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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 23.04.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 125/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 299 Abs. 2
Ein Strafgefangener, der sein Rechtsmittel nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten erklärt, sondern eine von ihm verfasste Beschwerdeschrift bei diesem nur abgibt, erfüllt damit nicht die Voraussetzungen des § 299 Abs. 2 StPO.
Geschäftsnummer: 2 Ws 125/07

In der Strafsache gegen

wegen Steuerhinterziehung u. a.

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 23. April 2007 beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Verurteilten, ihn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 9. Januar 2007 in den vorigen Stand einzusetzen, wird als unzulässig zurückgewiesen.

Gründe:

Der Beschluß vom 9. Januar 2007, mit dem die Strafvollstrek-kungskammer den Antrag des Verurteilten auf Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt hatte, wurde ihm am 15. Januar 2007 persönlich in der Haftanstalt zugestellt. Seine gegen diese Entscheidung gerichtete - auf denselben Tag datierte - sofortige Beschwerde ging am 26. Januar 2007 beim Landgericht ein. Mit Beschluß vom 20. Februar 2007, expediert am 21. Februar 2007, verwarf der Senat das Rechtsmittel wegen Versäumung der einwöchigen Einlegungsfrist. Mit Schreiben vom 27. Februar 2007, beim Kammergericht am 2. März 2007 eingegangen, beantragt der Verurteilte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung dieser Frist.

Er trägt vor, erst durch den Beschluß des Senats, ihm am 23. Februar 2007 zugegangen, habe er von der Verspätung seines Rechtsmittels erfahren. Er habe die Beschwerdeschrift bereits am 16. Januar 2007 bei dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts ... in der Haftanstalt abgegeben. Dafür gebe es mehrere Zeugen (u.a. ...). Warum die Beschwerdeschrift erst am 26. Januar 2007 beim Landgericht eingegangen sei, könne er sich nicht erklären.

Der Widereinsetzungsantrag ist unzulässig.

1. Zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Wiedereinsetzungsantrages gehört die Angabe des Zeitpunktes des Wegfalles des Hindernisses (vgl. BGH NStZ 1991, 295; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., § 45 Rdn. 5 mit weit. Nachw.), die Stellung des Antrages binnen einer Woche nach diesem Zeitpunkt (§ 45 Abs. 1 StPO), der genaue Vortrag eines Sachverhaltes, aus dem sich ohne weiteres ergibt, daß die Säumnis unverschuldet ist (vgl. KG NZV 2002, 47, 51 und Senat, Beschluß vom 3. Juli 2006 - 5 Ws 377/06 Vollz -; Wendisch in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 45 Rdn. 13) und schließlich die Glaubhaftmachung des vorgetragenen Sachverhaltes (vgl. Senat a.a.O.; Meyer-Goßner, § 45 StPO Rdnrn. 6, 7).

2. Diesen Anforderungen genügt der Wiedereinsetzungsantrag nicht in vollem Umfang.

a) Der vorgetragene Sachverhalt schließt ein Verschulden des Antragstellers nicht aus. Aus der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses der Strafvollstreckungskammer geht - auch für den gerichtserfahrenen Verurteilten deutlich und verständlich - hervor, daß der nicht auf freiem Fuß Befindliche die Beschwerde auch zu Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts erklären kann, in dessen Bezirk die Anstalt liegt, in der er auf behördliche Anordnung verwahrt wird (§ 299 Abs. 1 StPO). In diesem Falle wird die Frist gewahrt, wenn das Protokoll innerhalb derselben aufgenommen wird (§ 299 Abs. 2 StPO). Der Antragsteller hat sich aber nicht gemäß dieser Rechtsmittelbelehrung verhalten. Er hat nach seinem Vorbringen, bestätigt durch den Inhalt der Beschwerdeschrift, sein Rechtsmittel und dessen Begründung nicht zur Niederschrift des Urkundsbeamten erklärt, sondern die von ihm verfaßte Beschwerdeschrift nur bei diesem abgegeben. Dies ersetzt nicht die Niederschrift des Antrages durch den Urkundsbeamten. Dieser ist nicht der Postbote des Antragstellers, über den er sich an dem kostenfreien behördeninternen Postverkehr beteiligen könnte (vgl. Senat, Beschluß vom 14. Dezember 2001 - 5 Ws 779/01 Vollz -). Wenn der Antragsteller - entgegen der Rechtsmittelbelehrung zur Ersparnis des Briefportos seine Rechtsmittelschrift weder per Post versendet, was zum fristwahrenden Eingang beim Landgericht allemal ausgereicht hätte, noch das Rechtsmittel zu Protokoll des Urkundsbeamten in der Haftanstalt erklärt, sondern - sein Vorbringen unterstellt - einen Dritten, in der Rechtsmittelbelehrung nicht vorgesehenen Weg wählt und die Beschwerdeschrift nur beim Urkundsbeamten abgibt und so das Risiko rechtzeitiger Rechtsmitteleinlegung auf andere abwälzt, handelt mindestens fahrlässig und damit schuldhaft. Denn es ist Sache des Rechtsmittelführers, unter Beachtung der konkreten Umstände, denen er in der Haft unterliegt, sicherzustellen, daß sein Rechtsmittel rechtzeitig zu Protokoll erklärt wird oder - bei Versendung durch die Post - bei Gericht eingeht (vgl. BVerfG NJW 1995, 2546, 2547).

Wiedereinsetzung käme indes in Betracht, wenn der Antragsteller aus Versehen oder Unachtsamkeit die Rechtsmittelschrift mit korrekter Adressierung, zutreffendem Aktenzeichen und erkennbarer Fristgebundenheit bei dem unzuständigen Gericht (hier das Amtsgericht ..., dem der in der Vollzugsanstalt tätige Urkundsbeamte angehört) so frühzeitig eingereicht hätte, daß durch die Weiterleitung an das zuständige Gericht die Frist hätte gewahrt werden können (vgl. OLG Hamm NStZ-RR 2004, 81; KG, Beschluß vom 17. April 2002 - (3) 1 Ss 77/02 (42/02) -).

Ob dies auch dann gilt, wenn - wie hier - die Rechtsmittelschrift bewußt - offenbar um das Porto zu sparen - bei einem unzuständigen Gericht eingereicht wird, bedarf keiner Entscheidung. Denn der Wiedereinsetzungsantrag ist aus einem weiteren Grund unzulässig.

b) Der Antragsteller hat sein Entschuldigungsvorbringen nicht glaubhaft gemacht. Glaubhaftmachung bedeutet, daß die Behauptungen soweit bewiesen werden müssen, daß das Gericht sie für wahrscheinlich hält und in die Lage versetzt wird, ohne verzögernde weitere Ermittlungen zu entscheiden (vgl. BGHSt 21, 334, 347; KG, Beschluß vom 21. Juni 2006 - 4 Ws 81/06 -; Meyer-Goßner, § 45 StPO Rdn. 6, § 26 StPO Rdn. 7 mit weit. Nachw.).

Auf die Glaubhaftmachung durch schriftliche Erklärungen, besser noch eidesstattliche Versicherungen, dienstliche Erklärungen oder sonstige Unterlagen, Urkunden und Bescheinigungen (vgl. Meyer-Goßner, § 45 StPO Rdnrn. 8 - 9, § 26 StPO Rdnrn. 8 - 11; jeweils mit weit. Nachw.) kann nur verzichtet werden, wenn sich die Glaubhaftigkeit des Vorbringens bereits aus der Akte ergibt (vgl. KG, Beschluß vom 13. Juni 2001 - 3 Ws (B) 267/01 -; Meyer-Goßner, § 46 StPO Rdn. 12 mit weit. Nachw.) oder dem Antragsteller die geeigneten Mittel zur Glaubhaftmachung unverschuldet nicht zugänglich sind (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1990, 149, 150; KG NJW 1974, 657 = JR 1974, 252; Meyer-Goßner, § 45 StPO Rdn. 9).

Die eigene Erklärung des Antragstellers reicht zur Glaubhaftmachung selbst dann nicht aus, wenn der behauptete Entschuldigungsgrund besonders naheliegt oder der Lebenserfahrung entspricht (vgl. BVerfG StV 1993, 451; KG a.a.O.), was hier nicht einmal gegeben ist. Denn bei Übergabe der Beschwerdeschrift an den Urkundsbeamten hätte es nahegelegen, daß dieser das Datum des Einganges bei ihm auf dem Schriftstück vermerkt und dies durch einen Stempel und seine Unterschrift bestätigt.

Zur Glaubhaftmachung genügt auch nicht die Benennung eines Zeugen (vgl. BGHSt 21, 334, 347; KG, Beschluß vom 28. August 2006 - 4 Ws 141/06 -; Meyer-Goßner, § 45 StPO Rdn. 8, § 26 StPO Rdn. 11) zumal dann, wenn es sich offenbar um einen Mitgefangenen des Antragstellers und nicht um den Urkundsbeamten selbst handelt (BGHR § 45 StPO Glaubhaftmachung 1; Tatsachenvortrag 3). Zu verlangen ist mindestens eine schriftliche Erklärung des Zeugen. Der Antragsteller hat auch nicht vorgetragen, es sei ihm nicht möglich gewesen, eine solche Erklärung oder eine dienstliche des Urkundsbeamten zu erlangen. Dieser Vortrag und seine Glaubhaftmachung wären aber erforderlich dafür, auf weitere Glaubhaftmachung zu verzichten und die eigenen Angaben des Antragstellers für ausreichend zu erachten (vgl. BGHSt 21, 334, 347; KG NJW 1974, 657, 658; Meyer-Goßner, § 26 StPO Rdn. 11). Denn im Wiedereinsetzungsverfahren ist es nicht Sache des Gerichts, sondern allein des Antragstellers, die für die Glaubhaftmachung erforderlichen Nachweise beizubringen. Nicht behebbare Zweifel an der Richtigkeit des Entschuldigungsvorbringens wirken sich, da der Grundsatz "in dubio pro reo" (im Zweifel für den Angeklagten) hier nicht gilt, zu Lasten des Antragstellers aus (vgl. KG, Beschlüsse vom 28. August 2006 - 4 Ws 141/06 - und 21. Juni 2006 - 4 Ws 81/06 -; Senat, Beschluß vom 23. September 2004 - 5 Ws 460/04 -).

Da sonach nicht glaubhaft gemacht ist, daß die Fristversäumung auf justiziellem Verschulden beruht, kann sich der Antragsteller nicht auf die von ihm zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NStZ-RR 2005, 238) berufen, wo dies feststand.

Der Senat bemerkt abschließend, daß die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den angefochtenen Beschluß - ungeachtet ihrer Unzulässigkeit - auch in der Sache nicht erfolgreich gewesen wäre.

Ende der Entscheidung

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