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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.03.2005
Aktenzeichen: 2 Ss 47/05 - 3 Ws (B) 111/05
Rechtsgebiete: StVG, OWiG, StPO


Vorschriften:

StVG § 1 Abs. 2
StVG § 8 Abs. 2
StVG § 24
StVG § 49
OWiG § 69 Abs. 4 Satz 2
OWiG § 72 Abs. 1
OWiG § 75 Abs. 1 Satz 1
OWiG § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5
OWiG § 79 Abs. 3 Satz 1
OWiG § 81 Abs. 2 Satz 1
StPO § 338 Nr. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftsnummer: 2 Ss 47/05 - 3 Ws (B) 111/05

In der Bußgeldsache gegen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in Berlin am 16. März 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 9. Dezember 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Zuwiderhandlung gegen §§ 1 Abs. 2, 8 Abs. 2, 49 (zu ergänzen Abs. 1 Nr. 1 und 8) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 60,-- Euro verurteilt. Die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt und das Verfahren beanstandet, hat (vorläufigen) Erfolg.

Die ordnungsgemäß ausgeführte Verfahrensrüge ist darauf gestützt, die Amtsanwaltschaft habe keine Terminsnachricht erhalten, obwohl sie bei der Aktenvorlage nach § 69 Abs. 4 Satz 2 OWiG im Hinblick auf eine ihrer Ansicht nach von dem Betroffenen durch dieselbe Tat zusätzlich begangene fahrlässige Körperverletzung die Überleitung in das Strafverfahren beantragt und erklärt habe, sie werde an der Hauptverhandlung teilnehmen und bitte daher um rechtzeitig Terminsnachricht.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat das Rechtsmittel mit folgenden Ausführungen vertreten:

"1. Die Rechtsbeschwerde ist in entsprechender Anwendung des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG zulässig.

Zwar betrifft die Bestimmung des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG direkt nur den Fall, daß das Amtsgericht in einer Bußgeldsache gegen den Willen des Betroffenen bzw. der Staatsanwaltschaft im Wege des Beschlußverfahrens gem. § 72 Abs. 1 OWiG entschieden hat. Nach dem Grundgedanken, eine Beschneidung der Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der Beteiligten zu verhindern und ihnen ggf. die Rechtsbeschwerdemöglichkeit zu geben, ist sie auch dann über ihren Wortlaut hinaus entsprechend anzuwenden, wenn die einem Verfahrensbeteiligten vom Gesetz eingeräumte Mitwirkungsmöglichkeit bei der Gestaltung des Verfahrens übergangen und seine in Ausübung dieses Rechts abgegebene prozessuale Erklärung nicht berücksichtigt wurde oder das Gericht die Hauptverhandlung ohne Einverständnis eines Beteiligten in dessen Abwesenheit durchgeführt hat (vgl. OLG Stuttgart Justiz 2003, 597 ff. bei Juris; BayObLG VRS 55, 446 ff.; OLG Karlsruhe VRS 44, 64 ff.; Göhler OWiG, 13. Aufl., § 79 Rdnr. 18; Steindorf in KK, OWiG, 2. Aufl., § 81 Rdnr. 16 m.w.N.). Dies ist auch dann der Fall, wenn - wie hier - trotz ausdrücklichen Antrags der Amtsanwaltschaft eine Ladung zum Termin nicht erfolgt und die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Amtsanwaltschaft Berlin durchgeführt wird.

II.

1. Zu Recht geht die Amtsanwaltschaft davon aus, daß das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft zur Sache verhandelt hat, obwohl eine Terminsnachricht an die Amtsanwaltschaft unterblieben ist und diese deshalb an der Hauptverhandlung mangels Terminkenntnis nicht teilnehmen konnte. Das prozessuale Recht der Amtsanwaltschaft auf Mitwirkung in der Hauptverhandlung hat das Amtsgericht verletzt. Dieses Recht der Staats- bzw. Amtsanwaltschaft ergibt sich aus ihren Aufgaben, ihrer Stellung und ihrer Befugnisse im gerichtlichen Bußgeldverfahren. Mit der Vorlage der Akten an das Amtsgericht stellt die Staatsanwaltschaft die Tat, die dem Betroffenen vorgeworfen wird, zur gerichtlichen Aburteilung und übernimmt damit die eigenständige Vertretung und Verantwortung für die Beschuldigung im gerichtlichen Bußgeldverfahren, in dem es Aufgabe der Amtsanwaltschaft ist, das öffentlichen Interesse zu vertreten (OLG Karlsruhe VRS 44, 64 ff.; OLG Düsseldorf VRS 74, 208 ff.; Göhler a.a.O. § 75 Rdnr. 2). Diese Aufgabe kann sie nur erfüllen, wenn ihr ein prozessuales Recht zur Mitwirkung in der Hauptverhandlung zusteht. Die Amtsanwaltschaft ist somit zur Teilnahme an der Hauptverhandlung jederzeit berechtigt. § 75 Abs. 1 Satz 1 OWiG steht dem nicht entgegen. Diese Vorschrift befreit die Staatsanwaltschaft lediglich von der Teilnahmepflicht und stellt die Teilnahme in ihr pflichtgemäßes Ermessen; sie läßt jedoch das Teilnahmerecht unangetastet (vgl. OLG Stuttgart a.a.O.).

Das ihr zustehende Recht auf Mitwirkung in der Hauptverhandlung kann die Staats- bzw. Amtsanwaltschaft nur ausüben, wenn sie von dem Hauptverhandlungstermin unterrichtet ist. Sie muss deshalb - jedenfalls dann, wenn sie bei der Aktenübersendung nicht ausdrücklich auf Terminsnachricht verzichtet hat - grundsätzlich von dem anberaumten Termin zur Hauptverhandlung benachrichtigt werden(vgl. OGL Stuttgart a.a.O. m.w.N.).

Hat die Staats- bzw. Amtsanwaltschaft einen Antrag gem. § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG gestellt und kommt deshalb ein Übergang vom Bußgeldverfahren ins Strafverfahren in Betracht, so muß sie an der Hauptverhandlung teilnehmen, weil in diesem Fall ohne sie nicht verhandelt werden darf (Nr. 287 RiStBV; Rebmann/Roth/ Herrmann, OWiG, 3. Aufl., § 75 Rdnr. 1).

Im vorliegenden Fall ist die Amtsanwaltschaft demgegenüber von dem Hauptverhandlungstermin nicht unterrichtet und die Hauptverhandlung in ihrer Abwesenheit durchgeführt worden. Dies stellt einen Verfahrensfehler dar. Ob hierin ein absoluter Aufhebungsgrund i.S.d. § 338 Nr. 5 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zu sehen ist (vgl. die Nachweise bei OLG Stuttgart a.a.O.), kann dahingestellt bleiben. Denn das Urteil beruht auf dem genannten Verfahrensverstoß, da nicht auszuschließen ist, daß das Amtsgericht im Fall der Teilnahme der Amtsanwaltschaft unter Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte, z.B. durch die Stellung von Anträgen, zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre.

2. Auch die auf die Verletzung des § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG gestützte Verfahrensrüge dringt durch.

Hiernach wird der Betroffene auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen, wenn die Staatsanwaltschaft dies beantragt hat. Der Hinweis und der damit verbundene Übergang in das Strafverfahren liegt nicht im Ermessen des Gerichts. Einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft muß das Gericht entsprechend der eindeutigen Formulierung des § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG nachkommen (vgl. OLG Stuttgart a.a.O. m.w.N.). Denn die Staatsanwaltschaft muß, wenn der Verdacht einer Straftat gegeben ist, den Übergang in das Strafverfahren durchsetzen können, damit die Tat unter den vollen Garantien der Strafprozessordnung untersucht werden kann. Auch wenn das Bußgeldverfahren zwar weitgehend dem Strafverfahren angenähert ist, gelten jedoch zahlreiche Verfahrensvereinfachungen, die nur im reinen Bußgeldverfahren berechtigt sind.

Daß das Amtsgericht den gem. § 81 Abs. 2 Satz 1 OWiG gestellten Antrag der Amtsanwaltschaft, dem es hätte stattgeben müssen mit der Folge, daß im weiteren Verfahren auch aufgrund eines Strafgesetzes entschieden werden darf, nicht verhandelt hat, war rechtsfehlerhaft.

Auch auf diesem Verfahrensfehler kann das Urteil beruhen. Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit eine Geldbuße festgesetzt. Möglicherweise wäre es zu einem anderen Ergebnis gekommen, wenn es im Strafverfahren entschieden hätte. Der Vertreter der Amtsanwaltschaft Berlin hätte in der Hauptverhandlung, an der seine Teilnahme Pflicht gewesen wäre, durch die Stellung von Anträgen auf eine Sachverhaltsaufklärung hinwirken und möglicherweise eine Verurteilung des Betroffenen wegen fahrlässiger Körperverletzung erreichen können."

Diese zutreffenden Ausführungen macht sich der Senat zu eigen. Er hebt daher das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache - auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts zurück.

Ende der Entscheidung

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