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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 16.02.2009
Aktenzeichen: 2 Ws 29/09
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO § 454
Ist die Darstellung der tatrichterlichen Feststellungen derart knapp geraten, daß über die Hintergründe und die Dynamik der Tat überhaupt nichts mitgeteilt wird, so ist es dem Sachverständigen nicht verwehrt, seine in der Exploration hiervon gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten im Gutachten mitzuteilen und seiner Prognose zugrundezulegen, soweit sie nicht in Widerspruch zu den Urteilsfeststellungen stehen. Die Zielrichtung ist nicht eine Ergänzung oder Nachbesserung des Urteils, sondern die zur Absicherung der Prognose gebotene, genauere Herausarbeitung der strafrechtlichen Delinquenz des Verurteilten im Kontext mit seiner damaligen Lebenssituation. Die Straftat wird dabei nicht um ihrer selbst Willen, sondern nur zum Zwecke einer besseren Einschätzung des Verurteilten näher hinterfragt.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 1 AR 31/09 - 2 Ws 29/09

In der Strafsache gegen

wegen Geldfälschung

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 16. Februar 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 22. Dezember 2008 aufgehoben.

Der Antrag des Verurteilten, die Vollstreckung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. Oktober 2005 zur Bewährung auszusetzen, wird abgelehnt.

Der Verurteilte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

I. Der Verurteilte verbüßt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen Geldfälschung aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 14. Oktober 2005. Zwei Drittel der Strafe waren bereits am 27. April 2008 verbüßt. Das Strafende ist auf den 28. April 2009 notiert. Wegen der Darstellung des bisherigen Verfahrensverlaufes und der wesentlichen prozessualen Ereignisse wird auf den Beschluß des Senats vom 17. September 2008 - 2 Ws 463/08 - Bezug genommen. Mit dem nunmehr von der Staatsanwaltschaft Berlin angefochtenen Beschluß vom 22. Dezember 2008 hat die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe ab dem 6. Januar 2009 zur Bewährung ausgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

II. Das Rechtsmittel ist begründet. Das Landgericht hat die vorzeitige Entlassung zu Unrecht bewilligt; denn dem Verurteilten kann unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit keine günstige Prognose (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) gestellt werden. Die Abwägung der nunmehr, nach erfolgter Begutachtung, für und gegen den Verurteilten sprechenden Umstände ergibt, daß es entgegen der ursprünglich als möglich erscheinenden Erwartung, die auch Veranlassung für die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens gab, an einer tragfähigen Grundlage für eine hinreichend günstige Legalprognose fehlt. Das Beschwerdevorbringen der Staatsanwaltschaft dringt insoweit mit zutreffenden Erwägungen durch.

1. Der Senat hat in seinem Beschluß vom 17. September 2008 deutlich gemacht, daß die zum damaligen Zeitpunkt fehlenden Erkenntnisse für die Legalprognose durch die Untersuchung eines Sachverständigen gewonnen werden können. Entgegen den Ausführungen der Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluß vom 22. Dezember 2008 hat das Gutachten des Sachverständigen Rockstroh zu einem maßgeblichen Zugewinn an Erkenntnis geführt.

Bei der Exploration des Verurteilten ist und bleibt der wesentliche Anknüpfungs- und Ausgangspunkt für den Sachverständigen die Straftat selbst.

Die Wiedergabe der Tathandlung im schriftlichen Urteil des Landgerichts beschränkt sich auf den Satz: "Verleitet durch seine verzweifelte soziale Lage ließ sich der Angeklagte Anfang des Jahres 2005 verleiten, sich von einem bisher nicht ermittelten J. R. S. in größerem Umfang falsche Geldnoten zu verschaffen, die auf Multifunktionskopierern hergestellt worden waren, und zwar 488.100,00 Euro sowie 64.300 US-Dollar, die er in den Wohnungen zweier Freundinnen lagerte, der inzwischen verstorbenen Zeugen L. und der Zeugin N., um die Scheine dann in den Zahlungsverkehr einführen zu können". In einem weiteren Satz werden noch Stückelung und Fälschungsklassen mitgeteilt. In den Strafzumessungserwägungen findet sich schließlich die Mitteilung, dass die Fälschungen teils eine schlechter Qualität aufwiesen, was erheblich strafmildernd berücksichtigt wurde.

Trotz dieser knappen Urteilsfeststellungen kann der Verurteilten im Rahmen der Prognoseentscheidung nicht lediglich als "tragische Randfigur" eines in Wirklichkeit nicht von ihm initiierten Geschehens betrachtet und dies dann zum Anlaß für einen abgeschwächten Prüfungsmaßstab genommen werden. Der Prüfungsmaßstab des § 57 Abs. 1 StGB ist hinsichtlich der Tatumstände nicht auf den Wortlaut der Feststellungen im Urteil begrenzt. Dies muß insbesondere dann gelten, wenn die Urteilsfeststellungen wie hier aufgrund einer Verständigung der Verfahrensbeteiligten über das Strafmaß für den Fall eines Geständnisses sehr kurz gehalten wurden. Die Strafvollstreckungskammer hat eine eigenverantwortliche, an den gesetzlichen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB orientierte Entscheidung zu treffen. Das Erfordernis einer günstigen Prognose kann durch eine Verständigung im Erkenntnisverfahren nicht beseitigt werden (vgl. OLG Köln StV 2008, 146). Zwar sind die Urteilsfeststellungen für den Sachverständigen und das Vollstreckungsgericht bindend. Es darf nicht von einem anderen Geschehensablauf ausgegangen werden. Das Vollstreckungsgericht darf nicht zu Beweisergebnissen gelangen, die denen des Tatrichters widersprechen, den Sachverhalt also urteilswidrig neu fassen. Eine so gewonnene Prognose wäre schon im Ansatz verfehlt. Auch versteht es sich von selbst, daß insbesondere die Urteilsfeststellungen eine maßgebliche Grundlage für die Gefährlichkeitsprognose bilden; sie sind für den Sachverständigen wie das Vollstreckungsgericht bindend (vgl. Senat ZfStrVO 1996, 247, 248; Beschlüsse vom 29. Januar 2002 - 5 Ws 801/01 - und vom 3. April 1998 - 5 Ws 180/98 - ).

Ist die Darstellung der tatrichterlichen Feststellungen aber derart knapp geraten, daß über die Hintergründe und die Dynamik (vgl. OLG Nürnberg StraFO 2002, 107 = StV 2003, 682) der Tat überhaupt nichts mitgeteilt wird, so ist es dem Sachverständigen nicht verwehrt, seine in der Exploration hiervon gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten im Gutachten mitzuteilen und seiner Prognose zugrundezulegen, soweit sie nicht in Widerspruch zu den Urteilsfeststellungen stehen. Die Zielrichtung ist nicht eine Ergänzung oder Nachbesserung des Urteils, sondern die zur Absicherung der Prognose gebotene, genauere Herausarbeitung der strafrechtlichen Delinquenz des Verurteilten im Kontext mit seiner damaligen Lebenssituation. Die Straftat wird dabei nicht um ihrer selbst Willen, sondern nur zum Zwecke einer besseren Einschätzung des Verurteilten näher hinterfragt.

Dies hat der Sachverständige beachtet, um zu einem umfassenden Bild von der Straftat und der Person des Verurteilten zu gelangen. Um seiner Aufgabenstellung gerecht zu werden, war er methodisch verpflichtet, ihn eingehend mit der Straftat zu konfrontieren sowie seine heutige Einstellung dazu zu erforschen. Der Sachverständige hatte den gesamten Akteninhalt auszuwerten (vgl. Kröber NStZ 1999, 593, 594, 595) und auch Umstände außerhalb der schriftlichen Urteilsgründe aufzudecken, die für die Prognose eine wichtige Rolle spielen können. Nach ersichtlich eingehender Exploration kommt er zu dem für den Senat nachvollziehbar und überzeugend begründeten Ergebnis, daß die in der Tat zutage getretene Gefährlichkeit des Verurteilten in Ermangelung einer Aufarbeitung der Straftat, welche im Hinblick auf seine zur Tat führenden Persönlichkeitseigenheiten und der ungesicherten Zukunft wichtig wäre, bislang nicht überwunden ist. Besondere Bedeutung kommt dabei der Feststellung des Sachverständigen zu, nach der sich die Tat eben gerade nicht als "situative Verführung bei Gelegenheit" darstellt. Straftaten im Bereich der Anlaßtat sind danach weiterhin zu erwarten, wobei die Angst des Verurteilten vor dem Risiko eines erneuten Gefängnisaufenthaltes eher zu einer Verfeinerung der Vorgehensweisen führen, nicht aber die Abkehr von delinquenten Verhaltensweisen begründen würde. Die noch auf der Grundlage der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Moabit vom 11. April 2008 vorgenommene, frühere Einschätzung des Senats bezüglich der gebotenen Auseinandersetzung des Verurteilten mit seinem strafbaren Verhalten hat sich nunmehr aufgrund zuverlässigerer Erkenntnisse nicht bestätigt.

Fehler bei der Ermittlung oder Gewichtung der Tatsachengrundlagen durch den Sachverständigen sind nicht erkennbar. Der Sachverständige wußte die von ihm zitierten, letztlich aber nicht durch das schriftliche Urteil gesicherten Ermittlungsergebnisse wie zum Beispiel die Vermerke des Landeskriminalamtes (Seite 5 des Gutachtens) durchaus von den Feststellungen im Urteil zu trennen. Ausweislich des Gutachtens (Seiten 30 ff.) konnte er letztlich auch ohne spezielleren Rückgriff auf die Ermittlungsakten durch die persönliche Befragung des Verurteilten dessen schuldverlagernde, vage Darstellungen offenlegen und entkräften. Der Verurteilte zeigt durch seine wiederholt abweichenden Einlassungen zum Tatgeschehen die für Straftäter nicht untypische Tendenz, unklare Sachverhalte vorzutragen, um sich dadurch Vorteile zu verschaffen (vgl. Senat, Beschluß vom 14. Juli 2004 - 5 Ws 366-367/04 -).

Daß sich das Ergebnis des schriftlichen Sachverständigengutachtens im Anhörungstermin vor der Strafvollstreckungskammer am 22. Dezember 2008 völlig anders darstellte und als nicht mehr haltbar erwiesen haben soll, vermag der Senat nicht zu erkennen.

2. Auch hält es der Senat nicht für zutreffend, die erhöhten Anforderungen an das Wahrscheinlichkeitsurteil nunmehr doch deswegen abzuschwächen, weil es sich um Falschgeld minderer Qualität handelte. Insoweit hatte die Strafvollstreckungskammer in ihrem früheren Beschluß vom 30. Juli 2008 zutreffend darauf hingewiesen, es auf die Qualität (des Falschgeldes) in Ermangelung einer Klärung, wo und unter welchen Umständen es verteilt werden sollte, nicht ankommt.

Bei Tätern, deren Persönlichkeit Bedenken erweckt, ob sie charakterlich gefestigt genug sind, ist die kritische Probe in Freiheit zu bestehen, erst dann zu verantworten, wenn die Rückfallgefahr aufgrund konkreter Anhaltspunkte als gering einzuschätzen ist (vgl. KG, Beschluß vom 18. Mai 2006 - 5 Ws 249-250/06 -). Ausschlaggebend ist, ob die Gründe, die sie zur Begehung der Tat veranlaßt haben, seien sie charakterlicher Art oder aber im sozialen Umfeld begründet, behoben sind (vgl. KG, Beschluß vom 22. September 2000 - 5 Ws 635-637/00 -) oder sich zumindest weitgehend abgeschwächt haben (vgl. KG, Beschluß vom 24. Januar 2002 - 5 Ws 39/02 -)

Deshalb ist zu verlangen, daß sich der Täter aktiv mit seinen Taten auseinandergesetzt und sich um die Erkenntnis bemüht hat, welche Charaktermängel zu seinem Versagen geführt haben. Die Auseinandersetzung mit der Tat gehört zu den dynamischen Risikofaktoren (vgl. Kröber, Handbuch der Forensischen Psychiatrie 2006, Band 3, Seite 87). Der Verurteilte muß mithin die Tat als Fehlverhalten verinnerlicht und sie sich in ihrer konkreten Bedeutung und ihren Folgen so bewußt gemacht haben, daß eine Wiederholung unwahrscheinlich ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 14. April 2008 - 2 Ws 161-163/08 -, 18. Mai 2006 - 5 Ws 249-250/06 -, 24. Januar 2002 - 5 Ws 39/02 - und vom 20. November 2001 - 5 Ws 692/01 -). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, nach der Verurteilte möglicherweise inzwischen guten Willens ist, charakterlich aber nicht gefestigt genug erscheint, um Straftatanreizen hinreichend sicher zu widerstehen, ist zuzustimmen.

Etwaige Zweifel gehen zu Lasten des Verurteilten (vgl. KG Beschlüsse vom 17. Juli 2008 - 2 Ws 300-301/08 -, 21. Mai 2008 - 2 Ws 201/08 - und vom 22. März 2002 - 5 Ws 14/02 -), da die positiven Umstände feststehen müssen und nicht lediglich unterstellt werden dürfen (vgl. KG, Beschluß vom 18. Februar 2008 - 2 Ws 42/08 -). Auf die Gründe, warum der Beschwerdeführer die für ihn günstigen Tatsachen nicht schaffen konnte, kommt es nicht an (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2005, 191-Ls; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2001, 311; std. Rspr. des Senats, vgl. Beschlüsse vom 18. Februar 2004 - 5 Ws 71/04 -, 24. Februar 1999 - 5 Ws 87/99 -).

3. Den positiven prognoserelevanten Umständen kann im Rahmen der Gesamtabwägung kein derart großes Gewicht beigemessen werden, daß sie die erheblichen Zweifel an der Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straffreiheit beseitigen würden. Der Senat verkennt nicht, daß der in der damaligen Hauptverhandlung geständige, zuvor nicht bestrafte und erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßende Verurteilte weiterhin durch keine nachteiligen Verhaltenweisen mehr aufgefallen ist. Auch das beanstandungsfreie Vollzugsverhalten ist grundsätzlich zu würdigen. Demgegenüber stellen sich die den Verurteilten nach der Entlassung erwartenden sozialen Verhältnisse nach weiterer Erforschung durch den Sachverständigen auch nicht mehr als besonders tragfähig dar. Eine ausreichend stabilisierende Wirkung durch einen sozialen Empfangsraum nach einer Entlassung ist nicht zu erwarten, seine zukünftigen Lebensverhältnisse erscheinen ungesichert.

Die Strafvollstreckung ist daher fortzusetzen.

4. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verurteilte zu tragen, weil sie zu den Verfahrenskosten gehören, die ihm nach § 465 StPO zur Last fallen. Von seinen notwendigen Auslagen wird er nicht entlastet (vgl. Senat, Beschluß vom 19. Mai 2004 - 5 Ws 201/04 -; Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 473 Rdn. 15).

Ende der Entscheidung

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