Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 31.07.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 200/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 154 Abs. 1
StPO § 359 Nr. 2
StPO § 364 S. 1 Alt. 2
1. Eine vorläufige Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO zählt nicht zu den Verfahrenshindernissen, die in § 364 Satz 1 2. Alt. StPO der rechtskräftigen Verurteilung gleichgestellt sind (gegen OLG Düsseldorf JMBl NW 1980, 190).

2. Liegt ein dem § 364 Satz 1 2. Alt. StPO unterfallendes Verfahrenshindernis vor, so bedarf es zur Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags eines konkreten Verdachts, der die Stärke des hinreichenden Tatverdachts erreicht; ein bloßer Anfangsverdacht genügt nicht.


KAMMERGERICHT

Beschluß

Geschäftsnummer: 2 Ws 200/09

1 AR 608/09

In der Strafsache gegen

wegen Mißhandlung eines Schutzbefohlenen

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 31. Juli 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Schwurgericht - vom 25. Februar 2009 aufgehoben.

Der Antrag des Verurteilten auf Wiederaufnahme des Verfahrens wird als unzulässig verworfen.

Der Verurteilte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

I. Das Landgericht Berlin - Schwurgericht - (529) 1 Kap Js 1461/06 Ks (15/06) - verurteilte den Beschwerdegegner am 25. April 2007 (rechtskräftig seit dem 9. Januar 2008) wegen Mißhandlung eines Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten. Ausweislich der Urteilsfeststellungen befand sich der Verurteilte am 28. Juli 2006 zwischen 11.15 Uhr und 16.30 Uhr mit dem damals zweieinhalbjährigen Jungen A.-L. D. in der in Berlin-Kreuzberg gelegenen Wohnung der in diesem Zeitraum abwesenden Kindesmutter H. D.. Diese war sowohl mit dem Beschwerdegegner als auch mit dem verheirateten Wohnungsnachbarn A.K. intim befreundet. Um mit K. das Paar H.C. und G.P. in Berlin-Oberschöneweide besuchen zu können, hatte sie das Kind in die Obhut des Beschwerdegegners gegeben.

In der Zeit, als der Verurteilte das Kind beaufsichtigen sollte, schlug und trat er massiv und mehrfach auf den gesamten Körper des Jungen ein. Den Urteilsfeststellungen zufolge erlitt das Kind aufgrund der anhaltenden und äußerst heftigen Mißhandlungen eine Vielzahl von sichtbaren Hautunterblutungen, ein Kopfschwartenhämatom, beidseitige Rippenbrüche, eine lebensgefährliche Verletzung des Darmes, ein Hämatom an der Peniswurzel sowie eine Brandverletzung an der Innenfläche der linken Hand.

Der Akteninhalt (insbesondere die Lichtbildaufnahmen der Wohnung) und die Urteilsfeststellungen belegen, daß die Zeugin D. einen verantwortungslosen Lebensstil führte, der von Verwahrlosung, Drogenkonsum und dem häufigen Wechsel der Sexualpartner geprägt war. Mit der Erziehung ihrer Kinder war sie überfordert. Das verletzte Kind stellte sie erst am nächsten Tag dem Arzt vor. Für ihr eigenes schweres Versagen im Zusammenhang mit dem durch den Verurteilten begangenen Verbrechen wurde die Zeugin D. wegen Verletzung der Fürsorgepflicht zu einer dreimonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Zu diesen Feststellungen gelangte die Schwurgerichtskammer in erster Linie auf Grund der Bekundungen der Zeugin D., der sie nach eingehender Auseinandersetzung mit den in deren Person liegenden Defiziten glaubte. Ergänzend stützte die Kammer ihre Überzeugung auf die Bekundungen weiterer Zeugen, namentlich A.K. und das Paar C./P., sowie auf die Einvernahme mehrerer Ärzte und eines gerichtsmedizinischen Sachverständigen. Der Verurteilte selbst hat den Tatvorwurf lediglich pauschal bestritten und von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht.

Der Zeuge K. wurde am 13. Juni 2007 durch das Landgericht Berlin - (506) 70 Js 1436/06 KLs - 43/06 (43/06) - wegen einer Serie von Raubüberfällen, Vergewaltigungen, gefährlicher Körperverletzungen und weiterer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten, einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren sowie zur anschließenden Sicherungsverwahrung verurteilt. Das Urteil ist seit dem 20. Februar 2008 rechtskräftig. Die abgeurteilte Verbrechensserie des Zeugen fand erst am 6. Oktober 2006 ihr Ende. An diesem Tage wurde der Zeuge vorläufig festgenommen und zur Untersuchungshaft verbracht.

Unter dem 14. Februar 2008 verfaßte der in der Justizvollzugsanstalt Moabit einsitzende Zeuge K. einen Brief an die Rechtsanwältin S., in dem er sich der falschen Aussage zu Lasten des Verurteilten bezichtigte. Dieser Brief wurde - vorhersehbar - im Rahmen der Postkontrolle entdeckt und gemäß § 108 StPO in Beschlag genommen. Im Gegensatz zu seiner damaligen Aussage behauptet der Zeuge nunmehr (sinngemäß), er habe die Verletzungen bei A.L. nicht erst nach der Rückkehr aus Oberschöneweide am Abend des 28. Juli 2006, sondern schon ein bis zwei Tage vorher gesehen. Zugleich revidierte er seine Aussage, den A.L. am Morgen des 28. Juli 2006 überhaupt gesehen zu haben. Der Zeuge K. behauptet, die Zeugin D. habe ihn damals zu diesem Aussageverhalten gedrängt.

Die Staatsanwaltschaft Berlin leitete gegen den Zeugen K. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der falschen uneidlichen Aussage ein. Nach dessen polizeilicher Vernehmung am 4. Juni 2008 stellte die Staatsanwaltschaft Berlin das Verfahren gemäß § 154 Abs. 1 StPO im Hinblick auf die rechtskräftige Verurteilung vom 13. Juli 2007 ein, was aufgrund der ganz besonders langen absehbaren Freiheitsentziehung von mehr als 25 Jahren sicher zu erwarten war.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25. November 2008 beantragte der Verurteilte die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Unterbrechung der Vollstreckung. Er macht den Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 2 StPO geltend.

Mit dem von der Staatsanwaltschaft Berlin angefochtenen Beschluß vom 25. Februar 2009 hat das Landgericht Berlin den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens für zulässig erklärt. Der Antrag auf Unterbrechung hat es zurückgewiesen, da die Erfolgsausichten des Antrages im Probationsverfahren nicht so wahrscheinlich seien, daß die Vollstreckung bedenklich erschiene.

Gegen diesen Beschluß hat die Staatsanwaltschaft Berlin sofortige Beschwerde eingelegt. Sie hält bereits die Bejahung der Zulässigkeit des Antrages nach § 359 Nr. 2 StPO für fehlerhaft. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

II. Die form- und fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegte sofortige Beschwerde (§ 372 Satz 1 StPO) ist begründet. Das Landgericht hat die Zulässigkeit der Wiederaufnahme zu Unrecht bewilligt; die Voraussetzungen für die Durchführung des Probationsverfahrens liegen nicht vor. Das Beschwerdevorbringen der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft dringt im Ergebnis durch.

A) Die Wiederaufnahme ist nicht nach § 359 Nr. 2 StPO zulässig. Denn § 364 Satz 1 StPO steht der Berufung auf die Behauptung einer Falschaussage entgegen. Der Senat vertritt die Auffassung, daß eine vorläufige Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO nicht zu den Verfahrenshindernissen zählt, die das Gesetz mit den Worten "oder wenn die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen kann", beschreibt. Sie ist nicht geeignet, ohne nachhaltige inhaltliche Prüfung im Aditionsverfahren den Eintritt in das Probationsverfahren auszulösen (siehe unten 2.). Zudem erfüllt das Antragsvorbringen auch nicht den erforderlichen Verdachtsgrad, um die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrages zu bejahen (siehe unten 3.).

1. § 359 Nr. 2 StPO bietet (wie auch die Nrn. 1, 3 und 4) für den Antragsteller einen Wiederaufnahmegrund, der einen einzelnen Umstand genügen läßt, um die Zulässigkeit des Antrages ohne Rückgriff auf das gesamte Beweisgefüge zu begründen, soweit nur die falsche Aussage zur Grundlage der Beweiswürdigung im Urteil geworden war (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., § 359 Rdn. 12). Die Darlegungslast in der Antragsbegründung (vgl. Meyer-Goßner, § 359 StPO Rdn. 13) ist gegenüber dem Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO deutlich geringer (vgl. die Darstellung bei Meyer-Goßner, § 368 StPO Rdn. 2 < für § 359 Nrn. 1-4 > und Rdnrn. 3-10 < für Nr. 5 >.

Die Berufung auf die Behauptung einer Falschaussage ist durch § 364 Satz 1 StPO beschränkt. Die Vorschrift bezweckt vor allem den Schutz eines freigesprochenen Angeklagten vor einer übereilten Wiederaufnahme zu seinen Ungunsten (vgl. Frister/ Deiters in SK-StPO, § 364 Rdnrn. 3, 7; Eschelbach in KMR-StPO, § 364 Rdn. 9). Soweit es um die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten geht, besteht die wesentliche Bedeutung der Vorschrift für ihn darin, daß die mit § 359 Nr. 2 StPO verbundenen Privilegien - die Vermutung der Kausalität im Sinne des § 370 Abs. 1 StPO (vgl. Meyer-Goßner, § 359 StPO Rdn. 13) und die geringere Darlegungslast - nur gewährt werden, wenn die Voraussetzungen der Vorschrift gegeben sind. Darüber hinaus schützt die Vorschrift mit Blick auf § 359 Nr. 2 StPO Zeugen und Sachverständige vor einer übereilten Bezichtigung der Falschaussage sowie mit Blick auf § 359 Nr. 3 StPO die Berufsrichter und Schöffen vor der diskriminierenden Wirkung einer voreiligen Wiederaufnahme im Falle des Verdachts einer Amtspflichtverletzung (vgl. Frister/Deiters in SK-StPO, § 364 Rdn. 4; Eschelbach in KMR-StPO, § 364 Rdn. 9).

a) § 364 Satz 1 1. Alt. StPO verlangt für die Zulässigkeit des Antrages nach § 359 Nr. 2 StPO die rechtskräftige Verurteilung des Belastungszeugen wegen eines Aussagedelikts. Für diesen Fall - wie für jeden, der eine bewiesene Straftat zum Nachteil des Verurteilten oder einen offenkundigen Rechtsverstoß zum Gegenstand hat - ist es sachgerecht, dem Verurteilten ohne weiteres einen erleichterten, privilegierten Wiederaufnahmegrund zur Seite zu stellen (vgl. BGHSt 48, 153, 158 - juris Rdn. 18). Denn die im Aditionsverfahren durchzuführende Erheblichkeitsprüfung und die sonst dem Probationsverfahren vorbehaltene Beweisaufnahme sind bereits in dem gegen den Zeugen geführten Verfahren entweder in der Hauptverhandlung in Rede und Gegenrede oder zumindest im Strafbefehlsverfahren vorab rechtskräftig vorgenommen worden. Die Indizwirkung der Verurteilung für die Begründetheit des Wiederaufnahmeantrages ist so stark, daß es sogar häufig geboten sein kann, von der Möglichkeit (vgl. Meyer-Goßner, § 370 StPO Rdn. 2) Gebrauch zu machen, auf eine Beweiserhebung zu verzichten und die Entscheidungen nach §§ 368 und 370 StPO zu verbinden.

b) § 364 Satz 1 2. Alt. StPO benennt demgegenüber Sachverhalte von geringerer Indizwirkung als ausreichend, die Zulässigkeitshürde zu überwinden und zu einer Beweisaufnahme im Probationsverfahren zu gelangen.

aa) Das ist vornehmlich im Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Freigesprochenen erforderlich. Denn der Staatsanwaltschaft stehen nur die (§ 359 Nrn. 1-4 StPO entsprechenden) Wiederaufnahmegründe des § 362 Nrn. 1-4 StPO zur Verfügung, nicht aber eine dem § 359 Nr. 5 StPO nachgebildete Möglichkeit, die Wiederaufnahme aufgrund neuer Beweismittel zu verlangen. Das begründet das Bedürfnis, die Wiederaufnahme auch dann zuzulassen, wenn die vorrangige Aufklärung der möglichen Falschaussage des Zeugen in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren an Verfahrenshindernissen scheitert (vgl. OLG Zweibrücken OLGSt zu § 359 StPO; LG Halle (Saale), Beschluß vom 9. August 1995 - 21 Ks 3/95 - juris Rdn. 36 -).

bb) Im Verfahren zugunsten des Verurteilten erfüllt § 364 Satz 1 2. Alt. StPO ein geringeres Bedürfnis, da dem Verurteilten der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO zur Verfügung steht (§ 364 Satz 2 StPO) und § 359 Nr. 2 StPO lediglich prozessuale Erleichterungen bietet, nicht aber - wie bei dem Antrag zuungunsten des Freigesprochenen - seine Zulässigkeit erst ermöglicht.

Vor der Einfügung des § 364 Satz 2 StPO durch Art. 4 Nr. 40 des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 4. August 1953 war es umstritten, ob die allein auf die Behauptung der Unglaubwürdigkeit (oder die Falschaussage) eines Zeugen gestützte Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten nach § 359 Nr. 5 StPO auch dann möglich ist, wenn die Voraussetzungen des § 364 StPO (in der damaligen Fassung) nicht vorlagen. Die damals herrschende Meinung (vgl. Frister/Deiters in SK-StPO, § 364 Rdn. 1 mit weit. Nachw.) bejahte dies zutreffend, weil dem Verurteilten ansonsten der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO abgeschnitten gewesen wäre, ohne daß er in irgendeiner Weise darauf Einfluß gehabt hätte. Durch die Einfügung des Satzes 2 hat der Gesetzgeber letztlich nur klargestellt (vgl. BT-Drucks., 1. Wahlperiode, I/3713 S. 54), was - nach dem richtig verstandenen Gesetzeszweck - ohnehin bereits der herrschenden Meinung entsprach. Die zum Nachteil des Verurteilten bestehende Regelungslücke wurde sinnvoll geschlossen, indem er in Ermangelung einer rechtskräftigen Verurteilung des Zeugen gerade auf den Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO zurückgreifen kann.

Wegen seiner durch § 364 Satz 2 StPO geminderten Wichtigkeit gibt es zu § 364 Satz 1 2. Alt. StPO verhältnismäßig wenig Rechtsprechung. Seine Bedeutung im Verfahren auch über die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten liegt darin, daß Verfahrenshindernisse auch dem Verurteilten nicht den Weg verstellen sollen, beim Vorliegen eines Verdachts einer Falschaussage der mit § 359 Nr. 2 StPO einhergehenden Privilegien verlustig zu gehen, namentlich die Durchführung einer - wegen des Verfahrenshindernisses nicht in einer Hauptverhandlung stattfindenden - Beweisaufnahme im Probationsverfahren (§ 369 StPO) erleichtert erreichen zu können. Wegen der gegenüber einer rechtskräftigen Verurteilung (§ 364 Satz 1 1. Alt. StPO) deutlich geminderten Indizwirkung wird aber für diesen Fall das Vorliegen eines - von unterschiedlichen Autoren unterschiedlich bemessenen - Verdachtsgrades verlangt (vgl. die Nachweise bei Schmidt in KK, § 364a StPO Rdn. 6).

2. Der Senat hält es für verfehlt, § 364 Satz 1 2. Alt. StPO auch auf die Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO anzuwenden.

a) Stellt die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren nach § 154 Abs. 1 StPO ein, so liegt kein Verfahrenshindernis vor, das den in § 364 Satz 1 2. Alt. StPO beschriebenen entspricht. Daß die "Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweisen nicht erfolgen kann", trifft nur dann zu, wenn die Strafverfolgungsbehörden aufgrund von Verfahrenshindernissen an der Durchführung des Verfahrens gehindert sind, die sie nicht selbst beseitigen können. Das gilt zunächst für rein objektive Hinderungsgründe wie Tod, Verhandlungsunfähigkeit, Auslandsaufenthalt, unbekannter Aufenthalt, Nichtbestehen deutscher Gerichtsbarkeit etc. (vgl. Meyer-Goßner, § 364 StPO Rdn. 1). Zu diesen Hindernissen, derentwegen das Strafverfahren nicht durchgeführt werden kann, zählt aber auch die vorläufige gerichtliche Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO. Zwar ist das Hindernis dann nicht aufgrund objektiver Gegebenheiten eingetreten; aber das Verfahren läßt sich nicht ohne das Vorliegen der tatsächlichen, sachlich-rechtlichen und prozessualen Voraussetzungen der Absätze 3-5 der Vorschrift ohne weiteres fortsetzen, da dem Einstellungsbeschluß eine beschränkte materielle Rechtskraftwirkung zukommt (vgl. KG StraFO 2009, 286 mit weit. Nachw.).

So liegt es im Falle der vorläufigen Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO nicht. Sie ist - wie diejenige nach Abs. 2 der Vorschrift - ein selbst geschaffener Verzicht auf die Verfolgung, entfaltet aber keinerlei Rechtskraftwirkung und zieht auch keinen Strafklageverbrauch nach sich (vgl. OLG Nürnberg - Beschluß vom 23. Juni 2009 - 1 OLG Ausl 130/07 - Ls - juris). Die Staatsanwaltschaft ist nicht gehindert, das Verfahren jederzeit wieder aufzugreifen, weil die vorläufige Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO keine Bindungswirkung erzeugt (vgl. Meyer-Goßner, § 154 StPO Rdn. 21a).

b) Allerdings wird in Rechtsprechung und Schrifttum gleichwohl die Auffassung vertreten, die Vorschrift sei auch auf von der Staatsanwaltschaft veranlaßte Einstellungen nach dem Opportunitätsprinzip anzuwenden, namentlich auf die vorläufige Einstellung gemäß § 154 Abs. 1 StPO; sie stehe einem "echten Verfolgungshindernis" gleich (vgl. OLG Düsseldorf OLGSt zu § 154 StPO = JMBlNW 1980, 190 = GA 1980, 393 und NStE Nr. 1 zu § 364 StPO; Meyer-Goßner, § 364 StPO Rdn. 1; Schmidt in KK, § 364 StPO Rdn. 6; Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl., § 364 Rdn. 2; Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 2. Aufl., Rdn. 181; nur für die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten Frister/ Deiters in SK, § 364 StPO Rdnrn. 9, 10; Eschelbach in KMR, § 364 StPO Rdn. 19; KG, Beschluß vom 24. September 1973 - 1 Ws 210/73 - bezieht sich hingegen auf die gerichtliche vorläufige Einstellung).

Allein das OLG Düsseldorf hat in seinem, in diesem Zusammenhang stets zitierten (vgl. nur Meyer-Goßner, § 364 StPO Rdn. 1) Beschluß vom 12. März 1980 (OLGSt zu § 154 StPO = JMBlNW 1980, 190 = GA 1980, 393) seine Auffassung näher begründet: Der Fall der Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO müsse aus Gerechtigkeitserwägungen heraus den "echten Verfolgungshindernissen" des § 364 Satz 1 2. Alt. StPO gleichgestellt werden. Es dürfe nicht zu Lasten des Antragstellers gehen, daß die Staatsanwaltschaft dem gegen den Zeugen bestehenden Tatverdacht nur aus prozeßökonomischen Gründen nicht mehr nachgehe und der Anzeigende wegen des Ausschlusses des Klageerzwingungsverfahren (§ 172 StPO) die Erhebung der öffentlichen Klage nicht erzwingen könne. Dem hat sich das zitierte Schrifttum angeschlossen.

c) Diese Auslegung entspricht nicht dem Wortlaut des Gesetzes. Ausdrücklich stellt es in § 364 Satz 1 2. Alt. StPO nur für den Fall des "echten Verfolgungshindernisses" die erleichterte Antragstellung nach § 359 Nr. 2 StPO zur Verfügung. Eine erweiternde Auslegung ist nicht geboten; denn die von der herrschenden Meinung behauptete Gerechtigkeitslücke besteht nicht.

aa) Die Überlegung allein, daß der Verurteilte in dem gegen den Zeugen gerichteten Ermittlungsverfahren keinen Einfluß auf die Entschließung der Staatsanwaltschaft hat, das Verfahren vorläufig (und meistens im Ergebnis tatsächlich endgültig) einzustellen, greift nicht durch, um dem Gesetz einen anderen Inhalt zuschreiben zu dürfen als denjenigen, der sich aus dem vom Gesetzgeber gewählten Wortlaut ergibt. Denn der Einfluß des Verurteilten ist auch auf das von der Staatsanwaltschaft zur Anklage gebrachte und durchgeführte (und damit unter keinen Umständen unter § 364 Satz 1 2. Alt. StPO fallende) Verfahren denkbar gering. Er ist Verletzter der etwaigen Falschaussage (vgl. Meyer-Goßner, § 172 Rdn. 11 mit Nachw.); ihm stehen daher die Verletztenrechte zu, die sich in den in §§ 406d-406f StPO genannten erschöpfen. Sollte er nicht ausnahmsweise die Erhebung der öffentlichen Klage durch einen erfolgreichen Antrag auf gerichtliche Entscheidung herbeigeführt haben (§ 395 Abs. 1 Nr. 3 StPO), kann er sich nicht als Nebenkläger beteiligen und außer seiner eigenen Zeugenaussage nichts dazu beitragen, daß der angeklagte Zeuge tatsächlich verurteilt wird. Er kann nicht darauf hinwirken, daß es keine Versäumnisse der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts bei der Führung des Rechtsstreits gibt, welche die am Ende des Prozesses von ihm erhoffte Verurteilung des Zeugen verhindern.

bb) Da sich dem Verurteilten über § 364 Satz 2 StPO auch der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO eröffnet, erschließt sich auch das Bedürfnis für die erweiternde Auslegung nicht. Es widerspräche der Intention der Einfügung des Satzes 2 in § 364 StPO, würde man den damit ausdrücklich zugunsten des Verurteilten eröffneten und klargestellten Prüfungsmaßstab des § 359 Nr. 5 StPO wieder dadurch abschwächen, daß - alternativ - trotz des Fehlens einer rechtskräftigen Verurteilung des Zeugen bzw. eines echten Verfolgungshindernisses eine rein formale Betrachtung über § 359 Nr. 2 StPO (bei Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und anschließender Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO) genügen lassen, um eine gerichtliche Beweisaufnahme im Probationsverfahren zu erzwingen.

cc) Eine Regelungslücke zu Lasten des Verurteilten besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt, daß die Nrn. 1 bis 4 und 6 in § 359 StPO (im Gegensatz zu Nr. 5) dem Verurteilten - theoretisch - die Möglichkeit einer bloßen Schuldspruchberichtigung eröffnen. Der dazu ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGHSt 48, 153) liegt der seltene Fall zugrunde, in dem einem Verurteilten ausnahmsweise die Korrektur des (bloßen) Schuldspruches zugebilligt wurde, weil seine Ehre durch die Unrichtigkeit des Schuldspruchs in besonders schwerem Maße beeinträchtigt wurde. Weitere Beispiele finden sich in der veröffentlichten Rechtsprechung hierzu nicht, die praktische Relevanz dieser Frage ist denkbar gering (vgl. Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, 2. Aufl., Rdnrn. 108-113).

dd) Auch das OLG Düsseldorf hat in der zitierten Entscheidung die Bedenken anklingen lassen, welche die mit Gerechtigkeitsüberlegungen begründete erweiternde Auslegung mit sich bringt. Denn es hat zwecks Vermeidung einer ungerechtfertigten prozessualen Besserstellung des Verurteilten einen "unbedingten" Zulässigkeitsgrund verneint, der ohne weitere Hürde bereits das Probationsverfahren eröffnet und zur Erhebung von Beweisen zwingt (so ausdrücklich für den Fall des echten Verfolgungshindernisses der Abwesenheit: HansOLG Hamburg JR 2001, 205; sowie Gössel in Löwe-Rosenberg, § 364 StPO Rdn. 2). Es neigte daher der Auffassung zu, zusätzlich sei zu prüfen, ob ein konkreter Verdacht für die Begehung des behaupteten Aussagedelikts gegeben sei. Denn es bestehe kein Grund, dem Verurteilten, der eine Falschaussage eines Belastungszeugen behauptet, gegenüber einem Antragsteller, der unter Beibringung eines neuen Beweismittels oder Behauptung einer neuen Tatsache seine Unschuld beweisen will (vgl. § 359 Nr. 5 StPO), nur deshalb die Wiederaufnahme zu erleichtern, weil eine Klärung des Schuldvorwurfs gegen den der Falschaussage bezichtigten Zeugen lediglich aus prozessualen Gründen ausgeschlossen ist, wobei unter Umständen der Tatverdacht niemals geprüft oder bei einem zunächst eingeleiteten Verfahren unrichtig beurteilt wurde. Mit diesen Erwägungen ließ das Oberlandesgericht erkennen, daß zur Vermeidung eines Wertungswiderspruches eine restriktive Handhabung des im Wege der Rechtsfortbildung geschaffenen, "erweiterten" Zulässigkeitsgrundes nach § 359 Nr. 2 StPO geboten ist. So schwenkte es im unmittelbaren Kontext dann auch auf den Vergleich mit § 359 Nr. 5 StPO über, bei dem über die bloß abstrakte Schlüssigkeitsprüfung hinaus schon eine gewisse - eingeschränkte - Beweiswürdigung zu erfolgen habe. Mit dieser Überlegung stellte das Gericht an die Stärke des Verdachtsgrades bei der Einstellung gemäß § 154 Abs. 1 StPO ähnliche Anforderungen wie an die Eignung des Beweismittels gemäß § 359 Nr. 5 StPO.

Letztlich hat das OLG Düsseldorf in dieser Entscheidung (anders dann in seinem Beschluß vom 27. Juli 1994 - 1 Ws 562/94 - = VRS 88 [1995], 48) aber noch offengelassen, welche zusätzliche Anforderungen im Rahmen von § 359 Nr. 2 StPO an den Verdachtsgrad zu stellen sind, weil dem Verurteilten ohnehin der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO zur Seite stand. Dieses Ergebnis erscheint alles andere als zufällig. Denn behauptet ein Verurteilter die nicht durch rechtskräftige Verurteilung erwiesene Falschaussage eines Zeugen und hat diese Behauptung zugleich genügende Substanz, so wird regelmäßig der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO für ihn streiten. Auf diesen Zusammenhang hatte schon das OLG Hamburg in seinem Beschluß vom 20. Mai 1969 - 2 Ws 181/69 - (= NJW 1969, 2159) zutreffend hingewiesen.

3. Selbst dann, wenn man der herrschenden Meinung folgt und die staatsanwaltliche vorläufige Einstellung nach § 154 Abs. 1 StPO den in § 364 Satz 1 2. Alt. StPO gemeinten Verfahrenshindernissen hinzurechnet, bedarf es eines zur Zulässigkeit des Antrages auf Wiederaufnahme eines konkreten Verdachts, der die Stärke des im Ermittlungsverfahren zur Anklageerhebung erforderlichen hinreichenden Verdachts erreicht; ein bloßer Anfangsverdacht (§ 152 Abs. 2 StPO) genügt nicht.

a) aa) Die bislang wenigen veröffentlichten Entscheidungen (vgl. OLG Düsseldorf VRS 88 [1995], 48; HansOLG Hamburg JR 2001, 207, 208; OLG Oldenburg StV 2003, 234) lassen die einen Anfangsverdacht begründende Behauptung der Falschaussage des Zeugen für die Zulässigkeit des Wiederaufnahmevorbringens nach § 359 Nr. 2 StPO allerdings bereits ausreichen, um das Probationsverfahren zu eröffnen. Die in dem Verfahren gegen den der Falschaussage Verdächtigen wegen des Verfolgungshindernisses nicht zu leistende Aufklärung soll durch die Beweisaufnahme auf der Probationsstufe des Wiederaufnahmeverfahrens ersetzt werden. Auch das Kammergericht hat in seinem unveröffentlichten Beschluß vom 16. März 1992 - 4 Ws 30/02 -, in dem es um das Verfolgungshindernis der Verjährung ging, den Anfangsverdacht nach § 152 Abs. 2 StPO gegen den Zeugen für eine Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 2 StPO genügen lassen und darauf verwiesen, daß Bedenken im Probationsverfahren berücksichtigt werden können (in diesem Sinne auch KG, Beschluß vom 22. Oktober 2007 - 4 Ws 3/07 -).

bb) In seinem Beschluß vom 27. Juli 1994 (VRS 88 [1995], 48) hat das OLG Düsseldorf seinen Hinweis aus der früheren Entscheidung (OLGSt zu § 154 StPO = JMBlNW 1980, 190 = GA 1980, 393) wieder aufgegriffen, daß im Falle des nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten Verfahrens gegen den Zeugen zusätzlich zu prüfen sei, ob ein konkreter Verdacht für die Begehung des behaupteten Aussagedelikts besteht, der zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ausreichen würde. Die Bemühung um die Findung eines einschränkenden Kriteriums, durch das einer ausufernden Stattgabe des Zulässigkeitsgrundes des § 359 Nr. 2 StPO entgegengewirkt werden soll, wurde damit nicht aufgegeben. Allerdings hat das Gericht die Hürde für den Einstieg in das Probationsverfahren deutlich niedriger angesetzt, als es in den Ausführungen des früheren Beschlusses und dem dortigen Vergleich mit § 359 Nr. 5 StPO noch angeklungen war. Ein konkreter Anfangsverdacht solle genügen (so auch OLG Oldenburg aaO; Schmidt in KK, § 364 StPO Rdn. 6; Gössel in Löwe-Rosen-berg, § 364 Rdn. 2; Eschelbach in KMR-StPO, § 364 Rdnrn. 22, 23, 24; Meyer-Goßner, § 364 Rdn. 1).

Eine nähere Erörterung des Beweisergebnisses ist diesem Beschluß übrigens nicht zu entnehmen. Das OLG sah den konkreten Verdacht letztlich deswegen nicht als gegeben an, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren ohne Aufnahme von Ermittlungen ersichtlich nur zum Zwecke der Beschleunigung entsprechend Nr. 5 RiStBV nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt habe. Die Prüfung des Verdachtsgrades wurde damit weitgehend der Staatsanwaltschaft überlassen. Daraus ließe sich ableiten, daß der Fall des § 154 Abs. 1 StPO über § 364 Satz 1, 2. Alt. StPO offenbar nicht stets die Zulässigkeit der Wiederaufnahme begründen können soll, sondern dies davon abhängt, wann und mit welcher Intention die Staatsanwaltschaft von dieser Einstellungsmöglichkeit Gebrauch macht. Dieser Lösungsansatz und der Hinweis in der Kommentierung von Eschelbach (KMR-StPO, § 364 Rdn. 18), die Gründe der staatsanwaltschaftlichen Verfahrenseinstellung seien als "Gegenindiz" zu berücksichtigen, erscheinen nicht durchgehend praktikabel, da die Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO in der Regel nur knapp begründet sind und eine Verpflichtung zur umfassenden schriftlichen Darstellung und Würdigung des bis dahin erzielten Ermittlungsergebnisses nicht bestehen dürfte. Aus den Nrn. 101 i.V.m. 93 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren ist dies jedenfalls nicht abzuleiten.

b) Der Ansicht, ein Anfangsverdacht genüge, kann der Senat nicht beitreten. Erforderlich ist ein konkreter Verdacht, der die Stärke des im Ermittlungsverfahren zur Anklageerhebung erforderlichen hinreichenden Verdachts erreicht (vgl. Frister/Deiters in SK-StPO, § 364 Rdn. 7 und Marxen/Tiemann, Die Wiederaufnahme in Strafsachen, Rdnrn. 181, 287).

Die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrages nach § 359 Nr. 2 StPO beruht im Falle des § 364 Satz 1 1. Alt. StPO auf einer rechtskräftigen Verurteilung. Sie setzt voraus, daß zuvor ein hinreichender Tatverdacht vorgelegen hat. In § 364 Satz 1 2. Alt. StPO wird das Defizit des Verurteilten ausgeglichen, der bei dem Vorliegen eines Verfahrenshindernisses eine Verurteilung des falsch aussagenden Zeugen nicht erreichen kann und sich so um die erleichterte Darlegung des Wiederaufnahmevorbringens gebracht sieht, was auch das Hauptargument für die entsprechende Anwendung auf den Fall der staatsanwaltschaftlichen Einstellung nach Opportunitätsgrundsätzen ist.

Der Ausgleich des Defizits darf aber nicht dazu führen, daß der Antragsteller besser gestellt wird als derjenige, der ohne das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses abwarten muß, ob sich in dem gegen den Zeugen wegen des Aussagedelikts geführten Verfahren dessen Schuld erweisen wird. Das wäre er aber, wenn man einen Anfangsverdacht ausreichen ließe. Denn ohne hinreichenden Tatverdacht erreichte das Verfahren noch nicht einmal das Gericht, und eine rechtskräftige Verurteilung - der Regelfall des § 364 Satz 1 StPO (vgl. BGHSt 48, 153, 159) - rückte in unerreichbare Ferne. So wie im gegen den Zeugen gerichteten Strafverfahren erst der hinreichende Tatverdacht das Tor zu einer gerichtlichen Beweisaufnahme aufstoßen kann, muß im Wiederaufnahmeverfahren das Erreichen der im Probationsverfahren vorgesehenen gerichtlichen Beweisaufnahme von einem Verdacht abhängen, der die Stärke eines hinreichenden Tatverdachts erreicht und sich von jenem nur dadurch unterscheidet, daß jener den Abschluß staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen voraussetzt. Der Gleichklang der Verdachts- und Überzeugungsgrade zwischen dem Erkenntnisverfahren gegen den Zeugen und dem Wiederaufnahmeverfahren zeigt sich auch darin, daß die neue Hauptverhandlung gegen den Verurteilten erst dann angeordnet werden kann, wenn das Probationsverfahren die volle richterliche Überzeugung für die Falschaussage des Zeugen ergibt (vgl. HansOLG Hamburg JZ 2001, 207, 209).

c) Der Eingriff in die Rechtskraft des Urteils und zugleich auch das dorthin führende Verfahren dürfen nicht von "Attraktivitätsgesichtspunkten" (vgl. Krehl, Anm. zu HansOLG Hamburg JR 2001, 207, 211) bestimmt sein oder vom Zufall abhängen. Zwar ist es allgemein anerkannt, daß die Wiederaufnahmegründe des § 359 Nr. 2 und Nr. 5 StPO dem Verurteilten nebeneinander zur Verfügung stehen (vgl. nur OLG Rostock, Beschluß vom 2. März 2006 - I Ws 13/06 - juris -), jedoch nur dann, wenn auch ihre Voraussetzungen vorliegen. Hieraus kann sich im Einzelfall einmal durchaus ergeben, daß der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 2 StPO für den Verurteilten einfacher anzubringen und vorteilhafter ist, weil er auf die rechtskräftige Verurteilung des Zeugen verweisen kann. Liegt aber kein rechtskräftiges Urteil gegen den Zeugen vor - gleich aus welchem Grunde -, so besteht für eine Privilegierung des Verurteilten regelmäßig kein Anlaß, ihn davon freizustellen, seine Behauptung der Falschaussage bereits im Aditionsverfahren soweit plausibel darzustellen, daß eine gerichtliche Beweisaufnahme erforderlich erscheint.

Eine - hier nicht gegebene - Ausnahme könnte insoweit allenfalls erörtert werden, wenn dem Verurteilten die Anbringung eines der erweiterten Darlegungspflicht des § 359 Nr. 5 StPO unterliegenden Wiederaufnahmegesuchs nicht möglich oder nicht zuzumuten wäre. Dazu müßte er aber nachvollziehbar vortragen, warum es ihm nicht möglich sein soll, sich inhaltlich mit der geänderten oder dem Verdacht der Unwahrheit ausgesetzten Zeugenaussage zu befassen und diese in eine überprüfbare Beziehung zu dem übrigen Beweisergebnis zu setzen. Eine solche "Darlegungsnot" eines Verurteilten wäre nur vorstellbar, wenn es sich bei dem sich korrigierenden Zeugen um eine aus Sicht des Verurteilten völlig neutrale Person handelt, die erkennbar nie in irgendeinem Kontakt oder einer Beziehung zu ihm oder seinem Umfeld stand. Nur in einem solchen Fall könnte ein Verurteilter als benachteiligt angesehen werden, wenn ihm die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 2 StPO verwehrt bliebe und er auf den Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO verwiesen würde.

In aller Regel wird es dem Verurteilten aufgrund genügender eigener Erkenntnismöglichkeiten aber möglich und zumutbar sein, das Entstehen und den Hintergrund des Sinneswandels eines Belastungszeugen für das Wiederaufnahmegericht nachvollziehbar zu machen. Nur auf diese Weise kann einem Mißbrauch des Wiederaufnahmerechts und der justiziellen Ressourcen wirksam begegnet werden. Das Probationsverfahren ist daher erst durchzuführen, wenn sich die Behauptung der Straftat im Aditionsverfahren genügend erhärtet hat. Sie ist möglichst frühzeitig zu prüfen (vgl. Frister/Deiters in SK-StPO, § 364 Rdn. 6). Der die Falschaussage eines Zeugen behauptende Verurteilte darf sich nicht etwa bereits von vornherein absehbare und kalkulierbare Verfolgungshindernisse planvoll zunutze machen, um eine ernstliche Prüfung seines Wiederaufnahmevorbringens nach § 359 Nr. 5 StPO zu umgehen. Besonders anfällig für Mißbrauch erscheinen dabei die Verfolgungshindernisse, deren Entstehen der Verurteilte zumindest voraussehen oder sogar mit beeinflussen kann. So bedarf es keiner näheren Erläuterung, daß das Verfolgungshindernis der Abwesenheit des sich nunmehr der Falschaussage bezichtigenden Zeugen gemeinsam mit dem Verurteilten geplant sein kann. Aber auch gerade die Einstellung des Verfahrens gegen den Zeugen gemäß § 154 Abs. 1 StPO wird vielfach dessen begründeter Erwartung entsprechen, weil er über die Person des Zeugen und dessen eigene strafrechtliche Situation informiert ist. Vorliegend kann dem Verurteilten nicht verborgen geblieben sein, daß der Zeuge K. aufgrund schwerster eigener Verbrechen zu langjährigen Freiheitsstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt wurde, so daß schon von vornherein die Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1 StPO nahezu sicher war.

Erstrebt der Verurteilte die Wiederaufnahme mit der Behauptung einer Falschaussage des dafür (nicht oder noch nicht) verurteilten Zeugen, so hat die Prüfung bereits im Aditionsverfahren das Vorliegen eines dem hinreichenden Tatverdachts entsprechenden zu eruieren, wodurch sie in ihrer Intensität und ihrem Ziel an die nach § 359 Nr. 5 StPO gebotene heranreicht. Es besteht in der Regel keine Veranlassung, den Verurteilten von den aus der Rechtsprechung zu dieser Vorschrift bekannten Substantiierungserfordernissen zu entlasten.

d) Ein hinreichender Tatverdacht für eine Falschaussage des Zeugen K. besteht nicht. Die tatsächlichen Grundlagen dieses Ergebnisses folgen aus denselben Überlegungen, die der Senat unten unter C) zur inhaltlichen Plausibilität des Wiederaufnahmevorbringens angestellt hat.

B) Die Wiederaufnahme ist auch nicht nach § 359 Nr. 5 StPO zulässig. Der Antrag enthält keine neuen Tatsachen oder Beweismittel, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Verurteilten zu begründen geeignet sind (vgl. nur Senat, Beschluß vom 31. Mai 2007 - 2 Ws 206/07 -).

1. Das Gericht ist bei der Prüfung des Antrages nicht an die Bezeichnung des Wiederaufnahmegrundes durch den Antragsteller gebunden. Vielmehr kommt es darauf an, wie das gesamte Vorbringen des Antragstellers vernünftigerweise zu werten ist. (Gössel in Löwe-Rosenberg, § 364 StPO Rdn. 7). Das hat zur Folge, daß das Gericht vom Amts wegen nach § 359 Nr. 5 StPO prüfen muß, wenn das Vorbringen des Antragstellers bezüglich § 359 Nr. 2, 364 Satz 1 StPO nicht ausreicht (vgl. OLG Hamburg NJW 1969, 2159; Schmidt in KK, § 364 StPO Rdn. 4).

2. Da das Beschwerdegericht nach § 309 Abs. 2 StPO umfassend in der Sache selbst entscheidet und eine Zurückverweisung an das Landgericht nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht kommt (vgl. Meyer-Goßner, § 309 StPO Rdn. 9), mußte der Verurteilte auch auf die seinerseits zu erwartende sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin damit rechnen, daß der Senat das Wiederaufnahmevorbringen entsprechend der vorstehenden Ausführungen unter allen rechtlichen Gesichtspunkten prüft. Insbesondere die ihm zur Kenntnis gebrachten umfangreichen Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft, in denen auch der Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO eingehend, aber auch ausschließlich auf der Grundlage des bekannten Akteninhaltes erörtert wird, konnten keine anderslautende Erwartung begründen, zumal sich der Verurteilte in seiner Erwiderung durch anwaltlichen Schriftsatz vom 2. Juni 2009 auch inhaltlich mit den von den Staatsanwaltschaften bezüglich des § 359 Nr. 5 StPO aufgeworfenen Bedenken auseinandergesetzt und versucht hat, diese argumentativ zu entkräften. Dadurch, daß der Verurteilte die umfassende Prüfung seines Wiederaufnahmevorbringens (auch) nach § 359 Nr. 5 StPO nicht ablehnen kann und dieses Vorbringen nach Verwerfung des Antrages verbraucht ist (vgl. HansOLG Hamburg NStZ-RR 2000, 50 - juris -; KG, Beschluß vom 25. Februar 2003 - 4 Ws 17/03 -), ist er nicht benachteiligt, da er den Wiederaufnahmeantrag gemäß §§ 365, 297, 302 StPO in jeder Lage des Verfahrens zurücknehmen kann (vgl. Meyer-Goßner, § 365 StPO Rdn. 3). Auf diese Rechtslage muß der anwaltlich vertretene Verurteilte nicht eigens hingewiesen werden. § 33 Abs. 3 StPO gebietet keinen weitergehenden rechtlichen Dialog (vgl. HansOLG Hamburg aaO - juris Rdn. 8 -).

3. Auch das geänderte Aussageverhalten bzw. die Selbstbezichtigung eines Zeugen, falsch ausgesagt zu haben, ist eine neue Tatsache (vgl. OLG Rostock, Beschluß vom 2. März 2006 - I Ws 13/06 - juris -; Senat, Beschluß vom 8. März 2000 - 5 Ws 122/00 - juris -; Meyer-Goßner, § 359 StPO Rdn. 33 mit weit. Nachw.).

C) In tatsächlicher Hinsicht ist es dem Verurteilten hier aber nicht gelungen, den angeblich zu erwartenden Wechsel der Aussage des Zeugen K. einleuchtend zu erklären (vgl. KG, Beschlüsse vom 25. Februar 2003 - 4 Ws 17/03 - und vom 22. März 1995 - 4 Ws 25 und 49/95). Das Vorbringen ist vorliegend weder unter dem Gesichtspunkt des erforderlichen Verdachtsgrades bei der Prüfung nach § 359 Nr. 2, § 364 Satz 1 2. Alt. StPO noch als neue Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO geeignet, seine Freisprechung zu begründen bzw. die bisherige Beweisgrundlage zu erschüttern.

1. Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 368 Abs. 1 StPO ist nur zu unterstellen, daß der Zeuge die behauptete Aussage machen wird, nicht hingegen, daß die Aussage auch inhaltlich richtig ist, oder auch nur, daß die Bekundung zu einer entsprechenden Überzeugungsbildung führen müsse und dem benannten Beweismittel auch der ihm zugedachte Beweiswert beigemessen werden kann (vgl. OLG Köln NStZ 1991, 96 (98); OLG Frankfurt MDR 1975, 511; OLG Karlsruhe OLGSt § 368 StPO S. 1; KG NJW 1992, 450; Beschluß vom 25. Februar 2003 - 4 Ws 17/03 -). Denn bereits bei der Zulässigkeitsprüfung ist eine gewisse Bewertung der Beweiskraft der angebotenen Beweismittel vorzunehmen. Schon der Wortlaut des § 368 Abs. 1 StPO verlangt, die vorgetragenen neuen Tatsachen und Beweismittel selbst auf ihre Eignung hin zu prüfen, wobei im Wege des Freibeweises schon im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung diese auch dahin zu erfolgen hat, ob die Schuldfrage vom Standpunkt des erkennenden Gerichts anders entschieden worden wäre, wenn die neuen Tatsachen und Beweismittel dem Gericht bekannt gewesen wären. Dabei ist nicht nur der Inhalt des Urteils, sondern auch der gesamte Inhalt der Akten in Betracht zu ziehen, wobei die behaupteten Tatsachen gedanklich in die Urteilsgründe einzufügen sind. Insbesondere kommt es darauf an, ob und wie sich die "korrigierte" Aussage mit dem weiteren Beweisergebnis in Einklang bringen läßt. Bei der gebotenen Gesamtschau ist das Gericht frei und keinen Beweisregeln unterworfen. Der Zweifelsatz findet keine Anwendung (vgl. KG, Beschluß vom 25. Februar 2003 - 4 Ws 17/03 -). Das Wiederaufnahmegericht hat sich auf den Standpunkt des früher erkennenden Gerichts zu stellen und zu prüfen, ob die Feststellungen des Urteils durch die neuen Tatsachen oder Beweismittel so erschüttert werden, daß genügend Anlaß zur Erneuerung der Hauptverhandlung besteht. Besteht danach eine Wahrscheinlichkeit dafür, daß das Grundurteil erschüttert werden wird, so ist hinreichender Anlaß für den Fortgang des Wiederaufnahmeverfahrens gegeben. Die Wahrscheinlichkeit bedeutet dabei, daß ernste Gründe für die Beseitigung des Urteils sprechen (vgl. BVerfG NStZ 1995, 43 (44); BGHSt 17, 303; BGH NJW 1977, 59; KG, Beschluß vom 22. März 1995 - 4 Ws 25 und 49/95 - m.w.N.; vgl. zu diesen Grundsätzen insgesamt KG, Beschluß vom 13. Januar 1997 - 4 Ws 219/96 - juris -; Senat, Beschlüsse vom 31. Mai 2007 - 2 Ws 206/07 -; 28. April 2004 - 5 Ws 171/04 -; 5. November 2001 - 5 Ws 651/01 - und 8. März 2000 - 5 Ws 122/00 -).

2. Der Verurteilte beruft sich in seinem Wiederaufnahmeantrag darauf, daß der Zeuge K. in der Hauptverhandlung die Unwahrheit gesagt habe. Er nimmt dabei Bezug auf das bei den Akten befindliche Schreiben des Zeugen K. vom 14. Februar 2008, in dem sich dieser selbst der Falschaussage bezichtigt. Die geänderte Aussage des Zeugen K. und dessen Selbstbezichtigung einer Falschaussage sind unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze aber nicht geeignet, den Schuldspruch wegen Mißhandlung eines Schutzbefohlenen zu erschüttern, denn sie begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Verurteilung in tatsächlicher Hinsicht.

a) Seinerzeit hatte der Zeuge angegeben, daß er am Morgen des Tattages am 28. Juli 2006 den Geschädigten A.L. D. kurz bevor dieser durch die Zeugin D. in die Obhut des Verurteilten gegeben worden war, gesehen und an ihm (noch) keine blauen Flecken bemerkt habe. Nunmehr gibt er abweichend von seiner Aussage in der Hauptverhandlung für den Tattag an, daß er A.L. am Morgen des 28. Juli 2006 überhaupt nicht gesehen habe. Er will den Jungen aber "1 bis 2 Tage" vor der Hauptverhandlung gesehen haben und blaue Flecken erkannt haben, wobei er nicht wisse, wie diese ausgesehen hätten.

b) Die Schwurgerichtskammer stützte ihre Überzeugung, daß der Beschwerdegegner das Verbrechen zum Nachteil des A.L. begangen hat, maßgeblich auf die Bekundungen der Zeugin D., die durch diejenigen der Zeugen K., C. und P. bestätigt wurden, sowie der Einvernahme der Ärzte und des Sachverständigen, welche die Ergebnisse ihrer Untersuchung des schwerverletzten Kindes eingehend erläuterten. Die Kammer hat sich insbesondere aufgrund der Angaben der Zeugin D. die - eingehend ausgeführte - Überzeugung gebildet, daß diese als Täterin ausscheidet und sie auch vorher nicht gegenüber ihren Kindern gewalttätig gewesen sei (UA S. 17 bis 21). Die ursprünglichen Angaben des Zeugen K., das Kind am Morgen des 28. Juli 2006 noch unverletzt gesehen zu haben, stellen zumindest ein Indiz für die Täterschaft des Verurteilten dar. Nach den Urteilsausführungen (UA S. 21 bis 23) war die Aussage des Zeugen K. im Rahmen der Beweiswürdigung nicht gänzlich irrelevant. Allerdings wurden die Person und die Aussage dieses Zeugen sehr kritisch gewürdigt. Insoweit hat auch die mit dem Wiederaufnahmeantrag befaßte Strafkammer bereits zutreffend hervorgehoben, daß der Umstand, daß der Zeuge K. sein Aussageverhalten je nach Gegebenheiten flexibel handhaben soll (UA S. 23), von Relevanz sein kann. Ausweislich des Akteninhaltes (Bd. II Bl. 42, 44, 114) war der erkennenden Schwurgerichtskammer zudem bekannt, daß die blauen Flecke bei A.L. bereits vor der Hauptverhandlung Gegenstand eines Gesprächs zwischen dem Zeugen und dem später Verurteilten gewesen sein sollen, als beide in der Justizvollzugsanstalt Moabit zufällig aufeinander trafen. Die Kammer hat deshalb auch den Wahrheitsgehalt der Angaben des Zeugen K. eingehend überprüft (UA S. 22). Gestützt hat sie sich angesichts der geringen Glaubwürdigkeit des Zeugen nur auf diejenigen seiner Angaben, die aus sich heraus und aus der Sicht des Beweisgefüges plausibel waren.

In diesem Zusammenhang ist auch in Erinnerung zu rufen, daß sich die in der Hauptverhandlung behauptete und unter Beweis gestellte angebliche Äußerung des Zeugen K. gegenüber dem ebenfalls inhaftierten Zeugen R., er - K. - habe dem T. angeboten, seine Aussage gegen Übernahme der Verteidigerkosten in dem gegen ihn selbst gerichteten Verfahren zurückzuziehen und die "Wahrheit" zusagen, so nicht bestätigt hat. Den Zeugen R. hat das Schwurgericht vernommen; er schilderte einen anderen Sachverhalt. Danach soll der Zeuge K. seine aus Verärgerung über den Verurteilten abgegebene falsche Aussage zurückgezogen haben, was jedoch hinsichtlich einer angeblichen Rücknahme von vornherein nicht zutraf.

c) Demgegenüber sind die neuen Angaben des Zeugen K. nicht geeignet, eine Täterschaft der Zeugin D. oder vernünftige Zweifel an einer solchen des Verurteilten zu begründen. Der Zeuge ist zwar jetzt bemüht, die Zeugin D. zu diskreditieren, bekundet jedoch nicht, beobachtet zu haben, daß die Zeugin ihr Kind - am Tattag oder zuvor - geschlagen hat.

aa) Bereits isoliert betrachtet erweist sich die neue Aussage des Zeugen K. als unklar und widersprüchlich, wohingegen seine ursprünglichen Angaben konstant und nachvollziehbar waren, so daß die Schwurgerichtskammer nach gründlicher Prüfung von deren Glaubhaftigkeit ausgegangen ist. Während der Verurteilte in seinem Brief vom 14. Februar 2008 noch angab, gewußt bzw. schon "1 bis 2 Tage" vorher gesehen zu haben, daß A.L. blaue Flecken gehabt habe, bekundete er in seiner daraufhin veranlaßten polizeilichen Vernehmung am 4. Juni 2008 zunächst, daß er bei den Kindern der Zeugin D. selbst keine Verletzungen gesehen habe. Erst auf einen konkreten Vorhalt aus dem Brief hin gab er dann davon abweichend an, daß er ein bis zwei Tage vor dem Vorfall Hämatome an den Armen des A.L. gesehen haben, wobei er jedoch nicht wisse, wie diese ausgesehen hätten. Die neuen Angaben des Zeugen K. erscheinen zudem auch deshalb wenig zuverlässig, weil er mit den Kindern der Zeugin D. offenbar "durcheinander geraten" ist. Die ihm angeblich von der Zeugin vorgegebene Aussage sollte dahingehen, er habe A.L. morgens mit seinen Schwestern gesehen. Sie sei mit den drei Kindern gerade auf der Straße gewesen, um die zwei Mädchen in die Kita zu bringen. Ausweislich des Akteninhaltes und der Urteilsfeststellungen handelt es sich bei den weiteren Kindern aber um einen Bruder (E.-E.< Jungenname>) und eine Schwester (Y.-C.<Mädchenname>) des A.-L..

bb) Insbesondere ergeben sich aus der neuen Aussage des Zeugen K. auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Verurteilte im Tatzeitraum nicht mit dem Kind alleine in der Wohnung war. Der Rückblick auf die Ausgangssituation des Verfahrens erlaubt nach wie vor keinen anderen Schluß, als daß sich der Verurteilte am 28. Juli 2006 mit dem Kind in der Wohnung der Zeugin befand. Insoweit berichtete nicht nur die Zeugin D. bereits am 30. Juli 2006 gegenüber der Polizei von einem Aufeinandertreffen des Zeugen K. und des Verurteilten nach dessen Verlassen der Wohnung am 28. Juli 2006, ohne allerdings angeben zu können, was genauer Gesprächsinhalt zwischen beiden war. Insbesondere bestätigte der Zeuge R., daß der Verurteilte ihm selbst gegenüber eingeräumt habe, am 28. Juli 2006 auf das Kind aufgepaßt zu haben. Der jetzt vom Zeugen K. geschilderte Sachverhalt läßt sich damit und mit den Angaben der von der Schwurgerichtskammer als glaubwürdig erachteten weiteren Zeugen C. und P. nicht in Einklang bringen. Diese haben in der Hauptverhandlung geschildert, die Zeugen D. und K. seien am 28. Juli 2006 wie frisch verliebt bei ihnen eingetroffen. Desweiteren ist dem Protokoll über die polizeiliche Vernehmung des Zeugen C. zu entnehmen, die Zeugin D. habe auf seinen Vorhalt, das Kind bei einem Fremden gelassen zu haben, ihm gegenüber geäußert, der Nevzat "müsse erst auf die Kinder aufpassen, wenn er mit ihr poppen wolle". Am 29. Juli 2006 habe sie ihn angerufen und ihm mitgeteilt, der Nevzat habe gestern das Kind "irgendwie" getreten und es ginge diesem nicht gut und sie suche jemanden, der sie mit dem Kind ins Krankenhaus fährt. Die Feststellung, daß der Verurteilte zur Tatzeit das Kind beaufsichtigt hat, ist daher nicht erschüttert.

cc) Würde man den geänderten Angaben des Zeugen K. folgen, daß die Zeugin D. bereits am 27. Juli 2006 die Wohnung verwüstete, dabei den Marmortisch und Bilderrahmen beschädigte und möglicherweise die Kinder schlug, was er aus den Beschädigungen schließt, wären sowohl sein als auch deren Verhalten am 28. Juli 2006 bei den Zeugen C. und P. schwer nachvollziehbar. Insbesondere wäre der Zeuge K. dann aber wegen seiner Abwesenheit zu dem möglichen Zeitpunkt der Tat nicht in der Lage, anzugeben, ob der Verurteilte oder aber die Zeugin D. die fragliche Tat begangen sowie die behaupteten Beschädigungen verursacht hat. Die Passage in seinem Schreiben vom 14. Februar 2008, "Es tut mir leit, das Herr T. für nichts hir sitzt" kann entgegen der Stellungnahme der Verteidigung vom 2. Juni 2006 nur in dem Sinne verstanden werden, daß sich der Zeuge K. der Behauptung festlegen will, der Verurteilte sei unschuldig.

Zudem finden sich die von ihm beschriebenen Zerstörungen in der Wohnung in diesem Umfang in der Bilddokumentation nicht wieder und hätten auch nicht zwischenzeitlich beseitigt werden können. Auch wären nach dem nunmehr behaupteten Geschehensablauf die Gespräche über den angeblichen Sturz des Jungen von einem Stuhl auf dem Balkon nicht nachvollziehbar zuzuordnen. Das gleiche gilt hinsichtlich des Verweisens des Verurteilten aus der Wohnung nach der Rückkehr der Zeugin am 28. Juli 2006. Die Zeugin D. hätte all diese Umstände wie auch den noch im Besitz des Verurteilten befindlichen Wohnungsschlüssel erfinden müssen. Der Verurteilte seinerseits hätte bereits vor der Übernahme der Beaufsichtigung des Kindes Beobachtungen zu vorhandenen Verletzungen treffen, zugleich aber eine Motivation haben müssen, dieses dennoch zu betreuen und die Zeugin D. nicht über eine Verschlechterung des Zustandes zu unterrichten. Dies widerspräche jeglicher Erfahrung und erscheint abwegig. Es würde bedeuten, daß der Verurteilte die Zeugin D., die dann ihm gegenüber selbst als Tatverdächtige einer massiven Mißhandlung des Kindes in Erscheinung getreten wäre, gleichwohl ihn aber zu Unrecht belasten würde, sogar aus der Untersuchungshaft heraus noch decken würde.

Weiterhin hat auch die Zeugin G. in ihrer polizeilichen Vernehmung bestätigt, daß sie den Zeugen K. am 29. Juli 2006 in der Wohnung gesprochen habe, da dieser etwa eine Stunde nach ihr dort erschienen sei und mit ihr und den beiden größeren Kindern auf dem Spielplatz war. Später sei er der Zeugin D. auf deren Bitte hin in das Krankenhaus gefolgt. Hinweise darauf, daß der Zeuge K. zu diesem Zeitpunkt davon ausging, die Verletzungen seien durch die Zeugin D. verursacht worden, haben sich aus den Vernehmungen der Zeugin G., auch in der Hauptverhandlung, nicht ergeben.

dd) Indem sich der Verurteilte auf die neuen Angaben des zeugen K. beruft, setzt er sich auch in diametralen Widerspruch zu seinem Verteidigungs- und Beweisantragsverhalten in der Hauptverhandlung. Sein Wiederaufnahmevorbringen ist auch daran zu messen. Ein Verurteilter, der die Wiederaufnahme des Verfahrens aufgrund eines Tatsachenvortrages betreibt, mit dem er sich in der Hauptverhandlung nicht verteidigt hat, obwohl ihm eine solche Verteidigung bereits möglich gewesen wäre, hat darzulegen, weshalb er die entsprechenden Entlastungstatsachen nicht schon in der Hauptverhandlung vorgebracht hat (vgl. Senat, Beschluß vom 22. Oktober 2007 - 4 Ws 3/07 -). Die Verteidigung des Verurteilten war stets darauf gerichtet, zu beweisen, daß die Verletzungen des A.L. erst nach der Beaufsichtigung durch den Verurteilten entstanden sein sollen, dies insbesondere, weil die Zeugin D. die ärztliche Versorgung erst am nächsten Tag in die Wege leitete. So z.B. wurde die Ladung und Vernehmung eines medizinischen Sachverständigen zum Beweis der Tatsache beantragt, daß die Brandverletzungen in der Handinnenfläche des Kindes nicht am 28. Juli 2006 sondern erst am 29. Juli 2006 entstanden sind. Nunmehr aber sollen die Verletzungen auf einmal früher, also vor der Beaufsichtigung des Kindes durch den Verurteilten stattgefunden haben. Das Wiederaufnahmevorbringen ist mit dem früheren Verteidigungsverhalten nicht in Einklang zu bringen, zumal der Beschwerdegegner nachvollziehbare Gründe für die Änderung nicht angibt. Das Wiederaufnahmevorbringen löst den schwerwiegenden Widerspruch nicht auf, sondern schweigt dazu, wie es möglich sein soll, daß der Verurteilte nunmehr das angeblich bereits zuvor erkennbar schwer verletzte Kind ohne weiteres in seine Obhut genommen haben soll.

ee) Die vom Zeugen K. mitgeteilten Motive für die angeblich zunächst gemachte Falschaussage sind zudem wenig überzeugend. Die Behauptung, die Zeugin D. habe nach seiner Aussage in der Hauptverhandlung gegenüber seiner Ehefrau die Affäre offengelegt, weswegen sie die Scheidung wolle, könnte eher ein Motiv des Zeugen für eine wahrheitswidrige Belastung der Zeugin D. belegen.

Wenn die Zeugin D. den Zeugen K. unmittelbar zu einer falschen, den Verurteilten belastenden Angabe bestimmt hätte, dann wäre es auch naheliegend gewesen, daß sie bereits selbst den "gewünschten" Aussageinhalt ihren Vernehmern frühzeitig nahegebracht hätte. Dies wird durch die Vernehmungsprotokolle aber nicht belegt. Es ist keine Tendenz der Zeugin D. dahingehend erkennbar, die Wahrnehmungen ihres "Bekannten" (K.) und was dieser gesehen haben will, in besonderer Weise hervorzuheben. Dagegen bestätigte der Zeuge K. die Angaben der Zeugin D. hinsichtlich seines Zusammentreffens mit dem Verurteilten erstmals nach seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt Moabit am 6. November 2006, wobei er bereits hier einen Versuch der Einflußnahme durch den ebenfalls in dieser Justizvollzugsanstalt inhaftierten Beschwerdegegner schildert. Dies soll unter anderem darin bestanden haben, daß dieser zunächst einen Finger auf den Mund legte, um ihm zu signalisieren, er solle schweigen. Darüber hinaus soll der Verurteilte dem Zeugen K. Aussageinhalte vorgegeben haben, die die Zeugin D. belasten sollten. Diese sehr anschauliche Schilderung hätte der Zeuge, der in der Haft durch die Zeugin D. nicht direkt beeinflußt worden sein kann, aber nach seinen Angaben Angst vor dem mitinhaftieren Verurteilten hatte, erfinden müssen. Dies erscheint angesichts des übrigen Akteninhalts lebensfremd. Insbesondere hinsichtlich der beschriebenen Geste hätte der Zeuge K. dabei dem nach seinen jetzigen Angaben unschuldig Inhaftierten anlasten müssen, dieser habe selbst verinnerlicht, es sei eine ihn belastende, in das Wissen des Zeugen gestellte Tatsache zu verschweigen. Denn nur dann gibt eine solche Geste einen Sinn. Am 6. November 2006 sah sich der Zeuge nach seinen Angaben dennoch durch seine enge Bindung zu den Kindern der Zeugin D. zu einer der Einflußnahme des Verurteilten widerstehenden wahrheitsgemäßen Aussage motiviert. Auch teilte die Zeugin D. der Staatsanwaltschaft am 30. November 2006 telefonisch mit, der Zeuge K. habe ihr in einem Brief aus der Haftanstalt geschildert, er sei in der Folge des Bedrängens durch den Verurteilten nunmehr von zwei weiteren türkischen Mitgefangenen verprügelt worden und habe den Sozialarbeiter darüber informiert. Würde man den neuen Angaben des Zeugen K. folgen, so wäre auch unverständlich, warum er am 10. Oktober 2006 aus der Haftanstalt an die Zeugin D. schreibt: "Den Arschloch N. habe ich auch schon gesehen. Bayb ich habe angst. Er meinte Du hast 1,800 Euro Schulden an ihn und er hat versucht mich zu bestechen. Ich soll aussagen, das ich die blauen Fleken nicht gesehen habe... Ich werde auf jeden Fall bei der Wahrheit bleiben".

ff) Aber nicht nur die Umstände, unter denen der Zeugen die jetzt widerrufene Aussage bei der Polizei und vor Gericht wiederholte, sowie insbesondere auch diejenigen, unter denen er nunmehr von seiner früheren Aussage abgerückt ist, sind zur Beurteilung dieser Fragen heranzuziehen (vgl. OLG Rostock, Beschluß vom 2. März 2006 - I Ws 13/06 -; KG, Beschluß vom 25. Februar 2003 - 4 Ws 17/03 -). In diesem Zusammenhang fällt auf, daß der Zeuge K. den Brief vom 14. Februar 2008, in dem er seine belastenden Angaben erstmals in Frage stellt, an die Rechtanwältin S., die frühere Verteidigerin des Verurteilten richtete. Von einem Kontakt zum Verurteilten ist daher auszugehen. Zudem wurde der Zeuge K. zu zwei in der Summe 15 Jahre übersteigenden Freiheitsstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt; er konnte sicher sein, wegen eines Aussagedelikts nicht spürbar bestraft zu werden.

d) Selbst wenn man der geänderten Aussage des Zeugen K. dahingehend folgen würde, er habe die Unversehrtheit des Kindes am Morgen des 28. Juli 2006 nicht festgestellt, da er es nicht gesehen habe, erschüttert das die Beweiswürdigung des Urteils des Schwurgerichts nicht, da es die Angaben dieses Zeugen ohnehin in der Gesamtschau mit den weiteren Beweismitteln gewürdigt hat, die die Verurteilung auch für sich tragen. Wie bereits dargestellt wurde, ist die Aussage insbesondere nicht geeignet, Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der übrigen Zeugen und an der Täterschaft des Beschwerdegegners zu begründen. Der Wegfall der Angaben des Zeugen K. ist aufgrund der in dem Urteil getroffenen sonstigen Beweiswürdigung gerade nicht geeignet, nunmehr die Täterschaft des Verurteilten derart in Zweifel zu ziehen, daß man zu einem Freispruch gelangen würde. Entgegen der in dem Wiederaufnahmeantrag vertretenen Auffassung wird durch die neuen Angaben des Zeugen die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin D. nicht in ihren Grundfesten erschüttert. Denn es finden sich keine Belege dafür, daß die vom Zeugen K. ursprünglich bekundeten Tatsachen ("Unverletztheit des A.L. am Morgen des 28. Juli 2006") objektiv nicht der Wahrheit entsprochen haben. Jedenfalls behauptet das der Zeuge nicht, sondern stellt allenfalls Vermutungen in dieser Hinsicht an. Demgemäß würde eine erneut mit der Verhandlung betraute Schwurgerichtskammer voraussichtlich nicht zu der Überzeugung gelangen, daß die neuen Angaben des Zeugen K. zutreffend sind. Sie sind nicht geeignet, den Nachweis zu erbringen, daß statt des Verurteilten die Zeugin H.D. dem Kind die verfahrensgegenständlichen Verletzungen beigebracht hat und können keine begründeten Zweifel an der Täterschaft des Verurteilten wecken.

Da nach dem Antragsvorbringen mithin keine ernsten Gründe für die Beseitigung des Urteils sprechen, war der Antrag nach § 368 Abs. 1 StPO zu verwerfen; denn ein geeigneter Grund der Wiederaufnahme ist nicht geltend gemacht.

III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verurteilte zu tragen, weil sie zu den Verfahrenskosten gehören, die ihm nach § 465 StPO zur Last fallen. Von seinen notwendigen Auslagen wird er nicht entlastet (vgl. Senat, Beschluß vom 19. Mai 2004 - 5 Ws 201/04 -; Meyer-Goßner, § 473 StPO Rdn. 15).



Ende der Entscheidung

Zurück