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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 11.12.2008
Aktenzeichen: 2 AR 55/08
Rechtsgebiete: WEG, ZPO, BGB


Vorschriften:

WEG § 8
WEG § 10 Abs. 2
WEG § 43
WEG § 43 Nr. 1
WEG § 43 Nr. 2
ZPO § 36 Abs. 1
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 36 Abs. 3
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
BGB § 812
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 55/08

11.12.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 11. Dezember 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Dittrich und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

Das Amtsgericht Pankow/Weißensee wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Das Landgericht Berlin und das Amtsgericht Pankow/Weißensee streiten über die sachliche Zuständigkeit für ein Verfahren, in dem als Klägerin zu 1. eine - in der Klageschrift so bezeichnete - GbR auftritt, die aus den Klägern zu 2. und 3. sowie den beiden Beklagten besteht, und in dem Ausgleichsansprüche geltend gemacht werden, die im Zusammenhang mit der Renovierung eines im Wohnungseigentum der Gesellschafter stehenden Gebäudes sowie im Zusammenhang mit der Erfüllung öffentlich-rechlicher Abgabenverpflichtungen in Bezug auf dieses Gebäude entstanden sind.

Die Kläger zu 2. und 3. sowie die beiden Beklagten gründeten am 20. Mai 2003 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im Folgenden "GbR"), wobei der Gesellschaftsvertrag u.a. vorsah:

"§ 1

3. Der Zweck der Gesellschaft ist der Erwerb und die Aufteilung in Wohnungseigentum einschließlich der grundbuchrechtlichen Durchführung des Grundstückes ...

Der Gesellschaftszweck ist mit Eintragung aller Gesellschafter als Eigentümer ... in das Wohnungsgrundbuch erreicht ...

4. Weiter ist in dem Gesellschaftszweck enthalten die Durchführung folgender Renovierungsarbeiten ...

§ 2

Die Gesellschaft beginnt .... Ihre Dauer endet mit Erreichung des in § 1 Ziffer 3 genannten Gesellschaftszweckes.

§ 10

Die Gesellschaft endet ... mit Erreichen des in § 1 ... genannten Gesellschaftszwecke."

Am selben Tage kauften die Kläger zu 2. und 3. sowie die beiden Beklagten das in dem Gesellschaftsvertrag genannte Grundstück und teilten dieses in Wohnungseigentum auf. Daraufhin begannen sie mit der Durchführung der Renovierungsarbeiten. Während laufender Renovierungsarbeiten ergänzten sie am 17. November 2003 die Teilungserklärung und wurden am 6. April 2004 als Wohnungseigentümer in das Grundbuch eingetragen. Die Arbeiten endeten im Jahre 2004; im Jahre 2007 wurde die Klage erhoben. Die Kläger stützen ihre Klageforderung ausdrücklich auf den Gesellschaftsvertrag.

Das Landgericht erklärte sich nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 3. November 2008 gemäß § 43 WEG für unzuständig und verweis den Rechtsstreit an das Amtsgericht Pankow/Weißensee. Zur Begründung führte es an, die GbR sei zum 6. April 2004 beendigt worden und sogleich in die Wohnungseigentümergemeinschaft (im Folgenden: "WEG") "übergegangen". Zudem sei § 43 WEG weit auszulegen und erfasste auch Ansprüche aus der Zeit vor dem Entstehen der Wohnungseigentümergemeinschaft. Das Amtsgericht erklärte sich mit Beschluss vom 19. November 2008 ebenfalls für sachlich unzuständig. Zur Begründung führte es an, die Kläger (zu 1.) sei die GbR, nicht die WEG. Mit richterlicher Verfügung vom selben Tage legte das Amtsgericht dem Kammergericht die Sache zur Zuständigkeitsbestimmung vor.

II.

1.

Das Kammergericht ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichtes berufen, nachdem sich das Landgericht Berlin und das Amtsgericht Pankow/Weißensee mit nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen für sachlich unzuständig erklärt haben.

2.

Das Amtsgericht ist jedenfalls gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO wegen des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts sachlich zuständig.

a)

Nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO bewirkt der Verweisungsbeschluss im Grundsatz bindend die Unzuständigkeit des verweisenden Gerichtes und die Zuständigkeit des Gerichtes, an das verwiesen wird. Anerkannt ist jedoch, dass die Bindungswirkung ausnahmsweise entfällt, wenn die Verweisung auf Willkür beruht (vgl. nur BGH, NJW 2003, 3201 [3201]; Greger in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 281 Rdnr. 17 m.w.N.). Dabei ist Willkür nicht allein deshalb anzunehmen, weil die Frage der Zuständigkeit - aus Sicht des nach § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufenen, höheren Gerichtes oder aus Sicht der herrschenden Meinung in der Rechtsprechung - unzutreffend beantwortet wurde. Die Grenze zwischen der fehlerhaften, gleichwohl aber bindenden Entscheidung und der willkürlichen Entscheidung ist allerdings u.a. dann überschritten, wenn das verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsregel zwar in den Entscheidungsgründen erörtert, dabei aber zu einem völlig unvertretbaren Ergebnis gelangt (Senat, Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 25/08, WM 2008, 1571-1572; Beschluss vom 29. Mai 2008, 2 AR 20/08).

b)

Demgemäß ist vorliegend Willkür nicht zu bejahen. Denn es ist jedenfalls nicht völlig unvertretbar, die streitgegenständlichen Ansprüche als Streitigkeiten im Sinne von § 43 Nr. 1 und 2 WEG zu verstehen. Dafür spricht Folgendes:

aa)

Anerkannt ist zum einen, dass § 43 WEG weit auszulegen ist und ausschlaggebend nicht die Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruches, sondern der Umstand ist, ob der Anspruch nach den hierzu vorgetragenen Tatsachen im inneren Zusammenhang mit einer Angelegenheit steht, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer erwächst (BGH, NJW 1995, 2851; BGH, NJW-RR 1991, 907; BayObLG, NZM 2002, 460; OLG Karlsruhe, ZMR 2000, 56; Bassenge in Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, § 43 WEG Rdnr. 3). Bei sind letztlich reine Zweckmäßigkeitserwägungen entscheidend (BGH, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.). Unter den genannten Voraussetzungen unterfallen § 43 WEG mithin auch Ansprüche aus Vereinbarungen, die die Wohnungseigentümer gemäß § 10 Abs. 2 WEG in Ergänzung oder Abänderung wohnungseigentumsrechtlicher Vorschriften schließen (Wenzel in Bärmann, WEG, 10. Aufl. 2008, § 43 Rdnr. 49).

Zum anderen wird - in zeitlicher Hinsicht - ganz überwiegend vertreten, dass Streitigkeiten schon dann dem § 43 WEG unterfallen, wenn sich die WEG, auf die die Streitigkeit bezogen ist, "im Werden" befindet (OLG Frankfurt, Beschl. vom 15.6.2005 - 20 W 17/03, Rdnr. 23 zit. nach Juris; BayObLG, NJW-RR 1997, 1443; Suilmann in Jennißen, WEG, 2008, § 43 Rdnr. 6, m.w.N.). Dabei soll eine "werdende WEG" ab dem Zeitpunkt bestehen, in dem die Teilung gemäß § 8 WEG erfolgt, der Auflassungsanspruch der Wohnungseigentümer durch Vormerkung im Grundbuch gesichert und der Besitz auf die Wohnungseigentümer übergegangen ist (OLG Frankfurt, a.a.O.; BayObLG, a.a.O.; Suilmann in Jennißen, WEG, 2008, § 43 Rdnr. 8, m.w.N.)

Zudem ist vorliegend zumindest, dass die GbR - mit der Grundbucheintragung - am 20. April 2004 endigte. Zwar ist der Wortlaut des Gesellschaftsvertrages nicht völlig konsistent hinsichtlich der Frage, in welchem rechtlichen Rahmen die in § 1 Ziff. 4 des Gesellschaftsvertrages erwähnten Renovierungsarbeiten durchgeführt werden soll, wenn vor Abschluss dieser Arbeiten der Gesellschaftszweck des § 1 Ziff. 3 erreicht wurde. So könnten der Umstand, dass die Zweckerreichungsregelung des § 1 Ziff. 3 Satz 2 nach ihrer systematischen Stellung nicht auch auf § 1 Ziff. 4 bezogen ist, und der Umstand, dass § 10 Satz 1 pauschal auf "§ 1" Bezug nimmt, dafür sprechen, dass in einem solchen Fall die GbR mit einem auf dem Inhalt des § 1 Ziff. 4 reduzierten Gesellschaftszweck fortbesteht. Dem steht jedoch nicht nur der unmissverständliche Wortlaut des § 2 Satz 2 entgegen, wonach die GbR eben schon mit Erreichung des in § 1 Ziff. 3 genannten Zweckes endigt. Vor allem ist kein Grund ersichtlich, dass die Gesellschafter nach Entstehung der geplanten WEG zusätzlich eine GbR aufrechterhalten wollten, die - auch schon nach damaliger Rechtslage - eine eigene, von der WEG getrennte Rechtspersönlichkeit hat (vgl. BGH, BGHR 2001, 237), deren Gesellschaftszweck aber mit den Gemeinschaftsaufgaben der WEG deckungsgleich ist. Es liegt daher nahe, dass die Parteien mit Entstehung der WEG und der damit verbundenen Erreichung des in § 1 Ziff. 3 genannten Gesellschaftszweckes die Gesellschaft - wie in § 2 Satz 2 bestimmt - tatsächlich beendigt sehen wollen und dass sie die aus dem Gesellschaftsvertrag etwaig noch weiterhin bestehenden Pflichten - aus § 1 Ziff. 4 - als Vereinbarung der (nunmehrigen) Wohnungseigentümer untereinander gemäß § 10 Abs. 2 WEG fortwirken lassen wollen.

bb)

Danach ist im Hinblick auf die vorliegend geltend gemachten Ansprüche folgendes festzustellen:

(1.)

Von § 43 Nr. 1 oder 2 WEG sind jedenfalls diejenigen Ansprüche erfasst, die im Zusammenhang mit der Erfüllung öffentlich-rechlicher Abgabenverpflichtungen entstanden sind. Denn die Erfüllung öffentlich-rechlicher Abgabenverpflichtungen war allein Angelegenheit der WEG, nicht der GbR.

(2.)

Von § 43 Nr. 1 oder 2 WEG ebenfalls erfasst sind die Ansprüche, die die Kläger zu 2. und 3. geltend machen und die nach der Eintragung der Auflassungsvormerkungen ins Grundbuch - wohl Ende 2003 - entstanden sind. Denn die Tatsachen, die sämtlichen dieser Ansprüche zu Grunde liegen, haben einen inneren Zusammenhang mit den Angelegenheiten der WEG und sind zeitlich nach dem Entstehen der werdenden WEG entstanden (s.o.). Der Umstand, dass die Rechtsgrundlage der Ansprüche seinerzeit - möglicherweise - in dem von einer Vereinbarung nach § 10 Abs. 2 WEG zu unterscheidenden Gesellschaftsvertrag zu sehen war oder in einem Darlehensvertrag, in § 812 BGB oder in den Regeln über die Geschäftsführung ohne Auftrag, ist unerheblich (s.o.). Demgemäß ist es auch unerheblich, dass die Kläger betonen, sie machten Ansprüche aus dem Gesellschaftsvertrag, nicht aus dem Wohnungseigentümerverhältnis geltend. Hierfür spricht darüber hinaus, dass es sich dabei ohnehin um reinen Rechtsvortrag handelt, an den das Gericht in seiner Bewertung nicht gebunden ist. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Erwägung des OLG Karlsruhe in ZMR 2000, 56 nicht zwingend, wonach entscheidend sein soll, dass die Kläger als Mitglieder der GbR, nicht als Mitglieder der WEG auftreten.

Hinsichtlich derjenigen Ansprüche, die die Klägerin zu 1. geltend macht und die ebenfalls nach der Eintragung der Auflassungsvormerkungen ins Grundbuch entstanden sind, könnte allerdings - abweichend von dem oben Ausgeführten - von Bedeutung sein, dass der vorliegend mitklagenden Verband als "GbR", nicht als "WEG" in der Klageschrift bezeichnet wird. Denn die GbR ist eine eigenständige Rechtspersönlichkeit (BGH, BGHR 2001, 237) und als solche weder mit der - ebenfalls rechtsfähigen (BGH, BGHR 2005, 1090) - WEG identisch noch an ihr beteiligt. In der Person der GbR sind daher die Tatbestandsmerkmale des § 43 Nr. 1 und 2 WEG ("Gemeinschaft der Wohnungseigentümer" oder "Wohnungseigentümer") nicht ohne weiteres gegeben. Jedoch erscheint es zum einen zumindest vertretbar, in der Bezeichnung der Klägerin zu 1. als "GbR" eine - durch Rubrumsberichtigung korrigierbare - Fehlbezeichnung zu sehen, wenn man sich der - vertretbaren - Ansicht anschließt, dass die GbR in der WEG aufgegangen ist (s.o.). Zum anderen widerspräche es dem auf Zweckmäßigkeit ausgerichteten Regelungsanliegen des § 43 WEG, die GbR bei Anwendung dieser Vorschrift von der WEG erheblich zu unterscheiden, da GbR und WEG personenidentische Mitglieder haben und einen sich deckenden Zweck verfolgen.

(3.)

Hinsichtlich derjenigen Ansprüche, die vor der Eintragung der Auflassungsvormerkungen ins Grundbuch entstanden sind, wäre zwar durchaus denkbar, diese in der gesamten Folgezeit als ihrer Natur nach gesellschaftsrechtliche Ansprüche zu begreifen und sie deshalb dem § 43 WEG nicht zuzuordnen. Dagegen spricht aber zum einen wiederum, dass es bei der Anwendung des § 43 WEG gerade nicht auf die Rechtsnatur des geltend gemachten Ansprüche, sondern auf den inneren Zusammenhang mit den Angelegenheiten der WEG ankommt; der innere Zusammenhang zu Angelegenheiten der (späteren) WEG ist indessen auch für diese Ansprüche gegeben. Dagegen spricht zum anderen die o.g. - vertretbare - Ansicht, dass die GbR in der WEG aufgegangen ist (s.o.). Denn danach dürften die zunächst als "gesellschaftsrechtliche" Ansprüche entstandenen Ansprüche mittlerweile "wohnungseigentumsrechtliche" Ansprüche geworden sein. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass es wenig zweckmäßig wäre, die diversen Ansprüche vor verschiedenen Gerichten zu verhandeln. Denn in allen Fällen handelt es sich um Ansprüche, die wegen der Renovierung desselben Hausgrundstückes während derselben Bauphase entstanden sind. Eine zeitliche, auf den Zeitpunkt der Eintragung von Auflassungsvormerkungen in des Grundbuch bezogene Aufspaltung der Verfahrens wäre daher kaum sachgerecht und würde sowohl zu unnötiger Mehrbelastung der Justiz als auch zu der Gefahr sich widersprechender Entscheidungen führen. Abschließend entschieden braucht die Frage nicht zu werden; völlig unvertretbar war die Entscheidung des Landgericht hiernach jedenfalls nicht.

3.

Der Senat hatte die Sache nicht dem BGH gemäß § 36 Abs. 3 ZPO vorzulegen, obwohl die Entscheidung des OLG Karlsruhe in ZMR 2000, 56 von der o.g. Ansicht des Senats in einem Detailpunkt (vgl. Ziff. 2.b.bb.[2.]) abweicht und das OLG Karlsruhe in OLGR 2005, 139 leicht abweichend von der o.g. Ansicht des Senats (vgl. Ziff. 2.a.) meint, es sei unerheblich, ob das verweisende Gericht die maßgebliche Zuständigkeitsnorm in den Entscheidungsgründen erörtert habe, weil für die Frage der Bindungswirkung allein entscheidend sei, ob die Verweisung im Ergebnis vertretbar erscheine. Denn Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vorlage nach § 36 Abs. 3 ZPO ist es, dass die Rechtsfrage, in der das vorlegende Oberlandesgericht von der Entscheidung des anderen Oberlandesgerichtes abweichen will, aus Sicht des vorlegenden Gerichts entscheidungserheblich ist (BGH, NJW 2003, 3201). Eine Entscheidungserheblichkeit der o.g. Rechtsfragen ist vorliegend indessen zu verneinen. Denn nach dem oben Dargelegten (Ziff. 2) wäre auch bei Zugrundelegung der in ZMR 2000, 56 vertretenen Auffassung des OLG Karlsruhe keine Unvertretbarkeit und damit keine Willkürlichkeit der landgerichtlichen Entscheidung gemäß der Auffassung des OLG Karlsruhe in OLGR 2005, 139 anzunehmen.

Ende der Entscheidung

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