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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 06.07.2005
Aktenzeichen: 2 AR 85/05 - 5 Ws 305/05
Rechtsgebiete: WpHG, InsO, StPO, ZPO
Vorschriften:
WpHG § 14 Abs. 1 Nr. 1 | |
InsO § 35 | |
InsO § 38 | |
InsO § 39 | |
InsO § 39 Abs. 1 Nr. 3 | |
InsO § 80 | |
InsO § 89 | |
InsO § 89 Abs. 1 | |
StPO § 304 Abs. 1 | |
StPO § 111b | |
StPO § 111d | |
StPO § 111d Abs. 2 | |
ZPO § 917 |
2 AR 85/05 - 5 Ws 299/05 2 AR 85/05 - 5 Ws 300/05 2 AR 85/05 - 5 Ws 301/05 2 AR 85/05 - 5 Ws 302/05 2 AR 85/05 - 5 Ws 303/05 2 AR 85/05 - 5 Ws 304/05 2 AR 85/05 - 5 Ws 305/05 2 AR 85/05 - 5 Ws 306/05 2 AR 85/05 - 5 Ws 307/05 2 AR 85/05 - 5 Ws 334/05
In der Strafsache gegen
wegen Vergehens gegen das Wertpapierhandelsgesetz
hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 6. Juli 2005 beschlossen:
Tenor:
1. Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 8. März 2005, durch den der dingliche Arrest in sein Vermögen angeordnet wurde, aufgehoben.
2. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin vom 26. Mai 2005, soweit darin die Pfändung von Konten bei der Deutschen Postbank AG aufrechterhalten wurde, aufgehoben.
3. Auf die Beschwerden der
a. A. C. Limited, vertreten durch den Direktor .,
b. P. Verwaltungs GmbH, vertreten durch den Angeklagten,
c. H siebente Grundstücks GmbH, vertreten durch den Angeklagten,
d. H dritte Grundstücks GmbH, vertreten durch den Angeklagten,
e. M. D.,
f. C I. AG, ,
g. H. sechste Grundstücks GmbH, vertreten durch den Angeklagten,
h. D Grundstücks GbR, vertreten durch die H dritte Grundstücks GmbH, diese vertreten durch den Angeklagten werden die Pfändungsbeschlüsse des Landgerichts Berlin vom 14., 19. und 21. April 2005 aufgehoben.
4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten sowie den Beschwerdeführern zu 3. a.-h. in diesem Rechtszug entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse Berlin.
Gründe:
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin erließ am 3. Februar 2004 (349 Gs 467/04) Haftbefehl gegen den Angeklagten. Darin legte es ihm zur Last, in der Zeit vom 30. März 2001 bis 29. Juni 2001 durch 23 selbständige Handlungen entgegen dem Verbot nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 des Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) unter Ausnutzung seiner Kenntnis von Insidertatsachen Insiderpapiere für eigene oder fremde Rechnung oder für einen anderen veräußert zu haben. Aufgrund dieses Haftbefehls wurde der Angeklagte am 1. April 2004 festgenommen und am selben Tag vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Mit der Anklageschrift vom 11. Mai 2004 erhob die Staatsanwaltschaft Berlin wegen desselben Tatvorwurfs die Anklage zum Landgericht Berlin. Durch Beschluß vom 18. Februar 2005 ließ das Landgericht die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 11. Mai 2004 unverändert unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung zu und erteilte den rechtlichen Hinweis, daß auch ein Kursbetrug (§ 88 Nr. 2 Börsengesetz) in Betracht kommt und insoweit die Tathandlung am 5. Februar 2001 begangen wäre.
Weiterhin beantragte die Staatsanwaltschaft am 22. Oktober 2004, den dinglichen Arrest in das Privatvermögen des Angeklagten anzuordnen. An diesem Antrag hielt sie nach einem Hinweis des Landgerichts auf das am 28. November 2003 über das Privatvermögen des Angeklagten eröffnete Insolvenzverfahren nicht mehr fest. Mit dem angefochtenen Beschluß vom 8. März 2005 ordnete das Landgericht gleichwohl in Höhe von 4.024.652,00 Euro den dinglichen Arrest in das Vermögen des Angeklagten an und half seiner Beschwerde nicht ab. Auf seinen Antrag vom 3. Mai 2005 hob es mit dem angefochtenen Beschluß vom 26. Mai 2005 die Pfändung der Konten bei der Deutschen Postbank AG nur teilweise auf und wies den weitergehenden Antrag zurück. Mit den Beschlüssen vom 14., 19. und 21. April 2005 ordnete die Kammer die Pfändung sämtlicher bestehender und künftiger Forderungen gegen die übrigen Beschwerdeführer an; den Beschwerden half sie nicht ab. Die sofortige und einfache Beschwerde des Angeklagten führen zur Aufhebung des Beschlusses vom 8. März 2005 und zur Teilaufhebung des Beschlusses vom 26. Mai 2005. Die übrigen Beschwerden gegen die Pfändungsbeschlüsse führen ebenfalls zu deren Aufhebung.
1. Unabhängig von der Frage, inwieweit der Angeklagte nach § 80 InsO noch über sein Vermögen verfügen kann, ist seine Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig, weil er durch den angefochtenen Beschluß vom 8. März 2005, durch den der dingliche Arrest in sein Vermögen angeordnet wurde, in seinen Rechten als unmittelbar Verfahrensbeteiligter verletzt wird.
2. Die Beschwerde ist bereits nach § 89 Abs. 1 InsO begründet.
a. Nach § 89 Abs. 1 InsO sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die Insolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig. Es gilt das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung nach Verfahrenseröffnung (vgl. OLG Zweibrücken JurBüro 2001, 551; Uhlenbruck InsO 12. Aufl. § 89 Rdn. 19; Breuer in Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, § 89 Rdn. 28;). Das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckung verdrängt die Einzelvollstreckung und damit auch den Arrest (vgl. Heidelberger Kommentar zur InsO 3. Aufl. § 89 Rdn. 1; Uhlenbruck aaO § 89 Rdn. 1, 2; Breuer aaO § 89 Rdn. 5, 6, 13; Hess in InsO 2. Aufl. § 89 Rdn. 1, 8). Alle Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung müssen vor Verfahrenseröffnung erfüllt sein, ansonsten ist sie nach § 89 Abs. 1 InsO unzulässig (vgl. Uhlenbruck aaO § 89 Rdn. 3).
Zwar ist der Staat im Streitfall kein Insolvenzgläubiger; denn der Anspruch auf Wertersatz entsteht erst mit der Anordnung im Urteil (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 73b Rdnr. 2). Gläubiger, die erst nach Verfahrenseröffnung einen Vermögensanspruch gegen den Insolvenzschuldner erlangt haben, sind keine Insolvenzgläubiger, sondern "Neugläubiger" oder "Nachinsolvenzgläubiger". Das Vollstreckungsverbot des § 89 Abs. 1 InsO gilt aber auch für sie; denn es betrifft sämtliche Forderungen persönlicher Gläubiger des Schuldners im Sinne von §§ 38, 39 InsO, so daß gemäß dem Regelungszweck der §§ 35, 38 InsO auch die nachrangigen Insolvenzgläubiger und die "Neugläubiger" nicht vollstrecken dürfen. Unerheblich ist dabei, ob der Gläubiger auf die Verfahrensteilnahme verzichtet, da sich die Qualifikation als Insolvenz-, Neu- oder Masseforderung aufgrund des materiellen Anspruchs ergibt (vgl. Uhlenbruck aaO, § 89 Rdn. 11 mit weit. Nachw.).
So liegen die Dinge hier, denn das Insolvenzverfahren über das Privatvermögen des Angeklagten wurde am 28. November 2003, und damit selbst vor Erhebung der Anklageschrift, eröffnet. Ein staatlicher Zahlungsanspruch besteht bis heute nicht.
b. Der Arrest ist eine der nach § 89 InsO unzulässigen Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung.
Zwar führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners dann nicht zur Aufhebung des Arrestes, wenn der Gläubiger durch dessen Vollzug bereits Sicherheiten erlangt hat, für die ihm ein Absonderungsrecht zusteht (vgl. BFH NJW 2004, 2183; OLG Köln ZIP 2004, 2013; Hess aaO § 89 Rdn. 22). Anders beurteilt sich aber der Bestand des Arrestes, wenn dieser noch nicht vollzogen ist. Dann kommt wegen § 89 Abs. 1 InsO eine Aufhebung in Betracht, da er nicht mehr vollzogen werden darf. Das gilt auch für den nach §§ 111b, 111d StPO angeordneten Arrest. Denn auf den strafprozessualen dinglichen Arrest finden im wesentlichen die Vorschriften der ZPO über § 111d Abs. 2 StPO Anwendung. Danach ist der Vollzug des Arrestes, der nur durch eine Einzelvollstreckung möglich wäre, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 89 Abs. 1 InsO unzulässig (vgl. OLG Köln ZIP 2004, 2013, 2015, 2016). Selbst die Eröffnung eines ausländischen Konkursverfahrens steht einem inländischen Arrestverfahren jedenfalls dann entgegen, wenn der Arrestbeklagte die Vergleichbarkeit mit einem deutschen Insolvenzverfahren glaubhaft macht (vgl. OLG München OLGR München 1992, 188; Uhlenbruck aaO § 89 Rdn. 13, 18; Hess aaO § 89 Rdn. 16).
Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Angeklagten wurde bereits am 28. November 2003 eröffnet und dauert nach den Ermittlungen des Senats noch an. Der Arrest aufgrund des Beschlusses vom 8. März 2005 darf nicht vollzogen werden; Zwangsvollstreckungsmaßnahmen sind insoweit unzulässig (vgl. Uhlenbruck aaO Rdn. 6. Hess aaO § 89 Rdn. 28, Breuer aaO § 89 Rdn. 14, 33) Da dies auch für die Einzelzwangsvollstreckung für öffentlich - rechtliche Forderungen gilt (vgl. Uhlenbruck aaO § 89 Rdn. 12; Breuer aaO § 89 Rdn. 14), ist der Arrestbeschluß aufzuheben. Gleiches gilt für die Pfändungen der Konten bei der Deutschen Postbank AG, soweit sie durch den angefochtenen Beschluß vom 26. Mai 2005 nicht vollständig aufgehoben wurden.
c. Für den auf strafprozessualen Vorschriften beruhenden Arrest gilt nichts anderes.
Durch § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat der Gesetzgeber klargestellt, daß die hierdurch erfaßten staatlichen Forderungen nachrangig sind. Geldstrafen und solche Nebenfolgen einer Straftat, die zu einer Geldzahlung verpflichten, wie auch der Verfall des Wertersatzes (vgl. Smid in InsO 2. Aufl. § 39 Rdn. 9; Frankfurter Kommentar zur InsO, 3. Aufl. § 39 Rdn. 8), sind in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO ausdrücklich zu nachrangigen Insolvenzforderungen erklärt worden.
Der für die Anordnung des dinglichen Arrestes nach § 111d Abs. 2 StPO erforderliche Arrestgrund richtet sich nach § 917 ZPO. Danach findet der dingliche Arrest statt, wenn zu besorgen ist, daß ohne dessen Verhängung die Vollstreckung vereitelt oder wesentlich erschwert würde (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 111, 112;). Der Arrest soll vor unlauterem Verhalten des Schuldners schützen und wird begründet durch die Gefahr des Beseiteschaffens von Vermögenstücken, Schein- und Schwindelgeschäften oder den Verdacht der Veräußerung von erheblichen Vermögenswerten (vgl. OLG Frankfurt ZIP 2004, 777). Der Arrest hat mithin Sicherungscharakter (vgl. OLG Köln ZIP 2004, 2015), denn er dient der Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das bewegliche und unbewegliche Vermögen (vgl. Zöller, ZPO 25. Aufl. vor § 916 Rdn. 1). Eine dahingehende Unterscheidung, daß der strafprozessuale Arrest auch dem Aufspüren von Vermögenswerten dient, sieht das Gesetz nicht vor. Die Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften hat vielmehr zur Folge, daß der Arrest, soweit er nicht vollzogen wurde, sich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erledigt und eine Einzelzwangsvollstreckung unzulässig ist (vgl. OLG Köln ZIP 2004, 2016). Vollstreckungsmaßnahmen unter Verstoß gegen § 89 InsO sind materiell-rechtlich unwirksam, es entsteht kein Pfändungspfandrecht (vgl. Uhlenbruck aaO § 89 Rdn. 24).
Die angefochtenen Beschlüsse vom 8. März 2005 und vom 26. Mai 2005 betreffen die Einzelzwangsvollstreckung in das Vermögen des Angeklagten und sind daher aufzuheben.
3. Auf die Rechtsmittel der Beschwerdeführer zu 3. a.-h. sind die aufgrund des Arrestbeschlusses ergangenen Pfändungsbeschlüsse vom 14., 19. und 21. April 2005 ebenfalls aufzuheben, da vollstreckungsrechtlich eine unter Verstoß gegen § 89 Abs. 1 InsO vorgenommene Vollstreckungsmaßnahme solange wirksam ist, bis ihre förmliche Aufhebung erfolgt (vgl. Breuer aaO § 89 Rdn. 33; Uhlenbruck aaO § 89 Rdn. 24).
4. Die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen des Angeklagten und der übrigen Beschwerdeführer beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO.
Ende der Entscheidung
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