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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.03.2009
Aktenzeichen: 2 U 10/07 (1)
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 263
ZPO § 485 Abs. 1 Alt. 2
1. Die Grundsätze, die die Rechtsprechung hinsichtlich der Frage der Einwilligungsfiktion wegen Rechtsmissbrauchs zu § 263 ZPO entwickelt hat, sind nicht auf das Zustimmungserfordernis nach § 485 Abs. 1 ZPO zu übertragen.

2. Der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens innerhalb eines bereits anhängigen Hauptsacheverfahrens ist gemäß § 485 Abs. 1, 2. Alt. ZPO nicht allein deshalb zulässig, weil die in der Hauptsache zu erwartende Verfahrensdauer und der damit verbundene Zeitablauf allgemein die Gefahr des Verblassens der Erinnerung der in dem Antrag angeführten Zeugen in sich birgt; erforderlich ist vielmehr, dass aus im Einzelfall vorliegenden Gründen eine Erschwerung der Beweisführung konkret zu befürchten ist.

3. Die Entscheidung über die Kosten, die in Folge eines Beweissicherungsantrages anfallen, welcher in einem bereits anhängigen Hauptsacheverfahren gestellt wird, ist der Hauptsacheentscheidung vorzubehalten. Die Festsetzung des Wertes des Verfahrens über den Beweissicherungsantrag erfolgt bereits in der Entscheidung über diesen Antrag.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 U 10/07

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 19. März 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Dr. Hawickhorst und die Richter am Kammergericht Dittrich und Dr. Glaßer

beschlossen:

Tenor:

1. Der Antrag des Restitutionsklägers vom 18. Dezember 2008, gerichtet auf die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens (im Folgenden: Beweissicherungsantrag), wird verworfen.

2. Der Antrag des Restitutionsklägers vom 27. Januar 2009, gerichtet auf die Anordnung des Ruhens des Verfahrens über den Beweissicherungsantrag wird zurückgewiesen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens über den Beweissicherungsantrag bleibt der Entscheidung vorbehalten, mit der das Verfahren in der Hauptsache abgeschlossen wird.

4. Der Wert des Verfahrens über den Beweissicherungsantrag entspricht dem Wert des Verfahrens in der Hauptsache.

Gründe:

1.

Der Beweissicherungsantrag ist gemäß § 485 Abs. 1 ZPO unzulässig.

a)

Nicht zu folgen vermag der Senat der Auffassung des Restitutionsklägers, wonach der Beweissicherungsantrag schon deshalb zulässig sei, weil der Restitutionsbeklagte sich rechtsmissbräuchlich verhalten habe, indem er die Verpfändungsvereinbarung vom 28. Februar 2008 im Vorprozess nicht vorgelegt und im Restitutionsverfahren der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nicht zugestimmt habe.

Denn zum einen ist die Nichtvorlage einer Urkunde im Vorprozess (hier Verpfändungsvereinbarung vom 28. Februar 2008), um deren Echtheit und Entscheidungserheblichkeit für den Vorprozess die Parteien heute gerade streiten, für diejenige Partei, die die Unechtheit bzw. Unerheblichkeit geltend macht, nicht ohne weiteres rechtsmissbräuchlich. Auch ist es nicht ohne weiteres rechtsmissbräuchlich, einem Beweissicherungsantrag nicht zuzustimmen; diese Möglichkeit sieht § 485 Abs. 1 ZPO gerade vor. Besondere Umstände, die für eine ausnahmsweise Rechtsmissbräuchlichkeit des prozessualen Vorgehens der Restitutionsbeklagten sprechen, sind nicht ersichtlich.

Zum anderen ist festzustellen, dass die Kategorie des Rechtsmissbrauchs - als gleichsam dritte, ungeschriebene Zulässigkeitsalternative des § 485 Abs. 1 ZPO - in Rechtsprechung und Literatur soweit ersichtlich bisher nicht erwogen worden ist. Die in der Antragsschrift zitierte Rechtsprechung bezieht sich auf das Erfordernis der Zustimmung des Beklagten bei Parteiänderung auf Beklagtenseite im Berufungsverfahren, nicht auf das Beweissicherungsverfahren. Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die Zustimmung nach § 485 Abs. 1 1. Alt. ZPO lehnt der Senat ab. Denn anders als im Fall des § 485 Abs. 1 ZPO ist die Zulässigkeit der genannten Parteiänderungsfälle alleine an die Zustimmung des Prozessgegners geknüpft. Das daher dort fraglos bestehende Bedürfnis nach einer zusätzlichen, richterrechtlichen Zulässigkeitsalternative, welche an Hand von sachbezogenen Wertungen (Rechtsmissbrauch) gewährt wird, deckt in den Beweissicherungsfällen die Vorschrift des § 485 Abs. 1 2. Alt. ZPO - Beweismittelverlust - ab.

b)

aa) Ebensowenig zu folgen vermag der Senat der Auffassung des Restitutionsklägers, wonach der Beweissicherungsantrag im Hinblick auf § 485 Abs. 1 2. Alt. ZPO zulässig sei, weil die in der Hauptsache zu erwartende Verfahrensdauer und der damit verbundene Zeitablauf allgemein die Gefahr des Verblassens der Erinnerung der im Beweissicherungsantrag angeführten Zeugen in sich berge; erforderlich ist vielmehr, dass aus im Einzelfall vorliegenden Gründen eine Erschwerung der Beweisführung konkret zu befürchten ist (ebenso BFH, BFH/NV 2008, 575 [576]; Gegenteiliges vermag der Senat der älteren Entscheidung des BFH in BFH/NV 2007, 1900 f., entgegen der Meinung des Restitutionsklägers, nicht zu entnehmen).

Denn die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 1 ZPO führt - bezogen auf den Zuständigkeitsbereich des zuständigen Spruchkörpers - notwendig zu einer zeitlichen Bevorzugung des betroffenen Verfahrens vor allen anderen Verfahren, was wegen der Begrenztheit gerichtlicher Kapazitäten zudem zu Lasten dieser anderen Verfahren geht. Eine solche Sonderbehandlung eines Verfahrens wäre nicht gerechtfertigt, wenn sie aus Gründen geschähe, die - wie bei dem Verblassen der Zeugenerinnerung durch Zeitablauf - für alle Verfahren gleichermaßen zutrifft. Zudem sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 485 Abs. 1 ZPO nicht allzu weitherzig auszulegen, weil der Umfang der Beweissicherung von einer gerichtlichen Erheblichkeitsprüfung nicht abhängt, d.h. im Wesentlichen in den Händen des Antragstellers liegt (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 485 Rdnr. 4). Eine gerichtlich nicht kontrollierbare, letztlich entscheidungsunerhebliche Belastung eines Spruchkörpers mit selbständigen Beweisverfahren verschärft jedoch den o.g., belastenden Effekt für die anderen Verfahren. Vor dem Hintergrund, dass erfahrungsgemäß nur die wenigsten Beweisantritte in Rechtsstreitigkeiten entscheidungserheblich sind, würde die Auffassung des Restitutionsklägers zudem zu einer erheblichen und unnützen Mehrbelastung der Justiz führen, die in Zeiten knapper staatlicher Mittel nicht vertretbar ist.

bb) Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass das Erinnerungsvermögen der Zeugen vorliegend aus besonderen, nicht allgemein für alle Verfahren geltenden Gründen konkret zu verblassen droht, hat der Restitutionskläger trotz Hinweises des Senats nicht vorgetragen. So hat der Restitutionskläger nicht etwa vorgetragen, dass die Zeugen ein besonderes hohes Alter hätten (vgl. OLG Nürnberg, MDR 1997, 594: Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens bei 84-jährigem Zeugen; ähnlich Herget in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 485 Rdnr. 5: Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens bei Besorgnis des alsbaldigen Todes des Zeugen).

Im Gegenteil sprechen vorliegend einzelfallbezogene Umstände sogar eher gegen ein besonders Eilbedürfnis der Zeugenvernehmung. So liegt der Sachverhalt, auf den sich der Beweissicherungsantrag bezieht, bereits 7 Jahre zurück. Die Erinnerung der Zeugen dürfte daher ohnehin schon zumindest in Teilen verblasst sein, jedenfalls dürfte der Grad der Verblassung nach 7 Jahren nicht entscheidend anders sein als nach 8, 9 oder 10 Jahren. Zudem hat der Restitutionskläger durch seine Anträge auf Ruhensanordnung und Verlängerung von Stellungnahmefristen um ein Jahr (Schriftsatz vom 27. Januar 2009) zu erkennen gegeben, dass aus seiner Sicht gerade keine Gründe bestehen, die die Vernehmung der Zeugen als besonders eilbedürftig erscheinen lassen.

b)

Dahinstehen kann daher die Frage, ob der Restitutionskläger die Beweisfragen in der Sache so hinreichend präzise gestellt hat, dass sie einem Beweisbeschluss zugänglich sind. Zweifelhaft ist dies u.a. bei

- inhaltlich weichen Formulierungen, wie z.B. "entspricht" (Beweisfrage 1.a., 1. Zeile), "wie" (Beweisfrage 1.b., letzte Zeile), "gemäß" (Beweisfrage 1.b., letzte Zeile) u.s.w., sowie

- Einschüben und Nebensätzen, bei denen unklar ist, ob sie zwischen den Parteien überhaupt streitig sind und ob, wenn ja, sie eine Einschränkung der Aussage des Hauptsatzes oder deren rein deklaratorische Umschreibung darstellen sollen, wie z.B. "die der Zeuge W ... ausgefüllt hat" (Beweisfrage 1.a.), "die der Zeuge T W ... unterschrieben hat." (Beweisfrage 3.a.), "als Vorstand"/"als Prokurist" (Beweisfrage 3.c., 1. Zeile), "entgegen der Behauptung der Beklagten (Beweisfrage 3.c., 2. Zeile), "von ihnen unterzeichneten" (Beweisfrage 3.c., 3. Zeile) "als Anlage 3" (Beweisfrage 3.c, 5. Zeile) u.s.w.

2.

Ungeachtet der Frage, ob die Möglichkeit der gerichtlichen Ruhensanordnung gemäß § 251 ZPO auch im selbständigen Beweisverfahren besteht (für die grundsätzliche Anwendbarkeit: OLG Düsseldorf, OLGR 2009, 60; KG, NJW-RR 1996, 1086), war der auf die Ruhensanordnung gerichtete Antrag des Restitutionsklägers vom 27. Januar 2009 mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 251 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Denn die Restitionsbeklagte hat ihre nach § 251 Satz 1 ZPO erforderliche Zustimmung zur Ruhensanordnung nur für den Fall in Aussicht gestellt, dass der Restitutionskläger ihr ein konkretes Vergleichsangebot unterbreitet. Hierauf hat der Restitutionskläger trotz Hinweises des Senats kein solches Angebot unterbreitet und sich auf das Signalisieren allgemeiner Vergleichsbereitschaft nach Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens beschränkt sowie auf die Wiederholung ein alten, offenbar im Rahmen des Mediationsversuches in erster Instanz bereits erledigten Angebotes. Die Zustimmung der Restitionsbeklagte liegt daher nicht vor. Im Übrigen sind weder das Schweben von Vergleichsverhandlung zwischen den Parteien noch sonstige Zweckmäßigkeitsgründe ersichtlich, wie § 251 Satz 1 a.E. ZPO es erfordert.

3.

Die Entscheidung über die Kosten, die auch in Folge eines Beweissicherungsantrages anfallen, welcher in einem laufenden Hauptsacheverfahren gestellt wird (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 490 Rdnr. 9, m.N.), war im Hinblick auf BGH, BGHR 2005, 883, der Hauptsacheentscheidung vorzubehalten. Der Wert dieses Verfahrens, der hingegen bereits im selbständigen Beweisverfahren festzusetzen ist (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 490 Rdnr. 8), entspricht dem Wert des Hauptsacheverfahrens (Herget in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 3 Rdnr. 16 "selbständiges Beweisverfahrens", m.Rspr.N.).

4.

Die Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung wird nicht zugelassen. Denn der Senat ist der Auffassung, dass im Hinblick auf die bereits ergangene, oben zitierte Rechtsprechung (BFH, OLG Nürnberg) keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache angenommen werden kann (§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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