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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 25.06.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 252/09
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluss

Geschäftsnummer: 1 AR 754/09 - 2 Ws 252/09

In der Strafsache

wegen Betruges u. a.

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 25. Juni 2009 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin vom 04. Mai 2009 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am 17. November 2004 (rechtskräftig seit dem 12. Mai 2005) wegen Unterschlagung, Vortäuschens einer Straftat und wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten und setzte die Vollstreckung der Strafe für drei Jahre zur Bewährung aus.

Der Verurteilte hatte am 16. Mai 2001 einen geleasten und ihm zum Gebrauch überlassenen PKW Mercedes-Benz einer Tätergruppe überlassen, die diesen PKW nach Weißrußland überführte. Gegenüber der Polizei und der VHV-Versicherung behauptete er wahrheitswidrig, der PKW sei entwendet worden. Die Versicherung zahlte dem Leasinggeber daraufhin einen dem Zeitwert des PKW entsprechenden Betrag von etwa 46 000 Euro aus.

Nur wenige Tage vor diesem Urteil beging der Verurteilte eine Verkehrsstraftat. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte ihn deshalb wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort am 7. November 2005 zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 50 Euro. Bereits acht Monate später führte er am 17. Juli 2006 ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Dasselbe Gericht verurteilte ihn deshalb am 13. September 2006 zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 25 Euro. Weniger als vier Monate vor Ablauf der Bewährungszeit gestatte er am 21. Januar 2008 als Halter eines PKW einer anderen Person mit diesem Fahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen, obwohl kein Haftpflichtversicherungsvertrag für den PKW bestand. Wegen dieser Tat verhängte das Amtsgericht Tiergarten gegen ihn eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30 Euro.

Das Landgericht Berlin hat wegen der beiden letzten Verurteilungen die Strafaussetzung zur Bewährung mit dem angefochtenen Beschluß vom 4. Mai 2009 widerrufen.

Die gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gerichtete sofortige Beschwerde (§ 453 Abs. 2 Satz 3 StPO) des Verurteilten hat keinen Erfolg.

1. Das Landgericht Berlin hat die Strafaussetzung zur Bewährung zu Recht gemäß § 56 f Abs. 1 Satz 1 StGB widerrufen. Der Beschwerdeführer hat sich nicht bewährt. Er beging während der Bewährungszeit mehrere Straftaten und hat auch nach Ablauf der Bewährungszeit sein strafbares Verhalten fortgesetzt. Bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung seines Verhaltens (vgl. Senat, Beschluß vom 11. Juni 2001 - 5 Ws 278/01 -) wird deshalb deutlich, daß sich die Erwartung nicht erfüllt hat, der Beschwerdeführer werde künftig die Gesetze achten.

Die formellen Voraussetzungen des § 56 f Satz 1 Nr.1 StGB für den Widerruf der Strafaussetzung liegen vor.

Die neuen Taten sind als Widerrufsgrund geeignet, auch wenn sie nur mit Geldstrafen geahndet wurden und einen kriminologisch anderen Bereich als die Unterschlagung und den Betrug betreffen.

Der Widerruf erfordert weder die kriminologische Vergleichbarkeit, noch einen sonstigen inneren Zusammenhang zwischen der früheren Tat und der neuen Verfehlung. Die Taten müssen auch nicht nach Art und Schwere miteinander vergleichbar sein (Fischer, StGB 56. Aufl., § 56 f Rdn. 8 a).

Es genügt nach der ständigen Rechtsprechung - auch des Senats - vielmehr jede in der Bewährungszeit begangene Tat von einigem Gewicht (vgl. OLG Hamm, Beschluß vom 4. Dezember 2008 - 3 Ws 484/08 -; OLG Koblenz VRS 48, 263, 265; Senat BA 2001, 60; Beschlüsse vom 2. Februar 2005 - 5 Ws 595/04 -; 28. November 2007 - 2 Ws 548/07 - und 15. Juni 2009 - 2 Ws 224/09 -).

Darunter können auch Taten fallen, die nur mit einer Geldstrafe geahndet wurden (vgl. OLG Schleswig SchlHA 1996, 278; Senat, Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - 5 Ws 285/05 - und 2. Februar 2005 - 5 Ws 595/04 -).

Das erforderliche Gewicht der vorliegend den Widerruf begründenden Taten ergibt sich bereits aus der Höhe der verhängten Geldstrafen, die mit 40 und 90 Tagessätzen die Bagatellgrenzen deutlich überschreitet.

Es ist zwar regelmäßig nahe liegend sich der Einschätzung des sachnäheren Tatgerichts zur Art der Sanktionierung anzuschließen. Zwingend ist dies jedoch nicht. Der Umstand der Verhängung einer Geldstrafe ist für eine Legalprognose regelmäßig ohne Bedeutung, weil das Tatgericht, wenn es eine Geldstrafe verhängt, keine Einschätzung bezüglich der Legalprognose vornimmt, wie sie §§ 56, 56 f StGB bei Freiheitsstrafen verlangen. Aus der bloßen Verhängung einer Geldstrafe kann daher nicht auf eine vom Tatgericht gestellte günstige Legalprognose geschlossen werden (OLG Hamm NStZ - RR 2008, 25, 26). Im übrigen sollen Freiheitsstrafen unter sechs Monaten nur in Ausnahmefällen verhängt werden (§ 47 Abs. 1 StGB).

Die neuen Taten zeigen vielmehr, dass der Verurteilte trotz der bei einem Bewährungsversagen drohenden Vollstreckung einer hohen Freiheitsstrafe seine kriminelle Lebensführung nicht nachhaltig geändert hat und die Verhängung von Geldstrafen offensichtlich nicht ernst nimmt.

Die beiden Geldstrafen haben zusammengenommen und insbesondere in der Gesamtbewertung des Verhaltens des Beschwerdeführers ein ausreichendes Gewicht, um zu belegen, daß die Prognose, der Beschwerdeführer werde sich künftig auch ohne Einwirkung des Straffvollzuges straffrei führen, falsch war und der Korrektur bedarf.

Sein Verhalten in der Bewährungszeit bewegte sich häufig im Grenzbereich zur Kriminalität und es sind mehrere Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, die teilweise erst nach Anklageerhebung gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurden.

So soll er als Geschäftsführer der Firma --- Dienstleistungen am 14. und 19. Februar 2008, und damit während der laufenden Bewährungszeit, unter Vorspiegelung seiner Zahlungswilligkeit und -fähigkeit Büromaterialien im Wert von insgesamt rund 900 Euro bestellt haben. Dieses Verfahren ist nach Anklageerhebung durch Gerichtsbeschluß gem. § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick darauf eingestellt worden, daß er im November 2008 als Geschäftsführer der genannten Firma im Zusammenhang mit der Vermittlung von Leasingverträgen hochwertiger BMW-Fahrzeuge gewerbsmäßige Betrügereien und Urkundenfälschungen begangen haben soll.

Nach Verbüßung von nahezu sechs Monaten Untersuchungshaft ist er wegen dieser Taten am 7. Mai 2009 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Dennoch sind diese Betrugshandlungen im Rahmen der Widerrufsprüfung bei der Prognose zukünftigen straffreien Verhaltens zu berücksichtigen (vgl. BVerfG NStZ-RR 2005, 280, 281; OLG Frankfurt am Main, NStZ-RR 2005, 248; Senat, Beschluß vom 12. Mai 2009 - 2 Ws 176/09 -). Die betrügerischen Handlungen in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer dieses Unternehmens begannen bereits während der laufenden Bewährungszeit, und es ist nur einer zufälligen prozessualen Gestaltung geschuldet, daß sich der Hauptvorwurf auf die Taten konzentrierte, die er nach Ablauf der Bewährungszeit begangen hat, allerdings zu einem Zeitpunkt, als das Gericht ihm bereits mitgeteilt hatte, daß wegen anhängiger Ermittlungsverfahren über einen Straferlaß erst nach Abschluß der Ermittlungen entschieden werde solle.

Die Ignoranz des Verurteilten und die bedenkenlose Fortsetzung strafbarer Handlungen lassen auf erhebliche charakterliche Mängel schließen, die eher die Befürchtung begründen, er werde erneut straffällig werden, als dass die Annahme gerechtfertigt wäre, er werde sich in Zukunft straffrei führen.

2. Mildere Mittel als der Widerruf der Strafaussetzung reichen nicht aus. Sie wären nach der ständigen Rechtsprechung des Kammergerichts nur dann eine angemessene Reaktion auf das erneute Versagen, wenn objektiv eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür bestände, daß der Verurteilte nunmehr gleichwohl von Straftaten Abstand nehmen und Tatanreizen widerstehen werde (vgl. Senat, Beschlüsse vom 26. September 2007 - 2 Ws 415-416/07 -; 6. Juli 2005 - 5 Ws 353/05 - und 14. März 2002 - 5 Ws 122/02 - ). Die Annahme einer günstigen Prognose und die Fähigkeit zu straffreier Lebensführung muß sich auf Tatsachen stützen und darf nicht unterstellt werden.

Daran fehlt es hier. Der Verurteilte verfügt ausweislich der in den Verkehrsstrafsachen festgesetzten Tagessatzhöhen über geringe Einkünfte. Die im Strafbefehl vom 13. September 2006 festgesetzte Tagessatzhöhe von 50 Euro ist auf seinen Einspruch um die Hälfte ermäßigt worden, nachdem er glaubhaft machen konnte, nur über monatliche Nettoeinkünfte von 800 Euro zu verfügen.

Der vom Beschwerdeführer als Nachweis eines geregelten Arbeitsverhältnisses vorgelegte Vertrag mit der B.-------- GmbH, deren Sitz ------ --, --- Berlin, identisch ist mit dem Sitz des Unternehmens, als dessen Geschäftsführer er die gewerbsmäßigen Betrügereinen begangen haben soll, weist lediglich eine Bruttovergütung von 2000 Euro monatlich aus. Dieses Einkommen ermöglicht kaum die Finanzierung seiner im Dezember 2009 geplanten Hochzeit in einem Hotel der gehobenen Kategorie im Salzburger Land aus seinem eigenen Vermögen.

Sowohl der Arbeitsvertrag mit einem Arbeitgeber am Sitz des früheren Unternehmens als auch eine private Zukunftsplanung, die nicht seinen wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht, lassen Zweifel aufkommen, ob der Beschwerdeführer sich tatsächlich aus seinem alten Umfeld gelöst und die erlittene Untersuchungshaft ihn nachhaltig geprägt hat, wie er glauben machen will. Vielmehr zeichnet sich ein Mißverhältnis zwischen Arbeitseinkommen und Lebensstil ab, das geeignet ist, den Beschwerdeführer erneut in die Gefahr zu bringen, sich die finanziellen Mittel für die Befriedigung seiner Bedürfnisse durch strafbare Handlungen zu verschaffen.

3. Dem Widerruf der Strafaussetzung steht auch nicht entgegen, daß die Bewährungszeit bereits am 11. Mai 2008 abgelaufen war. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, daß ein Widerruf auch nach Ablauf der Bewährungszeit zulässig ist. Eine bestimmte Frist, innerhalb derer die Widerrufsentscheidung ergehen muß und nach deren Ablauf der Widerruf unzulässig wäre, gibt es nicht (vgl. Senat, Beschlüsse vom 23. Februar 2007 - 2 Ws 58/07 - , 23. Juni 2006 - 5 Ws 215/06 - und 9. November 2005 - 5 Ws 534/05 - ).

Ein Widerruf hat nur dann zu unterbleiben, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes des Verurteilten eine solche Entscheidung nicht mehr vertretbar ist (Senat, Beschlüsse vom 2. Mai 2006 - 5 Ws 235/06 - und 10. November 2005 - 5 Ws 539/05 -). Dabei ist nicht die Schnelligkeit, mit der die Strafaussetzung hätte widerrufen werden können, das maßgebliche Kriterium. Entscheidend ist vielmehr, ob die Verzögerung einen sachlichen Grund hatte oder ob das Verfahren ungebührlich verschleppt worden ist, so dass der Verurteilte nach den Umständen des Einzelfalles mit dem Widerruf nicht mehr rechnen mußte (vgl. Senat, Beschlüsse vom 23. Juni 2006 - 5 Ws 215/06 - und 10. November 2005 - 5 Ws 539/05 -).

Das Landgericht Berlin hat dem Verurteilten bereits am 19. August 2008 schriftlich mitgeteilt, daß vor einer Entscheidung über einen Straferlass der Abschluß der neuen Strafverfahren abgewartet werden soll. Er wurde erneut am 20. April 2009, als er i.a.S. in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Moabit einsaß, zu dem beabsichtigten Widerruf angehört und konnte somit zu keinem Zeitpunkt auf einen Straferlaß vertrauen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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