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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 17.09.2007
Aktenzeichen: 2 AR 37/07
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 269
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 3
1. Der Erfüllungsort eines Mobilfunkdiensteanbieters im Sinne von § 269 BGB befindet sich an jedem Ort im Bereich seines Funknetzes.

2. Bei der Bestimmung des Erfüllungsortes des Kunden eines Mobilfunkdiensteanbieters im Sinne von § 269 BGB sind die Grundsätze der Rechtsprechung zum "gemeinsamen Erfüllungsort" nicht anzuwenden.

3. a) Einem Verweisungsbeschluss ist wegen Vorliegens von Willkür ausnahmsweise die Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO u. a. dann zu versagen, wenn das verweisende Gericht eine Zuständigkeitsnorm weder in den Gründen seines Verweisungsbeschlusses noch in dort in Bezug genommenen Teilen der gerichtlichen Verfahrensakte erörtert hat und diese Norm eindeutig seine Zuständigkeit begründet; ein vorsätzliches Außerachtlassen der Norm ist in diesen Fällen nicht erforderlich.

b) Ist hiernach Willkür zu bejahen, gilt diese als geheilt, wenn die Verweisung im Einvernehmen beider Parteien erfolgte und die Zuständigkeitsfrage nicht erstmals durch das Gericht aufgeworfen wurde.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 37/07

In Sachen

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 17. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst, den Richter am Landgericht Franz und den Richter am Kammergericht Dr. Glaßer beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Die Klägerin hat ihren Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Tempelhof Kreuzberg. Die Beklagte betreibt ein Mobilfunknetz. Sie hat ihren Sitz in Düsseldorf und eine - von deutschlandweit insgesamt acht - sog. Niederlassungen in Berlin; diese befindet sich im Bezirk des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg (Annnstraße). Im Bezirk des Amtsgericht Neukölln unterhält die Beklagte ein Ladenlokal. Die Klägerin begab sich zu diesem Laden und schloss mit der Beklagten einen Vertrag über ein Mobilfunkgerät und Mobilfunkleistungen ab. Weil sie sich allerdings von dem Ladenangestellten schlecht beraten fühlte, focht sie den Vertrag an. Mit der streitgegenständlichen Klage begehrt sie Feststellung der Wirksamkeit ihrer Anfechtung.

Das zunächst angerufene Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg forderte die Klägerin unmittelbar nach Eingang der Klageschrift auf, im Hinblick auf § 21 ZPO zur Selbständigkeit der Niederlassung in der Annnstraße vorzutragen. Hierauf entbrannte ein Streit zwischen den Parteien über das Eingreifen des § 21 ZPO. Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg teilte daraufhin mit, es sehe sich als örtlich unzuständig an und ordnete, nachdem die Klägerin an ihrer Auffassung festhielt, Termin zur mündlichen Verhandlung an. Im weiteren Verlauf beantragte die Klägerin dann aber doch die Verweisung an das Amtsgericht Düsseldorf und das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg leistete diesem Antrag Folge. In der Begründung des Verweisungsbeschlusses führte es lediglich zum Nichteingreifen des § 21 ZPO aus. Das Amtsgericht Düsseldorf hält den Verweisungsbeschluss für nicht bindend. Die Entscheidung sei willkürlich, weil das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg verkannt habe, nach § 29 ZPO örtlich zuständig zu sein.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg und sodann das Amtsgericht Düsseldorf mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben.

2.

Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg ist nach § 29 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig.

Nach § 29 Abs. 1 ZPO besteht ein besonderer Gerichtsstand für Streitigkeit über das Bestehen eines Vertragsverhältnisses dort, wo die streitige Verpflichtung zu erfüllen wäre. Dabei genügt es, dass jedenfalls ein Teil der Vertragspflichten im Bezirk des angerufenen Gerichtes zu erfüllen wäre (Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 29 Rdnr. 17).

Nach § 269 BGB sind sowohl die vertraglichen Pflichten der Klägerin als auch diejenige der Beklagten zumindest auch im Bezirk des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg zu erfüllen. Für die Pflichten der Beklagten ergibt sich dies aus der Natur des im Streit stehenden Schuldverhältnisses. Denn dieses ist darauf gerichtet, die Klägerin im gesamten Bereich ihres deutschen Funknetzes, d.h. jedenfalls auch im Bezirk des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg, mit Funksignalen und dazugehörenden Mobilfunkleistungen zu versorgen (ähnlich OLG Braunschweig, OLGR 2006, 652 [653]). Der Sitz der Beklagten, auf den nach § 269 Abs. 1 BGB hilfsweise abzustellen wäre, ist daher nicht von Belang. Für die Pflichten der Klägerin folgt der Kreuzberger Erfüllungsort aus dem Wohnsitz der Klägerin; insofern ist aus der Natur des streitgegenständlichen Schuldverhältnisses nicht auf einen bestimmten Leistungsort zu schließen. Zwar folgert die Rechtsprechung bei einer Reihe von Typen gegenseitiger Verträge aus deren Natur, dass ein sog. gemeinsamer Erfüllungsort für beide Vertragspflichten dort besteht, wo die vertragscharakteristische Leistung zu erbringen ist (vgl. Heinrichs in Palandt, 66. Aufl. 2007, § 269 Rdnr. 14). Verträge, deren vertragscharakteristische Leistung nicht die Anwesenheit des Schuldners am Ort der Erfüllung erfordert und nicht an einem bestimmten Ort, sondern überall in Deutschland zu erbringen ist, können von der genannten Rechtsprechung allerdings nicht erfasst sein. Denn Sinn dieser Rechtsprechung ist die Überlegung, dass es zweckmäßig sein kann, wenn die Zahlungsleistung an einem Ort erfolgt, an den sich die Parteien zur Erfüllung der Gegenleistung ohnehin begeben müssen oder in aller Regel begeben. Bei Verträgen, die im Wesentlichen zur Zusendung von Mobilfunksignalen verpflichten, kann es daher keinen gemeinsamen Erfüllungsort geben (ebenso OLG Braunschweig, a.a.O.).

Dahinstehen kann danach, ob für die Anwendung des § 29 ZPO im Falle von Klagen, die auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens nicht einer einzelnen Verpflichtung, sondern eines gegenseitigen Schuldverhältnisses gerichtet sind, allein auf diejenige Verpflichtung abzustellen ist, an deren Bestehen bzw. Nichtbestehen der Kläger ein Interesse hat, oder ob zuständigkeitsbegründend auch die Gegenforderung herangezogen werden kann.

3.

Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hat seine örtliche Zuständigkeit nicht nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO dadurch verloren, dass es den Rechtsstreit an das Amtsgericht Düsseldorf verwiesen hat.

a)

Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Die Bindungswirkung ist, trotz des einschränkenden Wortlautes der Vorschrift, auch von demjenigen Gericht zu beachten, das die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vornimmt (vgl. nur Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 36 Rdnr. 28, m.Rspr.N.).

Jedoch ist anerkannt, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise dann entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden, und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht eine Zuständigkeitsnorm in den Gründen des Verweisungsbeschlusses nicht erörtert und diese Norm eindeutig seine Zuständigkeit begründet (Senatsbeschluss vom 5. Januar 2007, 2 AR 62/05; ähnlich: KG, 28. Zivilsenat, KGR 2000, 68 [69] "Weicht das [Gericht] ... von der Gesetzeslage bzw. der ganz einhelligen Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ab, ... muss es dies wenigstens ... begründet haben"; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 "Bindungswirkung kann ... fehlen, wenn [der] Beschluss ... nicht erkennen lässt, dass sich das Gericht mit einer einhellig gegenteiligen Rechtsansicht auseinander gesetzt hat"). Dabei steht es der Erörterung der Norm in den Beschlussgründen gleich, wenn sich aus sonstigen Teilen der gerichtlichen Verfahrensakte ergibt, dass das verweisende Gericht die Norm in Betracht gezogen und sich mit ihr auseinandergesetzt hat (OLG Braunschweig, a.a.O., KG, MDR 1993, 176 [176]; Greger in Zöller, a.a.O.). Nicht von Belang ist allerdings, ob das verweisende Gericht eine maßgebliche Zuständigkeitsnorm vorsätzlich außer Acht gelassen hat (Senatsbeschluss, MDR 2002, 905 [905]; Greger in Zöller, a.a.O.). Denn die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 ZPO bezweckt die zügige Erledigung des Zuständigkeitsstreits in einer dem verfassungsrechtlichen Gebot des gesetzlichen Richters genügenden Weise, nicht aber den etwaigen Schuldvorwurf gegenüber dem verweisenden Gericht.

Ist nach diesen Regeln Willkür anzunehmen, gilt diese allerdings u.a. dann als geheilt, wenn die Verweisung im Einvernehmen beider Parteien erfolgte (BGH, NJW 2003, 3201 [3202]). Ein Einvernehmen der Parteien in diesem Sinne ist nicht schon dann anzunehmen, wenn der Kläger einen Verweisungsantrag stellt und der Beklagte der Verweisung zustimmt. Erforderlich ist vielmehr zusätzlich, dass die Zuständigkeitsfrage nicht erstmals von dem verweisenden Gericht aufgeworfen wurde und daher die Annahme fernliegt, dass die Haltung der Parteien durch das Gericht veranlasst wurde (so für die Heilung von Willkür wegen Abweichens von einer eindeutigen gesetzlichen Regelung: BGH, NJW 2002, 3634 [3636]; OLG Schleswig, NJW-RR 2001, 646 [646]).

b)

Die genannten Voraussetzung für die Annahme von Willkür sind vorliegend gegeben.

Wie aus den Ausführung unter Ziff. 2 ersichtlich ist, begründet § 29 Abs. 1 ZPO unzweifelhaft die Zuständigkeit des Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg. Das Amtsgericht hat diese Vorschrift weder in seinem Verweisungsbeschluss noch an anderer Stelle des Verfahrens ersichtlich in Betracht gezogen.

Der Umstand, dass die Klägerin die Verweisung beantragt und die Beklagte die Verweisung gewünscht hat, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Denn die Frage der örtlichen Zuständigkeit wurde erstmals vom Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg aufgeworfen und im weiteren Verlauf der sich anschließenden Diskussion von diesem sogar ausdrücklich verneint. Das Verweisungsverlangen der Parteien beruhte daher nicht auf ihrer autarken, einvernehmlichen Entscheidung, sondern wurde offenbar von dem Gericht veranlasst.

4.

Der Senat hatte die Sache nicht nach § 36 Abs. 3 ZPO dem BGH zur Entscheidung vorzulegen, obwohl das OLG Karlsruhe - leicht abweichend von der o.g. Ansicht des Senats - meint, es sei unerheblich, ob das verweisende Gericht seine etwaige Zuständigkeit nach § 29 ZPO in Betracht gezogen habe, weil für die Frage der Bindungswirkung allein entscheidend sei, ob die Verweisung bei objektiver Betrachtung vertretbar erscheine (OLGR 2005, 139 [140]).

Denn Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO ist, dass die Rechtsfrage, in der das vorlegende Oberlandesgericht von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichtes abweichen will, aus Sicht des vorlegenden Gerichts entscheidungserheblich ist (BGH, NJW 2003, 3201 [3201]). Eine Entscheidungserheblichkeit der o.g. Rechtsfrage ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Nach dem oben Dargelegten (Ziff. 2) ist die Annahme der Unzuständigkeit des Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg nämlich nicht mehr vertretbar, weshalb auch bei Zugrundelegung der Auffassung des OLG Karlsruhe Willkür zu bejahen und die Bindungswirkung des Beschlusses zu verneinen wäre.

Ende der Entscheidung

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