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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.10.2007
Aktenzeichen: 2 AR 41/07
Rechtsgebiete: ZPO
Vorschriften:
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 3 |
2) Die 12 Berliner Amtsgerichte stehen einander zuständigkeitsrechtlich nicht näher als jedwede anderen deutschen Amtsgerichte.
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 2 AR 41/07
In Sachen
hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 11. Oktober 2007 durch die Richter am Kammergericht Franck, Dittrich und Dr. Glaßer beschlossen:
Tenor:
Das Amtsgericht Forchheim wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.
Gründe:
I.
Die Klägerin ist Vereinsmitglied der Beklagten. Sie verlangt Ersatz von Aufwendungen, die sie in der Annahme tätigte, sie werde in Folge eines bereits gefassten Beschlusses des Vereinsvorstandes zum Zuchtwart des Vereines gewählt werden, was letztlich nicht der Fall war. Der Beklagte ist in das Vereinsregister, das beim Amtsgericht Charlottenburg für die gesamte Stadt Berlin geführt wird, eingetragen. In der Satzung des Beklagten ist bestimmt, dass dieser seinen Sitz "in Berlin" nimmt. Tatsächlich unterhält der Beklagte jedoch in Berlin kein Geschäftslokal. Die Verwaltungsentscheidungen des Beklagten werden maßgeblich vom Wohnort des 1. Vorsitzenden aus in Snnn (Nordrhein-Westfalen) getroffen. Daneben befindet sich - nach einem Hinweis des Amtsgerichts Charlottenburg, dem die Klägerin nicht entgegengetreten ist - die Geschäftsstelle des Beklagten in Hnnnnnn (Bayern). Snnn liegt im Bezirk des Amtsgerichts Herford; Hnnnnnn im Bezirk des Amtsgerichts Forchheim.
Das zunächst angerufene Amtsgericht Charlottenburg hat sich nach Anhörung der Parteien und auf Antrag der Klägerin mit Beschluss vom 27. Juni 2007 (Bl. 26 d.A.) für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Forchheim verwiesen. Zur Begründung macht das Amtsgericht Charlottenburg geltend, der Geschäftssitz der Beklagten liege im Bezirk des Amtsgerichts Forchheim; ein im Bezirk des Amtsgerichts Charlottenburg gelegener Geschäftssitz sei von den Parteien nicht vorgetragen worden. Daraufhin hat sich das Amtsgericht Forchheim mit Beschluss vom 30. August 2007 (Bl. 33 ff. d.A.) ebenfalls für unzuständig erklärt und dem Kammergericht die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung macht das Amtsgericht Forchheim geltend, der Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg sei unrichtig, da ein - auf das Amtsgericht Forchheim zielender - Gerichtsstand gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO nur dann in Betracht komme, wenn es an einem eindeutigen satzungsmäßigen Vereinssitz fehle; Vereinssitz sei vorliegend Berlin, weshalb eines der zwölf Berliner Amtsgerichte örtlich zuständig sei.
II.
1.
Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich zunächst das Amtsgericht Charlottenburg und sodann das Amtsgericht Forchheim mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für unzuständig erklärt haben.
2.
Das Amtsgericht Forchheim ist nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO wegen des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Charlottenburg örtlich zuständig.
a)
Nach § 281 Abs. 2 Satz 3 ZPO bewirkt ein Verweisungsbeschluss bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit desjenigen Gerichtes, an das verwiesen wird. Diese Bindungswirkung ist, trotz des einschränkenden Wortlautes der Vorschrift, auch von demjenigen Gericht zu beachten, das die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vornimmt (vgl. nur Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 36 Rdnr. 28, m.Rspr.N.).
Anerkannt ist allerdings, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Erst bei groben Rechtsfehlern des verweisenden Gericht, die zur Folge haben, dass die Verweisung jeder Rechtsgrundlage entbehrt, ist die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden, und der willkürlichen Entscheidung überschritten (BGH NJW 2002, 3634 [3635]; BGH, NJW-RR 1992, 383 [383]; Greger in Zöller, a.a.O.).
Der Beurteilung, ob ein solcher Fehler vorliegt, ist der Sachverhalt zu Grund zu legen, den die Parteien dem Gericht vortragen (BGH NJW-RR 1995, 702 [702]); die befassten Gerichte sind nicht gehalten, von Amts wegen Ermittlungen zur Feststellung der Zuständigkeit vorzunehmen. Denn der Zivilprozess ist vom Beibringungsgrundsatz geprägt und es ist anerkannt, dass dieser Grundsatz nicht nur für die Feststellung der in der Sache maßgeblichen Tatsachen gilt, sondern auch für diejenigen Tatsachen, die bei der Prüfung der Sachurteilsvoraussetzungen von Belang sind (Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, vor § 128 Rdnr. 12; Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2003, vor § 1 Rdnr. 257).
b)
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend keine Willkür anzunehmen.
aa)
Das Amtsgericht Charlottenburg hat zutreffend seine eigene örtliche Zuständigkeit verneint; nach dem von den Parteien vorgetragenen Sachverhalt deutete nichts auf die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts hin.
Der bloße Umstand, dass der Beklagte in dem bei diesem Gericht geführten Vereinsregister eingetragen ist, ist für die Begründung des allgemeinen Gerichtsstandes des Beklagten nicht von Belang. Dies folgt aus dem Wortlaut des § 17 ZPO und erhellt aus dem Umstand, dass - wie vorliegend - bei einem einzelnen Amtsgericht ein Vereinsregister für den Bezirk mehrerer Amtsgerichte geführt werden kann. Auch der Umstand, dass nach der Satzung des Beklagten dessen Sitz "in Berlin" zu nehmen ist, begründet keinen allgemeinen Gerichtsstand in Charlottenburg. Denn in der Stadt Berlin befinden sich 12 Amtsgerichte mit jeweils eigenständigen Gerichtsbezirken. Diese Amtsgerichte stehen aus zuständigkeitsrechtlicher Sicht einander nicht näher als beliebige andere Amtsgerichte; ein Gerichtsstand "Berlin" existiert auf amtsgerichtlicher Ebene nicht. Die fragliche Satzungsbestimmung ist auch nicht dahingehend auszulegen, dass mit ihr ein bestimmter Berliner Stadtteil als Vereinssitz gemeint ist. Dies wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn zum Zeitpunkt der Satzungsgebung eine bestimmte Berliner Adresse oder ein bestimmter Stadtteil als Sitz bereits genommen oder zumindest geplant war. Derartiges haben die Parteien jedoch nicht vorgetragen.
Im Übrigen musste das Amtsgericht Charlottenburg - entgegen den Ausführungen in der Begründung des Beschlusses des Amtsgerichts Forchheim - nicht "das zuständige Gericht in Berlin bestimmen [ ] lassen". Ein solches Bestimmungsverfahren existiert nicht und wäre nach den obigen Ausführung über das Verhältnis der Berliner Amtsgerichte zueinander auch dem Zivilprozessrecht fremd.
bb)
Das Amtsgericht Charlottenburg hat die Zuständigkeit des Amtsgerichts Forchheim nicht in grob rechtsfehlerhafter Weise bejaht.
Denn nach § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat ein Verein seinen allgemeinen Gerichtsstand am Sitz seiner tatsächlichen Verwaltung, wenn ein satzungsmäßig oder sonstig bestimmter Vereinssitz nicht eindeutig vorhanden ist (Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 17 Rdnr. 10).
Aus dem oben Ausgeführten folgt, dass ein eindeutiger satzungsmäßig bestimmter Vereinssitz für die Zwecke des vorliegenden Rechtsstreites nicht vorhanden ist. Denn die Bezeichnung "Berlin" deutet nicht eindeutig auf ein Amtsgericht, sondern auf 12 Amtsgerichte hin (vgl. ArbG Berlin, Beschl. vom 24.03.2003, 96 Ca 4277/03, zit. nach Juris: Bejahung der Anwendbarkeit von § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO im Falle eines satzungsmäßigen Doppelsitzes). Der Umstand, dass die Satzungsbestimmung für die Zwecke einer land- oder oberlandesgerichtlichen Gerichtsstandsbestimmung eindeutig wäre, ist für den amtsgerichtlichen Zuständigkeitsstreit nicht von Bedeutung.
Zweifel an der Entscheidung des Amtsgerichts Charlottenburg bestehen danach allenfalls im Hinblick auf die Frage, wo der tatsächliche Verwaltungssitz des Beklagten anzunehmen ist. Denn einerseits befindet sich die von dem 1. Vorsitzenden entfaltete Verwaltungstätigkeit im Bezirk des Amtsgerichts Herford, andererseits befindet sich die Geschäftsstelle im Bezirk des Amtsgerichts Forchheim. Dabei ist anzunehmen, dass die Verwaltungstätigkeit des 1. Vorsitzenden grundlegendere Bedeutung für den Beklagten hat als die Verwaltungstätigkeit der Geschäftsstelle. Jedoch wird der Begriff des "Verwaltungssitzes" von der Rechtsprechung und herrschenden Meinung in der Literatur dahingehend definiert, dass dies der Ort ist, an dem "die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden" (BGHZ 97, 269 [272]; BayOblGZ 1987, 267 [271]; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2003, § 17 Rdnr. 15; Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 17 Rdnr. 10; ähnlich: Hausmann in Wieczorek/Schütz, ZPO, 3. Aufl. 1994, § 17 Rdnr. 20 "Ort, an dem die laufenden Geschäftsführungsakte ... zustande kommen und umgesetzt werden"; anders: Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. 2000, § 17 Rdnr. 13 "Tätigkeitsort der Geschäftsführung ..., die die grundlegenden Entscheidungen [trifft] ... Auf den Ort der tatsächlichen Umsetzung ... kommt es nicht an."). Maßgebend ist daher nicht der Ort, an dem allein die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung getroffen werden, sondern dort wo effektiv laufende Geschäftsführungsakte vorgenommen werden. Das bedeutet, dass die generellen, richtungsweisenden Entscheidungen der geschäftlichen Oberleitung von den konkreten Einzelentscheidungen der geschäftlichen Oberleitung abzugrenzen sind, die ihrerseits von bloßen Ausführungshandlungen - wie etwa derjenigen von Produktionsstätten, Zweigniederlassungen o.ä. (vgl. Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O.) - zu unterscheiden sind. Wie die Geschäfte zwischen dem 1. Vorsitzenden und der Geschäftsstelle des Beklagten intern verteilt sind, haben die Parteien nicht vorgetragen. In dieser Situation ist die Annahme, dass die Geschäftsstelle in den Entscheidungsprozess über konkrete Einzelentscheidungen der geschäftlichen Oberleitung eingebunden ist, zumindest nicht grob irrtümlich.
Ende der Entscheidung
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