

Die Sache war zunächst bei der Zivilkammer 3 des Landgerichts Berlin anhängig. Auf Antrag der Beklagten verwies die Zivilkammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 24. Mai 2008 (Bl. 26 d.A.) ohne vorherige Anhörung des Klägers an die zuständige Kammer für Handelssachen. Zur Begründung führte die Zivilkammer aus, es handele sich um eine Handelssache, ohne dies näher zu begründen. Der Beschluss wurde beiden Parteien mitgeteilt (Bl. 26 d.A.). Die Kammer für Handelssachen 94 erklärte sich hierauf mit Beschluss vom 27. Juni 2008 (Bl. 45 d.A.) für funktionell unzuständig und legte die Sache zur Zuständigkeitsbestimmung dem Kammgericht vor. Die Kammer für Handelssachen ist der Auffassung, der Beschluss der Zivilkammer sei ausnahmsweise nicht nach § 102 GVG bindend, zudem liege keine Handelssache vor; insbesondere scheitere die Anwendung des § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a) GVG daran, dass die Beklagte keine Handelsgesellschaft, sondern Anstalt des öffentlichen Rechts sei.

II.

1.

Das Kammergericht ist nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, der auf Streitigkeiten über die funktionelle Zuständigkeit zwischen einer Kammer für Handelssachen und einer Zivilkammer entsprechend anzuwenden ist (ebenso OLG Frankfurt, OLGR 2005, 257 [257]; OLG Celle OLGR 2004, 370 [370]; OLG Stuttgart, OLGR 2002, 455 [455]; OLG Braunschweig, OLGR 1995, 154 [154]; Senat, Beschl. v. 13. März 2008, 2 AR 10/08; Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 102 GVG Rdnr. 3), zur Bestimmung des zuständigen Spruchkörpers innerhalb des Landgerichts Berlin berufen. Denn sowohl die Zivilkammer 3 als auch die Kammer für Handelssachen 94 haben sich mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für funktional unzuständig erklärt (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 36 Rdnr. 25).

2.

Allerdings ist der für die Zuständigkeitsbestimmung maßgebliche Sachverhalt nicht hinreichend geklärt. Dies führt zur Zurückgabe der Sache an die Kammer für Handelssachen 94, damit diese den Sachverhalt weiter aufklärt und so auf verbesserter Tatsachengrundlage - unter Berücksichtigung der in diesem Beschluss enthaltenen Hinweise - erneut darüber entscheiden kann, ob es den Verweisungsbeschluss der Zivilkammer 3 akzeptiert.

a.

Maßgeblich für die Bestimmung der funktionellen Zuständigkeit ist u.a. die Frage, ob die Beklagte in das Handelsregister eingetragen ist.

Denn die Kammer für Handelssachen 94 wäre zumindest analog § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a), 4. Alternative GVG ("zwischen Vorsteher einer Handelsgesellschaft und der Gesellschaft") funktionell zuständig, wenn die Beklagte in das Handelsregister eingetragen wäre; wäre die Beklagte nicht im Handelsregister eingetragen, wäre die Zivilkammer 3 funktionell zuständig. Dies ergibt sich aus Folgendem:

aa.

Der Kläger ist Vorsteher der Beklagten.

Vorsteher im Sinne der Vorschrift sind die gesetzlichen Vertreter einer Gesellschaft (Kissel/Mayer, GVG, 5. Aufl. 2008, § 95 Rdnr. 14). Gesetzlicher Vertreter der Beklagten ist zwar gemäß §§ 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 Satz 1 Berliner Betriebe-Gesetz (BerlBG) deren Vorstand, d.h. nicht der Kläger. Denn der Vorstand der Beklagten setzt sich gemäß § 7 Abs. 1 BerlBG aus mehreren Personen zusammen, von denen gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 BerlBG mindestens zwei gemeinschaftlich handeln müssen. Es ist jedoch gerechtfertigt, in Fällen, in denen das Vertretungsorgan einer Gesellschaft aus mehreren Personen bestehen, jedes einzelne Mitglied als Vorsteher im Sinne der o.g. Vorschrift anzusehen (ebenso: Kissel/Mayer, GVG, 5. Aufl. 2008, § 95 Rdnr. 14). Hierfür spricht, dass andernfalls bei Kollegialorganen im Wesentlichen nur solche Streitigkeiten als "Handelssache" zu qualifizieren wären, bei denen organschaftliche Rechte des Vertretungsorgans, die von mehreren, wenn nicht gar allen Organmitgliedern geltend gemacht werden, Streitgegenstand sind; die Geltendmachung von organschaftlichen Rechten durch nur einzelne, alleine nicht vertretungsberechtigte Organmitglieder und die Geltendmachung von individuellen Ansprüchen des Organs aus seinem Anstellungsvertrag mit der Gesellschaft würde hingegen nicht als Handelssache zu behandeln sein. Letzteres steht indessen in Widerspruch mit der bisherigen gerichtlichen Praxis (vgl. zu Gehaltsforderungen: OLG Hamm, DB 1990, 1661; zu Tantiemeforderungen: LG Düsseldorf, DB 1975, 1019) und wäre schwer zu vereinbaren mit dem Umstand, dass bei einem mit einer Einzelperson ausgestatteten Vertretungsorgan derlei Ansprüche ohne weiteres dem § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a), 4. Alternative GVG unterfielen; ferner hätte dies im Passivprozess des Organs zur kaum akzeptablen Folge, dass die Qualifizierung als Handelssache von dem bloßen Zufall abhinge, ob die Organmitglieder einzeln oder gemeinsam - als Streitgenossen - in Anspruch genommen werden, und würde im Aktivprozess des Organs die Qualifizierung als Handelssache von dem Zufall abhängig machen, wieviele Organmitglieder sich der Klage anschließen.

Unschädlich ist, dass der Kläger im Zeitpunkt der Klageerhebung schon nicht mehr Vorstandsmitglied war. Denn entscheidend für die Anwendung des § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a), 4. Alternative GVG ist, ob im Zeitpunkt der Entstehung des streitigen Rechtsverhältnisses die Vorstehereigenschaft gegeben war (ebenso: Kissel/Mayer, GVG, 5. Aufl. 2008, § 95 Rdnr. 14, m.w.N.; Zimmermann in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 95 GVG Rdnr. 12). Dies folgt aus dem Zweck des § 95 GVG, wonach die gerichtliche Bearbeitung eines Verfahrens, nach Maßgabe einer typisierenden Einschätzung seines Streitgegenstandes, einem fachlich möglichst passend besetzten Spruchkörper zugeordnet werden soll. Indessen hängt die typisierende Einschätzung des Streitgegenstandes (u.a.) von der Funktion der handelnden Personen zur Zeit der Entstehung des streitigen Rechtsverhältnisses ab, nicht aber davon, welche Funktion die Person später ausübt, d.h. ob sie z.B. weiterhin das Amt des Vorstehers bekleidet.

bb.

Wäre die Beklagte im Handelsregister eingetragen, wäre sie Handelsgesellschaft oder es wäre das Tatbestandsmerkmal "Handelsgesellschaft" im Sinne von § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a),

4. Alternative GVG zumindest in analoger Anwendung dieser Vorschrift als erfüllt anzusehen.

(1)

Der Senat hält dafür, dass öffentlich-rechtliche Körperschaften, die ein Handelsgewerbe im Sinne von § 1 HGB betreiben und im Handelsregister eingetragen sind, zumindest bei analoger Anwendung von § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a), 4. Alternative GVG den Handelsgesellschaften gleichzusetzen sind. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

(a)

Nach - soweit ersichtlich - einhelliger Definition in der Kommentarliteratur sind Handelsgesellschaften Gesellschaften, die auf Grund besonderer Vorschrift als solche in das Handelsregister eingetragen werden (Emmerich in Heymann, HGB, 2. Aufl. 1995, § 6 Rdnr. 2; Kindler in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2008, § 6 Rdnr. 2; etwas weiter, aber ähnlich: Roth in Koller, HGB, 6. Aufl. 2007, § 6 Rdnr. 2, sowie Brüggemann in Staub, Großkommentar zum HGB, 4. Aufl. 1995, § 6 Rdnr. 3 ["Gesellschaften, die als solche in das Handelsregister eingetragen werden"]; noch etwas weiter, aber ebenfalls ähnlich: Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, 2. Aufl. 2005, § 6 Rdnr. 3 ["Gesellschaften, die in das Handelsregister eingetragen werden"]). Dabei ist anerkannt, dass hierunter die privatrechtlichen Personenzusammenschlüsse der OHG und KG (als Personenhandelsgesellschaften) sowie der GmbH, AG, KGaA, SE und EWIV (als Kapitalhandelsgesellschaften) zu zählen sind (vgl. nur Hopt in Baumbach, HGB, 33 Aufl. 2008, § 6 Rdnr. 1); diese sind allesamt in das Handelsregister einzutragen. Ob hingegen auch öffentlich-rechtliche Körperschaften als Handelsgesellschaften anzusehen sind, ist umstritten; z.T. wird die Frage für denjenigen Fall bejaht, dass die Körperschaft nach § 33 HGB im Handelsregister eingetragen ist (so Röhricht in Röhricht/Graf von Westphalen, HGB, 2. Aufl. 2001, § 6 Rdnr. 6; Emmerich in Heymann, HGB, 2. Aufl. 1995, § 6 Rdnr. 2a); z.T. wird die Frage generell verneint (so Kindler in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2008, § 6 Rdnr. 14; Roth in Koller, HGB, 6. Aufl. 2007, § 6 Rdnr. 5; Hopt in Baumbach, HGB, 33 Aufl. 2008, § 6 Rdnr. 1). Gerichtliche Entscheidungen sind - soweit ersichtlich - hierzu bislang nicht ergangen.

Nach der im Gesetzgebungsverfahren zum HGB verfassten Denkschrift zum HGB-Entwurf ist das gemeinsame Merkmal der Handelsgesellschaften hingegen, dass "sie eine selbständige Firma haben, unter welcher sie Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, klagen und verklagt werden können" (Reichstag, 9. Legislaturperiode, IV. Session 1895/1897, Seite 79, veröffentlicht bei Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897, Band 2, 2. Halbband, 1988, Seite 1015; fälschlicherweise wird die "Denkschrift [zum HGB], Seite 89" in der Kommentarliteratur z.T. als Beleg für die dortige, abweichende Definition angeführt: Emmerich in Heymann, HGB, 2. Aufl. 1995, § 6 Rdnr. 2; Kindler in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2008, § 6 Rdnr. 2).

(b)

Für die hier vertretene Auffassung des Senats spricht danach:

(aa)

Beide o.g. Begriffsdefinitionen legen die hier vertretene Auffassung nahe.

So greift die in der Kommentarliteratur vertretene Begriffsdefinition auch bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die im Handelsregister eingetragen sind. Denn auch hier ist im Handelsregister die Körperschaft "als solche" eingetragen, nicht etwa nur die Personen oder die Sachmittel, aus denen sich die Körperschaft zusammensetzt; und auch hier erfolgt die Eintragung "auf Grund besonderer Vorschrift", nämlich auf Grund von § 33 HGB. Das in der Literatur z.T. für die dort vertretene, abweichende Meinung herangezogene Argument, bei der Eintragung nach § 33 HGB sei, anders als bei der Eintragung von Handelsgesellschaften des Privatrechtes, die Kaufmannseingenschaft nicht Folge, sondern Voraussetzung der Eintragung (so Kindler in Eberoth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2008, § 6 Rdnr. 14), mag für sich gesehen zwar zutreffen; es erschließt sich dem Senat jedoch nicht, warum dieser Unterschied eine inhaltliche Rechtfertigung dafür liefert, die nach § 33 HGB eingetragenen öffentlich-rechtlichen Körperschaften handelsrechtlich anders zu behandeln als die nach §§ 105, 161 Abs. 2 HGB u.a. eingetragenen privatrechtlichen Gesellschaften, zumal wenn und weil alle letztlich gleichermaßen die Kaufmannseigenschaft im Sinne von § 1 HGB besitzen. Im Übrigen nimmt dieses Argument nicht Bezug auf die genannte Begriffsdefinition.

Die in den Gesetzesmaterialien zum HGB vertretene Begriffsdefinition greift ebenfalls bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften. Denn auch öffentlich-rechtliche Körperschaften haben "eine selbständige Firma, unter welcher sie Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, klagen und verklagt werden können".

(bb)

Der Regelungszusammenhang in § 95 Abs. 1 GVG spricht ebenfalls für die hier vertretene Auffassung.

Denn in Nr. 1 der Vorschrift wird für die Zuständigkeitsbegründung der Kammer für Handelssachen an den Begriff des "Kaufmannes" angeknüpft. Unter den Begriff des Kaufmannes fallen indessen unstreitig auch öffentlich-rechtliche Körperschafen, wenn sie die Voraussetzungen der §§ 1 ff. HGB erfüllen (vgl. nur Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006, § 1 Rdnr. 27, m.w.N.). Es ist indessen nicht einzusehen, warum öffentlich-rechtliche Körperschafen, die Kaufleute im Sinne des HGB sind, zwar von Nr. 1, nicht aber von Nr. 4 Buchstabe a) erfasst sein sollen. Nahe liegt vielmehr, dass der Gesetzgeber in Nr. 4 Buchstabe a) nur deshalb den Begriff der "Handelsgesellschaft" und nicht den Begriff des "Kaufmanns" verwendete, weil Einzelkaufleute vom Regelungsbereich der Nr. 4 Buchstabe a) naturgemäß nicht erfasst werden und ihm daher der Begriff "Handelsgesellschaft" möglicherweise sprachlich präziser erschien; einen erkennbaren gesetzgeberischen Willen zur inhaltlich abweichenden Ausrichtung beider Nummern ergibt sich hieraus nicht. (cc)

Auch der o.g. Zweck des § 95 GVG (vgl. Ziff. aa.) spricht für die hier vertretene Auffassung.

Denn die Kammer für Handelssachen ist der passender besetzte Spruchkörper zur Entscheidung über die hier in Rede stehenden Rechtsstreitigkeiten als die Zivilkammer. In den Fällen des § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a), 4. Alternative GVG kann nämlich leicht sowohl Handelsrecht (im Außenverhältnis der Körperschaft zum Vorsteher) als auch das Binnenrecht der öffentlich-rechtliche Körperschaft (im organbezogenen Innenverhältnis der Körperschaft zum Vorsteher) zur Anwendung kommen. Die Richter der Kammer für Handelssachen sind indessen - anders als die Richter der Zivilkammer - insbesondere in der Anwendung von Handelsrecht erfahren. Ferner sind sie in der Anwendung zivilrechtlichen Geschaftsrechts erfahren, das zwar nicht deckungsgleich mit dem Binnenrecht öffentlich-rechtlicher Körperschaften ist, diesem aber in der Struktur vielfach ähnelt und jedenfalls näher steht als dasjenige Recht, dass die Richter der Zivilkammern in ihrer Alltagspraxis anzuwenden haben.

(dd)

Der Wortlaut des § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a), 4. Alternative GVG spricht schließlich nicht zwingend gegen seine (analoge) Anwendung.

Zwar ist die Beklagte begrifflich nicht "Gesellschaft", sondern "Anstalt", wobei gemeinhin unter einer Anstalt ein Bestand von sächlichen und persönlichen Mitteln verstanden wird, welcher in der Hand eines Trägers einem besonderen öffentlichen Zweck dauernd zu dienen bestimmt ist (Bröhmer in juris-Praxiskommentar zum BGB, 3. Auflage 2006, § 89 Rdnr. 14); demgegenüber stellt eine Gesellschaft üblicherweise einen Zusammenschluss von Personen zu privaten Zweck dar. Dieser Unterschied ist jedoch im Wesentlichen dem Umstand geschuldet, dass der Begriff "Anstalt" in öffentlich-rechtlichen Zusammenhängen, der Begriff "Gesellschaft" hingegen regelmäßig in zivilrechtlichen Zusammenhängen verwendet wird. Der Kern des Gegenstandes beider Begriffe, nämlich die rechtliche Selbständigkeit, ist in beiden Fällen indessen gleich und erlaubt daher eine zumindest analoge Anwendung des Begriffes "Gesellschaft" auf das, was ansonsten als "Anstalt" bezeichnet wird.

(2)

Die Beklagte betreibt ein Handelsgewerbe gemäß § 1 Abs. 1 und Abs. 2, 1. Halbsatz HGB.

Gewerbe im Sinne des Handelsrechts ist nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur eine Tätigkeit, die u.a. auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist (vgl. Karsten Schmidt in Münchener Kommentar zum HGB, 2. Aufl. 2005, § 1 Rdnr. 31, m.N.; Hopt in Baumbach/Hopt, HGB, 32. Aufl. 2006, § 1 Rdnr. 12). Dabei genügt die Absicht, Gewinne zu erzielen; die Absicht, diese Gewinne zu maximieren, ist nicht erforderlich (BGH, NJW 1985, 3063 [3063]). Der Senat geht davon aus, dass die Beklagte beabsichtigt, Gewinne in dem erforderlichen Sinne zu erzielen. Denn nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BerlBG "soll" die Beklagte einen "angemessenen Gewinn erzielen". Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte diesen gesetzlichen Vorgaben nicht zu genügen beabsichtigt, sind nicht ersichtlich.

Anhaltspunkte dafür, dass das Unternehmen der Beklagten nach Art und Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert (§ 1 Abs. 2, 2. Halbsatz HGB), sind nicht ersichtlich und erscheinen vor dem Hintergrund der gerichtsbekannten Größe des Unternehmens sowie der Vorgabe des § 3 Abs. 2 Satz 1 BerlBG, wonach das Unternehmen nach "kaufmännischen Grundsätzen" zu führen ist, ausgeschlossen. Im Übrigen wäre - für den Fall des Eingetragensein der Beklagten im Handelsregister - das Vorliegen eines Handelsgewerbes gemäß § 2 Satz 1 HGB ohnehin nicht nach § 1 Abs. 2, 2. Halbsatz HGB zu verneinen.

cc.

Die Kammer für Handelssachen ist nicht gemäß § 102 Satz 2 GVG auf Grund des Verweisungsbeschlusses der Zivilkammer 3 unabhängig von den Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a), 4. Alternative GVG funktionell zuständig.

Nach § 102 Satz 2 GVG bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Spruchkörpers und die Zuständigkeit des Spruchkörpers, an den verwiesen wird. Jedoch ist - wie bei § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO - anerkannt, dass die Bindungswirkung wegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. OLG Celle, OLGR 2004, 370 [371]; OLG Frankfurt, OLGR 2004, 257 [257]; OLG Stuttgart, OLGR 2002, 455 [455]; OLG Köln, NJW-RR 2002, 426 [427]; OLG Karlsruhe, OLGR 1998, 281 [281]; OLG Braunschweig, OLGR 1995, 154 [155]; Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 102 GVG Rdnr. 6). Im Rahmen der Anwendung von § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO ist heute in der Rechtsprechung anerkannt, dass Willkür dann anzunehmen ist, wenn der Verweisungsbeschluss unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör einer Partei erlassen wurde (vgl. nur BGH, NJW 1978, 1163; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17a, m.w.N.; ebenso bei analoger Anwendung von § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO auf einen Abgabebeschluss zwischen der Familien- und der Prozessabteilung eines Amtsgerichts: Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2007, 2 AR 46/07). Es ist kein Grund ersichtlich ist, den für die Frage der funktionellen Zuständigkeit geltenden § 102 Satz 2 GVG anders auszulegen als den für die Frage der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit geltenden § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO; die zu dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze können daher auch auf jene Anwendung finden (Senat, Beschluss vom 13. März 2008, 2 AR 10/08; speziell für den Fall der Verletzung rechtlichen Gehörs ebenso: Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 102 GVG Rdnr. 1, m.w.N.).

Die Zivilkammer 3 hat es versäumt, den Kläger vor Erlass des Verweisungsbeschlusses anzuhören. Der Beschluss war daher im o.g. Sinne willkürlich.

dd.

Schließlich hat die Kammer für Handelssachen 94 nicht gemäß § 102 Satz 2 GVG ihre funktionelle Zuständigkeit unabhängig von den Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe a), 4. Alternative GVG dadurch verloren, dass sie sich für funktionell unzuständig erklärt hat.

Denn Bindungswirkung nach § 102 Satz 2 GVG entfaltet nur eine Verweisung, nicht aber die Ablehnung der Übernahme des Verfahrens bzw. die Verneinung der eigenen Zuständigkeit (ebenso für die parallele Vorschrift des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO: Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 19). Hierfür spricht der unmissverständliche Wortlaut der Vorschrift ("Verweisung"). Vorliegend hat die Kammer für Handelssachen 94 die Sache ausdrücklich dem Kammgericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt und damit auch inhaltlich zu erkennen gegeben, dass sie die Sache nicht an die Zivilkammer zurückverweisen, sondern eine Zuständigkeitsbestimmung durch das übergeordnete Gericht herbeiführen wollte.

Es kann daher dahinstehen, ob - vor dem Hintergrund u.a. des § 97 Abs. 1 und 2 Satz 2 GVG - eine Zurückverweisung ohne Antrag einer Partei überhaupt zulässig gewesen wäre.

b.

Die Frage, ob die Beklagte in das Handelsregister eingetragen ist, ist nach Aktenlage ungeklärt und der Senat ist nicht berufen, diese ungeklärte Tatsache selbst zu ermitteln.

Letzteres ergibt sich aus dem Umstand, dass im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO weder eine Amtsermittlung stattfindet noch - anders als im Sachverfahren des vorlegenden Gerichts - die Parteien durch gerichtliche Auflagenerteilung zu sachverhaltsaufklärendem Vortrag anzuhalten sind (ebenso für den Fall der möglichen Zuständigkeit eines dritten Gerichts: OLG Schleswig, OLGR 2007, 960; OLG Brandenburg, OLGR 2007, 560; OLG Rostock, OLGR 2005, 558; OLG Naumburg, OLGR 2007, 563). Wiederum letzteres ergibt sich vor allem aus der Struktur des Bestimmungsverfahrens. In diesem ist nämlich - anders als im Sachverfahren - nicht über den Streit zweier Parteien oder auf Antrag einer Partei zu entscheiden ist; vielmehr ist über den Streit zweier Gerichte auf deren Initiative hin zu entscheiden. Es obliegt daher den streitenden Gerichten, den Sachverhalt - mit den ihnen im Sachverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln - soweit aufzuklären, dass dem nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung berufenen Gericht eine Zuständigkeitsbestimmung möglich ist.

c.

Bei der Bestimmung desjenigen Gerichts, bei dem das Verfahren weiter anhängig ist und das folglich die Sachverhaltsaufklärung zu betreiben hat, hat sich der Senat von Zweckmäßigkeitserwägungen leiten lassen (die Zulässigkeit von Zweckmäßigkeitserwägungen im Bestimmungsverfahren ebenfalls bejahend: Vollkommer in Zöller, ZPO 26. Aufl. 2007, § 36 Rdnr. 28).

Vor dem Hintergrund, dass nach einer kursorischen Internetrecherche des Senats die Beklagte im Handelsregister des Amtsgericht Charlottenburg (unter HRA 30951) eingetragen ist, besteht ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass die Beklagte tatsächlich im Handelsregister eingetragen ist und damit die Kammer für Handelssachen 94 zuständig ist. Die Wahrscheinlichkeit einer - verfahrsunökonomischen - Verweisung der Sache zwischen den streitbefangenen Kammern des Landgerichts ist daher am geringsten, wenn die Kammer für Handelssachen 94 als dasjenige Gericht bestimmt wird, bei dem das Verfahren weiter anhängig ist.

Ende der Entscheidung

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