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Beginn der Entscheidung

Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 29.02.2008
Aktenzeichen: 2 Ws 529/07 Vollz
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 18
StVollzG § 201 Nr. 3 Satz 1
Zur auch nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11. Oktober 2005 - 5 ARs Vollz 54/05 - (BGHSt 50, 234) fortdauernden Problematik der Rechtmäßigkeit der Doppelbelegung von Hafträumen in nach 1977 errichteten Gebäuden in vor 1977 vorhandenen Vollzugsanstalten.
KAMMERGERICHT Beschluß

Geschäftsnummer: 2 Ws 529/07 Vollz

In der Strafvollzugssache

wegen Doppelbelegung

hat der 2. (ehemals 5.) Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 29. Februar 2008 beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Gefangenen gegen den Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 28. Juni 2007 wird als unzulässig verworfen.

Die Gewährung von Prozeßkostenhilfe für das Rechtsmittel wird abgelehnt.

Der Gefangene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

Der Antragsteller verbüßt bis voraussichtlich zum 19. Mai 2008 eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Tegel, einer vor 1977 eröffneten Anstalt. Er ist seit dem 20. Februar 2006 im behandlungsorientierten Wohngruppenvollzug in der Teilanstalt (TA) VI, einem nach 1977 errichteten Gebäude, untergebracht, wo ihm entsprechend dem Beschluß des Senats vom 10. Dezember 1997 - 5 Ws 327/97 Vollz - (NStZ-RR 1998, 191) ein Einzelhaftraum zugewiesen ist. Dieser Raum verfügt über eine Grundfläche von 10,19 m2, über einen Luftinhalt von 25,58 m3 und einen abgetrennten Naßbereich. Am 11. Oktober 2005 entschied der Bundesgerichtshof - 5 ARs Vollz 54/05 - in einem von dem OLG Naumburg ausgelösten, den Fall des Umbaus eines Hafthauses in einer seit vor 1977 bestehenden Vollzugsanstalt betreffenden Vorlageverfahren (vgl. BGHSt 50, 234 = NJW 2006, 306 = NStZ 2006, 57 = StV 2006, 148):

"Bei der Entscheidung über einen Anspruch auf Einzelunterbringung während der Ruhezeit (§ 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) in einem nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes umgebauten Einzelbauwerk einer aus mehreren Bauwerken bestehenden - vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes erbauten - Justizvollzugsanstalt ist auf den Gesamtzustand der Justizvollzugsanstalt abzustellen mit der Folge, dass § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG auf die gesamte Justizvollzugsanstalt weiter anzuwenden ist."

Daraufhin informierte ein maßgeblicher Vollzugsmitarbeiter die Gefangenen dieser Teilanstalt, darunter den Antragsteller, in einer Vollversammlung am 8.Februar 2007, daß ihre Hafträume aufgrund der Überbelegung der gesamten Anstalt voraussichtlich doppelt belegt werden würden. Für den Fall, daß sie mit der Doppelbelegung nicht einverstanden seien, werde die Anstalt dafür Sorge tragen, ihnen einen Einzelhaftraum in der TA II zu vermitteln.

Der Gefangene beantragte (§ 109 Abs. 1 StVollzG) mit Schreiben vom 8. Februar 2007 - bei Gericht eingegangen am 13. Februar 2007 - im Wege der vorsorglichen Unterlassungsklage die Fortführung seiner Unterbringung in einem Einzelhaftraum der TA VI.

Die Einzelbelegung stelle einen ihn begünstigenden Verwaltungsakt dar, den die Vollzugsbehörde nur unter den Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG bzw. § 14 Abs. 2 StVollzG widerrufen dürfe, die hier nicht vorlägen. Gemäß § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG stehe ihm eine Einzelunterbringung zu. Die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG fehlten. Die Justizvollzugsanstalt Tegel sei seit etwa zehn Jahren überbelegt. Eine aus jahrelangen organisatorischen Defiziten verursachte Überbelegung sei kein vorübergehender Grund im Sinne des § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG und rechtfertige keinen so erheblichen Eingriff in seine Resozialisierung.

Die Überbelegung verstoße gegen § 146 StVollzG. Die resozialisierenden Behandlungsmaßnahmen im Wohngruppenvollzug ließen sich in Doppelbelegung nicht sachgerecht ausführen. Es handele sich um einen die Menschenwürde tangierenden Verlust der Intim- und Privatsphäre. Auch der BGH habe bei einem Haftraum, dessen Bodenfläche 12 m2 unterschreite, Bedenken geäußert. Die bei einer Doppelbelegung noch verbleibende Bodenfläche sei für zwei Gefangene zu klein. Sie betrage nach Abzug der Naßzelle nur etwa 4 m2.

Die Vollzugbehörde ist dem entgegengetreten. Sie hat zunächst den Aufbau der TA VI in 12 Stationen geschildert und den vorgetragenen Sachverhalt bestätigt. Sie sei sich über den Grundsatz der Einzelunterbringung (§ 18 StVollzG) und deren Zweck im Klaren. Unter Berufung auf den vorbezeichneten Beschluß des Bundesgerichtshofs hat sie ihre Maßnahme damit verteidigt, daß die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies wegen der gestiegenen Gefangenenzahlen erforderten und ihre Auffassung näher mit Zahlenmaterial belegt. Für die erforderliche Ruhephase, während der der Antragsteller mit sich alleine sein müsse, gebe es großzügige Aufschlußzeiten, welche die Gefangenen durch Absprachen miteinander gestalten könnten.

Die Strafvollstreckungskammer hat die Anträge mit dem angefochtenen Beschluß vom 28. Juni 2007 zurückgewiesen. Die Vollzugsbehörde berufe sich zu Recht auf § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG. Seine bisherige Einzelunterbringung erfahre durch die beabsichtigte Doppelbelegung nur eine vorübergehende Einschränkung. Größe und Ausstattung des Haftraums seien auch nicht menschenunwürdig, weil der Haftraum eine abgetrennte Naßzelle besitze.

Ob sich die Grundsätze über den Widerruf einer begünstigenden Verwaltungsakts anwenden ließen, sei zweifelhaft, weil der Antragsteller im Wohngruppenvollzug verbleiben solle und ihm nur für den Fall, daß er die Doppelbelegung nicht wünsche, anheim gestellt worden sei, sich dann in einen Einzelhaftraum in einer anderen TA einweisen zu lassen. Jedenfalls begründe die von der Justizvollzugsanstalt Tegel dargelegte Überbelegung ein öffentliches Interesse im Sinne des § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG.

Gegen diesen Beschluß hat der Gefangene die Rechtsbeschwerde erhoben und die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet. Die Strafvollstreckungskammer habe § 201 Nr. 3 und § 18 Abs. 2 StVollzG nicht rechtsfehlerfrei angewendet. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens verweist der Senat auf den protokollierten Inhalt des Rechtsmittels. Ferner hat der Gefangene für diesen Rechtszug Prozeßkostenhilfe beantragt.

I.

Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.

1. Zulässig war allerdings der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 109 Abs. 1 StVollzG), was der Senat von Amts wegen zu überprüfen hatte (vgl. OLG Celle NStZ 1989, 295; OLG Stuttgart NStZ 1986, 480; Kamann/Volckart in AK-StVollzG 5. Aufl., § 116 Rdn. 4), weil das eine Verfahrensvoraussetzung ist. Fehlte sie, wären die Rechtsbeschwerde und der Antrag des ehemaligen Gefangenen als unzulässig zurückzuweisen, ohne daß es auf die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG noch ankäme (vgl. OLG Stuttgart aaO).

Diese Prüfung ergibt, daß der Gefangene, wie die Strafvollstreckungskammer zutreffend erkannt hat, einen als vorbeugende Unterlassungsklage zulässigen Antrag gestellt hat (vgl. Senat NStZ-RR 2003, 125). Durch die allen Gefangenen der TA VI gegenüber geäußerte Ankündigung der Vollzugsbehörde, die Hafträume würden demnächst doppelt belegt und sie sollten sich einen Partner suchen, anderenfalls sie bei der Suche einer Einzelzelle in einer anderen Teilanstalt unterstützt würden, drohte für den Fall, daß die Rechtsansicht des Gefangenen zuträfe, konkret eine rechtwidrige Unterbringung.

Allgemein gehört zur Zulässigkeit - wie bei der Verpflichtungsklage (vgl. OLG Frankfurt am Main NJW 2003, 2843, 2844 Leitsatz 2 = NStZ 2003, 622 -Ls) -, daß sich der Gefangene zuvor mit seinem Begehren an die Anstalt gewendet hat, (vgl. Senat, Beschluß vom 14. März 2007 - 2/5 Ws 325/05 Vollz - sowie zur Untersuchungshaft: KG, Beschlüsse vom 24. Mai 2006 - 4 VAs 78/05 -; 25. Mai 2005 - 4 VAs 16/05 - und 21. Mai 2003 - 4 VAs 17/03 -). Das läßt sich seinem Vorbringen zwar nicht entnehmen, ist im Streitfall aber auch entbehrlich. Denn zum einen hat die Anstalt ihre Vorgehensweise gegenüber allen Gefangenen der TA VI von einem kompetenten Mitarbeiter ankündigen lassen, und zum anderen hat sie sie im Laufe des Verfahrens nicht nur nicht aufgegeben, sondern als rechtmäßig und zur Durchführung vorgesehen verteidigt.

Das Rechtsmittel ist aber unzulässig, weil es nicht die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG erfüllt. Es ist nicht geboten, daß der Senat zu einer Rechtsfrage des Strafvollzugsrechts ein klärendes Wort spricht. Im Streitfall ist es ihm sogar verwehrt.

2. Die formelle Rüge (nur Nr. 5 der Rechtsbeschwerde - denn alles andere sind erläuternde Ausführungen zur Sachrüge) ist entgegen § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG nicht ausreichend ausgeführt und daher unzulässig. Zu einer zulässigen Rüge, die Strafvollstreckungskammer habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, gehört neben der Angabe des Beweisthemas und seines voraussichtlichen Ergebnisses auch die Benennung eines Beweismittels und die Begründung, warum sich dem Gericht die Aufklärung hätte aufdrängen sollen. Beides fehlt.

3. Im Ergebnis erfolglos beanstandet der Gefangene, daß die Strafvollstreckungskammer die Übergangsvorschrift des § 201 Nr. 3 StVollzG unrichtig angewendet habe. Denn sie hat die Auslegung übernommen, die der Bundesgerichtshof dieser Vorschrift gegeben hat (vgl. BGHSt 50, 234 = NJW 2006, 306 = NStZ 2006, 57 = StV 2006, 148). Der Gefangene kann sich nicht mehr zu Recht auf die Entscheidungen des Senats (Beschluß vom 10. Dezember 1997 - 5 Ws 327/97 Vollz - NStZ-RR 1998, 191) und des Landgerichts Halle (StV 2005, 342) berufen. Der Senat ist deshalb gezwungen, das Rechtsmittel des Gefangenen zu verwerfen.

a) Zwar teilt der Senat auch nach Überprüfung seines damaligen Beschlusses die Auffassung des BGH nicht. Seine Rechtsüberzeugung, daß die Doppelbelegung in Gebäuden, die nach 1977 errichtet worden sind, rechtswidrig ist, behält er bei. Sie hatte im Schrifttum fast einhellig Zustimmung gefunden (vgl. Calliess/ Müller-Dietz, StVollzG 10. Aufl., § 18 Rdn. 4; § 201 Rdn. 4; Schwind/ Böhm/ Jehle, StVollzG 4. Aufl., § 201 Rdn. 2; Kellermann/ Kähne, AK-StVollzG 5. Aufl., § 18 Rdn. 4 - sogar mit dem Hinweis "a.A. BGH 11.10.2005 - 5 ARs (Vollz) 54/05"). Letzterer hat hinzugefügt, es wäre wünschenswert, wenn es dazu "nicht wieder erst einer Entscheidung des BVerfG" bedürfte. Auch Arloth/ Lückemann, StVollzG, § 201 Rdn. 1 haben in dem von dem Senat entschiedenen Fall des Neubaus auf dem Gelände einer "alten" Anstalt die Doppelbelegung für rechtswidrig erachtet, und nur zu dem vom BGH zu entscheidenden Fall der grundlegenden Sanierung eines Altbaus differenzierend die Ansicht vertreten, daß die Übergangsvorschrift dort anwendbar sei. Dem Senat widersprochen hat nur F..., der Leiter der Jugendstrafanstalt Berlin (NJ 2005, 469).

aa) Der Wortlaut des § 201 Nr. 3 StVollzG legt die Anknüpfung an den Anstaltsbegriff zwar nahe. Diese Auslegungsmöglichkeit widerspricht aber dem Gesamtzusammenhang, in den sie eingebunden ist, nämlich dem vom Gesetzgeber als zwingende Vorschrift (vgl. Arloth/ Lückemann, § 18 StVollzG Rdn. 2) ausgestalteten Grundsatz der Einzelunterbringung in § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG (vgl. zu den vergeblichen Bestrebungen einzelner Bundesländer, dieses Prinzip in eine Sollvorschrift umzugestalten: BR-Drs. 123/03). Die zwangsweise gemeinschaftliche Unterbringung von Gefangenen während der Ruhezeit ist mit den Vollzugsgestaltungsgrundsätzen des § 3 StVollzG und dem Vollzugsziel des § 2 StVollzG nur schwer in Einklang zu bringen (vgl. Kellermann/ Köhne in AK, § 18 StVollzG Rdn. 3), was auch die Rechtsbeschwerde zu Recht beanstandet. Die personale Würde ist um ein Vielfaches eher einer Gefahr ausgesetzt, wenn sich der Gefangene aufgrund der Überbelegung in einem gemeinsamen Haftraum der erzwungenen Nähe anderer Personen ausgesetzt sieht, als wenn er in einer zu kleinen Einzelzelle lebt. Denn sich gegen den Willen der Mitgefangenen zu entfalten und auch rein körperlich "aneinander vorbei" zu kommen, begrenzt ihn in seiner personalen Identität mehr als die geringe Bodenfläche in der Einsamkeit (vgl. Senat StraFO 2007, 521 und zu den der Resozialisierung abträglichen und nicht dem Verschulden des Gefangenen zuzuschreibenden Folgen: Senat NStZ 2007, 762).

bb) Die Auslegung der Übergangsvorschrift muß sich daran orientieren, daß der Gesetzgeber durch sie in Form einer gesetzlichen Aufforderung an die Exekutive (anders § 199 StVollzG: Vorbehalt des Tätigwerdens der Legislative) einen geordneten, den Bundesländern finanziell zumutbaren Wechsel mit dem Ziel gestaltet hat, den angestrebten gesetzlichen Normalzustand nach und nach herzustellen und die Übergangsvorschrift auf diese Weise überflüssig zu machen. Sie ist wie ein Zeitgesetz ohne feste Befristung auf die schrittweise Beseitigung sozial unerwünschter Verhältnisse und damit in ihrer Konsequenz auf die Herbeiführung ihrer eigenen Entbehrlichkeit hin angelegt (vgl. zum Recht der Herstellung eines ausgeglichenen Wohnungsmarkts durch das Verbot der Zweckentfremdung: Senat GE 1999, 983 und Beschluß vom 20. Oktober 1999 - 5 Ws (B) 565/99 - juris).

cc) Diese Entwicklung wird nicht durch die Eröffnung neuer Anstalten im Sinne neuer Verwaltungseinheiten erreicht, sondern durch Neu- und Umbau. Was als "eine Anstalt" zählt, läßt sich - ohne daß gesetzliche Regeln einer Manipulation entgegenstünden - beliebig durch die verwaltungsmäßige Zusammenlegung von an verschiedenen Standorten gelegenen Hafthäusern oder die Trennung von auf demselben Gelände gelegenen Häusern in verschiedene Anstalten steuern. So befinden sich in Berlin die "Justizvollzugsanstalt für Frauen" an vier verschiedenen (in der Vergangenheit sogar durch mehrfache Umzüge zwischen Alt- und Neubauten komplett wechselnden), die Justizvollzugsanstalt Hakenfelde an zwei (durch die geplante organisatorische Zusammenlegung mit der Justizvollzugsanstalt Heiligensee bald an drei) und die Justizvollzugsanstalt Plötzensee an zwei räumlich jeweils kilometerweit getrennten Standorten. Die Gründung, Ausgründung, Auflösung, Fusion oder Aufteilung führt nicht zur Vermehrung angemessenen Haftraums. Dieses Ergebnis läßt sich allein durch Baumaßnahmen erreichen. Der Sinn des § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG entfaltet sich deswegen nicht durch die Anknüpfung an den Anstaltsbegriff, sondern - da diese Nummer der Vorschrift (anders als deren Nrn. 1 und 2, die auch personelle und organisatorische Verhältnisse nennen) ausschließlich an die bauliche Ausgestaltung und die räumlichen Verhältnisse anknüpft - nur durch die Abstellung auf das Alter des Bauwerks (bzw. den Beginn von dessen Nutzung als Justizvollzugsanstalt, vgl. Senat NStZ-RR 2003, 125). Anstalten (als Verwaltungseinheit) lassen sich errichten, bauen lassen sich nur Gebäude.

dd) Der Senat hält auch die Auffassung des BGH für mit dem Gesetz nicht vereinbar, eine - nicht zuletzt aufgrund der seit 1998 zahlreichen Strafdrohungsverschärfungen (vgl. BGHSt 50, 234, 238) - jetzt wieder zunehmende Erhöhung der Belegungszahlen berechtige zur Doppelbelegung auch dann, wenn die Anstalt über Jahre hinweg nicht überbelegt war. Eine "Verwirkung", wie sie das Landgericht Halle angenommen hat, ist zwar in der Tat ausgeschlossen. Dieser Auslegung steht aber der ansonsten als so entscheidend angesehene (vgl. BGHSt 50, 234, 241, 242) Wortlaut des § 201 Nr. 3 Satz 1 2. Halbsatz StVollzG entgegen, der lautet: "solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern" (Hervorhebung durch den Senat). "Solange" bedeutet nicht "wenn" oder "falls", sondern: "für die Dauer der Zeit", "während der" (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden, Band 8, 1999), "während", "währenddessen", "die ganze Zeit über" (vgl. Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 1986), "während", "in der Zeit" (vgl. Mackensen, Deutsches Wörterbuch, 1986). Die Verwendung des Begriffs "solange" enthält zwar keine Befristung der Übergangsvorschrift, aber durch die einen zeitlichen Ablauf kennzeichnende Wortwahl die gesetzliche Beschreibung desjenigen Zustands, der die Gültigkeit der Vorschrift entfallen läßt. Die konditionale Nebenbedeutung (vgl. Duden aaO) des Wortes "solange" beseitigt nicht seinen hauptsächlichen Sinn, der in einer zeitlichen Beschreibung und Begrenzung liegt.

b) An dieser Auslegung ist der Senat aber gehindert, nachdem der Bundesgerichtshof die Vorlage des OLG Naumburg gemäß § 121 Abs. 2 GVG - trotz der Unterschiede (vgl. zur vom BGH selbst vorgenommenen Differenzierung BGHSt 50, 234, 242 sechste Zeile von unten bis S. 243 erste Zeile; im übrigen Arloth/ Lückemann, § 201 StVollzG Rdn. 1) der Sachverhaltsgestaltung (dort: Umbau eines Altbaus, hier Neubau auf dem Gelände einer "alten" Anstalt) - für zulässig erachtet (vgl. BGHSt 50, 234, 236) und wie ausgeführt entschieden hat. Diese Auslegung in einer zeitnahen, überdies ausdrücklich einen Beschluß dieses Senats beseitigenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs bindet den Senat und läßt eine erneute Vorlage nach § 121 Abs. 2 GVG durch das Kammergericht nicht zu (vgl. BGH NJW 1977, 964, 965).

Der Gefangene meint zu Unrecht, der BGH habe die in seinem Judikat streitgegenständliche Grundfläche des Haftraums von etwa 12 m2 als Mindestgröße bezeichnet. Stattdessen hat auch er auf die zur Wahrung der Menschenwürde erforderliche Größe abgestellt und Mindestmaße nicht bestimmt.

Die Größenmaße des - mit einer abgetrennten Naßzelle versehenen - Haftraums verstoßen nicht gegen die Menschenwürde. In Nr. 14-19 des Anhangs zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen - Empfehlung R (87) 3 des Ministerkomitees des Europarates vom 12. Februar 1987 (bei Kerner/ Czerner, Die Empfehlungen des Europarates zum Freiheitsentzug, 2004) sind Mindestmaße ebenso wenig genannt wie in deren Neufassung vom 11. Januar 2006. Das CPT legt die allgemein gehaltenen Empfehlungen dahin aus, daß die Bodenfläche einer Einzelzelle sechs m2 nicht unterschreiten sollte und bei Mehrfachbelegung jedem Gefangenen mindestens vier m2 zur Verfügung stehen müßten (vgl. ähnlich: OLG Celle NStZ-RR 2003, 316, 317 = StV 2003, 567; OLG Karlsruhe ZfStrVO 2005, 113 für eine Bodenfläche von 9,13 qm; Senat StraFO 2007, 521). Das ist hier eingehalten.

Auch die weiteren, in dem Beschluß des BGH als zur Wahrung der Menschenwürde als erforderlich bezeichneten Lebensumstände sind gewahrt. Denn die Anstalt hat durch die Ausgestaltung der Aufschlußzeiten darauf geachtet, daß den Gefangenen ausreichend Muße bleibt, sich allein in den Hafträumen aufzuhalten.

c) Auf §§ 143 StVollzG kann sich der Gefangene nicht berufen. Diese Vorschriften verschaffen keinen individuellen Anspruch sondern richten sich an die Vollzugsbehörden (vgl. OLG Hamm NStZ 1992, 352; OLG Frankfurt am Main NStZ 1985, 572 = StV 1986, 27 mit krit. Anm. Lesting; OLG Zweibrücken NStZ 1982, 221; OLG Nürnberg ZfStrVO 1982, 192; Senat aaO; NStZ 1984, 240).

Auch auf die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Satz 2 StVollzG kommt es nicht an, weil die Übergangsvorschrift des § 201 Nr. 3 StVollzG anwendbar ist.

d) Die Voraussetzungen des Widerrufs einer rechtmäßigen Verwaltungsentscheidung (§ 14 Abs. 2 StVollzG in entsprechender Anwendung) sind im Streitfall gegeben. Denn die Rücknahme der dem Gefangenen günstigen Entscheidung beruht auf der Änderung der Rechtsprechung durch das höchste Fachgericht der Bundesrepublik Deutschland. Damit ist die Rechtsprechung des Senats überholt und ein Vertrauen auf sie nicht geschützt. Die Umstände, die der Vollzugsbehörde das Recht geben, ihre begünstigende Entscheidung zurückzunehmen, müssen nicht von dem Gefangenen geschaffen worden sein. Es können auch Umstände ins Gewicht fallen, die außerhalb der Person des betroffenen Antragstellers und seiner Einflußmöglichkeiten liegen (vgl. Senat ZfStrVO 1985, 251). Dazu zählen neben Änderungen der Rechtsvorschriften auch Änderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung sowie dienst-, arbeits-, tarif- und personalvertretungsrechtliche Regelungen (vgl. Senat ZfStrVO 1998, 310).

Eine Ablösung aus dem Wohngruppenvollzug ist nicht erfolgt. Die Vollzugsbehörde strebt sie auch nicht zwangsweise an. Denn sie hat dem Gefangenen nicht die Verlegung in einen Einzelhaftraum im sogenannten Regelvollzug der TA II oder III angedroht, wenn er der Doppelbelegung nicht zustimme, sondern ihm angeboten, ihm dort einen solchen Raum zu vermitteln, wenn er dadurch die Doppelbelegung vermeiden wolle.

II.

Prozeßkostenhilfe konnte nicht gewährt werden, weil die Rechtsbeschwerde von vornherein wegen der entgegenstehenden Rechtsprechung des BGH keine Aussicht auf Erfolg hatte (§ 120 Abs. 2 StVollzG, § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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