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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 18.03.2009
Aktenzeichen: 2 W 39/09
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GKVerz


Vorschriften:

ZPO § 269 Abs. 3 S. 3
BGB § 362
GKVerz Nr. 1211 Nr. 1
1. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO setzt voraus, dass die Klage vor dem Wegfall des Einreichungsanlasses Aussicht auf Erfolg hatte.

2. Soweit § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auf den Fall des Wegfalls des Klageanlasses vor Anhängigkeit anwendbar ist, setzt die Vorschrift voraus, dass den Kläger kein Verschulden daran trifft, dass er die schon vor Klageeinreichung objektiv fehlende Erfolgsaussicht seiner Klage nicht erkannt hat.

3a. Klagt ein Insolvenzverwalter gegen einen Gesellschafter der Gemeinschuldnerin auf Erbringung der Stammeinlage und wendet der Beklagte vorprozessual die Erfüllung des Anspruches ein, so ist ein Verschulden im Sinne von Ziffer 2. anzunehmen, wenn der Insolvenzverwalter nicht darlegt und ggf. beweist, dass er in den Geschäftsunterlagen der Gemeinschuldnerin keine Belege für die Erfüllung finden konnte.

3b. Ein Verschulden im Sinne von Ziffer 2. ist ferner anzunehmen, wenn es bei dem Handelsregistergericht der Gemeinschuldnerin üblich ist, Belege über die Erbringung von Stammeinlagen zu den Handelsregisterakten zu nehmen, der Insolvenzverwalter am Sitz des Handelsregistergerichts ortsansässig ist und der Insolvenzverwalter in den Handelsregisterakten nach einem Beleg gesucht hat.

4. Eine Ermäßigung der Anzahl der Gerichtsgebühren wegen Klagerücknahme nach Nr. 1211 Ziff. 1 GKVerz a.E. findet nicht statt, wenn eine streitige Entscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ergeht; auf das Ergebnis dieser Entscheidung kommt es dabei nicht an.


Kammergericht Beschluss

Geschäftsnummer: 2 W 39/09

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Kammergerichts am 18. März 2009 durch den Richter am Kammergericht Dr. Glaßer als Einzelrichter beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 2. Februar 2009 - Geschz.: 8 O 16/09 - wird geändert und wie folgt neu gefasst:

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.138,65 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Beklagte ist Gesellschafter einer Gesellschaft, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist (im Folgendem: Gemeinschuldnerin). Er erfüllte den Anspruch der Gemeinschuldnerin auf Leistung einer Stammeinlage in Höhe von 49.435,41 EUR bei Fälligkeit des Anspruches und lange vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Ein Beleg über die Erbringung der Stammeinlage wurde zur Handelsregisterakte der Gemeinschuldnerin beim Amtsgericht Charlottenburg (im Folgendem: Handelsregisterakte) genommen. Der Kläger ist zum Insolvenzverwalter in dem Insolvenzverfahren bestellt. Vorprozessual machte er den - bereits erfüllten - Anspruch auf Leistung der Stammeinlage gegenüber dem Beklagten geltend. Der Beklagte wandte demgegenüber die Erfüllung ein. Der Kläger verlangte daraufhin von dem Beklagten einen Zahlungsnachweis; bei der Einsichtnahme in die Handelsregisterakte übersah der Kläger den dort befindlichen Beleg für die Zahlung des Beklagten. Nachdem der Beklagte dem Kläger keinen Zahlungsnachweis vorlegte, erhob der Kläger Zahlungsklage. Während des Prozesses nahm nunmehr auch der Beklagte Einsicht in die Handelsregisterakte und fand dort den Beleg. Nach dessen Einreichung im Prozess hat der Kläger die Klage zurückgenommen und beantragt, dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO aufzuerlegen. Dem ist das Landgericht mit Beschluss seines Einzelrichters vom 2. Februar 2009 gefolgt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dem Kläger seien bei Klageerhebung Nachweise über die Zahlung des Beklagten unverschuldet unbekannt gewesen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit einer sofortigen Beschwerde, die am 12. Februar 2009 bei Gericht eingegangen ist. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

1.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 269 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 zulässig. Über sie hat gemäß § 568 Satz 1 und 2 ZPO der Einzelrichter zu entscheiden.

2.

Die sofortige Beschwerde ist jedoch unbegründet. Denn der Kläger muss gemäß § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Kosten des Rechtsstreits tragen, nachdem er die Klage zurückgenommen hat und die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO nicht vorliegen.

Zwar ist § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO nach der in der obergerichtlichen Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung auch dann anzuwenden, wenn der Anlass zur Klageerhebung schon vor Anhängigkeit weggefallen ist (OLG Hamm, Beschl. v. 23.1.2008 - 7 W 4/08, Rdnr. 12, zit. nach Juris; KG, KGR 2008, 399; OLG Rostock, OLGR 2008, 263; OLG München, OLGR 2004, 218; a.A. mit beachtlichen Argumenten: OLG Frankfurt, Beschl. v. 6.1.2004 - 25 W 78/03, zit. nach Juris; a.A. wohl auch OLG Karlsruhe, OLGR 2007, 287, wonach "bei Einreichung der Klage noch bestehende Erfolgsaussicht vor Zustellung weggefallen [sein muss]"). Jedoch führt § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO auch bei Bejahung seiner Anwendbarkeit vorliegend aus zumindest doppeltem Grunde nicht zu einer Kostentragungspflicht des Beklagten:

a)

In der Rechtsfolge des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO richtet sich die Kostentragungspflicht nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes. Dies bedeutet, dass dem Beklagten nur dann die Kosten aufzuerlegen sind, wenn die Klage vor dem Wegfall des Einreichungsanlasses Aussicht auf Erfolg hatte (OLG Karlsruhe, OLGR 2007, 287; OLG Brandenburg, JAmt 2004, 507; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 269 Rdnr. 56; Becker-Eberhard in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 269 Rdnr. 64; stillschweigend so auch BGH, NJW 2006, 775 [776]). Für dieses Verständnis des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO spricht seine Ähnlichkeit mit § 91a ZPO und die zu dieser Vorschrift ergangene, seit langem gefestigte, entsprechende Rechtsprechung (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 91a Rdnr. 24, m.w.N.).

Vorliegend hätte die Zahlungsklage gegen den Beklagten zu keinem Zeitpunkt Erfolg gehabt. Denn bis zum Zeitpunkt der Zahlung wäre die Klage mangels Fälligkeit abzuweisen gewesen und nach diesem Zeitpunkt wegen Erfüllung gemäß § 362 BGB.

b)

Zurecht nehmen Landgericht und Parteien an, dass § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO im Falle des Wegfalls des Klageanlasses vor Anhängigkeit allenfalls dann zu einer Kostentragungspflicht des Beklagten führt, wenn den Kläger kein Verschulden daran trifft, dass er die schon vor Klageeinreichung objektiv fehlende Erfolgsaussicht seiner Klage nicht erkannt hat (ebenso Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 269 Rdnr. 53; Greger in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 269 Rdnr. 18d; Foerste in Musielak, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 269 Rdnr. 13a; ebenso offenbar auch OLG Hamm, a.a.O., Rdnr. 13, zit. nach Juris: "[Der] Klageanlass ist ... weggefallen .... Hiervon konnte die Klägerin ... keine Kenntnis haben."). Für die demgemäß einschränkende Auslegung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO spricht insbesondere, dass diese Vorschrift nicht zum Zweck hat, den im Kostenrecht geltend, aus § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO folgenden Grundsatz zu ändern, wonach der Kläger vor Einreichung der Klage deren materielle Erfolgsaussicht auf eigenes Kostenrisiko prüfen muss (ebenso BGH, BGHR 2005, 1491). Die sehr viel differenzierteren Regeln über die Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf die Hauptsache sind für diesen Grundsatz - seit jeher - ohne Belang; etwaig zu berücksichtigende Beweiserleichterung für den Beklagten (vgl. BGH, NJW 2007, 3067) daher ebenso. Folglich kann § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO allenfalls dann zu einer ausnahmsweisen Kostenbelastung des Beklagten führen, wenn der Kläger zu einer Fehleinschätzung der Erfolgsaussicht aus Gründen gelangt, die ihm nicht vorzuwerfen sind.

Vorliegend hat der Kläger vor Einreichung der Klage deren Erfolgsaussicht nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geprüft. Denn zum einen hatte der Kläger hinreichend Anlass, sich über die Frage im Klaren zu werden, ob der Beklagte die streitgegenständliche Forderung bereits erfüllt hat. Dies folgt aus dem Umstand, dass der Beklagte die Erfüllung vorprozessual einwandte und hierüber eine umfangreiche schriftliche Korrespondenz zwischen den Parteien stattfand. Zum anderen standen dem Kläger Möglichkeiten der Klärung zur Verfügung, die er nicht nutze, obgleich ihm die Nutzung zumutbar war. So standen dem Kläger als Insolvenzverwalter alle Geschäftsunterlagen der Gemeinschuldnerin von rechts wegen zur Verfügung (vgl. § 148 Abs. 1 InsO). Es ist nicht ersichtlich und von dem insofern darlegungs- und beweispflichtigen Kläger nicht vorgetragen, dass diese Unterlagen unvollständig sind und sich in den Buchungsunterlagen etwa nicht der Zahlungseingang des Beklagten finden lässt (vgl. BGH NJW 2006, 775, wonach der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen trägt, die die ausnahmsweise Kostenfolge des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO rechtfertigen). Die Durchsicht der Unterlagen darauf, ob sich in ihnen eine Bestätigung der Zahlung des Beklagten befindet, mag mühselig sein, war dem Kläger jedoch zuzumuten, weil er als Insolvenzverwalter ohnehin verpflichtet war, sich Kenntnis vom Inhalt der Unterlagen zu verschaffen (vgl. § 153 Abs. 1 InsO). Ferner war es dem Kläger zuzumuten, in der Handelsregisterakte Ausschau nach dem dort befindlichen Beleg für die Zahlung des Beklagten zu halten. Denn es war unbestritten zumindest früher üblich, Belege für die Erbringung von Stammeinlagen zu den Handelsregisterakten zu nehmen; diese Praxis musste dem Kläger als ortsansässigem Insolvenzverwalter bekannt gewesen sein. Zudem hat der Kläger die Akte tatsächlich eingesehen, weshalb es keinen sonderlichen Aufwand für ihn bedeutet hätte, bei der Einsichtnahme auch nach dem Beleg zu suchen.

c)

Dahinstehen kann damit, ob § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO neben der ursprünglichen, später weggefallenen Erfolgsaussicht der Klage auch eine besondere Anlassgabe des Beklagten zur Klageerhebung - wie etwa bei § 93 ZPO - erfordert (bejahend wohl: Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 67. Aufl. 2009, § 269 Rdnr. 37; zum Problem vgl. auch: Becker-Eberhardt in Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 269 Rdnr. 59 f.) und ob § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO im speziellen Falle des Wegfalls vor Anhängigkeit zudem erfordert, dass die klägerische Fehleinschätzung der Erfolgsaussicht der Klage auf einem Verschulden des Beklagten beruht. Ferner kann dahinstehen, ob - bejahendenfalls - diese Voraussetzungen vorliegend gegeben sind.

3.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

4.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens entspricht gemäß § 3 ZPO dem Betrag der Verfahrenskosten, die in der Hauptsache entstanden sind und um deren Auferlegung die Parteien im Beschwerdeverfahren streiten. Im Hauptsacheverfahren sind nach derzeitigem Stand insgesamt 7.138,65 EUR an Verfahrenskosten angefallen. Bei Zugrundelegung eines Hauptsachestreitwertes von 49.434,41 EUR setzt sich dieser Betrag wie folgt zusammen:

2.635,00 EUR Rechtsanwaltshonorar für den Prozessbevollmächtigten des Klägers (1,3 Verfahrensgebühr; 1,2 Terminsgebühr; Postpauschale; keinen Zuschlag für die Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG, weil der Kläger vorgetragen hat, zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein)

+ 3.135,65 EUR Rechtsanwaltshonorar für den Prozessbevollmächtigten des Beklagten (1,3 Verfahrensgebühr; 1,2 Terminsgebühr; Postpauschale; Zuschlag für die Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG, weil nicht vorgetragen ist, dass der Beklagte zum Vorsteuerabzug berechtigt ist)

+ 1.368,00 EUR Gerichtskosten (3 Gebühren. Es findet keine Ermäßigung nach Nr. 1211 Ziff. 1 KV-GKG a.E. statt, weil eine streitige Entscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ergangen ist; ebenso OLG Karlsruhe, OLGR 2007, 287. Auf das Ergebnis der Entscheidung kommt es dabei nicht an, weil der Zweck von Nr. 1211 Ziff. 1 KV-GKG a.E. - typisierend - an den Umfang des gerichtlichen Arbeitsaufwandes anknüpft.)

= 7.138,65 EUR

5.

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen, nachdem weder die Beschwerdesache grundsätzliche Bedeutung hat noch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes für die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Ende der Entscheidung

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