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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 19.09.2007
Aktenzeichen: 2 W 160/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 35
Zur Berücksichtigung von Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwaltes des Klägers im Kostenfestsetzungsverfahren: Die Berücksichtigung ist nicht allein deshalb zu verneinen, weil der Kläger bei der Erhebung der Klage weitgehende Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Gerichtsstandes hatte (§ 35 ZPO) und daher etwa auch am Sitz des Rechtsanwaltes hätte klagen können.
Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 W 160/07

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 19. September 2007 durch den Richter am Kammergericht Dr. Glaßer als Einzelrichter beschlossen:

Tenor:

1. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 29. März 2007 - Geschz.: 27 O 954/06 - wird geändert und wie folgt neu gefasst:

Die nach dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. Januar 2007 von der Antragsgegnerin an den Antragsteller zu erstattenden Kosten werden auf 383,61 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Baiszinssatz seit dem 5. Feburar 2007 festgesetzt.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beschwerdeführerin zu 66 % und der Beschwerdegegner zu 34 %.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 323,44 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beschwerdegegner macht in der Hauptsache einen presserechtlichen Unterlassungsanspruch geltend. Er ist seit Einleitung des gerichtlichen Verfahrens in Sotterhausen (Sachsen-Anhalt) wohnhaft. Sein Prozessbevollmächtigter hat den Kanzleisitz in Uslar (Niedersachsen). Die straßenwegige Entfernung zwischen Sotterhausen und Berlin beträgt 239 km; zwischen Uslar und Berlin beträgt sie 353 km. Für die Fahrt von Sotterhausen nach Berlin mit dem Pkw werden etwa 2 1/2 Stunden benötigt; von Uslar nach Berlin etwa 3 1/2 Stunden. Das Landgericht hat in dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 29. März 2007, der Beschwerdeführerin zugestellt am 2. April 2007, u.a. die Kosten des Prozessbevollmächtigten des Beschwerdegegners für eine Fahrt von dessen Kanzleisitz zum Termin vor dem Landgericht Berlin sowie Tage- und Abwesenheitsgeld für beantragte 9 Stunden - insgesamt 271,80 EUR zzgl. 19% MwSt - berücksichtigt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde, beim Landgericht eingegangen am 16. April 2007.

Die Beschwerdeführerin macht zur Begründung ihrer sofortigen Beschwerde geltend, dass zu den notwendigen Kosten des Rechtsstreit nur diejenigen Kosten gehören, die entstanden wären, wenn der Beschwerdegegner einen Berliner Rechtsanwalt mit der Prozessführung beauftragen hätte. Die Beauftragung eines Rechtsanwaltes am Ort des angerufenen Gerichtes sei dem Beschwerdegegner jedenfalls deshalb zuzumuten, weil er als Antragsteller in einer presserechtlichen Hauptsache - anders als möglicherweise ein Antragsgegner - den Gerichtsstand weitestgehend frei wählen konnte. Der Beschwerdegegner hält dem entgegen, dass ihn der Prozessbevollmächtigte auch in anderen Angelegenheiten ständig vertrete und sich dieser daher schneller in den Prozessstoff habe einarbeiten können als ein anderer Rechtsanwalt. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie durch Verfügung vom 4. September 2007 (Bl. 122R d.A.) ohne weiter Begründung dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1.

Das Beschwerdegericht ist zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde befugt.

Zwar ist die Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung des Landgerichts gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO insofern verfahrensfehlerhaft als diese Entscheidung durch schlichte Verfügung getroffen wurde und keinerlei Begründung erkennen lässt. Dass die Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung durch begründeten Beschluss zu ergehen hat, entspricht der ganz herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (zum Beschlusserfordernis: OLG Stuttgart MDR 2003 110 [111]; OLG Koblenz Rpfleger 1978, 104 [105], zur Nichtabhilfe und Vorlage nach § 11 RPflG a.F.; Lipp in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 10; Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 10; Hartmann in Baubach/Lauterbach, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 8; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. 1994, § 571 a.F. Rdnr. 4 und 6; zum Begründungserfordernis: Vollkommer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 329 Rdnr. 24, m.w.N.). Dieser Auffassung hat sich der Senat in kürzlich ergangenen Entscheidungen angeschlossen (zuletzt KG, Beschl. vom 6. September 2007 - 2 W 147/07, mit näherer Begründung).

Der Mangel des Vorlageverfahrens führt jedoch nicht zu einer Unwirksamkeit der Nichtabhilfe- und Vorlageentscheidung. Das Beschwerdegericht ist folglich auch bei mangelhaftem Abhilfeverfahren zur Entscheidung über die Beschwerde befugt (ebenso: OLG Stuttgart, a.a.O.; KG, a.a.O.; Lipp in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 14). Von seiner gleichwohl bestehenden Befugnis, die Sache an das Ausgangsgericht zur ordnungsgemäßen Bescheidung zurückzuverweisen (ebenso: OLG Stuttgart, a.a.O.; KG, a.a.O.; Lipp in Münchener Kommentar zur ZPO, a.a.O.), macht der Senat wegen der Eilbedürftigkeit der Sache vorliegend keinen Gebrauch, obgleich eine Zurückverweisung wegen der völligen Begründungslosigkeit der Nichtabhilfeentscheidung nicht fernliegend gewesen wäre.

2.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 104 Abs. 3, 567 Abs. 2, 569 ZPO zulässig; über sie hat nach § 568 Satz 1 und 2 ZPO der Einzelrichter zu entscheiden.

3.

In der Sache hat das Landgericht die Reisekosten sowie das Tage- und Abwesenheitsgeld zu Unrecht in voller Höhe von 323,44 EUR (einschl. MwSt) berücksichtigt; berücksichtigungsfähig waren insofern lediglich 212,30 EUR (einschl. MwSt). Der von dem Landgericht insgesamt festgesetzte Betrag von 494,75 EUR (einschl. MwSt) war mithin um den zu Unrecht festgesetzten Teilbetrag von 111,14 EUR (einschl. MwSt) zu kürzen.

a)

An Reisekosten waren gemäß Nr. 7003 VV RVG lediglich 143,40 EUR, zuzüglich 19% MwSt, berücksichtigungsfähig.

aa) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Reisekosten eines Rechtsanwaltes, der eine Partei vertritt, die bei einem auswärtigen Gericht prozessiert, und der weder am Gerichtsort noch am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässig ist (sog. "Rechtsanwalt am dritten Ort"), regelmäßig bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwaltes zu erstatten sind (BGH GRUR 2007, 726 [727]; BGH, NJW-RR 2004, 855 [856]; OLG Düsseldorf, Rpfleger 2007, 112 [113]; Herget in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007; § 91 Rdnr. 13 "Reisekosten des Anwalts", m.w.N.). Dabei werden Parteien, die ein gerichtliches Verfahren einleiten, nicht anders behandelt als inanspruchgenommene Parteien (BGH GRUR 2007, 726 [727]; jeweils obiter dicta: BGH, NJW-RR 2004, 855 [856] sowie OLG Düsseldorf, Rpfleger 2007, 112 [113]).

Anerkannt ist ferner, dass keine ausnahmsweise großzügigere Handhabung zu Gunsten des Kostengläubiger dann geboten ist, wenn dessen Rechtsanwalts in derselben Angelegenheit vorprozessual für ihn tätig war (BGH NJW 2003, 901 [903]) oder wenn ihn der Rechtsanwalt in anderen Angelegenheiten schon häufig vertreten hat und daher der vertraute "Hausanwalt" ist (BGH NZBau 2007, 306 [307]; BGH NJW 2003, 901 [902]). Eine Ausnahme kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der auswärtige Rechtsanwalt über spezielle Kenntnisse oder Fähigkeiten verfügt, über die ein ortsansässiger Rechtsanwalt nicht verfügt (BGH NJW 2003, 901 [902]; KG, Beschl. vom 6. September 2007, 2 W 147/07; Karczewski, MDR 2005, 481 [485]).

Schließlich ist nach Auffassung des Senats auch keine ausnahmsweise weniger großzügige Handhabung zu Lasten des Kostengläubigers dann geboten, wenn dieser das gerichtliche Verfahren - wie vorliegend - mit weitgehenden Wahlmöglichkeiten hinsichtlich des Gerichtsstandes eingeleitet hat. Denn eine kostenrechtliche Obliegenheit des Klägers bzw. Antragstellers, von mehreren möglichen Gesichtsständen den seinem Wohn- bzw. Geschäftssitz am nächsten gelegene Gerichtsstand zu wählen, steht in einem gewissen Wertungswiderspruch zu der Vorschrift des § 35 ZPO, wonach der Kläger unter mehreren zuständigen Gerichten die Wahl hat. Zudem hätte die genannte Obliegenheit zur Folge, dass die seit langer Zeit bewährte, faktische Aufgabenkonzentration bestimmter Teilmaterien des Presserechts, des gewerblichen Rechtsschutzes und des Wettbewerbsrechts auf bestimmte Landgerichte nicht mehr fortbestehen würde. Denn diese Rechtsgebiete zeichnen sich prozessual dadurch aus, dass der jeweilige Anspruch an nahezu jedem deutschen (Land-)Gericht geltend gemacht werden kann, mithin auch am Wohn- oder Geschäftssitz des Klägers bzw. Anspruchstellers.

bb) Nach diesen Grundsätzen waren vorliegend Reisekosten für die Strecke Sotterhausen-Berlin-Sotterhausen, mithin nur 478 km, berücksichtigungsfähig. Bei einer Kilometerpauschale von 0,30 EUR gemäß Nr. 7003 VV RVG ergibt sich ein Nettobetrag von 143,40 EUR.

b)

An Tage- und Abwesenheitsgeld waren gemäß Nr. 7005 Ziff. 2 VV RVG lediglich 35,00 EUR, zuzüglich 19% MwSt, berücksichtigungsfähig.

Denn aus dem oben unter Buchstabe a)aa) Ausgeführten folgt zugleich, dass vorliegend Tage- und Abwesenheitsgeld nur für denjenigen Zeitraum berücksichtigungsfähig war, der für die Reise Sotterhausen-Berlin-Sotterhausen erforderlich gewesen wäre. Da die Reise Uslar-Berlin-Uslar, wie vom Beschwerdegegner in seinem Kostenfestsetzungsantrag vom 31. Januar 2007 unbestritten geltend gemacht, 9 Stunden in Anspruch nahm und die Reise Sotterhausen-Berlin-Sotterhausen etwa 2 Stunden kürzer ist als die Reise Uslar-Berlin-Uslar, ist anzunehmen, dass die Reise Sotterhausen-Berlin-Sotterhausen 7 Stunden in Anspruch genommen hätte.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

5.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens entsprach gemäß § 3 ZPO demjenigen Bruttobetrag, den das Landgericht an Reisekosten sowie an Tage- und Abwesenheitsgeld berücksichtigt hat. Denn allein hiergegen richtete sich die sofortige Beschwerde.

6.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen, nachdem weder die Beschwerdesache grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Ende der Entscheidung

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