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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 09.10.2009
Aktenzeichen: 2 AR 48/09
Rechtsgebiete: EnWG


Vorschriften:

EnWG § 102
Zur Bindungswirkung einer auf § 102 EnWG gestützten Verweisung.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 48/09

09.10.2009

In dem Rechtsstreit

hat der Kartellsenat des Kammergerichts durch die Richter am Kammergericht Franck, Dr. Glaßer und Dittrich am 09. Oktober 2009 beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Berlin wird als das sachlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten mit der vor dem Amtsgericht Charlottenburg erhobenen Klage auf Zahlung für Gaslieferungen in Höhe von 823,73 EUR in Anspruch. Die Beklagten haben sich damit verteidigt, dass die Klageforderung auf unwirksamen Preiserhöhungen beruhe. Die Klägerin hat in ihrer Replik die Ansicht vertreten, dass die Beklagten Tarifkunden seien und ihr ein Recht zur Preiserhöhung nach § 4 AGBGasV zustehe.

Das Amtsgericht hat die Parteien in der mündlichen Verhandlung am 02.07.2009 auf erhebliche Bedenken gegen die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 102 EnWG hingewiesen und der Klägerin -die vorsorglich Verweisung an das Landgericht beantragt hat- Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 16.07.2009 gegeben. Mit Schriftsatz vom 14.07.2009 hat die Klägerin die Ansicht vertreten, dass die Zuständigkeitsvorschrift des § 102 EnWG nur bei einem Streit über das "Ob" der Energiebeliferung, nicht jedoch im Falle einer Zahlungsklage gelte. Hierbei hat sie u.a. die Entscheidung OLG München vom 15.05.2009, AR (K) 7/09 angeführt.

Mit Beschluss vom 30.07.2009 hat sich das Amtsgericht Charlottenburg für unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das gemäß § 102 EnWG sachlich zuständige Landgericht Berlin verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Entscheidung des Rechtsstreits von einer nach dem EnWG zu entscheidenden Vorfrage i.S. von § 102 Abs. 1 S. 2 EnWG abhänge, nämlich der Frage, ob die Beklagten Tarifkunden i.S. von § 10 EnWG (1998) oder aber Sondervertragskunden seien. Nur im ersten Fall sei eine Preiserhöhung nach der AGBGasV möglich, während im Falle eines Sonderpreisvertrags § 3 der AGB der Klägerin einschlägig sei, der jedoch unwirksam sei (s. KG ZMR 2009, 280).

Nachdem die Akte im Zuge der Verweisung an die Kammer für Handelssachen des Landgerichts gelangt war, hat diese die Parteien mit Verfügung vom 07.09.2009 darauf hingewiesen, dass sie die Verweisung als willkürlich und nicht bindend ansehe, und hat den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Mit Beschluss vom 21.09.2009 hat das Landgericht Berlin sich für sachlich unzuständig erklärt und die Sache dem Kammergericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt. Es meint, dass die Verweisung objektiv willkürlich sei, da ihr jede rechtliche Grundlage fehle. Das Amtsgericht habe § 102 EnWG entgegen herrschender Meinung angewandt. Über die Wirksamkeit der Tariferhöhungen sei nach § 315 BGB und nicht nach Vorschriften des EnWG zu entscheiden. Der herangezogene § 10 EnWG 1998 (bzw. § 36 EnWG 2005) regele nur das "Ob" der Versorgung, nicht aber die Ausgestaltung des Vertrags der Höhe nach.

II.

Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, nachdem sich das Amtsgericht Charlottenburg und das Landgericht Berlin mit nicht anfechtbaren Entscheidungen jeweils für sachlich unzuständig erklärt haben. Die Bestimmung ist vorliegend durch den Senat in seiner Eigenschaft als Kartellsenat zu treffen, da die gesetzliche Zuständigkeit der Kartellsenate gemäß §§ 102, 106 EnWG derjenigen der allgemeinen Zivilsenate auch in Fragen der Zuständigkeitsbestimmung vorgeht (s. OLG München RdE 2009, 298).

Das Landgericht Berlin ist auf Grund der Bindungswirkung des verweisenden Beschlusses nach § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO sachlich zuständig.

Eine Bindungswirkung entfällt wegen objektiver Willkür nicht bereits dann, wenn der Beschluss inhaltlich fehlerhaft erscheint, sondern erst, wenn ihm jede rechtliche Grundlage fehlt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn er bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (s. BGH NJW-RR 2008, 370 m.N.). So liegt es vorliegend entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht. Unerheblich ist zunächst, wenn der Beschluss einer herrschenden Meinung nicht folgen sollte, da eine Präjudizienwirkung dem deutschen Recht fremd ist (s. BGH NJW 2003, 3201, 3202; NJW-RR 2002, 1498, 1499). Maßgeblich ist, ob das verweisende Gericht eine sachbezogene, nachvollziehbare Begründung für seine Unzuständigkeit gibt (s. BGH a.a.O.). Das ist vorliegend der Fall. Der Wortlaut des -hier allein in Betracht kommenden und vom Amtsgericht herangezogenen- § 102 Abs. 1 S. 2 EnWG erfordert nur, dass die Entscheidung des Rechtsstreits "ganz oder teilweise von einer Entscheidung abhängt, die nach diesem Gesetz zu treffen ist". Das Amtsgericht hat dieses Merkmal in seinem Verweisungsbeschluss in nachvollziehbarer Weise begründet. Die Einordnung des Vertrags als Tarifvertrag oder Sondervertrag ist entscheidungrelevant, da der Klägerin gegenüber Sondervertragskunden ein Preiserhöhungsrecht weder nach ihren (insoweit unwirksamen) AGB noch nach dem nicht einbezogenen § 4 AVBGasV zusteht (so KG ZMR 2009, 280 ff und nunmehr BGH NJW 2009, 2662 ff in einem anderen, ebenfalls die Klägerin betreffenden Fall). Die Ansicht des Amtsgerichts, dass die Entscheidung über die Einordnung des Vertrags nach dem EnWG "zu treffen" ist, erscheint nicht schlechthin unvertretbar, da § 10 EnWG (1998) die Kriterien für einen Tarifvertrag nennt. Nach Salje, EnWG, 2006, § 102 Rn 1 etwa soll es genügen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits "jedenfalls auch von einer EnWG-Vorschrift abhängt". Auch wenn ein engeres Verständnis der Vorgreiflichkeit i.S. von § 102 Abs. 1 S. 2 EnWG vorzugswürdig erscheinen mag, da es im Kern um eine Vertragsstreitigkeit geht und die Kriterien einer wirksamen Tariferhöhung im EnWG nicht unmittelbar geregelt sind, erscheint die Verweisung vorliegend nicht offensichtlich unhaltbar und damit nicht objektiv willkürlich. Damit befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. So hat das OLG Braunschweig (ZNER 2007, 348) objektive Willkür in einem ähnlichen Fall verneint, da u.a. § 10 EnWG im Rahmen der Billigkeitsprüfung heranzuziehen sei. Das OLG Köln hat in NJW-RR 2009, 987 Willkür sogar in einem Fall verneint, in dem es nur um die Klage auf Duldung des Zutritts und der Einstellung der Energieversorgung wegen Zahlungsverzugs und nicht die Klärung der Tarifhöhe ging. In RdE 2008, 58 hat das OLG Köln Willkür lediglich angenommen, weil das verweisende Gericht im dortigen Fall jegliche tragfähige Begründung unterlassen hatte. Die Entscheidungen OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.04.2008, 21 AR 14/08 -bei Juris- und OLG München RdE 2009, 298 haben schließlich eine fehlende Bindungswirkung nicht mit objektiver Willkür, sondern allein mit einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör begründet.

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), die der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses ebenfalls entgegen stehen würde (s. BGHZ 71, 69 = NJW 1978, 1163, 1164; NJW-RR 1988, 521), ist vorliegend nicht gegeben. Die Frage der Anwendung des § 102 EnWG war Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 02.07.2009, und der Klägerin ist sodann antragsgemäß eine Erklärungsfrist eingeräumt worden. Dem Amtsgericht ist auch nicht vorzuwerfen, dass es das nachgelassene Vorbringen der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen und dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe; es hat nicht etwa unterlassen, in seiner Begründung auf den Kern des Vortrags einzugehen (vgl. dazu BVerfG NJW 2009, 1584 Rn 14; BGH BauR 2009, 1175, 1176). Vielmehr waren die Ausführungen der Klägerin recht pauschal und knapp gehalten und differenzierten bereits nicht nach den beiden Sätzen des § 102 EnWG. Sie gaben für ein gezieltes Eingehen auf sie daher keinen Ansatzpunkt.

Ende der Entscheidung

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