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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 05.09.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 408/08 Vollz
Rechtsgebiete: StPO, StVollzG


Vorschriften:

StPO § 107 S. 2
StVollzG § 84 Abs. 1 S. 1
1. Ein Strafgefangener hat keinen Anspruch auf Erteilung einer sog. Negativbescheinigung über eine ergebnislose Haftraumdurchsuchung.

2. § 107 Satz 2 StPO ist auf die Durchsuchung des Haftraums gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 StVollzG nicht entsprechend anwendbar.


KAMMERGERICHT

Beschluß

Geschäftsnummer: 2 Ws 408/08 Vollz

In der Strafvollzugssache

wegen Aushändigung einer Negativbescheinigung über eine Haftraumdurchsuchung

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 5. September 2008 beschlossen:

Tenor:

1. Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 18. Juni 2008 wird verworfen.

2. Der Gefangene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Der Gefangene verbüßt in der Justizvollzugsanstalt Tegel eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Am 3. April 2008 durchsuchten Vollzugsbedienstete seinen Haftraum, ohne etwas zu beanstanden und mitzunehmen. Nach der Durchsuchung bat der Antragsteller um Aushändigung eines Durchsuchungsprotokolls, was ihm verwehrt wurde. Ein Protokoll wurde angesichts der Tatsache, daß die Haftraumkontrolle beanstandungsfrei verlaufen war, auch nicht erstellt; dies entspricht der üblichen Verfahrensweise in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Gefertigt wurde hingegen die dienstliche Meldung eines Bediensteten folgenden Inhalts, die zur Gefangenpersonalakte genommen wurde:

"Am 03.04.2008, um 17.30 Uhr habe ich gemeinsam mit dem Bediensteten (...) auf Weisung der Zentrale II bei dem Inhaftierten D.S. (...) eine Haftraumkontrolle durchgeführt. Die Kontrolle verlief negativ".

Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung begehrte der Beschwerdeführer, den Leiter der Justizvollzugsanstalt zu verpflichten, ihm "das Revisionsprotokoll der Haftraumkontrolle vom 03.04.2008 auszuhändigen". Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, eine Aushändigung des begehrten Protokolls sei aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, weil ein solches nicht verfaßt wurde. Sofern der Gefangene den Nachweis führen wolle, daß an jenem Tage eine Haftraumkontrolle mit einem für ihn günstigen Ergebnis stattgefunden habe, könne er auf den Vermerk in der Gefangenenpersonalakte verweisen.

II.

Mit seiner Rechtsbeschwerde beanstandet der Gefangene pauschal das Verfahren und rügt er die Verletzung sachlichen Rechts.

1. Die Verfahrensrüge ist unzulässig, weil sie entgegen § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nicht ausgeführt ist.

2. Hinsichtlich der Sachrüge erfüllt die Rechtsbeschwerde die besonderen Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG; der Senat hält es für geboten, die Nachprüfung des angefochtenen Beschlusses zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen.

Die Frage, ob ein Gefangener nach einer ergebnislos verlaufenen Haftraumkontrolle gemäß § 84 Abs. 1 StVollzG - entsprechend der in § 107 Satz 2 2. Alt. StPO getroffenen Regelung - eine sog. Negativbescheinigung (zur Terminologie vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 107 Rdn. 3) beanspruchen kann, ist - soweit ersichtlich - von der obergerichtlichen Rechtsprechung noch nicht entschieden. Der Senat beantwortet sie dahin, daß der Gefangene eine solche Bescheinigung nicht mit Recht verlangen kann.

a) Eine entsprechende Anwendung des § 107 Satz 2 StPO aufgrund der allgemeinen Verweisungsvorschrift des § 120 StVollzG kommt entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht in Betracht. Die Verweisung in § 120 Abs. 1 StVollzG betrifft lediglich das Verfahren der (insbesondere gerichtlichen) Überprüfung von Vollzugsmaßnahmen (vgl. Schuler in Schwind/Böhm/ Jehle, StVollzG 4. Aufl., Rdn. 1; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 11. Aufl., Rdn. 1; beide zu § 120). Dies erhellt schon die systematische Stellung der Vorschrift in dem mit "Rechtsbehelfe" überschriebenen 14. Titel des Zweiten Abschnitts des Gesetzes. Die Verweisung beruht darauf, daß das Strafvollzugsgesetz - zur Vermeidung einer Überfrachtung (vgl. Kamann/Volckart in AK-StVollzG 5. Aufl., § 120 Rdn. 1) - kein eigenständiges und geschlossenes Verfahrensrecht kennt (vgl. Schuler; Calliess/Müller-Dietz, jeweils aaO.).

Materielle Normen der Strafprozeßordnung und deren Vorschriften über das Verfahren, die sich nicht auf die Überprüfung strafprozessualer Maßnahmen aufgrund eines Rechtsbehelfs beziehen, sind von der Verweisung somit nicht erfaßt. Demgemäß sind auch die das Verfahren bei Durchsuchungen betreffenden Vorschriften der Strafprozeßordnung auf Durchsuchungen im Strafvollzug nicht anwendbar (a.A. aber - ohne Begründung - Brühl/Feest in AK-StVollzG 5. Aufl., § 84 Rdn. 3 [nur] für die Aushändigung eines Verzeichnisses über dem Gefangenen "weggenommene" Gegenstände entsprechend § 107 Satz 2 StPO).

So ist obergerichtlich geklärt, daß der Strafgefangene grundsätzlich keinen Anspruch auf Anwesenheit bei einer Haftraumkontrolle hat (vgl. OLG Frankfurt GA 1979, 429 = MDR 1980, 80 [Ls.]; ZfStrVo 1982, 191; OLG Dresden BlStVKunde 1995, 10 = ZfStrVo 1995, 251 [Ls]; OLG Stuttgart NStZ 1984, 574; Senat, Beschluß vom 23. Mai 2003 - 5 Ws 99/03 Vollz - [NStZ 2004, 811 bei Matzke]; Ullenbruch in Schwind/Böhm/Jehle, StVollzG 4. Aufl., § 84 Rdn. 4; Callies/Müller-Dietz aaO., § 84 Rdn. 2; Arloth, StVollzG 2. Aufl., § 84 Rdn. 3). Eine entsprechende Anwendung des § 106 Absatz 1 Satz 1 StPO scheidet aus, weil der Gefangene nicht "Inhaber" seines Haftraums ist (vgl. OLGe Frankfurt und Stuttgart aaO.; Meyer-Goßner aaO., § 106 Rdn. 1; insoweit auch zustimmend und eine entsprechende Anwendung des § 106 StPO verneinend Brühl/Feest aaO.). Auf den verfassungsrechtlich verbürgten Schutz der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG kann ein Strafgefangener sich - entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers - nicht berufen, da es sich bei dem Haftraum nicht um eine "Wohnung" im Sinne des Grundgesetzes handelt (vgl. BVerfG NJW 1996, 2643 = NStZ 1996, 511; OLG Nürnberg ZfStrVo 1998, 53, 54). Vielmehr darf er diesen lediglich im Rahmen der Weisungen des Anstaltsleiters nutzen.

Aus dem fortbestehenden Hausrecht der Anstalt folgt die grundsätzliche Befugnis der Bediensteten, den Haftraum jederzeit und ohne Einverständnis des Gefangenen zu betreten und ohne konkreten Grund Routinedurchsuchungen vorzunehmen (vgl. OLG Nürnberg aaO.; Senat NStZ-RR 2005, 281 und Beschluß vom 21. Juni 2007 - 2 Ws 367/07 Vollz -). Ist der Gefangene anwesend, soll im Einzelfall auch sein Ausschluß von weiterer Anwesenheit angeordnet werden können (vgl. OLG Frankfurt ZfStrVo 1982, 191, 192). Ob, wann und wie oft die Hafträume durchsucht werden, ist grundsätzlich in das Ermessen der Vollzugsbehörde gestellt, das lediglich durch die Verpflichtung eingeschränkt wird, die Grundrechte der Gefangenen, das Übermaß - und Willkürverbot sowie die allgemeinen Vollzugsgrundsätze der §§ 2 - 4 StVollzG zu beachten (vgl. OLG Nürnberg aaO.; Senat aaO.; Calliess/Müller-Dietz aaO., § 84 Rdn. 3, 4; Arloth aaO., § 84 Rdn. 1 und 3).

b) Die Durchsuchung im Strafvollzug findet in § 84 StVollzG - eingebettet in die Regelungen über die Sicherheit und Ordnung in der Anstalt - eine auf den Besonderheiten des Vollzugs und der besonderen Rechtsstellung des Gefangenen (§ 4 Abs. 2 StVollzG) beruhende abschließende Regelung. Weil das Gesetz in § 84 StVollzG das Sicherungsbedürfnis der Anstalt in den Vordergrund rückt (vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1983, 191, 192 m.w.N.), ist die Durchsuchung im Strafvollzug im Gegensatz zu der stets auf einen konkreten Verdacht gegründeten strafprozessualen Zwangsmaßnahme eine allgemeine Sicherungs- und vollzugliche Alltagsmaßnahme (vgl. Arloth aaO., § 84 Rdn. 1). So findet die Durchsuchung eines Gefangenen zum Teil mehrfach am Tag statt, etwa beim Verlassen der Arbeitstätte, beim Ausrücken zur oder der Heimkehr von der Außenbeschäftigung, sowie nach dem Empfang von Besuch (vgl. Ullenbruch aaO., § 84 Rdn. 2). Es liegt auf der Hand, daß es sich mit dieser dem Gesetzeswillen entsprechenden Kontrolldichte, die die Anstaltssicherheit durch Durchsuchungen fördern soll (vgl. Arloth aaO.), nicht verträgt, die Vorschriften der Strafprozeßordnung über die Durchsuchung entsprechend anzuwenden. Dies gilt nicht nur für die Normen, die das Verfahren bei der Durchsuchung betreffen. Angesichts der grundlegend unterschiedlichen Sachlagen sind zudem die Anordnungsbefugnisse grundsätzlich anders geregelt; sie wurden im Gesetzgebungsverfahren zugunsten der Sicherheitsinteressen der Anstalt noch ausgeweitet (vgl. OLG Karlsruhe aaO.).

c) Auch trifft der Regelungszweck des § 107 StPO auf den Fall einer Durchsuchung nach § 84 StVollzG nicht zu. Dies wird deutlich in § 107 Satz 1 StPO. Diese Norm gewährt dem Betroffenen einer im Ermittlungs- oder Strafverfahren durchgeführten Durchsuchung wegen des regelmäßig potentiell diskriminierenden und meist überraschenden Charakters der Maßnahme ein Recht auf Information über deren Anlaß, Ziel und rechtliche Grundlage.

Ein vergleichbares Interesse liegt bei einem Strafgefangenen nicht vor. Dieser weiß, daß die Durchsuchung anlaßunabhängig vorgenommen werden kann und bedarf einer entsprechenden Information nicht. Daß ihm bei der Entfernung von Gegenständen aus dem Haftraum eine Bescheinigung auszuhändigen ist (vgl. OLG Zweibrücken NStZ 1990, 512; für die Beschlagnahme von Geld: Senat, Beschluß vom 16. Juli 2007 - 2 Ws 390/07 Vollz -), findet seine rechtliche Grundlage nicht in einer entsprechenden Anwendung von § 107 Satz 2 StPO. Mit der Entfernung der Sachen kommt ein Rechtsverhältnis der öffentlich-rechtlichen Verwahrung zustande (vgl. OLG Brandenburg NJW 2001, 3351); aus diesem folgt eine (Neben-) Pflicht zur Bescheinigung über die Entnahme von Sachen aus dem Haftraum.

Eine entsprechende Pflicht für den Fall einer ergebnislosen Durchsuchung besteht nicht. Die vorliegend vorgenommene Dokumentation der Durchsuchung und ihres für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnisses, die Eingang in die Gefangenenpersonalakte gefunden hat, genügt sowohl den Interessen der Vollzugsbehörde (vgl. hierzu Arloth aaO., § 84 Rdn. 3 a.E., der die Dokumentation in einem Haftraumkontrollbuch vorschlägt), als auch jenen des Gefangenen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG, § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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