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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 31.01.2008
Aktenzeichen: 2 AR 63/07
Rechtsgebiete: HGB, ZPO, AGBG, BGB


Vorschriften:

HGB § 4
HGB § 89 b
ZPO § 14 Nr. 6
ZPO § 21
ZPO § 29 a
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 36 Abs. 2
ZPO § 38
ZPO § 38 Abs. 1
ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 2
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4
AGBG § 9
BGB § 133
BGB § 157
BGB § 242
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 AR 63/07

31.01.2008

In Sachen

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Franck und Dittrich am 31.01.2008

beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Berlin wird als das örtlich zuständige Gericht bestimmt.

Gründe:

I.

Der Kläger hatte mit der En Mineralöl GmbH mit Sitz in Düsseldorf im Jahr 1981 einen "Tankstellen-Verwalter-Vertrag" betreffend eine Tankstelle in Roetgen (Bezirk des Landgerichts Aachen) geschlossen. Kraftsstoffe sollten danach vom Kläger im Namen und auf Rechnung der Enn gegen Provisionsbeteiligung vertrieben werden, während der Kfz-Pflegedienst und Verkauf von Zubehörartikeln von ihm im eigenen Namen auf eigene Rechnung erfolgen sollte. Für die Überlassung von Pflegehalle und Verkaufsraum zu diesem Zweck hatte er eine monatliche Pacht zu zahlen.

Die Gerichtsstandsklausel im Vertragsformular der En (§ 14 Nr. 6) lautet:

"Erfüllungsort für Zahlungen ist Düsseldorf. Gerichtsstand ist nach Wahl von En Düsseldorf sowie der Sitz der Niederlassung, in deren Bereich die Station gelegen ist, wenn Verwalter nicht Kaufmann im Sinne § 4 HGB ist. ...."

Nach Beendigung des Vertrags nimmt der Kläger die Beklagte, die unstreitig nicht (Gesamt)-Rechtsnachfolgerin der Enn ist, aber bei der Durchführung des Vertrags Erklärungen im eigenen Namen abgegeben hat und nach Ansicht des Klägers daher -neben der Rechtsnachfolgerin der En Mineralöl GmbH, der Tnn Mineralöl und Cnnn GmbH- unter dem Gesichtspunkt der Schuldmitübernahme passiv legitimiert ist, mit seiner bei dem Landgericht Berlin eingereichten Klage auf Zahlung eines Ausgleichs nach § 89 b HGB in Anspruch. Die Beklagte geht in ihrer Schlussabrechnung davon aus, dass der Kläger für den Zeitraum März bis November 2005 noch zur Zahlung weiterer Pacht in Höhe von 9 x 2.411,69 EUR = 21.705,21 EUR verpflichtet ist.

Die Beklagte, die ihren Sitz in Berlin hat, hat geltend gemacht, dass eine pachtrechtliche Streitigkeit vorliege und daher das Landgericht Aachen nach § 29 a ZPO ausschließlich zuständig sei; im Übrigen sei nach der Gerichtsstandsklausel Düsseldorf Gerichtsstand, so dass ein Gerichtsstand in Berlin ausscheide (Schriftsatz vom 21.12.2006). Mit Schriftsatz vom 15.03.2007 hat die Beklagte ihre Passivlegitimation bestritten, da sie nicht Rechtsnachfolgerin der Enn sei.

Der Kläger hat die Verweisung an das Landgericht Aachen beantragt, jedoch geltend gemacht, dass bei Nichteingreifen von § 29 a ZPO es bei der Zuständigkeit des Landgerichts Berlin verbleiben müsse, da er bei Vertragsschluss noch kein Kaufmann gewesen sei.

Das Landgericht Berlin hat sich mit Beschluss vom 08.10.2007 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Aachen verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass beide Prozessparteien den Inhalt der Gerichtsstandsklausel offenbar dahin verstünden, dass der Gerichtsstand nach Wahl von En entweder Düsseldorf oder "das für den Sitz der Station zuständige Gericht, hier also Aachen" sein sollte, und die Kammer diese Auffassung teile. Nach Maßgabe des Wahlrechts handele es sich um einen ausschließlichen Gerichtsstand. Die Beklagte sei konkludent in den Vertrag eingetreten, so dass die Gerichtsstandsvereinbarung auch ihr gegenüber gelte.

Nach Hinweis des Landgerichts Aachen, dass es von seiner Unzuständigkeit ausgehe und die Verweisung des Landgerichts Berlin nicht für bindend halte, haben die Parteien am 04.12.2007 eine Vereinbarung getroffen, wonach das Landgericht Aachen zuständig sein solle.

Das Landgericht Aachen hat sich mit Beschluss vom 05.12.2007 für unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt.

II.

1) Die Zuständigkeit des Kammergerichts für das Bestimmungsverfahren folgt aus § 36 Abs. 2 ZPO, da das gemeinschaftlich höhere Gericht der am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte der Bundesgerichtshof wäre und das zum Bezirk des Kammergerichts gehörende Landgericht Berlin zuerst mit der Sache befasst war.

Das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist eröffnet, da sich beide Gerichte rechtskräftig im Sinne der Bestimmung (dazu s. BGHZ 102, 338 = NJW 1988, 1794 f.) für unzuständig erklärt haben.

2) Das Landgericht Berlin ist örtlich zuständig. Die Verweisung an das Landgericht Aachen ist wegen Willkürlichkeit nicht bindend.

a) Für die auf Zahlung eines Handelsvertreterausgleichs nach § 89 b HGB gerichtete Klage ist -vorbehaltlich der Begründung eines davon abweichenden ausschließlichen Gerichtsstandes nach § 38 ZPO- das Landgericht Berlin zuständig. Hier hat die Beklagte ihren Sitz und damit ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 17 ZPO).

§ 29 a ZPO ist hingegen nicht einschlägig und begründet damit -wovon offenbar auch das Landgericht Berlin in seinem Verweisungsbeschluss zutreffend ausgeht- keinen ausschließlichen Gerichtsstand am Ort der Station in Aachen. Eine Streitigkeit über Ansprüche aus einem Pachtverhältnis liegt nicht vor. § 29 a ZPO greift nur, wenn die pachtweise Raumüberlassung den Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses darstellt (s. MüKo/Patzina, ZPO, 3. Aufl., § 29 a Rn 11, 13; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 29 a Rn 15; Musielak/Heinrich, ZPO, 5. Aufl., § 29 a Rn 9). Das ist vorliegend nicht der Fall, da Schwerpunkt des Vertrags der Kraftstoffvertrieb im Wege des "Agenturverkaufs" war und die entgeltliche Überlassung von Pflegehalle und Verkaufsraum nur der ergänzenden eigenwirtschaftlichen Tätigkeit des Beklagten diente. Der Kläger macht mit seiner Klage auch keine Ansprüche aus dem (untergeordneten) Pachtverhältnis geltend; eine Aufrechnung des Beklagten mit solchen Ansprüchen begründet die Zuständigkeit des § 29 a ZPO nicht (vgl. OLG Düsseldorf, OLG-Report 1991, Heft 5, S. 18, 19).

b) Die Unzuständigkeit des Landgerichts Berlin folgt nicht aus § 14 Nr. 6 des Vertrags i.V.m. § 38 Abs. 1 ZPO.

Die Wirksamkeit der Vereinbarung, die eine Zuständigkeit am Sitz der ehemaligen Vertragspartnerin und Klauselverwenderin Enn in Düsseldorf oder wahlweise am Sitz einer zuständigen Niederlassung vorsieht, dürfte unter dem Aspekt einer unangemessenen Benachteiligung i.S. von § 9 AGBG keinen Bedenken unterliegen und kann jedenfalls ebenso unterstellt werden wie das Vorliegen der von § 38 Abs. 1 ZPO vorausgesetzten Kaufmannseigenschaft des Klägers und wie eine grundsätzliche Anwendbarkeit der Klausel auch im Verhältnis des Klägers zur Beklagten, deren Passivlegitimation er bei verständiger Würdigung seines Vortrags nicht aus einer bloßen Schuldmitübernahme, sondern aus einem Vertragsbeitritt (vgl. BGH NJW 2005, 2620) herleitet.

Denn in Bezug auf den Gerichtsstand Aachen fehlt es bereits an den tatsächlichen Zuständigkeitsvoraussetzungen, und auf den Gerichtsstand Düsseldorf kann sich die Beklagte bei zutreffender Auslegung von § 14 Nr. 6 des Vertrags nicht berufen.

aa) Die Annahme des Landgerichts, Aachen sei bereits zuständig, weil die Station im Landgerichtsbezirk Aachen gelegen sei, ist weder mit Wortlaut noch Sinn des § 14 Nr. 6 ZPO zu vereinbaren, und wurde auch von keiner Partei vertreten. Zuständig sollte vielmehr -nach Wahl von En - das Gericht am "Sitz der Niederlassung, in deren Bereich die Station gelegen ist" sein; diese Anknüpfung entspricht § 21 ZPO. Für sie ist maßgeblich, wo sich der Sitz der Niederlassung befindet. Der En sollte damit erkennbar eine Prozessführung am Sitz einer Niederlassung gewährleistet werden, der jedoch -etwa bei Vorhandensein nur einer entfernt liegenden, bundeslandübergreifenden Regionalniederlassung- nicht im Bezirk des Landgerichts Aachen liegen musste. Auch die Parteien haben eine vom Wortlaut abweichende Auslegung nicht vertreten. Vielmehr haben sie mit Schriftsätzen vom 21.12.2006 bzw. 17.01.2007 deutlich gemacht, dass sie von der Zuständigkeit des Landgerichts Aachen nur unter dem Aspekt des § 29 a ZPO ausgehen. Denn die Beklagte verwies, sollte § 29a ZPO nicht einschlägig sein, auf die vereinbarte Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf, während der Kläger § 14 Nr. 6 des Vertrags mangels Kaufmannseigenschaft bei Vertragsschluss im Ganzen für unanwendbar hält.

Hinzu kommt, dass die Beklagte jedenfalls das nach § 14 Nr. 6 des Vertrags vorgesehene Wahlrecht (zum Wahlrecht des Beklagten s. BGH NJW 1983, 996) mit Schriftsatz vom 21.12.2006 im Sinne einer Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf ausgeübt hat.

Angesichts des klaren Wortlauts des § 14 Nr. 6 ZPO, der fehlenden Feststellung einer Niederlassung (der Beklagten) im Bezirk des Landgerichts Aachen und der anderslautenden Wahlrechtsausübung ist die Verweisung als objektiv nicht mehr nachvollziehbar und damit willkürlich anzusehen und entgegen § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO nicht bindend (zur Willkür bei unzutreffender Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung durch das Gericht des allgemeinen Gerichtsstands vgl. OLG Köln, OLG-Report 2005, 555; KG-Report 1998, 326, 327).

bb) Die Unzuständigkeit des Landgerichts Berlin folgt auch nicht aus § 14 Nr. 6 des Vertrags und der Wahlrechtsausübung der Beklagten, mit der Folge, dass hier die Bestimmung des Landgerichts Düsseldorf als zwar bisher unbeteiligtes, jedoch ausschließlich zuständiges Gericht möglich wäre, wenn der Kläger einen entsprechenden Verweisungsantrag stellt (vgl. BGH NJW 1995, 534).

Die Beklagte kann sich nämlich nach § 242 BGB gegenüber der in ihrem allgemeinen Gerichtsstand Berlin erhobenen Klage nicht auf den vereinbarten Gerichtsstand Düsseldorf berufen.

Gerichtsstandsvereinbarungen sind nach den Regeln der §§ 133, 157 BGB auszulegen. Bei einer Gerichtsstandsklausel in AGB hat die Auslegung in erster Linie aus der Interessenlage des Verwenders heraus zu erfolgen, da er mit der Klausel seine Interessen sichern will (vgl. BGHZ 59, 116 = NJW 1972, 1671). Sein Wille geht im Falle der Bestimmung des Gerichtsstands am eigenen Firmensitz regelmäßig dahin, für eigene Klagen (Aktivprozesse) einen fakultativen Gerichtsstand an seinem Sitz zu haben, während Klagen gegen ihn selbst (Passivprozesse) ausschließlich in dem vereinbarten Gerichtsstand möglich sein sollen (s. OLG Schleswig NJW 2006, 3360, 3361; OLG Stuttgart, Urt. vom 08.11.2007, 7 U 104/07 -bei JURIS, Rz. 22-).

Welche Folgen eine spätere Verlegung des Sitzes hat und ob insbesondere eine ergänzende Vertragsauslegung etwa dahin in Betracht kommt, dass nunmehr lediglich der neue Sitz an die Stelle des alten tritt (ablehnend wohl Stein/Jonas/Bork, ZPO, a.a.O., § 38 Rn 65; Musielak/Heinrich, a.a.O., § 38 Rn 7), oder ob zumindest für Passivprozesse nunmehr ein Wahlrecht des Klägers denkbar ist, ob er am neuen oder noch am vereinbarten alten Sitz klagen will, kann dahinstehen.

Jedenfalls handelt der Verwender (bzw. vorliegend die Beklagte, die ebenfalls die Wirkungen der Gerichtsstandsklausel für sich in Anspruch nimmt) treuwidrig, wenn er sich in einem an seinem neuen Sitz gegen ihn geführten Prozess auf eine Gerichtsstandsvereinbarung beruft, die nach ihrem Wortlaut als Gerichtsstand den Ort des früheren Sitzes vorsieht. Denn da im Zeitpunkt der Vereinbarung der vereinbarte Gerichtsstand dem allgemeinen Gerichtsstand (§ 17 ZPO) entsprach, hatten die Parteien nicht den Willen, die Zuständigkeit eines an sich unzuständigen Gerichts zu begründen; vielmehr sollte nur die etwaige Zuständigkeit weiterer Gerichte abbedungen werden (zur Derogationswirkung von Klauseln, die einen bereits vorhandenen Gerichtsstand zum ausschließlichen machen s. Stein/Jonas/Bork, a.a.O., § 38 Rn 67). Dieser Sinn der Klausel wird in sein Gegenteil verkehrt, wenn die Klage nunmehr, trotzdem sie am Sitz erhoben wird, gerade unter Berufung auf die nur derogierend gemeinte Gerichtsstandsvereinbarung unzulässig sein soll, der Kläger also nicht gezwungen, sondern im Gegenteil nunmehr gehindert werden soll, am Sitz des Verwenders zu klagen. Unter diesen Umständen liegt ein Fall vor, in dem die Berufung auf die Gerichtsstandsvereinbarung rechtsmissbräuchlich ist (vgl. dazu allgemein Stein/Jonas/Bork, a.a.O., § 38 Rn 59; Musielak/Heinrich, a.a.O., § 38 Rn 4 a.E.).

c) Die nach Rechtshängigkeit getroffene Zuständigkeitsvereinbarung (§ 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) vom 04.12.2007, mit der die Parteien die Zuständigkeit des Landgerichts Aachen begründen wollten, ist nicht wirksam. Denn nachdem die Klage bei dem zuständigen Landgericht Berlin rechtshängig geworden ist, kann eine anderweitige Zuständigkeit nach § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht mehr begründet werden (s. BGH NJW 1976, 626; Zöller/Vollkommer, ZPO, 26. Aufl., § 38 Rn 12 m.N.).

Ende der Entscheidung

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