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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 06.02.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 42/07 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG, GVG


Vorschriften:

StVollzG § 11 Abs. 2
StVollzG § 109 Abs. 1
StVollzG § 115
StVollzG § 116 Abs. 1
StVollzG § 118 Abs. 2 Satz 2
GVG § 121 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 2 Ws 42/07 Vollz

In der Strafvollzugssache

wegen Ausgangs

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 6. Februar 2007 beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 12. Dezember 2006 wird als unzulässig verworfen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Der Antragsteller verbüßt eine Gesamtfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Als Strafende ist der 23. Juli 2007 vermerkt. Am 27. Oktober 2006 wandte er sich an die Vollzugsbehörde mit dem Begehren, sich bei dem Geschäftsführer der "A... GmbH" wegen eines ihm als "Fahrer für Botenwege" angebotenen Arbeitsplatzes vorzustellen.

Dieser Antrag hat u.a. folgenden Wortlaut:

Sehr geehrte Frau G...! In der Anlage habe ich ein Schreiben der Firma A... beigefügt. Die wirtschaftliche Situation meiner Familie ist extrem verschlechtert, da meine Töchter nicht mehr in den Kindergarten gehen dürfen, Ihnen liegt die Angelegenheit - Kostenübernahme - vor.

Um meine Familie endlich zu unterstützen, würde ich notfalls auch in Berlin arbeiten, obwohl mir die Stadt nicht gefällt. Prüfen Sie bitte die Möglichkeiten, mich bei der Firma vorstellen zu können, und geben Sie mir bitte Bescheid. ..."

Nachdem die Anstalt diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt hatte, die Möglichkeit der Arbeitsaufnahme im Wege des Freigangs sei in der Justizvollzugsanstalt Tegel (mit Ausnahme der Sozialtherapeutischen Anstalt, in der sich der Antragsteller nicht befindet), nicht gegeben, die ins Auge gefaßte Arbeitsaufnahme mithin nicht durchführbar, trug der Gefangene auf die gerichtliche Entscheidung an (§ 109 Abs. 1 StVollzG), die Justizvollzugsanstalt Tegel zur Gewährung eines Ausgangs, hilfsweise einer Ausführung zu verpflichten. Die Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit sei - vor allem mit Blick auf die Sorge für seine Familie - besonders wichtig.

Mit dem angefochtenen Beschluß vom 12. Dezember 2006 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag abgelehnt. Gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG dürften Lockerungen nur gewährt werden, wenn der Gefangene nicht Grund zur Annahme der Flucht- oder Mißbrauchsgefahr gebe. Seien diese Minimalanforderungen erfüllt, so habe der Gefangene gleichwohl kein Recht auf die Gewährung der Lockerung; sondern der Anstalt stehe ein Ermessen zu. Die Entscheidung der Anstalt sei gemäß § 115 StVollzG (zu ergänzen ist: Abs. 5) nur auf Ermessensfehler hin überprüfbar, ob diese von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen sei. Im übrigen habe der Gefangene die Lockerung zur Vorbereitung seiner Entlassung beantragt; diese sei aber erst zum 23. Juli 2007 vorgesehen, der Antrag mithin verfrüht.

Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Gefangene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Auch das rechtliche Gehör sei ihm nicht ausreichend gewährt worden, weil die Strafvollstreckungskammer auf seine Argumente nicht eingegangen sei. Sie habe in der textbausteinartig aufgebauten Entscheidung Fluchtgefahr angenommen, obwohl die Vollzugsbehörde ihre Entschließung darauf nicht gestützt habe und diese Gefahr auch nicht vorliege. Die Entscheidung sei insoweit nicht nachvollziehbar. Im Vollzugplan werde die Zulassung zu Lockerungen befürwortet. Die Übernahme in den offenen Vollzug oder auch die Prüfung der vorzeitigen Entlassung würden auch danach beurteilt, ob der Gefangene eine Arbeit habe.

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig, weil sie die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG nicht erfüllt. Mit der Verfahrensrüge ist sie zudem auch deshalb unzulässig, weil diese entgegen § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nicht ausgeführt ist.

1. Zur Fortbildung des Rechts wäre sie zulässig, wenn der Einzelfall Anlaß gäbe, bei der Auslegung von Rechtssätzen und der rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken Leitsätze aufzustellen und zu festigen (vgl. BGHSt 24, 15, 21; Hans OLG Bremen ZfStrVO 1991, 309; Senat, Beschluß vom 26. Januar 2007 - 2/5 Ws 702/06 Vollz -; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 116 Rdn. 2; Arloth/Lückemann, StVollzG, § 116 Rdn. 3, jew. mit weit. Nachw.). Das Rechtsbeschwerdegericht soll die Möglichkeit haben, seine Rechtsauffassung in einer für die nachgeordneten Gerichte richtunggebenden Weise zum Ausdruck zu bringen oder durch die Vorlage nach § 121 Abs. 2 GVG an den Bundesgerichtshof dessen Grundsatzentscheidung herbeizuführen. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, daß die in Rede stehende Rechtsfrage von praktischer Bedeutung, entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist, also offen, zweifelhaft oder bestritten (vgl. OLG Düsseldorf VRS 85, 373, 374 mit weit. Nachw.). Derartige klärungsbedürftige Rechtsfragen deckt die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht auf.

2. Zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist eine Rechtsbeschwerde zulässig, wenn vermieden werden soll, daß schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im ganzen hat (vgl. BGH aaO; Seitz in Göhler, OWiG 14. Aufl., § 80 Rdn. 3). Im Streitfall ist die Einheitlichkeit nicht gefährdet.

a) Die Annahme der Rechtsbeschwerde, die Strafvollstreckungskammer habe grundlos Fluchtgefahr bejaht, trifft nicht zu. Das Landgericht hat ausgeführt, daß das Fehlen von Flucht- oder Mißbrauchsgefahr zu den Minimalanforderungen der Gewährung einer Lockerung zähle. Wenn diese Anforderungen erfüllt seien, habe der Gefangene aber noch keinen Anspruch auf die Lockerung. Darin liegt keine Bejahung der Fluchtgefahr. Das zeigt sich auch darin, daß die Strafvollstreckungskammer auf den Vollzugsplan verwiesen hat, in dem die Flucht- und Mißbrauchsgefahr als "vertretbar gering" beurteilt werden.

b) Nach diesen allgemein gehaltenen Ausführungen, die der Beschwerdeführer wohl mit der Bezeichnung "textbausteinartig" gemeint hat, folgt die Überlegung der Kammer, die Anstalt habe ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt, weil sie auf den zu diesem Zeitpunkt erst zwei Monate alten Vollzugsplan verwiesen habe. Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, daß diese Begründung zu allgemein ist, um zu überzeugen. Denn im Vollzugsplan werden Lockerungen - wenn auch mit vorsichtigen Formulierungen - befürwortet. Die Anstalt hatte den Antrag des Gefangenen auch nicht wegen der Festlegungen im Vollzugsplan abgelehnt, sondern "unter Bezugnahme" auf ihn deswegen, weil es in der Justizvollzugsanstalt Tegel keine Möglichkeit zur Aufnahme einer Tätigkeit als Freigänger gebe. Damit hat sich die Strafvollstreckungskammer nicht befaßt.

Dieser Mangel ist ein Fehler im Einzelfall, der die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht begründet (vgl. KG, Beschluß vom 31. Mai 1999 - 5 Ws 244/99 Vollz -; Seitz in Göhler, § 80 OWiG Rdn. 5).

c) Er hat sich im Ergebnis auch nicht entscheidend ausgewirkt. Denn der Beschwerdeführer ist der tragenden Begründung der Anstalt für deren Ablehnung, nämlich der Behauptung, aus der Justizvollzugsanstalt Tegel heraus sei eine Freigängertätigkeit nicht möglich (und der Ausgang oder die Ausführung deshalb überflüssig), weder im Tatsächlichen entgegengetreten, noch hat er sie im Rechtlichen in Frage gestellt.

Vielmehr hat er sein Begehren in seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit einer Überlegung weiterverfolgt, die in dem Schreiben vom 27. Oktober 2006 nicht anklingt, nämlich damit, daß er sich angesichts seines nur noch geringen Strafrests bei dem Unternehmen zur Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit vorstellen wolle. Seine Verlegung in eine Anstalt, aus der heraus er als Freigänger arbeiten könnte, hat er - jedenfalls in diesem Verfahren - nicht beantragt, sondern sie erstmals in seiner Antwort auf die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 27. November 2006 - in Frageform - als Argument herangezogen. Erst zu diesem Zeitpunkt hat er vorgetragen, es sei "nirgends begründet", warum für ihn keine "Vorstellungsgespräche, offener Vollzug oder andere Vorbereitungen" auf die Entlassung in Frage kämen. Ferner ist er auch zu keinem Zeitpunkt der Auslegung seines Antrages vom 27. Oktober 2006 durch die Vollzugsbehörde entgegengetreten, die Vorstellung bei dem potentiellen Arbeitgeber diene der Aufnahme einer Tätigkeit im Freigang.

Erst in der Rechtsbeschwerde schließlich hat er gerügt, daß die Arbeit die Chancen auf die Übernahme in den offenen Vollzug und die Prüfung der vorzeitigen Entlassung unterstützen solle. Die Anstalt habe es bislang versäumt, die Vollzugsplanfortschreibung umzusetzen.

d) Damit hat er ein Begehren zum Streitgegenstand gemacht, mit dem er sich zuvor nicht an die Anstalt gewandt hatte. In der Rechtsbeschwerde hat er es schließlich erneut verändert, indem er die Umsetzung der Vollzugsplanfortschreibung eingefordert hat. Das hätte dazu führen müssen, daß die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Beschwerdeführers nach § 109 Abs. 1 StVollzG als unzulässig verwirft Denn ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nur zulässig, wenn sich der Gefangene mit demselben Streitgegenstand zuvor an die Vollzugsbehörde gewandt hatte (vgl. KG ZfStrVO 1998, 374; Beschluß vom 3. April 2001 - 5 Ws 131/01 Vollz -).

Der Streitgegenstand wird nach dem im Vollzugsverfahren geltenden Verfügungsgrundsatz inhaltlich durch das Begehren um Rechtsschutz bestimmt und begrenzt. Es nimmt zunächst in dem an die Vollzugsbehörde gerichteten Anliegen Gestalt an, über das diese aufgrund des von dem Gefangenen an sie herangetragenen konkreten Sachverhalts entscheidet. Das war hier das Begehren, mittels eines Ausgangs oder einer Ausführung einen potentiellen Arbeitgeber aufsuchen zu dürfen, bei dem der Beschwerdeführer zur Abwendung der wirtschaftlichen Not seiner Familie zeitnah - also im Wege des Freigangs - arbeiten wollte. Diesen Antrag hat die Vollzugsbehörde mit einer auf die von dem Gefangenen vorgetragenen Tatsachen und Absichten bezogenen Begründung abgelehnt. Über eine Lockerung zum Zweck der vorsorglichen Arbeitssuche zum Ende des Vollzugs hat sie nicht entschieden, weil ihr ein solcher Antrag nicht vorlag, und auch im Laufe des gerichtlichen Verfahrens (vgl. KG, Beschluß vom 17. März 2005 - 5 Ws 22/05 Vollz -; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 109 Rdn. 5) nicht Stellung genommen.

Ebenso wie die Strafvollstreckungskammer nicht über das ihr vorgelegte, durch die Formulierung und die verständige Auslegung der bestimmenden Anträge (vgl. OLG Koblenz ZfStrVO 1993, 377) definierte konkrete Begehren des Gefangenen hinausgehen darf (vgl. OLG Frankfurt am Main ZfStrVO 2003, 300), ist ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 109 Abs. 1 StVollzG nicht zulässig, wenn das Begehren eine andere rechtliche Zielrichtung annimmt als dasjenige, das die Vollzugsbehörde abgelehnt hatte. Das muß auch dann gelten, wenn der Kern des Antrags (hier: Ausgang oder Ausführung zu einem potentiellen Arbeitgeber) identisch bleibt, sich seine tatsächliche Grundlage aber entscheidungserheblich verändert.

3. Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht aus dem Gesichtspunkt zulässig, daß mit der angefochtenen Entscheidung dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör versagt worden wäre (vgl. OLG Frankfurt am Main ZfStrVO 1979, 60; Senat NStZ-RR 2005, 356 = ZfStrVO 2005, 305; NStZ-RR 2002, 383; Beschlüsse vom 2. März 2006 - 5 Ws 91/06 Vollz -; 8. Juli 2005 - 5 Ws 309/05 Vollz -; 13. Februar 2002 - 5 Ws 93/02 Vollz -; 14. Dezember 2001 - 5 Ws 779/01 Vollz - und 4. Juli 2001 - 5 Ws 346-347/01 Vollz -; Calliess/Müller-Dietz, § 116 Rdn. 3 StVollzG; Kamann/Volckart, StVollzG 5. Aufl., § 116 Rdn. 11 mit weit. Nachw.). Denn nach dem Vorhergesagten kam es auf die Ausführungen des Antragstellers, auf die das Landgericht nicht eingegangen ist, nicht an. Tatsachen, zu denen der Beschwerdeführer nicht gehört worden wäre, hat die Strafvollstreckungskammer ihrer Entscheidung ebenfalls nicht zugrundegelegt

4. Der Senat merkt an, daß ihm durch die Befassung mit dem - den Beschwerdeführer betreffenden - Verfahren - 2 Ws 82/07 Vollz - folgendes bekannt geworden ist. Der Antragsteller hat sich am 1. November 2006, also nur fünf Tage nach seinem Antrag auf Ausgang oder Ausführung zur Vorstellung bei einem potentiellen Arbeitgeber, in einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die vorzeitige Überweisung von Überbrückungsgeld zu seiner Arbeitsfähigkeit wie folgt in einer Weise geäußert, die dem hiesigen Begehren jedenfalls dann inhaltlich diametral widerspräche, wenn er nicht seiner Verärgerung übertriebenen Ausdruck verleihen wollte, sondern wenn die mitgeteilten Tatsachen zuträfen:

"Das verwerfliche Unterschlagen und Untreuehandlungen der TAL geben mir im übrigen so schwere psychische Schäden auf, daß ich hier - als auch auf längere Sicht arbeitsunfähig bin. Ob ich durch die widerwärtige und ekelerregende Behandlung im Vollzug durch Typen wie den stellv. TAL der Ta VI überhaupt jemals wieder soweit hergestellt werden kann, das ich arbeitsfähig bin, oder ob dessen Machtmißbrauch zu dauernder Arbeitsunfähigkeit geführt hat, ist ggf. in einem Amtshaftungsverfahren zu prüfen."

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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