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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 13.06.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 227/07
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 51 Abs. 3 Satz 1
StGB § 51 Abs. 1
Die Untersuchungshaft, die der von einem deutschen Gericht Verurteilte anläßlich eines zu einer gesonderten Verurteilung führenden Militärstrafverfahrens der US-Streitkräfte erlitten hat, kann nur auf jene Strafe, nicht aber auf die von dem deutschen Gericht verhängte Strafe angerechnet werden.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 2 Ws 227/07

In der Strafsache gegen

wegen Mordes u.a.

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 13. Juni 2007 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 12. Februar 2007 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Ein Militärgericht der Vereinigten Staaten von Amerika verurteilte den Beschwerdeführer am 22. November 1991 wegen Gewalt- und Sexualdelikten zum Nachteil von fünf Mädchen und Frauen zu einer Haftstrafe von 22 Jahren. Am 21. November 1994 wurde der Verurteilte aus der amerikanischen Strafhaft in Mannheim zur Vollstreckung des Haftbefehls des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 3. Februar 1992 - 351 Gs 659/92 - in die Justizvollzugsanstalt Moabit überführt, um die Durchführung des in Berlin anhängigen Strafverfahrens vor dem Landgericht zu ermöglichen. Am 29. November 1995 (rechtskräftig seit dem 1. Mai 1997) verurteilte das Landgericht Berlin den Beschwerdeführer wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Unter Anrechnung der Untersuchungshaft vom 21. November 1994 bis zum 30. April 1997 - 892 Tage - ist der 20. November 2009 als der Zeitpunkt vermerkt, an dem 15 Jahre verbüßt sein werden. Der Verurteilte, der seine Auslieferung (§ 456 a StPO) an die Vereinigten Staaten von Amerika nach der Verbüßung von fünfzehn Jahren seiner lebenslangen Freiheitsstrafe anstrebt, ist der Auffassung, daß auf seine Freiheitsstrafe auch die Zeit vom 13. Februar 1992 bis zum 22. (bzw. 21., siehe oben) November 1994 anzurechnen sei, da für den Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 3. Februar 1992 seit dem 13. Februar 1992 Überhaft notiert war. Er begehrt eine neue Strafzeitberechnung, derzufolge 15 Jahre bereits am 12. Februar 2007 verbüßt gewesen wären. Die Staatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 27. November 2006 diese Berechnungsweise abgelehnt und ihre Strafzeitberechnung bestätigt.

Durch den angefochtenen Beschluß vom 12. Februar 2007 hat das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - die Einwendungen des Verurteilten gegen die Strafzeitberechnung zurückgewiesen und eine Anrechnung der amerikanischen Militärstrafhaft auf die im hiesigen Verfahren zu verbüßende Freiheitsstrafe abgelehnt.

Die sofortige Beschwerde (§ 462 Abs. 3 Satz 1, § 458 Abs. 1 StPO) hat keinen Erfolg.

1. Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 3 StVollstrO gehört zur Berechnung der Strafzeit bei lebenslangen Freiheitsstrafen auch die Errechnung des Zeitpunktes, zu dem die Vollstreckung des Strafrestes nach § 57 a Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe frühestens aussetzen, wenn 15 Jahre verbüßt sind. Als verbüßte Strafe gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat (§ 57 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StGB).

Hierunter fällt die Inhaftierung des Beschwerdeführers in dem Zeitraum vom 13. Februar 1992 bis zum 21. November 1994 nicht; denn er verbüßte Vollstreckungshaft für ein Militärstrafverfahren der Vereinigten Staaten von Amerika und nicht Untersuchungshaft im hiesigen Verfahren. In deutschen Verfahrensvorschriften unterliegender Untersuchungshaft befindet sich ein Nato-Soldat nur dann, wenn in Ausübung der deutschen Gerichtsbarkeit ein deutscher Haftbefehl vollzogen wird (vgl. Boujong in KK-StPO 5. Aufl., vor § 112 Rdn. 13). Dementsprechend ist diese Haftzeit in dem Militärstrafverfahren angerechnet worden; in diesem Umfang hat der Beschwerdeführer die dort verhängte Freiheitsstrafe von 22 Jahren bereits verbüßt. Zu dem Umstand, daß Teile jener Strafe bereits vor deren Rechtskraft vollstreckt wurden, hat das "Department of the Army" (Dienststelle der Armee) - US-Verbindungsstelle für Rechtsangelegenheiten - unter dem 23. Januar 2007 mitgeteilt, das amerikanische Militärstrafrecht unterscheide nur zwischen Untersuchungshaft und Vollstreckungshaft. Gemäß "Rule for Court-Martial" (R.C.M.; Vorschriften für das Militärgericht) Nr. 305 ende die Untersuchungshaft mit dem Ausspruch der Strafe durch das Gericht. Nach Nr. 1101 R.C.M. beginne die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe mit dem Tag der Verurteilung. Ein laufendes Rechtsmittelverfahren habe keine Auswirkungen auf den Beginn der Strafvollstreckung. Der Beschwerdeführer habe sich dementsprechend vom 22. November 1991, dem Tag der Urteilsverkündung, bis zur Überstellung an die deutschen Behörden in Vollstreckungshaft befunden.

Die Auffassung des Beschwerdeführers, zumindest die Zeit seit der Überhaftnotierung am 13. Februar 1992 müsse auf die Strafe angerechnet werden, weil er seit diesem Zeitpunkt Untersuchungshaft verbüßt habe, ist unzutreffend. Da für den Haftbefehl im hiesigen Verfahren lediglich Überhaft notiert war, wurde gegen den Beschwerdeführer weiterhin bis zum 21. November 1994 nur die Strafhaft aus dem Urteil des amerikanischen Militärgerichts vom 22. November 1991 vollzogen. Denn vollzogen wird immer nur die Haft für ein einziges Verfahren und nie diejenige, für die Überhaft notiert ist (vgl. Senat NStZ-RR 2005, 388). Auch sein Einwand, nach deutschem Strafprozeßrecht wäre der Vollzug von Vollstreckungshaft vor der Rechtskraft nicht möglich, greift im Ergebnis nicht durch. Denn wertete man seiner Auffassung (Strafhaft vor Rechtskraft verstoße gegen rechtsstaatliche Grundsätze) entsprechend die im streitgegenständlichen Zeitraum vollzogene Haft als Untersuchungshaft, so wäre sie doch gleichwohl auf die in dem amerikanischen Verfahren verhängte Strafe anzurechnen. Denn für jenes war er inhaftiert.

2. Die Anrechnung der für das amerikanische Verfahren verbüßten Haft auf das hiesige Verfahren ist auch nicht nach den Grundsätzen zur "funktionalen Verfahrenseinheit" (vgl. BVerfG NStZ 1999, 125, 126; BGHSt 43, 112 = NStZ 1998, 134; Tröndle/ Fischer, StGB 54. Aufl., § 51 Rdn. 6a) im Sinne des § 51 Abs. 1 StGB möglich.

a) Werden Straftaten eines Täters in verschiedenen Strafverfahren verfolgt, so setzt die Anrechnung der Freiheitsentziehung, die er in einem Verfahren erlitten hat, auf die in dem anderen Verfahren verhängte Strafe nach § 51 Abs. 1 StGB voraus, daß zwischen den Strafverfolgungen hinsichtlich der die Freiheitsentziehung auslösenden Tat(en) (hier die dem Urteil des amerikanischen Militärgerichts zugrundeliegenden, für die der Beschwerdeführer sich in Strafhaft befand) und der Taten, die der Verurteilung zugrunde liegen, im Zusammenhang stehen.

Diese "funktionale Verfahrenseinheit" wird im Streitfall zwar dadurch hergestellt, daß beide Verfahren durch die Überhaft in eine enge sachliche Beziehung zueinander gebracht worden sind (vgl. BVerfG NStZ 1999, 477; OLG Düsseldorf StV 2001, 517). Denn das amerikanische Verfahren hat sich auf das deutsche insoweit verfahrensnützlich (vgl. BGHSt 43, 112, 120) ausgewirkt, als es dazu geführt hat, daß in letzterem keine Haftprüfungen nach §§ 121, 122 StPO vorgenommen werden mußten.

Eine Anrechnung der verfahrensgegenständlichen Haftzeit auf die vom Landgericht Berlin verhängte Strafe ist aber gleichwohl ausgeschlossen. Denn die verfassungsrechtliche Begründung für die erweiterte Anrechnung verfahrenfremder Untersuchungshaft liegt darin, daß sonst Haftzeiten möglicherweise gar nicht angerechnet werden, z. B., wenn der Angeklagte in dem Verfahren, in dem die Untersuchungshaft vollzogen wurde, freigesprochen wurde oder jenes Verfahren nach § 154 Abs. 1 oder 2 StPO eingestellt wurde, er in dem Verfahren, für das Überhaft notiert war, aber verurteilt wurde (vgl. BVerfG aaO; weitere Beispiele bei Theune in LK-StGB 12. Aufl., § 51 Rdnrn. 12-14, 16), was die Beschwerde auch erkannt hat.

Sie erstrebt gleichwohl die doppelte Anrechnung auf zwei zu verbüßende Freiheitsstrafen, weil durch das Zusammentreffen zweier Bestrafungen aus unterschiedlichen Rechtssystemen die Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe nicht möglich ist. Das aber ist nicht der Regelungsinhalt des § 51 Abs. 1 StGB und der sich damit auseinandersetzenden Rechtsprechung. Eine doppelte Anrechnung auf zwei Strafen wird von der Verfassung an keiner Stelle verlangt. Freiheitsstrafen, aus denen keine Gesamtfreiheitsstrafe gebildet werden kann, sind nacheinander (und nicht gleichzeitig) zu vollstrecken (§ 43 Abs. 1 StVollstrO). So liegt der Fall hier, denn ausländische Strafen sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit nicht gesamtstrafenfähig (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 105 = StV 2000, 196; Tröndle/Fischer, § 55 Rdn. 5 StGB mit weit. Nachw.). Den darin liegenden Nachteil hat der Verurteilte grundsätzlich hinzunehmen; er erfordert lediglich einen Härteausgleich (vgl. BGH aaO). Diesen hat das Schwurgericht bereits dadurch vorgenommen, daß es davon abgesehen hat, die besondere Schwere der Schuld festzustellen (UA S. 52, 53).

b) Auch aus § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB läßt sich nichts für den Beschwerdeführer herleiten. Die Vorschrift soll verhindern, daß eine Doppelverurteilung, zu der es kommen kann, weil das ausländische Urteil die Strafklage nicht verbraucht, nur einmal gegen den Verurteilten vollstreckt wird (vgl. BGHSt 35, 172, 177). Darüber hinaus soll sie den Verurteilten davor schützen, durch Entscheidungen der beiden nebeneinander zur Ausübung der Gerichtsbarkeit berechtigten Staaten einen Nachteil zu erleiden (vgl. BGHSt 35, 172, 177; BGH NJW 1990, 1428). Die Vorschrift ist demgemäß erweiternd auch auf Fälle auszudehnen, in denen das ausländische Urteil eine selbständige prozessuale Tat betrifft, die aber Gegenstand des inländischen Verfahrens gewesen ist (vgl. BGH aaO; Theune in LK, § 51 Rdn. 21). Dieser über die prozessuale Verfahrenseinheit hinaus der funktionalen Verfahrenseinheit (§ 51 Abs. 1 StGB, vgl. Theune aaO) nahe kommende Gedanke führt aber im Streitfall nicht zur Anrechnung der in dem amerikanischen Verfahren vollstreckten Haft. Denn der deutschen Seite stand in jenem Verfahren (anders als in den den zitierten Entscheidungen des BGH zugrundeliegenden Fällen) keine konkurrierende Zuständigkeit zu, so daß sie nicht durch ihre Entschließung, ihre Gerichtsbarkeit nur teilweise selbst auszuüben (so in BGH NJW 1990, 1428) oder eine im Ausland unterlassene Teilverfolgung nachzuholen (so in BGHSt 35, 172, 177) den Täter um den Vorteil der Gesamtstrafenbildung hätte bringen können. Der deutschen Seite stand aufgrund des Bewilligungsvorbehalts der amerikanischen Seite keinerlei Möglichkeit offen, etwas zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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